Protocol of the Session on September 19, 2013

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich heiße Sie zur heutigen Sitzung des Thüringer Landtags herzlich willkommen. Ich begrüße auch die Gäste auf der Zuschauertribüne und die Vertreterinnen und Vertreter der Medien.

Als Schriftführerin hat neben mir Platz genommen die Frau Abgeordnete Hennig und die Rednerliste führt der Herr Abgeordnete Weber.

Es haben sich entschuldigt: die Kollegen Metz, Günther und Bärwolff.

Folgende Hinweise zur Tagesordnung: Zu TOP 1 wurden Änderungsanträge der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/6645, der Fraktion der FDP in der Drucksache 5/6646 und der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/6648 verteilt.

Zu dem neuen TOP 1 b wurde ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/ 6647 sowie Entschließungsanträge der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 5/ 6644 und der Fraktion DIE LINKE in der Drucksache 5/6650 verteilt.

Zu TOP 13 wurde ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 5/6651 verteilt.

Gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 der Geschäftsordnung sind Änderungsanträge zu selbstständigen Vorlagen, die keinen Gesetzentwurf enthalten, nur mit Zustimmung des Antragstellers zulässig. Deswegen frage ich die Fraktion DIE LINKE: Lassen Sie diesen Änderungsantrag zu? Ja, danke schön.

Ich frage, gibt es weitere Änderungen, Anmerkungen zur Tagesordnung? Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann rufe ich auf den Tagesordnungspunkt 1

Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/6118 dazu: Beschlussempfehlung des Innenausschusses - Drucksache 5/6642

dazu: Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 5/6645

dazu: Änderungsantrag der Fraktion der FDP - Drucksache 5/6646

dazu: Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/6648

ZWEITE BERATUNG

Jetzt hat das Wort der Abgeordnete Kellner zur Berichterstattung aus dem Innenausschuss. Bitte schön.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, schönen guten Morgen, alle Besucher auf der Tribüne.

(Beifall CDU, SPD)

Ich sehe schon, die Kollegen sind auch schon wach. Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Bericht erstatten für den Innenausschuss zum Polizeiaufgabengesetz, Ordnungsbehördengesetz. Am 21. Mai 2013 reichte die Thüringer Landesregierung in der Drucksache 5/6118 den Gesetzentwurf „Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und des Ordnungsbehördengesetzes“ beim Landtag ein.

In seiner 120. Sitzung am 24. Mai wurde der Entwurf im Plenum in der ersten Lesung beraten. Hier wurde mit den Stimmen aller Fraktionen der Entwurf an den Innenausschuss überwiesen. In der 58. Sitzung des Innenausschusses am 14. Juni wurden ein schriftliches und ein mündliches Anhörungsverfahren beschlossen, welche in den Innenausschuss-Sitzungen am 13. September und am 17. September durchgeführt und ausgewertet wurden. Insgesamt wurden 65 Anzuhörende angeschrieben, 21 haben eine schriftliche Stellungnahme abgegeben und 9 wurden angehört.

Zum Gesetzentwurf gingen Änderungsanträge aller Fraktionen ein. Nach ausgiebiger Diskussion aller Änderungsanträge wurde unter Annahme des Änderungsantrags der CDU- und SPD-Fraktion dieses in den Gesetzentwurf aufgenommen. Gemäß der Drucksache 5/6642 gibt der Innenausschuss eine positive Beschlussempfehlung für den Gesetzentwurf. Vielen Dank.

(Beifall CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. Ich eröffne die Aussprache und als Erste hat das Wort Frau Abgeordnete Renner von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, das heute zu verabschiedende Gesetz vom Inhalt her, aber auch das Verfahren im Innenausschuss ist dem Regelungsgegenstand nicht angemessen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Ein anderes Verfahren und ein anderes Umgehen wären schon deswegen notwendig gewesen, weil wir hier heute über das Polizeiaufgabengesetz nicht aus Einsicht beraten, sondern weil Gerichte das Parlament zu einer Novellierung veranlasst haben. Und ich glaube, gerade wenn es um Grundrechtsschutz geht, müsste das Parlament von sich aus tätig werden

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

und nicht erst warten, bis Bundesverfassungsgericht oder der Thüringer Verfassungsgerichtshof uns diese Aufgabe aufgeben.

Der Koalitionsvertrag hat ja im Kern schon die Entscheidung vorausgesehen, gewusst, was auf uns zugeht, oder eingesehen, dass die bisherigen Regelungen verfassungsrechtlich bedenklich sind, denn im Koalitionsvertrag wurde ja schon formuliert, dass eine Novelle auf den Weg gebracht werden soll, mit der tatsächlich ein Kernbereichsschutz realisiert werden soll, und dass diese Novelle in enger Abstimmung mit den Betroffenen erarbeitet werden soll. Und all das ist nicht realisiert. Wir haben keinen umfassenden Kernbereichsschutz und die Einbeziehung der Betroffenen - na ja,

(Beifall DIE LINKE)

wir haben den Schweinsgalopp im Innenausschuss erlebt, Anhörung und Beratung, Beschlussfassung an einem Tag, das ist keine ernsthafte Debatte, wenn es um verfassungsrechtliche Bedenken geht und um Grundrechtsschutz.

Was war Ergebnis der Anhörung? Wir hatten verschiedene Experten geladen und überwiegend gab es zwei Befunde. Erstens, im Gesetz sind handwerkliche Fehler. Es ist auch davon gesprochen worden, einiges sei mit heißer Nadel gestrickt. Aber viel schwerwiegender war die Feststellung, dass immer noch Teile des Gesetzes verfassungswidrig sind und dass möglicherweise bei einer neuerlichen Überprüfung vor dem Verfassungsgericht diese Regelungen nicht zu halten sein werden. Allein diese Feststellung hätte dazu ausgereicht, innezuhalten

im Innenausschuss und tatsächlich eine, ich sage einmal, zeitlich angemessene und inhaltlich auch fundierte Beratung durch die Fraktionen durchzuführen. Das haben wir mit Mehrheit im Innenausschuss dann gesehen, wie dies verhindert wurde.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Seit wann habt ihr eine Mehrheit?)

Wir haben gesehen, wie die Mehrheit dies verhindert hat, ja.

(Beifall DIE LINKE)

Die verfassungsrechtlichen Bedenken beziehen sich auf die Bereiche Kernbereichsschutz, also den Bereich der unmittelbaren privaten Lebensgestaltung, auf den Schutz von Berufsgeheimnisträgern und Berufsgeheimnisträgerinnen und auf die Rechte von Betroffenen von Polizeimaßnahmen. Und das war auch Gegenstand der Anhörung - im Zentrum der Diskussionen und Erörterungen stand die Frage, ob die Befugnisse zur verdeckten Datenermittlung im Bereich des Gefahrenabwehrrechts überhaupt notwendig sind. Ich glaube, auch diese Fragestellung haben wir dann in der Beratung zur Anhörung nicht angemessen erörtert. Wir haben nachgefragt, und nicht nur wir, auch die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen, die Vertreter der Berufsverbände, also die Praktiker, die geladenen Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, welche praktischen Erfahrungen sie mit dem Polizeiaufgabengesetz haben, und sie sollten uns Beispiele bringen für die Anwendung von Befugnissen aus dem Bereich der langfristigen Datenerhebung. Das haben wir auch die Landesregierung gefragt. Wir haben an keiner Stelle ein tatsächlich formuliertes praktisches Beispiel gehört. Es ging dann um Szenarien, darauf gehe ich später noch ein, es sind Spekulationen, die dieses Gesetz vorantreiben, keine praktischen Erfahrungen.

(Beifall DIE LINKE)

Der angehörte Ermittlungsrichter widerlegte für uns jedenfalls auch sehr eindringlich, dass überhaupt eine Notwendigkeit für diese Befugnisse besteht. Ich zitiere Herrn Eugen Weber: „Es ist in Deutschland ausgesprochen schwierig, eine Gefahr zu sein, ohne einem konkreten Tatverdacht ausgesetzt zu sein.“ Und er fragt zu Recht: „Die vom PAG Betroffenen sind nicht ganz so böse wie die von der StPO Betroffenen. Warum aber soll dann das PAG die härteren Regelungen haben?“

(Beifall DIE LINKE)

Ich finde, auf diese Frage haben wir auch keine Antwort bekommen.

Für uns steht fest, der Verdacht, dass hier in Zukunft schwere Grundrechtseingriffe auf der Grundlage von Mutmaßungen oder Verdächtigungen ermöglicht werden sollen, wurde für uns erhärtet. Am Ende stehen dann möglicherweise solche Maßnah

men wie die Telekommunikationsüberwachung des Infotelefons ab 1. Mai 2010. Ich glaube, dieses Beispiel macht ganz deutlich, dass es am Schluss um Unterstellungen geht und nicht um fundierte Anhaltspunkte.

(Beifall DIE LINKE)

Dies hat ja auch der Vertreter des Grundrechtekomitees formuliert, Herr Heiner Busch, als er schlussfolgerte, dass hier Maßnahmen der Vorfelderkundung als Abwehrmaßnahmen konkreter Gefahren verkauft werden sollen. Es werden mehr und nicht weniger Befugnisse auf Vorrat geschaffen ohne Notwendigkeit und ohne Praxisbezug.

Was eigentlich notwendig wäre, ist nicht erreicht worden oder nur in Teilen gelungen. Auch das Verfassungsgerichtsurteil ist für uns nur in wenigen Bereichen überhaupt adäquat umgesetzt worden. Ich glaube, die Zuschriften und Wortmeldungen der letzten Tage haben uns auch noch einmal bestärkt, ich erinnere da auch noch einmal an die letzte Wortmeldung der katholischen Kirche mit Blick auf das Beichtgeheimnis. Für uns ist der Kernbereichsschutz im Bereich der verdeckten Datenerhebungen de facto nicht gegeben, da durch das Wort „alleine“ dann wieder eine Einschränkung vorgenommen wird. Eine Vielzahl von Befugnissen zu verdeckten Datenerhebungen werden im Gefahrenabwehrrecht - also dort, wo einer konkreten Gefahr begegnet werden soll - verankert, obwohl diese Befugnisse ja gerade darauf ausgerichtet sind, auf Grundlage ihrer Komplexität und ihrer langen Vorbereitungszeit alles andere als geeignet sind, einer konkreten, spontan auftretenden Gefahr zu begegnen. Das betrifft für uns insbesondere die Bereiche Telekommunikationsüberwachung, Wohnraumüberwachung, den Einsatz verdeckter Ermittler, die Quellen-TKÜ und den Einsatz von Staatstrojanern.

Zur Quellen-TKÜ gab es ja eine längere Debatte im Innenausschuss. Dazu muss man, glaube ich, dann auch noch mal sagen, absolut unverständlich ist, wieso hier eine Befugnis aufgenommen wird, obwohl eine verfassungsrechtlich zulässige Software überhaupt noch nicht entwickelt wurde. Das ist ja noch nicht mal eine Befugnis auf Vorrat, das ist eine Befugnis auf reine Fantasterei.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Als Fiktion!)

Fiktion, Befugnisse auf Fiktion, Herr Adams hat recht. Das ist unglaublich. Ich glaube, was die Debatte zu Staatstrojaner angeht, die Worte von Herrn Snowden und die Warnung, die er an uns alle gerichtet hat, sind hier in Thüringen nicht angekommen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir schaffen jetzt in diesem Gesetz die Möglichkeit, einen Staatstrojaner in Thüringen einzusetzen. Auch hier sage ich, ist der Anspruch, wie er im Koalitionsvertrag formuliert wurde, tatsächlich ein verfassungskonformes grundrechtsorientierte PAG auf den Weg zu bringen, nicht erfüllt.

Ich will noch an ein paar Stellen sagen, wo wir weiterhin Kritik sehen. Wir sehen Kritik darin, dass grundrechtsbeschränkende Befugnisse im Gefahrenabwehrrecht durch Verlängerungsmöglichkeiten quasi unbefristet ermöglicht sind. Wir haben Kritik am Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers, weil hiermit eine unbestimmte Anzahl sogenannter Nichtstörer, also Unbeteiligter, in Anspruch genommen wird, und diese Regelung wird ja nun auch im PAG eigenständig vorgesehen. Wir haben Bedenken daran, dass die beschränkende Maßnahme der Unterbrechung der Kommunikation ohne richterliche Kontrolle ermöglicht werden soll. Es wird keine Vorschrift zur Löschung rechtswidrig erworbener Daten im Gesetz verankert. Auch das kritisieren wir. Und wir sagen, die notwendige Benachrichtigung von Betroffenen verdeckter polizeilicher Maßnahmen ist umgehbar geregelt; hier auch dann entsprechend unser Änderungsantrag.