Protocol of the Session on May 28, 2010

Für die CDU-Fraktion hat sich Frau Abgeordnete Holbe zu Wort gemeldet.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, werte Landtagskollegen, kein neues Thema heute im Plenum. Wie bereits erwähnt, wir haben uns nicht nur in der Februarplenarsitzung hier damit befasst, sondern auch in der letzten Plenarsitzung einmal zum Flüchtlingsaufnahmegesetz zur Thematik der Asylbewerber und natürlich damit verbunden auch zur Thematik der Residenzpflicht für Asylbewerber und für Geduldete. Dass der Antrag nun von der FDP kommt, ist ein bisschen neu, ansonsten haben wir diese Anträge von der Fraktion der LINKEN,

(Beifall DIE LINKE)

aber Sie haben ja diesen Alternativantrag in Drucksache 5/1028 auch hier zur Beratung eingebracht.

Vielleicht noch einmal ein bisschen einen größeren Überblick zum Verständnis: Asylbewerber und geduldete Ausländer unterliegen bekanntermaßen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Pflichten, sich in einem bestimmten Bezirk aufzuhalten - bei uns sind das die Landkreise -, in dem sie bei den Ausländerbehörden gemeldet sind. Die Pflicht wird häufig als Residenzpflicht bezeichnet, ist im herkömmlichen Sprachgebrauch so eingebürgert, jedoch nicht ganz exakt. Man müsste sie eigentlich auf die räumliche Beschränkung exakterweise benennen, denn sie können sich in dem zugewiesenen Bereich entsprechend bewegen. Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass die Asylbewerber und Geduldeten Anspruch auf Verbleib in der Bundesrepublik haben und für den Zeitraum der Antragsbearbeitung die Entscheidung des Asylantrags abwarten und durch die festgelegte räumliche Beschränkung jederzeit für die Zustellung und die Umsetzung ihrer asylrechtlichen Entscheidung auch erreichbar bleiben. Es erfolgten Kritiken durch Verbände, durch politische Initiativen, durch die Flüchtlings- und Bürgerrechtsorganisationen, Klagen, die eingereicht worden sind, bis hin zum Bundesverfassungsgericht und zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Bundesverfassungsgericht hat die räumliche Beschränkung mit Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber 1997 als verfassungsrechtlich angesehen. Ein Verstoß gegen Artikel 2 des Grundgesetzes in Abs. 1 und 2 konnte nicht festgestellt werden. Die Menschenrechtsbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die räumliche Beschränkung blieb ebenfalls erfolglos. Ein Verstoß gegen Artikel 26 der Genfer Konvention konnte ebenfalls nicht gesehen werden. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Richtlinie, die gemäß Artikel 26 bis zum 06.02.2005 umzusetzen war, im Asylverfahrensrecht und -gesetz ordnungsgemäß eingearbeitet wurde und sie sieht keinen weiteren Handlungsbedarf, diese gesetzliche Regelung zu ändern.

Trotz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist die Kritik an den strengen räumlichen Beschränkungen nicht leiser geworden. Die Beschränkungen werden nicht nur von den Betroffenen unerträglich empfunden, sondern auch von Nichtbetroffenen, bei den Betroffenen besonders bei den Asylbewerbern und Geduldeten insbesondere in den ländlichen Regionen. Grundsätzlich sind Termine bei Behörden und Gerichten erlaubnisfrei. Das Gesetz lässt Ausnahmeregelungen zu, die ein zwingendes Interesse bzw. ein dringendes öffentliches Interesse begründen, das sind zum Beispiel Wahrnehmung von Arztterminen, Krankenhausaufenthalten, religiösen, kirchlichen Veranstaltungen, politischen Veranstaltungen und Versammlungen, Familienbesuche, um nur einige zu nennen. Auch in

Thüringen ist sichergestellt, dass es hier eine einheitliche Vorgehens- und Behandlungsweise gibt in einer Handakte für die Ausländerbehörde, die in den einzelnen Kreisen auch entsprechend angewendet wird.

Allerdings ist durch einzelne Bundesländer der Ruf nach Lockerung der Residenzpflicht lauter geworden, so in Berlin und Brandenburg. In diesen beiden Ländern werden derzeit eine länderübergreifende Lockerung der Residenzpflicht und damit verbunden mehr Freizügigkeit bei den Asylbewerbern angestrebt. In Bayern soll der legale Aufenthalt auf den Regierungsbezirk ausgedehnt werden. In anderen Bundesländern gibt es Anträge der Opposition, in Schleswig-Holstein durch die GRÜNEN. Allerdings gibt es auch entgegengesetzte Beteuerungen, so in Baden-Württemberg, wo man sich kürzlich gegen eine Lockerung der Residenzpflicht ausgesprochen hat.

Ich habe schon in meinen vorangegangen Redebeiträgen mehrfach angekündigt, dass - basierend auf dem Koalitionsvertrag, der hier in Thüringen geschlossen wurde - eine Lockerung auf einzelne Landkreise bezogen und Teilbereiche vorgenommen werden soll. Durch Professor Huber wurde dies mehrfach bestätigt. Derzeit befindet sich die Rechtsverordnung in Erarbeitung; sie soll noch vor der Sommerpause vorliegen. Vielleicht, Sie haben es sicher mit verfolgt in der Innenministerkonferenz, die gestern und heute in Hamburg stattfand, war auch die Lockerung der Residenzpflicht ein Thema der Innenminister, wo eventuell Empfehlungen oder Abstimmungen dazu getroffen werden. Jedoch, denke ich, werden wir daraus nicht Erkenntnisse gewinnen können, was die Forderungen in dem Antrag der FDP in Drucksache 5/981 und der Fraktion DIE LINKE in Drucksache 5/1028 letztlich betrifft. Insofern können wir auch die Landesregierung nicht auffordern, eine Bundesratsinitiative zur Abschaffung dieser Residenzpflicht in den Bundesrat einzubringen, wie Sie das vonseiten der FDP vorgesehen haben. Selbst Experten raten dringend davon ab, denn die Asylbewerber würden sich in den Ballungszentren konzentrieren, wie beispielsweise in München, in Frankfurt, in Berlin und würden diese entsprechend enorm überlasten. Die gleichmäßige Verteilung auf Länder und Kommunen sichert ebenfalls eine gleichmäßige Verteilung der Kostenübernahme und verhindert auch Ghettobildung in bestimmten Zentren. Die Aufforderung an die Landesregierung, entsprechend tätig zu werden und bis zum 31.08. uns zu berichten, ist, denke ich, unnötig, da - wie bereits ausgeführt - das zuständige Ministerium intensiv an dieser Rechtsverordnung arbeitet. Nun denke ich mir, man muss auch die zwei Anträge gesondert behandeln. Den von der LINKEN, der darauf zielt, landesweit diese Residenzpflicht abzuschaffen, halte ich

für rechtlich schlicht nicht zulässig, weil hier die Bundesgesetzgebung dagegensteht, so dass meine Fraktion diesen Antrag ablehnt.

Für den Antrag der FDP beantrage ich hiermit im Namen meiner Fraktion die Überweisung an den Innenausschuss. Ich denke, es wird nicht politischer Wille sein, Änderungen auf Bundesebene zum jetzigen Zeitpunkt hier durchzusetzen. Aber ich denke, man sollte intensiv die Beweggründe und die Entscheidungen, die hier für die Änderung der Residenzpflicht in einzelnen Bereichen durchaus intensiv mit begleiten und schauen, welche Erwägungen hier in dem einen oder anderen Fall stehen. Da gebe ich Frau Rothe-Beinlich recht, es gibt Dinge, die über die Kreisgrenze einfacher praktizierbar sind, ob es Einkaufsmöglichkeiten sind, Arztbesuche oder andere Dinge. Ich denke, dass das durchaus rechtfertigt, dass wir uns das als Innenpolitiker näher anschauen und das Innenministerium hierin begleiten. Herzlichen Dank.

Vielen herzlichen Dank. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Berninger für die Fraktion DIE LINKE.

(Beifall DIE LINKE)

Das waren jetzt Vorschusslorbeeren; mal sehen, ob ich die verdiene.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren. Frau Holbe, ich hoffe sehr, dass die FDP-Fraktion nicht zustimmen wird, ihren Antrag an den Innenausschuss zu überweisen. Ich glaube, es ist nicht nötig.

(Beifall DIE LINKE)

Heute Mittag hat mich einer der Thüringer Journalisten angesprochen und hat seine Überraschung darüber geäußert, dass ein solcher Antrag von der FDP kommt, und hat mich gefragt, ob mich das auch überrascht hätte. Da habe ich gesagt: Nein, das hat mich eigentlich nicht überrascht. In dem Fall agiert meines Erachtens die FDP liberal. Ich habe auch FDP-Vertreter hier schon erlebt in Bezug auf die Residenzpflicht und auch kürzlich im April in einer Veranstaltung hier im Thüringer Landtag zum Thema Residenzpflicht und von daher war ich wirklich nicht überrascht, diesen Antrag von Ihnen zu sehen. Herr Bergner, ich muss Sie für große Teile Ihrer Begründungsrede ausdrücklich loben. Ein paar Kleinigkeiten habe ich zu bemängeln, aber im Großen und Ganzen fand ich Ihre Rede wirklich sehr gut

und zustimmungsfähig.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nehmen wir die Äußerungen der Parteien vor der Landtagswahl im vergangenen Jahr, die Äußerungen der migrationspolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion in der eben schon erwähnten Veranstaltung zur Residenzpflicht im April hier im Landtag - und, Frau Präsidentin, da brauchen wir die Jusos gar nicht zu bemühen -, die Äußerungen der antragstellenden FDP-Fraktion nicht nur hier in Thüringen, sondern auch auf bundespolitischer Ebene oder beispielsweise in Bayern und selbstverständlich auch die öffentlichen Äußerungen und Forderungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und meiner eigenen Fraktion zur Kenntnis, dann, meine Damen und Herren, können wir erfreut feststellen, im Thüringer Landtag gibt es eine deutliche Mehrheit für die Abschaffung der entwürdigenden Residenzpflicht für Asylsuchende

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

und für eine Anwendungspraxis des erlaubnisfreien Aufenthalts für Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge in Thüringen. „WELT ONLINE“ hat vor zwei Wochen sogar schon mal berichtet, in Thüringen wäre es für Flüchtlinge landesweit möglich, sich erlaubnisfrei zu bewegen. Dieser Beitrag wurde inzwischen wieder korrigiert. Da hatte die Journalistin die Koalitionsvereinbarung - diesen Satz - einfach zu positiv interpretiert.

Meine Damen und Herren, ich habe die Hoffnung, dass diese Mehrheit heute auch in der Beschlussfassung zum Ausdruck kommt. Um dies zu befördern, werde ich fünf Gründe nennen, die Ihnen die Entscheidung zur Zustimmung zu Punkt 3 des FDPAntrags und zum Punkt 1 unseres Alternativantrags erleichtern können, wie ich hoffe. Mit der im Asylverfahrensgesetz für Asylsuchende und mit der im Aufenthaltsgesetz für Geduldete verankerten Residenzpflicht wird ohne jeden Zweifel das unveräußerliche Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit, wie es beispielsweise in Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist, eingeschränkt. Mit der sogenannten Residenzpflicht, die nun in Anbetracht der zum Teil katastrophalen Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Frau Holbe, rein gar nichts mit residieren zu tun hat, werden Menschen, die ihr Herkunftsland aufgrund von Verfolgung oder wegen der Angst um das eigene Überleben verlassen mussten, zu Menschen für die Menschenrechte nur eingeschränkt gelten. Ich möchte Sie mit Blick auf das Jahr 1989 daran erinnern, welche bedeuten

de Rolle die Frage des sich frei Bewegenkönnens für Menschen grundsätzlich spielt. Der erste und der wichtigste Grund für die Forderung nach ersatzloser Abschaffung der Residenzpflicht, also die Residenzpflicht für Flüchtlinge ist ein diskriminierendes Rechtskonstrukt.

(Beifall DIE LINKE)

Zu Recht weist beispielsweise der Flüchtlingsrat Thüringen in seiner anlässlich des Tages gegen Diskriminierung eingereichten Petition zur Abschaffung der Residenzpflicht darauf hin, dass der sogenannten Residenzpflicht des Asylverfahrensgesetzes kein der Freizügigkeit gleichwertiges und zu schützendes Rechtsgut zugrunde liegt. Die Mitwirkung im Asylverfahren, zu dem Flüchtlinge ohnehin gesetzlich verpflichtet sind und die ebenfalls ohnehin im Interesse zunächst der Flüchtlinge und nicht zuvorderst im Interesse der Behörden liegt, ist allenfalls ein Hilfskonstrukt, aber unseres Erachtens weder sachlich noch rechtlich belastbar, zumal in der Umsetzung weitere verfassungsrechtliche Bedenken hinzukommen.

Frau Holbe, die Tatsache, dass die von Ihnen benannten Gerichte nicht in allerletzter Konsequenz gesagt haben, sie sei verfassungsrechtlich Unrecht, allein die Tatsache, dass sich diese Gerichte damit beschäftigt und nicht die Klagen von vornherein abgewiesen haben, bestätigen aber, dass es diese verfassungsrechtlichen Bedenken gibt. Die von Ihnen aufgeführten Entscheidungen sagen nicht, dass man unbedingt an dieser Regelung festhalten muss.

Die Residenzpflicht verbietet zunächst, das Verlassen des zugewiesenen Landkreises ohne Erlaubnis. Das heißt, in bestimmten Fällen ist das Verlassen des Landkreises von einer Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde abhängig. Diese Entscheidung liegt aber nicht in jedem Fall allein im Ermessen der Behörde. In einigen Fällen, da haben Sie auch einige genannt, wie etwa zur Wahrnahme von Terminen bei Bevollmächtigten, beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen und bei Organisationen, die sich mit der Betreuung von Flüchtlingen befassen, soll die Erlaubnis erteilt werden. In anderen Fällen kann eine Erlaubnis erteilt werden und in wiederum anderen Fällen, die von Ihnen genannten Termine bei Behörden oder Gerichten, ist das Verlassen des Landkreises ohne Erlaubnis zulässig. Verfassungsrechtlich problematisch wird es insbesondere dann, wenn eine Erlaubnis, in den im Gesetz nicht näher beschriebenen Fällen in das Ermessen der Behörde fällt und an das Verlassen des Landkreises Grundrechtsausübungen geknüpft sind. Das fängt bei der Wahrnahme des Grundrechts auf soziale Teilhabe, wie sie auch der Begründungstext des FDP-Antrags thematisiert, an, betrifft aber auch

das Recht auf die allgemeine Persönlichkeitsentfaltung, wenn es sich zum Beispiel um die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen handelt. Fälle, die in das Ermessen von Behörden fallen und im Gesetz nicht näher beschrieben sind, reichen aber auch bis hin zu solchen konkreten Grundrechten, wie dem Recht auf Versammlungsfreiheit, dem Recht auf freie Meinungsäußerung durch politische Betätigung, dem Recht Vereinigungen zu gründen, dem Grundrecht auf freie Religionsausübung oder auch dem Petitionsrecht, das heißt, dem Recht Beschwerden bei Bundestags- oder auch Landtagsabgeordneten vorzutragen.

Die Folge der Residenzpflicht ist es, ich hoffe, dass ich das Ihnen jetzt verständlich darlegen konnte, dass die Grundrechtsausübung unter einen Genehmigungsvorbehalt fällt. Das ist unseres Erachtens in der praktischen Anwendung verfassungsrechtlich mindestens höchstgradig bedenklich. Betroffen sind aber auch Fragen des besonders schützenswerten Vertrauensverhältnisses zu Berufsgeheimnisträgerinnen, wie Rechtsanwältinnen oder Ärztinnen. Durch die Genehmigungspraxis wird aber auch der unantastbare Kernbereich privater Lebensgestaltung eingeschränkt. Das wird deutlich, wenn Flüchtlinge durch das Antragsverfahren gezwungen werden, die Gründe für einen beantragten Besuch von Familienmitgliedern oder sonstigen Bekannten gegenüber den Behörden offenzulegen. Die Residenzpflicht ist daher von ihrer rechtlichen Konstruktion als auch von ihrer verwaltungsrechtlichen Umsetzungspraxis verfassungsrechtlich höchst umstritten und das, meine Damen und Herren, ist ein zweiter Grund, der die Abschaffung dieser Regelung legitimiert.

Der dritte Grund ist unmittelbare Eröffnung willkürlicher Entscheidungen bei der Erteilung der Verlassensgenehmigung. Flüchtlinge und Flüchtlingsorganisationen berichten immer wieder von ihren Erfahrungen, dass die Verweigerung von Verlassenserlaubnissen als Mittel zur Sanktion bzw. zur Disziplinierung der Flüchtlinge genutzt werden. Mindestens aber ist die Macht, die die Behörden im Zusammenhang mit der Versagung und Erteilung von Verlassensgenehmigungen haben, geeignet, Flüchtlinge gegenüber diesen Behörden zu disziplinieren mit der Folge, dass die Flüchtlinge möglicherweise auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichten, um es sich mit der Behörde nicht zu verscherzen. Das aus der Residenzpflicht und deren Anwendung resultierende Verhältnis zwischen Behörden und Antragstellern treibt das Über- und Unterordnungsverhältnis im öffentlichen Recht auf ein Niveau, wie es für einen Rechtsstaat abträglich ist. Das wird zudem noch dadurch verstärkt, dass schriftlich begründete Bescheide die absolute Ausnahme sind und Flüchtlinge durch die Behörden eben nicht über ihre rechtlichen Möglichkeiten aufgeklärt werden.

Einige Ausländerbehörden, nämlich die im Ilm-Kreis, dem Weimarer Land und dem Kreis Sonneberg, erheben auch noch Gebühren; Gebühren dafür, dass man die Erlaubnis erhält, einen Landkreis zu verlassen, weil man seine Familie oder Freunde besuchen möchte. Oder, wie mir aus dem Landkreis Greiz berichtet wurde, dass Flüchtlinge eine Strafe zahlen müssen, wenn sie zum Beispiel eine Stunde zu spät vom Termin beim psychosozialen Zentrum „Refugio“ in Jena zurückkommen. Diese Praxis, meine Damen und Herren, setzt der diskriminierenden Regelung noch die Krone auf.

Auf ein weiteres gravierendes Problem möchte ich hinweisen: Ganz zwangsläufig entsteht durch die Residenzpflicht ein nicht mehr steuerbarer Kontrolldruck auf die Polizei, die durch das Polizeiaufgabengesetz ermächtigt wird, ohne Verdacht, nur aufgrund der Residenzpflicht Flüchtlinge auf öffentlichen Plätzen zu kontrollieren. Die Residenzpflicht ist damit eine Rechtsgrundlage, die dazu führt, dass die Polizei Menschen allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes als Nichtdeutsche, insbesondere auf Bahnhöfen einer Identitätskontrolle unterzieht. Die Folgen dieser Kontrollen sind einerseits der Eindruck für die Betroffenen, dass nämlich Ausländerinnen und Ausländer in der Bundesrepublik wesentlich häufiger einer polizeilichen Maßnahme verdachtslos ausgesetzt werden; andererseits entsteht natürlich auch das Bild für die deutschen Nichtbetroffenen, dass es offenbar für die Polizei Gründe gibt, Ausländerinnen und Ausländer zu kontrollieren. Mit einer derartigen Kontrollpraxis, meine Damen und Herren, werden Vorurteile und Stereotype nicht abgebaut, sie werden manifestiert. Die Residenzpflicht ist also ein Instrumentarium, das rassistische Vorurteile verstärkt und immer wieder reproduziert - Grund vier für die ersatzlose Abschaffung.

Fünfter Grund ist die Strafpraxis bei Verstößen gegen dieses diskriminierende und Grundrechte einschränkende Gesetz. Wird ein Asylsuchender oder geduldeter Flüchtling erstmals bei einem Verstoß gegen die Residenzpflicht erwischt, dann ist es eine Ordnungswidrigkeit und er oder sie muss eine Geldstrafe zahlen. Begeht er diese Regelverletzung mehrmals, wird aus dieser Ordnungswidrigkeit eine Straftat mit der Folge eines Strafbefehls, wie beispielsweise im Fall vom Ahmed Sameer, dessen Verfahren im Dezember 2004 durch eine Richterin glücklicherweise eingestellt wurde. Ich möchte diese Richterin zitieren, sie hat gesagt: „Ich kann dieses Gesetz leider nicht kippen. Sie sind jetzt frei. Die Residenzpflicht bleibt aber für Sie auch in Zukunft ein Problem. Dazu kann ich Sie nur darauf hinweisen, die entsprechenden Verwaltungsschritte einzuleiten und sofort bei Ablehnung einen schriftlichen Eilantrag bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Nur wenn Mengen von solchen Reaktionen folgen werden, hat

man die Chance etwas zu verändern, ohne sich selbst strafbar zu machen. Es ist zwar ein schwieriger, langwieriger Prozess, der aber Änderung herbeiführen kann; der rechtsstaatliche Weg ist der einzig mögliche in diesem System.“ Das sagte die Richterin zu Herrn Sameer. Die Zustimmung zu unserem Antrag wäre auch ein erster Schritt, um dieses System zu ändern.

Die Strafpraxis zeigte sich auch beim Thüringer Fall bei Felix Otto, der im März 2009 auf der Autobahn zwischen Jena und Erfurt kontrolliert und inhaftiert wurde. Bei ihm führte die Straftat Residenzpflichtverletzung zu einer achtmonatigen Haftstrafe.

Eine weitere und für viele Flüchtlinge viel schwerwiegendere Folge ist der mit dieser Straftat einhergehende Ausschluss vom Bleiberecht oder der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die Residenzpflicht gehört abgeschafft, meine Damen und Herren, und zwar ohne Wenn und Aber.

(Beifall DIE LINKE)

All die von mir und auch anderen Vorrednern und Vorrednerinnen aufgezählten Gründe werden nicht dadurch entkräftet oder gegenstandslos, wenn in Thüringen einige Landkreise jeweils mit einer kreisfreien Stadt per Rechtsverordnung zu Aufenthaltsbezirken zusammengefasst werden und wenn auf eine den gesamten Freistaat Thüringen betreffende Lösung verzichtet wird. Es ist logisch nicht zu erklären, einerseits Integrationsvereinbarungen anzuregen, in denen sich Flüchtlinge bereits bei der Asylantragstellung zur Integration verpflichten sollen, und ihnen aber andererseits Integration ausschließende und diskriminierende Regelungen weiter auferlegen zu wollen, meine Damen und Herren.

Und ich fände es unerträglich, wenn in Thüringen - trotz einer nach den eingangs zitierten Meinungsäußerungen deutlich gewordenen Mehrheit im Landtag, trotz der Fachmeinungen auch im Innenministerium und dem Landesverwaltungsamt - ein fauler Kompromiss zur Grundlage einer Rechtsverordnung entsprechend § 58 Abs. 6 Asylverfahrensgesetz wird. Ein fauler Kompromiss, der aus einer menschenverachtenden Positionierung des innenpolitischen Sprechers der CDU-Fraktion gespeist wird. Ihre Äußerung, Herr Fiedler, dass die Aufhebung der Residenzpflicht für große Städte eine Belastung sei, ist obiri position ductus eine Belastung für eine demokratische Kultur.

(Beifall DIE LINKE)

Die Landesregierung - und da hat Ihr Antrag, meine Dame, meine Herren von der FDP, die einzige Schwäche - hat die Möglichkeit, per Rechtsverord

nung die Residenzpflicht für das Gebiet Thüringens aufzuheben. Dazu bedarf es keiner weiteren Prüfung. Andere Bundesländer machen es vor und, Frau Holbe, die Tatsache, dass die Innenminister auf der Innenministerkonferenz über Möglichkeiten für bundesländerübergreifende Regelungen diskutieren, belegt doch, dass die Innenminister auf ihrer Konferenz bundeslandbezogene Regelungen - also die Ausweitung auf ein Bundesland - für rechtens halten, sonst würden sie sich doch mit so einer Frage gar nicht beschäftigen.

Ich appelliere an Sie alle. Geben Sie der Mehrheitsmeinung, die ich deutlich skizziert habe, Ausdruck, stimmen Sie Punkt 3 des FDP-Antrags und Punkt 1 unseres Alternativantrags zu. Ich möchte auch an die FDP-Fraktion appellieren, sich unserem Alternativantrag anzuschließen. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

Vielen herzlichen Dank, Frau Abgeordnete. Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Regine Kanis von der SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, nach dieser Grundsatzrede fällt es schwer, da noch etwas hinzuzufügen. Die Residenzpflicht und ihre teils sehr stringente und zugleich unterschiedliche Handhabung in den Städten und Landkreisen ist ein wichtiges, aber für uns kein neues Thema. Die SPD in Thüringen fordert eine Veränderung nicht erst seit Kurzem. Insbesondere während der Koalitionsverhandlungen hat sich die SPD ganz besonders dafür eingesetzt, von der bisherigen Praxis eine Änderung herbeizuführen. Der Passus, die geltende Residenzpflicht für Asylbewerber im räumlichen Bezug zu erweitern, ist für uns ein Kompromiss. Wir hätten gern mehr gewollt. Aber ich sage es ganz ehrlich, das ist immer noch mehr als die Regelung, die im Moment gilt, beizubehalten.

Die weitere Diskussion, denke ich, sollte unter Einbeziehung der Landesregierung federführend im Innenausschuss erfolgen. Hiermit beantrage ich für meine Fraktion die Überweisung an diesen. Danke.

(Beifall SPD)

Vielen herzlichen Dank. Das Wort hat jetzt noch einmal Abgeordneter Dirk Bergner für die Fraktion der FDP.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ein paar Bemerkungen möchte ich doch noch machen. Sehr geehrte Frau Kollegin RotheBeinlich, welcher Antrag weitergehend ist, darüber kann man sicher geteilter Meinung sein. Ich denke, unser Antrag ist wesentlich weiter gefasst und umfasst einen wesentlich größeren Prüfauftrag und ist damit eigentlich weitergehend, weil mehr Varianten ausgeleuchtet werden sollen. Wenn Sie sagen, dass es schon ausreichend Prüfungen gibt, dann denke ich doch, dass das Ergebnis hier noch viel schneller vorliegen könnte, als wir das in unserem Antrag stehen haben, und das kann nur gut sein.