Protocol of the Session on May 24, 2013

Um dem Thema die angemessene Stellung zu geben, haben wir uns für die Form eines Antrags entschieden. Die Begründung habe ich gestern gegeben. Denn der Alternativantrag war notwendig, da der ursprüngliche Antrag, der eingereicht war, nach meiner Auffassung überzieht und Informationen, die heute noch nicht belegt sind, vorwegnahm. Er nimmt vorweg, was nicht konkret nachweisbar war oder bisher ist, beispielsweise die Frage, gab es flächendeckende Verletzungen von Patientenrechten in der DDR und gab es Schadensfälle an Patienten. Denn dann muss man auch für Entschädigung der Betroffenen sorgen. Das lässt sich eben in 5 Minuten nicht abhandeln, darum schlage ich diese heutige Form vor und halte sie auch für sehr geeignet, weil wir uns auch umfangreich damit auseinandersetzen können.

Ich denke, das Thema braucht ein systematisches Herangehen. Zunächst möchte ich einen grundsätzlichen Problemkreis ansprechen, bevor ich auf den konkreten Antrag komme. Wir müssen die Fragen beantworten, wollen wir wissenschaftlich begründeten Fortschritt in der Arzneimittelbranche, denn mir sind Fragen gestellt worden, wie: Wieso gibt es überhaupt Tests von Arzneimitteln an Menschen? Sind klinische Tests notwendig? Wie werden klinische Tests genehmigt und unter welchen Voraussetzungen dürfen sie erfolgen? Wie werden die Patientenrechte gewährleistet, meine Damen und Herren? Ja, wir wollen den technischen Fortschritt in der Medizin und wir wollen in ihrer Wirkung immer bessere und an Nebenwirkungen möglichst freie Arzneimittel. Und ja, es sind klinische Tests unerlässlich. Kein Medikament, keine innovative Therapie ohne klinische Studie, mit denen neue Verfahren oder Medikamente überprüft werden. Dazu bietet seit Jahren, nämlich seit 1964, die Deklaration von Helsinki die Basis. Auch heute im Zentrum für klinische Studien an der Uniklinik Jena arbeitet man nach den Grundprinzipien einer guten klinischen Praxis. Das sind internationale Richtlinien, die einen ethischen Standard darstellen, gerade wenn es um Planung, Durchführung, Dokumentation und Berichterstattung von klinischen Prüfungen am Menschen geht. Diese Leitlinien sind bisher von nur wenigen Ländern, nicht allen, anerkannt. Ich komme am Schluss darauf zurück. Allgemein ist es auch so, nämlich selbst Hippokrates hat 400 vor Christi zu einem vorsichtigen Umgang mit Arzneimitteln gesprochen und verlangt eine gründliche Untersuchung des Patienten als Vorbedingung jeglicher Arzneimittelanwendung. Wir sehen das heute

(Abg. Koppe)

anders. Heute muss das Arzneimittel vorher geprüft werden.

Meine Damen und Herren, im zweiten Teil meines Vortrags möchte ich auf den Fragenkomplex der rechtlichen Seite eingehen. Wie war das Arzneimittelrecht in der DDR in den 80er-Jahren geregelt? Wie war die gesetzliche Situation im gleichen Zeitraum in der Bundesrepublik? Da muss man sagen, die Contergan-Affäre, der eine oder andere erinnert sich daran, führte dazu, dass das Arzneimittelrecht bereits in den 60er-Jahren in der BRD schrittweise verschärft wurde. Einen qualitativen Sprung erfuhr das Arzneimittelrecht erst mit der zweiten Novelle, nämlich 1986. Darum wird die klinische Prüfung der amtlichen Überwachung unterstellt und gerade für die Patientenrechte steht da - und ich darf daraus zitieren: „Die klinische Prüfung eines Arzneimittels darf bei Menschen nur durchgeführt werden, wenn (...) die betroffene Person volljährig und in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen (...),“ und zweitens, hier kommt es darauf an, „aufgeklärt worden ist und schriftlich eingewilligt hat“. Im gleichen Zeitraum, nämlich auch 1986 im Dezember, gibt es in der DDR ein neues Arzneimittelgesetz. In § 7 heißt es dazu, ich gehe nicht auf den ganzen Paragrafen ein, sondern auf einen Teil, der die Patienten betrifft: „Die Prüfung darf nur vorgenommen werden, wenn der Proband durch den Arzt ausreichend über die Bedeutung und den Umfang der Prüfung, den Ablauf der Untersuchungen sowie über mögliche Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken aufgeklärt und mit der Prüfung einverstanden ist.“ Der qualitative Unterschied ist, hier ist Aufklärung auch vorgeschrieben, in der BRD der schriftliche Nachweis erforderlich. Gleich ist, sie hat unter Wahrung ethischer Kriterien dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entsprechen.

Meine Damen und Herren, das heißt, es gab mitten in der Zeit, über die wir hier diskutieren, einen qualitativen Umsprung sowohl im Westen als auch im Osten. Wie kam es zu den Arzneimitteltests ab 1983? Sehr plastisch hat das für mich der SpiegelArtikel beschrieben, der immerhin 1991 erschienen ist. Der Autor schreibt, ich darf zitieren: „Die Geschäftsidee wurde bei einem Treffen im Februar 1983 ausgeheckt. Im damaligen ZK-Gebäude versammelten sich Gesundheitsminister Ludwig Mecklinger, sein Stellvertreter Ulrich Schneidewind, der für Gesundheitspolitik zuständige ZK-Abteilungsleiter Karl Seidel und Schalck-Golodkowski. Rund 17 Mio. Mark hat das SED-Regime 1989 im letzten Geschäftsjahr vor dem Konkurs der SED mit der Auftragstesterei umgesetzt. Die DDR-Kliniken profitierten entgegen den Absprachen nur spärlich. Die Ärzte waren schon zufrieden, wenn im Zuge des Testverfahrens westliches Diagnosegerät herbeigeschafft wurde. Der dauernde Mangel, so wird selbst der Herr Seidel zitiert, war Nährboden für die Be

reitwilligkeit unserer Ärzte; von den Ostbürgern war Widerstand nicht zu erwarten.“ So weit das Zitat aus dem Spiegel-Artikel.

Meine Damen und Herren, nun zurück zu den Fakten. Mit dem Einigungsvertrag der BRD mit der DDR gingen die Unterlagen im Gesundheitsbereich an das Bundesgesundheitsministerium über. 1993 wurde die Zuständigkeit an das Bundesinstitut für Arzneimittelprodukte übertragen. Obwohl, wie wir gehört haben, das Problem seit ’91 bekannt war, wurde leider zu dessen Aufarbeitung in den letzten 20 Jahren wenig getan. Umso lauter war die öffentliche Empörung und der Aufschrei, als das Thema in den letzten Wochen erneut in die Öffentlichkeit kam. Was sind die bisherigen Erkenntnisse und was ist nicht bekannt? Es ist mehr nicht bekannt als bekannt. Sie wissen aus den Medien, dass über 600 Arzneimitteltests in verschiedenen Kliniken in der DDR durchgeführt wurden - ich habe auch eine solche Auflistung teilweise gesehen -, die von den westdeutschen Firmen beauftragt wurden. Nicht bekannt ist beispielsweise die Zahl der beteiligten Patienten, ganz zu schweigen der Umfang vielleicht von Komplikationen. Deshalb haben wir unseren Alternativantrag mit dem Titel „Umfassende Aufklärung und Aufarbeitung der Medikamententests in der DDR“ erarbeitet und ihn eingereicht.

Nun, Herr Koppe, jetzt muss ich doch auf etwas eingehen, was ich heute gerade in der FAZ gelesen habe, die mir Frau Siegesmund hergereicht hat. Es ist schon etwas verwunderlich. Ich möchte mich vor allen Dingen bei denen bedanken, die den Antrag konkret mit erarbeitet haben. Das ist mein Kollege von der SPD Dr. Hartung, das sind eine Reihe Ärzte, dazu gehört auch Prof. Höffken, denn wir haben eine breite Beteiligung gerade bei der Arbeit des Antrags gemacht. Sie sind erst am Schluss erschienen und haben sich dem angeschlossen. Mich wundert schon, wie doch plötzlich hier etwas verdreht wird. Ich hoffe, es hat nicht etwas von der Methode, über die wir gerade reden, abgefärbt.

(Zwischenruf Abg. Koppe, FDP: Die Rede war kein Zitat.)

Ich muss trotzdem sagen, das ist etwas verwunderlich, ich habe nur gesagt etwas verwunderlich. Ich danke aber allen, die hier mitgewirkt haben. Selbst Frau Neubert hat sich ja mit beteiligt. Die Beteiligung war auch offen für die Beteiligung aller Fraktionen. Das hatte ich schon bei der Aktuellen Stunde gesagt.

Meine Damen und Herren, welche Maßnahmen müssen eingeleitet werden? Wir brauchen zunächst vor allen Dingen mehr Informationen. Wir brauchen eine systematische wissenschaftliche und unter einem historischen Blickwinkel erarbeitete Dokumentation. Hier ist vor allen Dingen der Rechtsnachfolger gefragt, nämlich das ist der Bund. Die Bereitschaft, eine unabhängige Arbeitsgruppe einzuset

zen, wurde bereits signalisiert, das begrüßen wir ausdrücklich. Insbesondere soll geprüft werden, inwiefern das DDR-Regime zum Zwecke der Devisenbeschaffung Menschen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt hat. Interessant, meine Damen und Herren, ist diesbezüglich die Erste Durchführungsbestimmung zum Arzneimittelbuch der DDR 1986. Wenn Sie sich die alten Unterlagen hersuchen und ich konnte das -, behandelt gerade der § 5 der Durchführungsbestimmung die Genehmigung und der § 6 die Vereinbarung. Er unterscheidet zwischen einer Vereinbarung für Tests von DDRHerstellern und den an der Prüfung beteiligten Einrichtungen. Er unterscheidet als Zweites zwischen Herstellern, die aus dem Ausland kommen - dazu gehören auch westdeutsche Hersteller - und DDRFirmen, diese alten DDR-Einrichtungen. Diese Vereinbarung konnte nicht direkt geschlossen werden, sondern die musste über das sogenannte Beratungsbüro beim Ministerium für Gesundheitswesen - Insider sagen Stasi-Büro - abgeschlossen werden. Der zentrale Gutachterausschuss, der sonst bei der Zulassung von Arzneimitteln, auch bei der Prüfung und bei der Entwicklung eine starke Rolle spielt, hat hier eher eine Alibifunktion, denn es heißt, die Vereinbarung ist durch das Sekretariat des ZGA - das ist der Zentrale Gutachterausschuss - zu bestätigen.

Also Sie sehen, auch hier im Gesetz gibt es im System einen qualitativen Sprung zwischen dem, was hier geschehen ist. Wir wissen, dass die Aufarbeitung Zeit benötigt, obwohl Eile geboten ist. Es sind bereits 30 Jahre verstrichen. Die Aufbewahrungsfristen laufen ab.

Darum unser Appell an die Thüringer Kliniken, die Patientenunterlagen nicht zu vernichten und sich aktiv an der Aufarbeitung zu beteiligen. Diese Bitte richte ich ebenso an die Landesregierung und die Landeskrankenhausgesellschaft, die hier eine große Rolle spielen können gerade bei der Frage des Aufbewahrens dieser Patientenakten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir begrüßen, meine Damen und Herren, die bereits eingeleitete Initiative von Prof. Höffken an der Uni-Klinik in Jena, der die Bildung einer Arbeitsgruppe veranlasst hat. Wir hoffen, dass das Ergebnis ein geordnetes Verfahren zur weiteren Aufarbeitung an den anderen Kliniken entwickeln wird. Ich bin mir über den Umfang und den daraus resultierenden Zeitraum der anstehenden Arbeit bewusst.

Ich möchte aber noch auf einen für mich wesentlichen Punkt hinweisen, der über die Aufarbeitung hinausgeht, weil er etwas über die Zukunft aussagt. Durch die Globalisierung existiert inzwischen ein weltweiter Arzneimittelmarkt. Sie wissen, selbst Grippearzneimittel wurden aus Australien eingekauft. Also der Arzneimittelhandel und die -herstellung erfolgen weltweit. Wir wollen aber sicherstel

len, dass auch in Zukunft die ethischen Grundsätze, die hier in Europa gelten, in Japan und den USA, auch weltweit gelten sollen. Um so bedauerlicher war es - und ich sage das hier auch noch einmal gerade an uns gerichtet -, dass wir als Landtag nicht unsere Position zum Vorschlag der EU, des Parlaments und des Rates, über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20 EG abgegeben haben. Wir sind nicht eingebunden worden. Das ist ein Manko, das uns hier entstanden ist, ich weiß nicht wodurch, wir sind hier nicht beteiligt worden. Aber diese Richtlinie hat eine zentrale Bedeutung, weil sie zwei Dinge tut: Sie öffnet auf der einen Seite das Thema und versucht, das über das Europäische hinaus zu regeln. Auf der anderen Seite gibt es Einschränkungen darin, die nicht hinzunehmen sind. Ich bin der Landesregierung und dem Bundesrat, aber auch dem Gesundheitsausschuss im Bundestag dankbar, dass sie hier eine sehr kritische Stellungnahme diesbezüglich abgegeben haben, denn es ist notwendig, dass wir gerade an der Stelle die Standards nicht senken, denn hier geht es um Patientenrechte und Patientensicherheit.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss feststellen, Arzneimittelrecht hat sich ständig entwickelt, sowohl in der staatlichen Kontrolle als auch in der Stärkung der Patientenrechte. Die Deklaration von Helsinki ist Maßstab seit 1964. Ab 1986 haben sich sowohl im Westen als auch im Osten Arzneimittelregelungen verändert. Diese Eckpunkte müssen gerade bei der Untersuchung hier berücksichtigt werden. Darum mein Appell zur offenen Mitarbeit an alle Ärzte hier in Thüringen. Unser Motto soll gelten: Aufklären statt spekulieren, aufarbeiten statt skandalisieren. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu dem Alternativantrag. Vielen Dank.

(Beifall CDU, SPD)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gumprecht. Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Siegesmund für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Gumprecht, vielen Dank für die differenzierte Rede. Viele Dinge, die Sie schon auch historisch eingeordnet haben, will ich mir jetzt gern ersparen, sondern unmittelbar an den Wunsch anknüpfen, auch für uns als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN explizit zu betonen, dass es uns um eine umfassende, eine sachliche und vor allen Dingen um eine unabhängige Aufklärung geht und dass wir uns dazu bekennen.

(Abg. Gumprecht)

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen unterstützen wir als GRÜNE auch den Alternativantrag, weil wir der festen Überzeugung sind, es geht nicht darum, schnell Antworten zu finden, sondern es geht darum, die richtigen Antworten zu finden auf brisante Fragen, und es geht darum, vor allen Dingen Antworten zu geben denjenigen, die nach wie vor viele Fragen haben. Wir unterstützen also den Alternativantrag, weil nach wie vor zu viele Fragen im Raum stehen, zum Beispiel ob und in welchem Ausmaß Patienten und Patientinnen ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis an Medikamententests teilgenommen haben. Wir wissen es nicht. Viel bewegt sich im Raum der Spekulationen. Wir müssen auch das Umfeld untersuchen, in dem die Versuche stattgefunden haben, und wir müssen auch die Situation in den einzelnen Kliniken gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten, gemeinsam mit den Kliniken in der DDR untersuchen. Und, auch das ist richtig, wir müssen vor allem klären, inwieweit die Deklaration von Helsinki tatsächlich zum Tragen kam. Das Wort „Deklaration“ zeigt ja auch, Deklarationscharakter haben viele Dinge, aber ist sie tatsächlich auch akzeptiert worden, das ist eine entscheidende Frage. Wir müssen also wirklich auch in die Untiefen an dieser Stelle der Geschichte vordringen und müssen das Verhältnis von DDR-Funktionären und westlichen Pharmakonzernen sehr gründlich durchleuchten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das hat mein Vorredner eben angesprochen. Es geht auch um die Frage, ob vorsätzlich medizinethische Grundsätze unterlaufen wurden, ja oder nein, und ob Kontrollbehörden vorsätzlich umgangen wurden, ja oder nein. Es gibt also einen sehr langen Fragenkatalog, bislang aber viel zu wenige Antworten. Deswegen ist es auch richtig, dass wir uns hier im Thüringer Landtag damit beschäftigen, weil die Menschen erwarten, dass die Thüringer Landespolitik sich ebenso wie die Bundespolitik das schließt das gar nicht aus - beschäftigt. Wir unterstützen den Antrag, weil wir der festen Überzeugung sind, dass wir alle Mittel auch in Betracht ziehen müssen, um diese Aufklärung voranzutreiben.

Wir begrüßen in diesem Zusammenhang, dass die Thüringer Krankenhäuser ihre Akten zur Verfügung stellen wollen. Wir hoffen, dass die unabhängige Kommission, von der Frau Taubert gestern auch in der Aktuellen Stunde berichtet hat, zügig zum Arbeiten kommt. In diesem Zusammenhang begrüßen wir es natürlich auch, dass das Gremium der Universitätsklinik Jena zum Arbeiten kommen kann und dass dem sowohl Medizinhistoriker als auch Archivexperten sowie Vertreter der Landesärztekammer angehören werden. Ich denke, dass das eine gute Zusammensetzung ist, um unserem Anspruch auch tatsächlich gerecht zu werden. Es geht vor allen Dingen auch darum, insgesamt die Situati

on für ganz Thüringen aufzuarbeiten. Ich glaube, wenn es dann eine zentrale Arbeitsgruppe gibt, die auch unterstützt und getragen von all jenen, denen an Aufklärung gelegen ist, zum Einsatz kommen kann, dann sind wir schon einen großen Schritt weiter.

Ich würde mir wünschen, dass die Landesregierung an dieser Stelle aber auch den Aufarbeitungsprozess für das Parlament transparent macht. Das heißt, ich wünschte mir zum Beispiel, dass getragen von der Unterstützung aller fünf Fraktionen, wenn dieser Alternativantrag heute verabschiedet ist, wir auch im Sozialausschuss mit der Arbeitsgruppe sprechen können: Wie stellt sie sich das vor? Was für ein Zeithorizont, was für eine Zeitleiste wird sie sich für diese Untersuchungen nehmen müssen? Welche Unterstützung können wir auch hier aus dem Parlament bieten? Ich glaube, dass dies eine gute Debatte wäre, die wir im Ausschuss auch führen sollten, und würde anregen, dass sich der Ausschuss die Arbeitsgruppe einlädt, um genau diesen Prozess auch begleiten zu können, um unserer Verantwortung, die wir auch an dieser Stelle tragen, gerecht werden zu können.

Unter dem Strich bleiben zwei Dinge: Wir unterstützen den Alternativantrag, weil wir sagen, wir brauchen Klarheit und wir wollen auch Klarheit um die Geschehnisse und wir müssen die Konsequenzen in Zweifel ziehen, die zu ziehen sind. Es gibt mehrere Ebenen zu betrachten. Es ist zu verfrüht, über Entschädigungszahlungen zu sprechen. Es ist zu verfrüht, über strafrechtliche Konsequenzen nachzudenken. Es ist auch verfrüht, über mögliche Gesetzesänderungen zu reden. Aber ein Punkt ist mir sehr wichtig, und da geht mir der Alternativantrag dann doch nicht weit genug, das sage ich ganz bewusst: Pharmatests sind eben im Hinblick auf die Entwicklung neuer Arzneimittel und die weitere Verbesserung von Behandlungsmöglichkeiten von Krankheiten auf der einen Seite vermutlich unverzichtbar, aber dann braucht man auch die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die haben wir auf Bundesebene eben nicht. Wir fordern als GRÜNE

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

nachhaltig und sehr intensiv artikuliert in den vergangenen Wochen und Monaten mehr Transparenz bei Arzneimittelstudien. Wir fordern ein verpflichtendes Studienregister und verpflichtende Veröffentlichungen aller Ergebnisse, übrigens auch die der abgebrochenen Studien. Wir sagen, dass auch eine frühe Beteiligung des gemeinsamen Bundesausschusses oder des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen unverzichtbar ist. Das wäre konsequent. Das ist aber eine Sache, die dann Herr Koppe auch mal an die Bundesregierung und den zuständigen Bundesgesundheitsminister herantragen könnte, denn dann würden wir

an dieser Stelle endlich auch für Transparenz im Hier und Heute sorgen und deutlich machen, warum Aufarbeitung an dieser Stelle nicht nur eine Debatte ist, die nach hinten gerichtet ist, sondern auch heute noch genau auf diesem politischen Terrain eine große Rolle spielen muss.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen unterstützen wir als GRÜNE den Alternativantrag, und so offen muss, Herr Koppe, finde ich, an dieser Stelle auch sein, zu sagen, dass dieser Alternativantrag wenig mit dem FDP-Ursprungstext zu tun hat. Wir unterstützen ihn, wir hätten uns gewünscht, dass diese Formulierung der bundesgesetzlichen Regelung im Bereich der Transparenz für heutige Pharmaversuche noch mit in den Antrag eingeflossen wäre. Das war leider nicht mehr möglich, obschon ich das Gespräch dazu gesucht habe. Ich wünsche mir sehr, dass wir im Ausschuss eine Debatte darüber führen können, wie auch das Parlament diese Aufarbeitung gemeinsam mit der Arbeitsgruppe und dem Uni-Klinikum Jena und allen Beteiligten gut und sachlich auf einen guten Weg bringen kann. Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Siegesmund. Das Wort hat jetzt Abgeordneter Kubitzki für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, den Standpunkt meiner Fraktion zu diesem Thema habe ich schon gestern hier in der Aktuellen Stunde dargelegt und möchte noch mal auch aus der jetzigen Diskussion heraus sagen, wir haben bestimmt alle Interesse daran, dass dieses Ereignis und diese Tatsachen, die bekannt geworden sind, ermittelt, aufgeklärt werden, das ist ungelogen. Ich möchte aber das noch mal wiederholen, was ich gestern gesagt habe. Es ist ein Thema, was nicht geeignet ist, hier wirklich einen politischen Wettkampf zu führen, wer ist der oberste Aufklärer. Das sage ich noch mal an dieser Stelle, weil hier viele Menschen ihren Ruf verlieren können. Ich glaube, am meisten Interesse an der Darlegung der Tatsachen, wie es wirklich abgelaufen ist, haben nämlich die Ärzte und die Krankenhäuser hier in Thüringen. Davon bin ich zutiefst überzeugt, weil deren Ruf auf dem Spiel steht.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Deshalb brauchen wir diese wissenschaftliche Aufklärung. Ich möchte noch einmal sagen, das soll wirklich eine unabhängige Kommission machen, die mit Historikern, Medizinern besetzt ist und keine Behörde. Das will ich an dieser Stelle noch mal

ausdrücklich unterstreichen. Es darf keine Vorverurteilung geben. Dazu haben wir gestern auch schon gesprochen. Einerseits muss die Rolle der DDR-Regierung bei diesen Tests genauso untersucht werden wie die Rolle der westdeutschen Pharmaindustrie. Das hat nichts damit zu tun, die Pharmaindustrie hier auf die Anklagebank zu stellen, aber auf die Finger schauen möchte man schon diesen Konzernen.

Fakt ist, es gab sowohl in der DDR genauso wie in der Bundesrepublik klare gesetzliche Regelungen, wie solche Tests durchgeführt werden. Ich möchte und das kann ich jedem empfehlen - das Interview mit Prof. Dr. Ingeborg Aßmann, was in der TA vom 22.05. dieses Jahres im Regionalteil Erfurt veröffentlicht wurde, erwähnen. Prof. Aßmann war eine Ärztin, die diese Tests mit durchgeführt hat. Ich glaube, wir sollten uns auch bei den Termini, die wir anwenden, so verhalten, dass wir auch nicht mit unseren Termini schon Anklagen machen - beteiligt, verwickelt und dergleichen mehr. Das ist falsch. Sie hat die Tests durchgeführt, wie auch in dem Interview zu lesen war, mit Genehmigung des Gesundheitsministeriums der DDR. Dort gibt sie noch mal ausdrücklich kund, dass die Patienten über diese Tatsache und über diese Tests aufgeklärt wurden. Ich gebe all den Rednern natürlich recht, die auch sagen - und das habe ich gestern gesagt -, viele Patienten hatten auch in diese Tests, die unheilbar krank waren oder eine schlimme Krankheit hatten, Hoffnung gesetzt, nicht weil es diese Medikamente nicht in der DDR gab - die Medikamente gab es offiziell überhaupt noch nicht, weil die ja getestet wurden -, aber jeder, der krank ist, klammert sich an jeden Strohhalm, weil er Hoffnung hat, dass er damit geheilt werden kann. Das waren letzten Endes auch diese Tests.

Nun hatte ich eingangs auch - wir wissen, diese Tests finden ja statt, Patienten bekommen dieses Medikament, manche Patienten bekommen nur Placebo - gedacht, die, die das Placebo bekommen haben, haben dann überhaupt keine Medikamente mehr gegen ihre Krankheit, gegen ihr Leiden bekommen, aber auch das bestätigt Prof. Aßmann, dass das nicht so war, dass die neben diesen Tests weiterhin ihre Medikamente bekommen haben. Sehr sensibel sollten wir mit dem Thema umgehen, keine Vorverurteilung dort treffen.

Ich möchte noch etwas klarstellen, was die Ministerin gestern an meiner Rede kritisiert hat. Natürlich muss auch ermittelt werden, gab es Opfer. Wenn es während des Tests Tote gab, dann ist ja noch lange nicht erwiesen, ob das was mit den Tests zu tun hat. Aber wenn es Opfer gab, und wenn das ermittelt werden sollte oder festgestellt werden sollte, dann natürlich auch Entschädigung. Dafür gibt es gesetzliche Grundlagen in der Bundesrepublik. Und da habe ich gesagt, wenn Entschädigungen gezahlt werden müssen, dann sollte ein Fonds geschaffen

(Abg. Siegesmund)

werden. Nicht gleich jetzt einen Fonds, sondern wenn es notwendig ist. An diesem Entschädigungsfonds sollte sich schon die Pharmaindustrie beteiligen, die an diesen Tests beteiligt war und die tut sich schwer damit.

Der Contergan-Skandal wurde heute schon, Kollege Gumprecht war es, glaube ich, genannt. Der Konzern Grünenthal hat sich sehr lange Zeit gelassen, bis er sich an der Entschädigung der von ihm verursachten Opfer beteiligt hat. So etwas darf nicht passieren, wenn das notwendig wäre in diesem Fall.

Wir werden diesem Alternativantrag zustimmen. Ich muss auch hier sagen, er unterscheidet sich sehr wesentlich von dem erst gestellten Antrag. Wir wären auch gern mit daraufgegangen. Es gab Kommunikationsprobleme. Darum geht es jetzt aber gar nicht. Diesen Antrag gibt es, der Antrag, hoffe ich, wird heute beschlossen.

Ich möchte aber noch auf den Punkt 5 - Kollege Gumprecht hat da schon was gesagt - des Antrags noch mal eingehen, nämlich auf diese Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit humanen Arzneimitteln. Ich habe mich mit unserer Europaabgeordneten Gabi Zimmer in Verbindung gesetzt, mit ihrem Büro. Jawohl, diese Verordnung wird im Europäischen Parlament diskutiert. Die ist nicht - jedenfalls das, was ich bisher recherchieren konnte - dem Landtag als Frühwarndokument zugegangen. Wir konnten zu dieser Tatsache hier nicht im Landtag darüber behandeln. Fakt ist, dass die Europäische Kommission versucht, die Bestimmungen bezüglich medizinischer Tests zu liberalisieren. Das heißt, die Bedingungen für medizinische Tests innerhalb der EU aufzuweichen. Sie begründet das mit der Erkenntnis, dass immer mehr Pharmakonzerne diese Tests wegen hoher ethischer Standards und Patientenschutzrechten in der EU in Schwellenländer verlagern. In der Tat entwickeln sich solche Länder wie z.B. Indien zu wahren Paradiesen für diese Pharmakonzerne, wenn sie solche Tests durchführen. Diese Konzerne nutzen dann auch das Leid dieser Menschen aus, weil das auch für diese Menschen die einzige Möglichkeit ist, an solche Medikamente oder überhaupt an eine medizinische Behandlung heranzukommen.