Vor welchen Herausforderungen stehen wir also heute? Da ist die Vorstellung der SPD sehr klar, das Schulsystem und die Schule selber ist ein zentraler Gestaltungsmotor für eine demokratische und solidarische Gesellschaft, in der alle Kinder gefördert werden. In der Schule sind alle Kinder gleichberechtigt und haben das Recht auf ein Aufwachsen unabhängig von finanziellen oder Bildungsvoraussetzungen der Eltern. Schule hat also neben der zentralen Aufgabe, die kognitiven Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen zu fördern, auch die Aufgabe, die Kinder bei der Entwicklung hin zu einem toleranten Zusammenleben zu begleiten und das gegenüber allen Kindern, meine sehr geehrten Damen und Herren. Dem stimmt auch eine überwältigende Mehrheit der Thüringerinnen und Thüringer zu, 86 Prozent halten längeres gemeinsames Lernen für besser als das gegliederte Schulmodell.
Auch aus diesem Grund muss dem Bedürfnis von Eltern Rechnung getragen werden und rasch die Grundlage zur Entwicklung hin zur Gemeinschaftsschule gelegt werden. Denn eines haben die Befragten erkannt: Durch das längere gemeinsame Lernen ergibt sich eine Win-Win-Situation für alle beteiligten Schülerinnen und Schüler, so entsteht größere Chancengleichheit. Das wird deutlich, wenn man sich noch einmal die Kompetenzstufenvergleiche - ich habe das in einer Debatte schon einmal benannt - im naturwissenschaftlichen Bereich anschaut. Schülerinnen auf der niedrigsten Kompetenzstufe haben beispielsweise in den skandinavischen Ländern und auf der niedrigsten Kompetenzstufe 1 sind 4,1 Prozent, in Thüringen 11,1 Prozent. Da sieht man es, Deutschland hat nicht nur das Problem einer zu starken sozialen Ausdifferenzierung je nach Schulart, es gibt auch ein echtes Problem von Abgehängten, die wenig Chancen haben werden.
Zur Binnendifferenzierung: Leistungsstarke Schüler werden zu stark eingeschränkt, von einer Vielzahl wird das ja behauptet, doch das Gegenteil ist der Fall, denn mit längerem gemeinsamen Lernen ist der Anteil der Länder, in denen sich die leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler befinden, um mehr als 31 Prozent höher als in Thüringen. Sie sehen, die Schule hat die Aufgabe - und das ist auch die Aufgabe, ein wesentliches Merkmal unserer Gesellschaft -, dafür zu sorgen, dass unterschiedliche Fähigkeiten und unterschiedliche Professionen miteinander Gesellschaft entwickeln. Deswegen auch die Freiwilligkeit der Gemeinschaftsschule. Wir brauchen die Freiwilligkeit, weil wir uns von der Illusion verabschieden müssen, dass die reine Strukturfrage, wenn wir die oktroyieren, der entscheiden
de Punkt sein wird. Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern müssen sich in dieser Gemeinschaftsschule umstellen, individuell fördern. Freiwilligkeit heißt aber eben nicht, das Engagement von Schulen zu konterkarieren. So ist der Wille von Schülerinnen und Schülern beispielsweise im IlmKreis, die lange in Stadtilm darauf gewartet haben und die ein klares Signal an die Politik gesetzt haben, wir wollen auch Abitur machen. Dem ist auch Rechnung zu tragen und nicht einfach dieses Engagement von den Schülerinnen und Schülern zu konterkarieren, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Eine gemeinsame Schule für alle muss eine Schule sein, die es respektiert, dass Kinder unterschiedlich sind, ja, aber die eben nicht akzeptiert, dass diese Unterschiedlichkeit etwa bei sozialer Herkunft oder sonstigen gesellschaftlichen Umständen existiert, die nicht von jedem Schüler das Gleiche verlangt, aber jedem Kind und jedem Jugendlichen die gleichen Chancen eröffnet. Das wird die Thüringer Gemeinschaftsschule auch leisten. Dahinter steht die Mehrheit der Thüringer Bevölkerung, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, die uns hier vorliegende Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung bestätigt auf eindrucksvolle Weise genau das, was wir schon wussten oder alle glauben zu wissen, nämlich die Thüringer wollen in breiter Mehrheit das gemeinsame Lernen. Das hat, soweit ich weiß, auch noch nie jemand bestritten ganz im Gegenteil. Alle Thüringer Parteien und Fraktionen beschäftigen sich schon sehr lange intensiv mit den verschiedenen Modellen des gemeinsamen längeren Lernens und deren Umsetzung im Freistaat. Alle Modelle sind in der Öffentlichkeit diskutiert worden und offensichtlich gab es aber doch kein Modell, was komplette Zustimmung gefunden hat, auf das sich alle Bürger einigen konnten. Denn zu jedem Modell gibt es logischerweise immer gute Gründe dafür und auch gute Gründe dagegen.
Auf das Modell der FDP zur Stärkung der Regelschule gehe ich jetzt nur ganz am Rande ein, denn Sie wissen, auch in Regelschulen wird längeres gemeinsames Lernen bereits praktiziert. Jetzt soll allerdings aus dieser Studie abgeleitet werden, dass die Thüringer wahrscheinlich in Gänze die Gemeinschaftsschule als Modell des längeren gemeinsa
Der Ist-Zustand ist Folgender: Regional unterschiedlich gesehen wählen ca. 50 Prozent der Thüringer das längere gemeinsame Lernen, das bereits an den Regelschulen der Normalfall ist, eben nicht als ihr Modell für die Kinder, die sie haben, sondern sie schicken ihre Kinder zum Gymnasium. Ich betone hier noch einmal, das längere gemeinsame Lernen wird in Thüringen bereits heute praktiziert, nämlich in den Regelschulen. Da lernen Schüler mit Realschulorientierung, mit Hauptschulorientierung und auch mit verstärktem oder erhöhtem Förderbedarf zusammen in einer Klasse, integrativ, und das funktioniert. Es funktioniert deshalb, weil die Pädagogen sehr verantwortungsbewusst mit dem Programm umgehen, das schon seit mehreren Jahren in den Thüringer Schulen Einzug gehalten hat. Diejenigen von uns, die im Bereich Schule tätig sind oder sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen, und davon gehe ich aus, dass das alle Fachpolitiker selbstverständlich tun, wissen das auch. Jetzt kommen die neuen Ideen und zusammen damit eine Studie. Darin wird nun das verkündet, was schon lange Praxis war und ist, und zwar ganz ohne Heilsbringer - die Gemeinschaftsschule. Im Grunde genommen ist genau das schon Praxis ohne Schulexperimente und ohne Bevorzugung einer einzigen Schulform. Darum geht es mir an dieser Stelle.
Das hier so gepriesene Votum der Thüringer für die Gemeinschaftsschule ist natürlich signalisiert oder auch dargestellt worden in dieser Umfrage oder durch die Studie, da gibt es verschiedene Fragen. Eine Frage möchte ich Ihnen gern einmal vorlesen, weil ich die Frage selbst wahrscheinlich genauso beantwortet hätte, wie das die Masse der Thüringer auch getan hat. Die Frage lautet: Welche Schule würden Sie für Ihr Kind auswählen: a) eine Grundschule mit vierjähriger Dauer, b) eine Gemeinschaftsschule mit sechsjähriger Dauer, c) eine Gemeinschaftsschule mit achtjähriger Dauer oder d) eine Gemeinschaftsschule mit zehnjähriger Dauer? Die Antwort ist nicht überraschend. Ich würde als Mutter auch nicht für a) stimmen, das würde ja implizieren, dass ich mein Kind nur vier Jahre zur Schule schicken will.
Jetzt sind es natürlich immerhin 50 Prozent der Thüringer, die sich dafür ausgesprochen haben. Das ist eine Interpretationsfrage. An dieser Stelle kann ich Ihnen, Herr Minister, natürlich nur herzlich danken, dass wir jetzt in diese öffentliche Debatte kommen
und dass wir hier auch sehen, mit welcher Vehemenz hier ein persönlicher Favorit in den Vordergrund gespielt werden soll. Es gibt auch Gegenstimmen für dieses Schulexperiment. Denn wenn ein Schulexperiment, an dem sich immerhin sechs Schulen aus Jena und Suhl beteiligen, so in die Öffentlichkeit und so in den Vordergrund gespielt wird, dann ist natürlich auch eine gewisse Gegenreaktion von Schulen, bestimmten Schulträgern und Verbänden oder auch Vertretern der Regierungskreise nicht wirklich verwunderlich. Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten, die SPD-Fraktion hat die Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, in der sie 1.000 Thüringer zum gemeinsamen Lernen befragt hat, zum Anlass genommen, heute eine Aktuelle Stunde im Landtag aufzurufen. Ich möchte aber, bevor ich zu diesem Thema komme, ein etwas anderes Thema streifen und aus der Südthüringer Zeitung von gestern zitieren: „Finnland und Korea haben auch eine große gemeinsame Schnittmenge. Die Eltern fordern und fördern dort ihre Kinder, sind einfach hinterher, dass ihr Nachwuchs etwas lernt. Hier sind bei den deutschen Eltern noch viele Hausaufgaben zu machen. Sich mit ihren Kindern gegen die Lehrer zu verbünden, geht nicht.“ Das ist ein Zitat, das man sicherlich an vielen Stellen untersteichen kann. Ich kann nur sagen, man kann sich trefflich über die beste Schule streiten, aber Schule ist nicht der Reparaturbetrieb für diese Gesellschaft.
Leider ist es so, dass wir erneut, jetzt auch in Thüringen zunehmend, eine Strukturdebatte führen. Selbst die in der Studie befragten Bürger erkennen, dass die ideale Schule zuerst mit kompetentem Personal und hoher Unterrichtsqualität einhergeht.
Das sind die Aufgaben, die dieses Kultusministerium an die Spitze aller seiner Bemühungen stellen muss. Die Befürworter der seit drei Jahren ins Gespräch gekommenen Gemeinschaftsschule sehen sich durch die Umfrage gestärkt. Die Befragten präferieren zu 48 Prozent eine gemeinsame Schulzeit bis zur Klasse 8. Mal übersetzt in die Vergangenheit, die wir hier alle aktiv auch erlebt haben, wird
gerne gesehen das Verhältnis POS dann zur EOS, nach acht Jahren wechselt man über. Aber ich sage auch, mit einer knallharten Auslese nach Leistung, es gab noch ein paar andere Kriterien, und auch ohne Wahlrecht. Dort waren die Übergänge nach der 8. Klasse klar vorgegeben und auch nach der zehnten Klasse wurde noch einmal gnadenlos aussortiert. So ein Unrecht kennt das deutsche Grundgesetz nicht. Es gibt die Wahlfreiheit für Schulen.
Wir als CDU-Fraktion definieren diesen Wunsch von den Befragten unter den heutigen Bedingungen umgesetzt so: Ein Schulwechsel mitten in der Pubertät, also nach der achten Klasse, ist nicht ratsam aus unserer Sicht. Zehn Jahre gemeinsames Lernen nach einem Lehrplan, der lebensnah, praxisnah und am Berufsleben orientiert ist, ist für uns die richtige Antwort. Im Anschluss daran kann man in drei Jahren zum Beispiel am beruflichen Gymnasium das Abitur erlangen. Frau Hitzing, das wäre noch angemerkt zur jetzigen Regelschule. Es lernt dort auch ein guter Teil von Schülern, die später ihr Abitur erlangen und ungefähr ein Fünftel der Schüler absolviert danach diesen Weg.
In einem Land wie Thüringen mit freier Schulwahl wird es immer ein Gymnasium nach der Klasse 4 geben und das ist auch gut so.
Das Gymnasium von Klasse 5 bis 12 wird es geben - als staatliches oder wenn es sein muss auch als privates.
Ich möchte jetzt zu einem anderen Zitat kommen. Prof. Köller sagte 2008: „Auf der Gesamtschule gelingt es nicht, den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Schullaufbahn aufzuheben oder nachhaltig zu reduzieren.“ Jetzt will man mit der Gemeinschaftsschule einen Weg gehen ab Klasse 1. Das ist ein neuer Versuch. Die Befragten versprechen sich davon eine längerfristige stabile Lernumgebung und dass die Kinder selbst dann reifer sind für eine Entscheidung. Dieser neue Versuch einer gerechteren Schule darf aber nicht zuungunsten der Schüler ausgehen. Da die Redezeit gleich um ist, will ich abschließend nur sagen, mit den Weiterentwicklungen im Schulgesetz geht es um sinnvolle, pädagogisch durchdachte Weiterentwicklungen, die es Lehrern, Schülern und Eltern gestatten, diese Schritte gern und mit gutem Wissen mitzugehen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe heute Argumente gehört, die ich tatsächlich noch nicht gehört habe. Ich hoffe, dass einiges davon schlicht falsch verstanden wurde. Liebe Kollegin Hitzing, ich glaube nicht, dass Eltern wollen, dass ihre Kinder nur sechs oder acht Jahre in die Schule gehen.
Das wäre ja der Großteil, folgte man der Logik, wie Sie die Studie gelesen haben, die heute namensgebend für diese Aktuelle Stunde ist. Ich denke, das war schlicht falsch verstanden.
Was mich und meine Fraktion umtreibt ist etwas, das habe ich neulich schon einmal beschrieben, was eigentlich traurig macht. Wir führen eine ganz spannende Debatte über Bildung, über den Zugang zu Bildung, weil ich allen hier im Saal unterstelle, dass wir das Bestmögliche für unsere Kinder wollen und das heißt, ihnen bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Denn Bildung öffnet im wahrsten Sinne des Wortes die Türen zur Welt. Die Frage ist: Wie kommen wir da hin? Anstatt sich an einen Tisch zu setzen und gemeinsam die unterschiedlichen Konzepte, die es offenkundig gibt, zu beraten und zu schauen, was der beste Weg ist, wie wir ihn so umsetzen können, dass wir sowohl die Kinder als auch die Lehrerinnen, die Eltern, die Erzieherinnen, alle an Schule Beteiligten mitnehmen, überbieten sich die unterschiedlichen Parteien, insbesondere aber die Koalitionsfraktionen, damit, ihre Modelle immer lauter herauszuschreien, die sie haben, statt zu schauen, wie man etwas verbinden kann und wie man längeres gemeinsames Lernen tatsächlich auf den Weg bringen kann.
Denn, liebe Frau Hitzing und auch lieber Kollege Emde, die Trennung hat schon begonnen, bevor die Kinder in der Regelschule angekommen sind. Das haben Sie jetzt weggelassen. In der 4. Klasse wird die Entscheidung getroffen, wie es weitergeht mit der Schullaufbahn. Das halten wir für zu früh. Diesen Zeitpunkt wollen wir an einer späteren Stelle haben.
Ich sage es jetzt ganz offen, ich werde mich nicht an der Debatte für die schönste Namensgebung für die Schule beteiligen. Ich möchte, dass es eine Schule gibt, in der tatsächlich alle Kinder in ihrer Verschiedenheit gefördert und respektiert werden, und zwar ganz individuell. Dafür haben wir schon
gute Ausgangsvoraussetzungen. Ich fange mal ganz früh an, in den ersten Jahren, mit der veränderten Schuleingangsphase. Ich finde, das ist wirklich eine ganz tolle Sache für die Kinder in Thüringen, weil genau geschaut werden kann, schafft das Kind den Stoff in ein, in zwei oder in drei Jahren. So möchte ich, dass sich das fortsetzt. Das gibt es auch schon an Schulen, dass nicht in der 4. Klasse die Trennung erfolgt und sich die Kinder entscheiden müssen, ob sie auf das Gymnasium gehen, dafür die Laufbahnempfehlung erhalten oder aber an eine Regelschule, sondern dass diese Entscheidung zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt erst möglich ist. Ich glaube, genau das bringt auch die Studie zum Ausdruck, die die Friedrich-Ebert-Stiftung hier erstellt hat, dass die Eltern wollen, dass diese Trennung nicht so früh stattfindet, sondern dass die Kinder bestmöglich individuell gefördert werden. Ich bin davon überzeugt, dass wir von dieser Heterogenität auch profitieren werden.
Ich sage es noch einmal: Schon jetzt gibt es Schulen in Thüringen, die es vormachen, dass es geht, weil es da überhaupt gar keine Trennung gibt, und zwar zu keinem Zeitpunkt. Da gibt es Kinder, die jetzt in der 12. Klasse sind - Jugendliche schon - und die dann nicht etwa das Abitur ablegen, sondern den Realschulabschluss, die einen ganz anderen Stundenplan oder ganz andere Lerninhalte haben als andere Kinder in der gleichen Klasse. Trotzdem sind sie nie getrennt worden. Ich glaube, das ist auch das Entscheidende und wird darauf geachtet und darauf kommt es an, dass alle den für sie bestmöglichen Schulabschluss erreichen. Das muss doch das Ziel sein.
Deswegen noch einmal mein eindringliches Plädoyer: Lassen Sie uns endlich an einen Tisch setzen, lassen Sie uns gemeinsam überlegen, wie wir längeres gemeinsames Lernen zugunsten unserer Kinder so erreichen können, dass tatsächlich am Ende das Beste für sie rauskommt, nämlich dass sie einen guten Schulabschluss haben - welcher auch immer das sein mag, da muss man unterscheiden können - und dass sie dann einen guten und gelungenen Start in das Leben haben. Ich glaube, das ist das Zentrale.
Ich will auch noch einmal eingehen auf die Ängste vor Gleichmacherei oder Verschlechterung. Genau das wollen wir nicht, wir wollen keine Einheitsschule, wo alle gleichgemacht werden, sondern wir wollen eine Schule, die tatsächlich individuell auf die Bedarfe und die Bedürfnisse und auch auf die besonderen Förderbedürfnisse der Kinder eingeht.