Protocol of the Session on September 8, 2010

Die Ausgangslage, meine Damen und Herren, ist, glaube ich, bekannt. Für den Aufbau des Landes seit der Wiedervereinigung wurden über die Jahre Schulden in Höhe von 15,7 Mrd. € aufgenommen. Es wurden damit Straßen gebaut, Schulen, Hochschulen, Kindergärten saniert und an die aktuellen Standards angepasst. Die Städte und Gemeinden konnten ihre Infrastruktur sanieren und erweitern. Es wurde ein bemerkenswertes, ein lebenswertes Umfeld geschaffen und für die Wirtschaft wurden moderne Standorte entwickelt. Die Qualität von Luft, Wasser und Boden entspricht den aktuellen Standards. Wir haben in die Wirtschaftsförderung investiert und das wird sichtbar in den über die Jahre günstigen Arbeitsmarktzahlen. Im Vergleich der übrigen neuen Länder konnten wir hier durch die Ansiedlung von Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen eine Spitzenposition erreichen. Wir haben nach der friedlichen Revolution den strukturellen Umbau des Landes schnell vorangetrieben, und zwar schneller, als es uns nach den finanziellen Gegebenheiten möglich gewesen wäre. Wir alle haben davon profitiert.

Meine Damen und Herren, unsere Diskussion zum Thema „Schulden und Sparen“ muss zukunftsgerecht und zukunftsgerichtet sein. Unsere Zukunft hat eben andere Rahmenbedingungen als die Vergangenheit. Wir sind seit diesem Jahr in der Phase des Abbaus der Solidarpaktmittel. Wir sind in der Phase des Auslaufens der EU-Fördermittel und wir müssen die Auswirkungen der Wirtschafts- und Währungskrise verkraften. Diese Tatsachen bedeuten, dass wir in diesem Jahr und auch in den nächsten ein bis zwei Jahren nicht mehr das Einnahmeniveau erreichen werden, das wir in der Vergangenheit gewohnt waren. Keinesfalls werden wir langfristig über zusätzliche Steuereinnahmen die Ausfälle aus dem Solidarpakt und der EU-Förderung sowie den überproportionalen Bundesleistungen vollständig kompensieren können.

Schließlich - und das ist ja auch nichts Neues - erhalten wir im laufenden Haushalt an einigungsbedingten Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen 1,25 Mrd. €, an Leistungen der EU rund 645 Mio. € sowie weitere Solidarpaktmittel des Bundes; das ist der sogenannte Korb II von rund 400 Mio. €.

(Abg. Keller)

Meine Damen und Herren, all die Zahlen sind nichts Neues. Dieser Betrag, meine Damen und Herren, der genannt ist, man kann beklagen und mit Wehmut an den bisherigen Standards festhalten oder man kann es als Chance zu einer Neuorientierung begreifen. Das tun wir. Diese Neuorientierung geht von dem guten Stand aus, den wir erreicht haben. Das bedeutet nicht Rückschritt, sondern Gestaltung unserer Zukunft. Sparen bedeutet, neue Akzente zu setzen, nicht zusätzliche Akzente zu setzen, das ist schon der erste Schritt in die richtige Richtung.

Die Thüringer Landesregierung will die im Jahr der Krise erforderlich gewesene hohe Neuverschuldung im kommenden Jahr deutlich zurückführen. Bis zum endgültigen Auslaufen des Solidarpakts und dem gleichzeitigen Beginn des Schuldenverbots nach dem Grundgesetz wird auch der Freistaat Thüringen eine Neuverschuldung nur noch in den dann zulässigen Ausnahmefällen in Anspruch nehmen und im Übrigen Haushalte ohne Neuverschuldung vorlegen.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, arbeitet die Landesregierung an der Aufstellung des Haushalts, das habe ich Ihnen klar gesagt. Sie wird einen Haushaltsentwurf so wie angekündigt auch im Zeitplan vorlegen, der den genannten Rahmenbedingungen Rechnung trägt. Dann können wir hier im Oktober ausführlich dazu beraten. Danke schön.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank. Gibt es weitere Wortmeldungen? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann schließe ich den ersten Teil der Aktuellen Stunde und rufe auf den zweiten Teil der Aktuellen Stunde

b) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Handeln gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken“ Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 5/1437

Als Erster zu Wort gemeldet hat sich von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Abgeordnete Dirk Adams.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, so aktuell waren wir ja selten. Wenn man sich aber mal anschaut, was in den letzten Tagen passiert ist, in der Nacht vom Sonntag zum Montag berät die Bundesregierung darüber, wie sie es nun

macht mit der Laufzeitverlängerung und am Montag um 5.23 Uhr unterzeichnet sie eine Paraphe zwischen der Atomlobby, der Atomindustrie und der Bundesregierung. Wovor hatten die eigentlich Angst? Hatten die wirklich so große Angst davor, dass es noch einmal zu einer gesellschaftlichen Diskussion kommen könnte? Die gesellschaftliche Diskussion, lieber Herr Barth, kann ich ja gar nicht allein führen. Es ist sicherlich so, dass die schwarzgelbe Bundesregierung vor uns GRÜNEN Angst hat - zu Recht meiner Meinung nach.

(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Oh, nein...)

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Laufzeitverlängerung ist ganz großer Mist, weil wir dadurch mehr Atommüll bekommen und schon jetzt haben wir kein Endlager für den bestehenden Müll.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Laufzeitverlängerung ist großer Mist, weil billiger Atomstrom unsere Leitungsnetze verstopft. Darüber können wir in Thüringen gerade nicht hinwegsehen, die 380-kV-Leitung wird nicht gebaut, um hochwertigen Windstrom aus der Ostsee und Nordsee in die südlichen Teile unseres Landes zu bringen, sondern um diese furchtbare Atompolitik von Schwarz-Gelb fortführen zu können. Das ist hier ganz deutlich gesagt. Das Ganze nützt nur einem; der Renditeerwartung, der Renditeverbesserung der Atomlobby.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Laufzeitverlängerung stellt nicht eine Brücke dar, sondern sie ist eine Sperre für mehr erneuerbare Energien und für den Klimaschutz.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Die Bundeskanzlerin, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist einfach umgefallen. Sie lässt sich die Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland von vier großen Stromversorgern diktieren. Das bedeutet für sie, dann rechtfertigen zu müssen, dass diese vier Atomenergiebetreiber ja gar nicht so viel gutmachen würden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich frage Sie: Warum sollen die auch nur einen Cent gutmachen? Sie diskutierten mit uns Anfang dieses Jahres darüber, dass in der Photovoltaikbranche zu große Gewinne gemacht werden. 165 Mrd. € sind gefördert worden für die Atomlobby und Sie diskutieren um wenige Cent je Kilowattstunde. Das finde ich einfach verlogen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir müssen das auf eine Ebene stellen: Einspeisevergütung kürzen - die Energiepolitik der schwarz

(Ministerin Walsmann)

gelben Regierung - und gleichzeitig die Laufzeit verlängern. Frau Ministerpräsidentin, ich fordere Sie ganz dringend auf, gegen diese Risikoverlängerung einzutreten,

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

denn wirtschaftspolitisch ist diese Laufzeitverlängerung für Thüringen wirklich schlecht, weil wir nämlich führend sind in der Anlagentechnik für erneuerbare Energien und nicht führend in der Anlagentechnik für die Atomkraftwerke. Deshalb ist es Wirtschaftsförderung hier vor Ort und für Thüringen, wenn man sich gegen diese Laufzeitverlängerung und stattdessen für die erneuerbaren Energien einsetzt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nicht nur so, dass wir die Anlagentechnik hier bauen, sondern wir könnten viel mehr Thüringer erneuerbaren Qualitätsstrom hier im Land organisieren und hier im Land produzieren. Unsere Stadtwerke sind alle gut aufgestellt, wir könnten viel mehr Strom hier in Thüringen produzieren. Das ist übrigens Wertschöpfung. Ich bin ganz erstaunt, dass die FDP sich gegen diese Wertschöpfung hier regional wendet. Das ist eigentlich bezeichnend für die doch als Maske eher vor sich her getragene Wirtschaftskompetenz von FDP und CDU.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Laufzeitverlängerung wird oft damit begründet, sie sei so unglaublich wichtig für den Klimaschutz. Weltweit macht die Atomenergie nur 2 Prozent am Primärenergieverbrauch aus. Wir müssen uns nur vorstellen, wie viel unendlich mehr Ansatzpunkte wir hätten, um den Klimaschutz voranzubringen. In Deutschland selbst mit dem hohen Ausbaugrad an Atomenergie sind es nur 6 Prozent. Das heißt, selbst wenn wir diese Atomenergie verdoppeln würden, wir würden nichts Relevantes für den Klimaschutz tun können. Wir könnten auch keine relevante Kostenreduzierung, wie von der Union oft argumentiert wird, erzielen, weil die Laufzeitverlängerung eine Kostensenkung im Strompreis von maximal 0,7 Cent bringt. Angesichts der 5-Cent-Sprünge, die die Atomlobby in der letzten Zeit gemacht hat, ist das einfach nur noch als Peanuts zu bezeichnen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch der Mythos „Sicherheit“ ist ein Riesenproblem. Meine Kollegin Schubert wird dazu nachher noch eine Mündliche Anfrage haben. In Thüringen weiß der Umweltminister nicht einmal, dass Kobalt 60 über unsere Straßen fährt. Kein Polizist, keine freiwillige Feuerwehr ist davon informiert, wenn solche Transporte in Thüringen unterwegs sind. Das ist ein Skandal unglaublicher Tiefe.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Ende.

Ich denke, dass diese Debatte wichtig ist für Thüringen, und hoffe darauf, dass die Ministerpräsidentin auch noch etwas dazu sagen wird, dass man sich wie NRW gegen ein Ausbremsen des Bundesrats hier stellt. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

(Zwischenruf Reinholz, Minister für Landwirt- schaft, Forsten, Umwelt und Naturschutz: Herr Adams, dafür ist das Sozialministerium zuständig.)

Vielen Dank, Herr Adams. Als Nächster spricht für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Frank Weber.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, es geht in dieser Diskussion, dieser Frage um nicht mehr oder weniger als eine Richtungsentscheidung. Es geht darum, ob man auf Technologien der Vergangenheit setzt, auf gefährliche Technologien setzt oder ob man auf Technologien der Zukunft setzt, auf Technologien, die in Thüringen produziert werden, die zukunftsweisende Arbeitsplätze schaffen, ob man diese Technologien unterstützt oder ob man auf eine gefährliche Technik aus der Vergangenheit setzt.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Thema „gefährliche Technik“: Keines der 17 deutschen Atomkraftwerke würde nach dem jetzigen Rechtsstand eine Genehmigung erhalten keines der 17 deutschen Atomkraftwerke.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu den Zahlen: An jedem dritten Tag kommt es in Deutschland zu einem sicherheitsrelevanten Ereignis, zu einem meldepflichtigen sicherheitsrelevanten Ereignis in einem deutschen Atomkraftwerk. Seit Inbetriebnahme von Biblis sind 800 meldepflichtige Störfälle verzeichnet worden. In einem Block entstehen pro Jahr radioaktive Substanzen, die die 1.200-fache Menge der Hiroshima-Bombe enthalten. Das sind die Fakten, wenn wir über diese Technologie der Vergangenheit reden. Das einzig

(Abg. Adams)

sichere an Atomkraft sind die Profite der Betreiber. 1,5 Mio. € pro Tag spült ein Atomkraftwerk in die Kassen der Betreiber. Das ist aus unserer Sicht unverantwortlich, mit der Sicherheit unserer Generation, mit der Sicherheit künftiger Generationen so umzugehen. Deswegen gibt es vonseiten der SPDFraktion ein klares Bekenntnis zum Ausstieg und gegen den Ausstieg aus dem Ausstieg.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist schon viel gesagt worden, ich will nicht alles wiederholen. Die Entsorgungsfrage ist ungeklärt. Ich bin sehr froh darüber, dass die Ministerpräsidentin sich in der Vergangenheit sehr eindeutig zu der Frage der Bundesratsbefassung geäußert hat. Ich zitiere - Frau Ministerpräsidentin Lieberknecht hat gesagt: „Die Nichtbeteiligung des Bundesrates an der Verlängerung der Laufzeiten ist eine Mogelpackung und von daher muss man auch mit dieser Mogelpackung so umgehen, wie man politisch mit Mogelpackungen umgeht.“ Noch erschreckender ist aber, dass die Bundesregierung offensichtlich mehr Wert auf die Atomlobby legt, was die Beteiligung in dieser Frage betrifft, als auf die Entscheidung der Bundesländer. Auch wir sind der Meinung, dass es einer verfassungsrechtlichen Prüfung bedarf, ob die Bundesländer hier an der Entscheidung beteiligt werden. Wir glauben, es ist sinnvoller, in die Zukunft zu investieren, es ist sinnvoller, in die 300.000 Arbeitsplätze zu investieren, die im Bereich erneuerbare Energien entstanden sind und nicht in die 30.000 Arbeitsplätze, die noch im Bereich Atomkraft existieren.

(Beifall SPD)

Das Ganze, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, hat System. Auf der einen Seite reduziert man die Einspeisevergütung, um die erneuerbaren Energien aufzuhalten. Auf der anderen Seite verlängert man die Laufzeit der Atomkraftwerke, um noch einmal ganz deutlich einen Stopp für erneuerbare und für die Entwicklung erneuerbarer Energien in Deutschland zu setzen. Das ist nämlich nichts anderes als ein Innovationsstopp für diese Technologien. Wir haben gerade kurz vor der Plenarsitzung in einer Pressekonferenz gemeinsam parteiübergreifend, auch gemeinsam mit Umweltverbänden dazu aufgerufen, am 18.09.2010 nach Berlin zu fahren. Und alle Thüringerinnen und Thüringer sollen aufgerufen sein, am 18.09.2010 gemeinsam gegen die Laufzeitveränderung zu demonstrieren. Im TOP 17 werden wir uns mit dem Thema noch einmal befassen. Danke schön.

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Weber. Es spricht zu uns der Abgeordnete Ramelow von der Fraktion DIE LINKE.

Werte Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Ministerpräsidentin, auf den ersten Blick hat man ja das Gefühl, da Thüringen kein Atomkraftwerk hat, ginge es uns relativ wenig an. In Wirklichkeit ist es so, das wissen wir seit Tschernobyl, dass an keinen Grenzen atomarer Fallout sich beschränken würde.