Protocol of the Session on September 19, 2013

und dann als Zweites die Frage stellen, ob die Regelungen vernünftig, handhabbar, verständlich für den Polizeibeamten und die Polizeibeamtin sind? Diese beiden Dinge auf eine Stufe zu stellen, zeigt, wie wenig Sie tatsächlich vom Gedanken geleitet sind, zuerst Verfassung und Grundrechtsschutz in den Blick zu nehmen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Dann noch etwas. Wir haben in der Anhörung Herrn Dr. Dr. h.c. Hirsch gefragt: Was passiert denn

(Abg. Adams)

eigentlich, wenn wir im September im Plenum dieses Gesetz nicht verabschieden? Er sagte, natürlich ist das misslich und natürlich ist das nicht schön für den Gesetzgeber, aber wenn wir die Zeit brauchen, ein verfassungskonformes Gesetz zu finden, sollten wir uns die Zeit geben. Diese Zeit haben wir uns nicht genommen und das ist das Problem heute.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Fiedler, ich sehe schon so ein gewisses Déjàvu vor mir: 2009 standen Sie hier und haben gesagt, ein so tolles PAG ist jetzt in Thüringen auf den Weg gebracht worden, die Fachwelt wird das noch loben. Wir haben gesehen, wie das Lob ausgefallen ist. Das war eine Klatsche und kein Lob.

(Beifall DIE LINKE)

Jetzt stehen Sie schon wieder hier und sind überzeugt, dass alles richtig ist und jeder Zweifel wird beiseite gewischt und es wird vorgetragen, dass zigfach geprüft und alles schon okay ist. Lassen Sie doch den Zweifel zu, lassen Sie uns doch dieses Gesetz erneut im Innenausschuss beraten, lassen Sie uns tatsächlich ein verfassungskonformes Gesetz auf den Weg bringen!

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Das sollten wir uns mit Blick auf die Grundrechte als Aufgabe stellen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter Fiedler von der CDU-Fraktion hat das Wort.

Frau Präsidentin, erstens will ich noch mal die Opposition darauf hinweisen, dass es eine Verfristung gibt, dass uns das Verfassungsgericht ganz klar aufgegeben hat, dass wir handeln müssen - Nummer 1.

(Beifall Abg. Hey, SPD)

Nummer 2, damit das nicht im Raum stehen bleibt, Frau Renner, wir haben selbstverständlich ausgiebig geprüft und wir sind davon überzeugt, dass das Gesetz verfassungskonform ist. Dass Sie vielleicht eine andere Meinung haben, mit anderen Juristen gesprochen haben, sich selber eine Meinung gebildet haben, tun Sie uns doch bitte zubilligen, dass wir das genauso gemacht haben, mit anderen Juri

sten, die im Innenministerium sitzen, die in der Justiz sitzen, haben wir auch geprüft. Das müssen Sie uns zugestehen. Wir sind der festen Überzeugung, es ist verfassungskonform. Deswegen werden wir zustimmen.

(Beifall CDU)

Danke schön. Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen der Abgeordneten. Herr Innenminister hat das Wort. Bitte schön, Herr Minister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, Ihnen liegt heute der Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes zur abschließenden Beratung vor.

Mit diesem Gesetz werden die Maßgaben des Thüringer Verfassungsgerichtshofs umgesetzt, die dieser in seinem Urteil vom 21. November 2012 aufgestellt hat. Ich bin froh, dass es gelingen wird, die durchaus ambitionierte Zeitvorgabe des Verfassungsgerichtshofs zu erfüllen. Wir haben in den vergangenen Monaten eine intensive Debatte im Innenausschuss geführt. Im Rahmen einer umfangreichen schriftlichen und mündlichen Anhörung haben Experten ihre Bewertungen zum vorliegenden Gesetzentwurf abgegeben. Die Landesregierung fühlt sich, auch durch den Verlauf der Anhörung, bestätigt. Der vorliegende Entwurf setzt die vom Verfassungsgerichtshof aufgestellten Anforderungen ohne Abstriche um.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die im Innenausschuss geführte Debatte hat letztlich zu einem aus Sicht der Landesregierung konstruktiven Ergebnis geführt. Allerdings hatte die Diskussion auch Facetten, die bei mir regelrecht Bestürzung ausgelöst haben.

(Beifall CDU)

Ich hätte mir eine offene Debatte darüber gewünscht, wie wir das Verhältnis zwischen der Realisierung des Anspruchs der Bürger, bei drohendem Schaden für ihre höchstpersönlichen Rechtsgüter Hilfe durch den Staat zu erhalten, und dem ebenso berechtigten Anspruch der Bürger auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte angemessen ausgestalten. Stattdessen musste ich erleben, wie versucht wurde, die Notwendigkeit von Befugnissen zur Informationsgewinnung zur Gefahrenabwehr generell infrage zustellen.

(Beifall Abg. Fiedler, CDU)

Dies ist gerade vor dem Lichte des Urteils des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, der an mehreren

(Abg. Renner)

Stellen in aller Deutlichkeit auf den staatlichen Schutzauftrag hingewiesen hat, einfach nur unverständlich. Wie soll die Polizei auf eine Anschlagsdrohung reagieren, die über die sozialen Medien bekannt wird? Soll sie am möglichen Ziel abwarten, ob ein Schaden eintritt?

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ja unglaublich!)

Ist dies eine angemessene Umsetzung des staatlichen Schutzauftrags? Ich sage: Nein.

(Beifall Abg. Fiedler, CDU)

Wir müssen der Polizei in solchen Fällen die Befugnisse einräumen, den Störer zu identifizieren, um ihn an der Umsetzung seiner Pläne in die Realität hindern zu können.

(Beifall CDU)

Wie soll die Polizei mit einem Hinweis aus einem benachbarten Bundesland umgehen, dass eine Gruppe bewaffneter einschlägig vorbestrafter Personen offenbar einen Banküberfall in Thüringen plant? Soll sie das schädigende Ereignis abwarten und dabei Schäden für Leib und Leben von Bankangestellten oder von Kunden in Kauf nehmen?

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sind ja unglaubliche Beispie- le.)

Oder sollte sie nicht die Befugnis haben, durch Überwachung der Telekommunikation der Störer das Ziel des Überfalls in Erfahrung zu bringen, um den Überfall verhindern zu können?

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Adams?

Gerne.

Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, vielen Dank, Herr Minister. Sie haben gerade Beispiele gebildet und ich möchte Sie ganz einfach fragen, ob die Polizei nicht abseits der besonderen Datenerhebung, über die wir hier diskutieren, die Möglichkeit hätte, zum Beispiel bewaffnete Täter, die sich nach Thüringen begeben, um einen Banküberfall zu verüben, einfach festzunehmen? Darf man nicht die Personen in ihrer Identität feststellen und festnehmen und sie nach Waffen durchsuchen? Und wenn sie eben kei

ne Waffen dabeihaben, müsste man sie dann nicht auf freien Fuß setzen?

Herr Abgeordneter Adams, wenn die Polizei den Befindlichkeitsort jedes Täters kennen würde, würde sie ohne Zweifel auch jeden Täter festnehmen.

(Beifall CDU)

Aber hin und wieder müssen auch Sie zur Kenntnis nehmen, dass Lebenssachverhalte umfassender, schillernder und bunter sind und auch Lebenssachverhalte sich nicht immer nur im Bereich der Strafprozessordnung abspielen.

(Beifall CDU)

Soll die Polizei tatenlos zusehen, wie sich die Beziehungen zwischen zwei in Thüringen ansässigen Rockergruppierungen immer weiter verschärfen? Sollte sie angesichts einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf bereits versuchte Tötungsdelikte konstatiert werden mussten, nicht die Befugnis haben, Informationen zu erheben, um mögliche drohende Racheakte erkennen und unterbinden zu können?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Verlauf der Debatte wurde die Landesregierung immer wieder um die Benennung von Beispielen für die Erforderlichkeit der Normen gebeten. Dieser Bitte bin ich gerade nachgekommen und erlaube mir dabei auch den Hinweis, dass die Landesregierung über die genannten Fälle bereits Bericht erstattet hat. Sie finden sich allesamt in den Jahresberichten über die präventiv-polizeiliche Telekommunikationsüberwachung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, neben den Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes liegt Ihnen auch der Vorschlag für eine Ergänzung des Ordnungsbehördengesetzes um einen neuen § 27 a vor. Absatz 1 dieser Bestimmung soll die Ordnungsbehörden ermächtigen, zum Zwecke des Kinder- und Jugendschutzes sowie des allgemeinen Gesundheitsschutzes den Konsum von Alkohol in öffentlichen Einrichtungen, die sich in räumlicher Nähe - 200 Meter - von Einrichtungen befinden, die vorwiegend von Kindern oder Jugendlichen aufgesucht werden, wie zum Beispiel Schulen, Jugendheimen, Kindertagesstätten und Kinderspielplätzen zu verbieten. Auch das Umfeld von Suchtberatungsstellen und vergleichbaren sozialen Einrichtungen soll geschützt werden können. Die Einrichtung entsprechender Alkoholverbotszonen ist rechtlich eine Maßnahme der Gefahrenvorsorge und korrespondiert mit Artikel 19 Abs. 4 der Thüringer Verfassung zur Gewährleistung eines effektiven Kinder- und Jugendschutzes. Nach § 27 a Abs. 2 hingegen kann der Alkoholkonsum in öffentlichen Anlagen und Verkehrsflächen nur verboten werden, wenn sich deren Belastung durch Ausmaß und Häufigkeit alkoholbedingter Straftaten oder Ord

(Minister Geibert)

nungswidrigkeiten von der des übrigen Gemeindegebiets nachweislich deutlich abhebt und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort auch zukünftig vermehrt mit der Begehung alkoholbedingter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu rechnen ist.

Übermäßiger Alkoholgenuss ist, meine Damen und Herren, ein gesellschaftliches Problem, das mit anderen Maßnahmen bekämpft werden muss. Der vorliegende Gesetzentwurf, dies ist deutlich zu sagen, hat weder die Ausgrenzung von Menschen, die in der Öffentlichkeit Alkohol konsumieren, noch ihre Kriminalisierung zum Ziel. Es geht vielmehr in erster Linie darum, Kinder und Jugendliche vor den Auswüchsen übermäßigen Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit zu schützen. Das Recht, in der Öffentlichkeit Alkohol zu trinken, das von der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz umfasst ist, wird dadurch nicht unverhältnismäßig beschnitten.