Protocol of the Session on July 9, 2008

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ich hier im Landtag erleben darf, dass Frau Becker einen Antrag der LINKEN zerpflückt, das ist es allein schon wert, dass wir über das Thema reden.

(Beifall und Heiterkeit CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der zuständige Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat sich bekanntlich schon seit November mit dem Thema intensiv befasst und beschlossen, dass wir uns gemeinsam mit dem Bauernverband und der Landesregierung an die EU wenden, nach Brüssel fahren und dort mit den Leuten über das Thema diskutieren. Das heißt, wir sind voll in der Diskussion drin. Ich bin auch dankbar, dass die Landesregierung in der Kabinettsitzung Anfang Juni, die in Brüssel stattgefunden hat, zu den Vorschlägen von Frau Fischer Boel deutliche Worte gefunden hat. Ich denke, da sind die Entscheidungen noch nicht endgültig getroffen. Wir müssen gemeinsam - das ist wohl richtig - alle möglichen Chancen nutzen; dies ist notwendig. Minister Dr. Sklenar hat die aktuellen Zahlen aufbereitet, was uns der sogenannte Gesundheitscheck kostet und wie viel Kapital der Landwirtschaft als maßgeblichem Arbeitgeber im ländlichen Raum entzogen wird - allein durch die progressive Modulation bis 2012 45 Mio. Das ist ein harter Brocken und trifft besonders die großen Betriebe, die in der Regel Tierhaltung betreiben und auch die gro

ßen Arbeitgeber sind, Frau Dr. Scheringer-Wright.

Jetzt verweise ich auf die Aktuelle Stunde zu den Milchpreisen im Juni-Plenum. Es dürfte hinlänglich bekannt sein, dass derzeit das Verlustgeschäft bei der Milchhaltung in diesen Betrieben durch den Ackerbau einschließlich der Direktzahlung aus der EU aufgefangen wird. Ich prophezeie, wenn es zu einer derartigen progressiven Modulation kommt und die EU auch kein Ausstiegskonzept für die Milchquote anbietet, wird es zu einem dramatischen Abbau bei der Milchviehhaltung kommen. Damit verbunden wird auch ein überdurchschnittlicher Arbeitsplatzabbau im ländlichen Raum sein. Umso dramatischer ist, dass wir jetzt schon mit einem Großviehbestand von unter 0,5 hier bei uns nicht mal die Hälfte dessen haben wie in den westlichen Bundesländern und sechsmal weniger als z.B. in Holland. Das muss man bei der Diskussion auch immer noch im Hinterkopf haben.

Eine ordnungsgemäße, auf natürlichen Kreisläufen basierende Land- und Viehwirtschaft ist jetzt schon kaum noch möglich. Das ist auch der Kern unseres Alternativantrags, der sich - Frau Becker, das sage ich deutlich - von der SPD absetzt. Wir wollen nicht jetzt schon kapitulieren. Wir wollen nicht jetzt schon aufgeben und uns über den Einsatz von Modulationsmitteln Gedanken machen, wie im zweiten Anstrich unter Punkt 2 beim SPD-Antrag formuliert, und dann noch den Schutz der Artenvielfalt hervorheben, Frau Becker, in dem Zusammenhang, das ist halt das Problem. Sie haben es ja selbst angesprochen, wir sollen uns jetzt deutlich äußern, was mit den Mitteln wird, die dann anfallen. Wir sind der Auffassung - das ist der Inhalt unseres Antrags -, wir müssen erst mal kämpfen, dass sie uns nicht gekürzt werden und dass sie nicht umgeschichtet werden. Das ist der Ansatz unseres Antrags, nicht, was wir damit machen. Damit können wir uns dann beschäftigen, wenn es tatsächlich diese Mittel gibt, wenn wir eine Abschwächung dessen, was vorgesehen ist, erreicht haben. Wenn dann noch etwas übrig ist, dann können wir uns gern darüber unterhalten. Das kann nicht sein, dass wir jetzt schon darüber reden, was machen wir denn mit den Mitteln, wenn sie denn kommen, Frau Becker. Das ist der Unterschied zu Ihrem Antrag ganz deutlich, wir wollen erst mal darum kämpfen, dass es so bleibt, wie wir es haben und dass wir nicht zwischendurch was anderes machen, wenn dann Modulationsmittel in die zweite Säule gehen. Das weckt - das befürchte ich sehr - große Erwartungen. Sie haben den Uferrandstreifen angesprochen, ich will mich da gar nicht weiter äußern. Die Gefahr ist - und da haben Sie recht -, wenn das wirklich so kommt, dass die Gelder nicht hier bleiben. Darüber sollen wir uns dann unterhalten, denn die Begehrlichkeiten sind ja sehr groß. Da würde ich nicht nur mal das Saarland ansprechen - Frau Sche

ringer-Wright hat es sehr deutlich gesagt - mit dem Faktor Arbeit verbindend solche Geschichten, dann haben wir nichts verändert in Deutschland an der Agrarstruktur. Wir haben 1990 die Umstrukturierung geschafft hier, wir haben sie geschafft. Die müssen andere erst mal noch machen. Wenn wir durch Bayern oder Baden-Württemberg fahren, die haben doch überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, was die da machen sollen. Es kann nicht immer sein, dass wir mit der Politik dieses noch unterstützen, dass sie sich festhalten an diesen kleinen Strukturen. Niemand hat was dagegen und wir freuen uns für alle, dass man unbedingt den Misthaufen vor dem Schlafzimmerfenster hat und dann Urlaub macht. Das geht in Bayern alles, das geht in Baden-Württemberg; bei uns gibt es noch Bürgerinitiativen, wenn ein Güllefahrzeug 20 km an einer Wohnsiedlung vorbeifährt. Das sind die Unterschiede und das wollen wir nicht. Wir wollen schon mal in der Struktur bleiben und das Geld soll auch hier bleiben. Wir wollen erst später darüber nachdenken, Frau Becker, was mit dem Geld wird, wenn es denn soweit ist. Das macht den Unterschied auch zu Ihrem Antrag aus definitiv.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Veränderung mitten in der Periode bis 2013 bedeutet Wortbruch. Alle haben sich darauf eingestellt. Das ist so, die Reform ist gelaufen, wir wollen es so haben, alle haben gesagt, wir stellen uns darauf ein und jetzt mittendrin sagen wir, das war nichts, wir ändern das noch einmal dramatisch. Das ist unseriös und ist einer EU nicht würdig. Wir müssen das ablehnen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn es um die Beihilfen geht - das ist hier immer die Diskussion -, mir ist nicht bekannt, dass es in der gewerblichen Wirtschaft progressive Degression bei den Beihilfen gibt, das habe ich noch nie gehört. Nur in der Landwirtschaft wird immer darüber diskutiert, dass wir so etwas machen. Und gerade - da erinnere ich einmal daran, das ist das Gegenteil - wenn ich an die Ära von Konzernkanzler Schröder denke, der hat ja nun die Konzerne gerade hochgehoben. Jetzt machen wir gerade das Gegenteil, das passt nicht. Die mittelständische Landwirtschaft, wie wir sie geprägt haben mit den Mehrfamilienbetrieben in den Größenordnungen, wie wir sie kennen, ich denke, da haben wir eine gute Geschichte, haben auch eine gute Chance, mit unseren Betrieben im Wettbewerb zu bestehen.

Ich kann mich sehr gut erinnern, Frau Dr. Scheringer-Wright, dass man uns erzählt hat 1990, dass ein Agrarbetrieb erst dann rentabel wird, wenn er pro 100 ha 1 Arbeitskraft hat und darunter. Wir sind schon soweit, wir haben es. Jetzt müssten andere darüber nachdenken, ob sie das, was sie uns 1990 vorgeschlagen haben, vielleicht selbst einmal umsetzen. Das wäre einmal einen Gedanken wert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Forderungen in Punkt 2 sind klar definiert und sind identisch mit der Erklärung des Präsidiums des Deutschen Bauernverbandes vom 20. Mai, der sich in seinen Forderungen auch im Entschließungsantrag anlässlich des Deutschen Bauerntags 2008 vor wenigen Tagen wie folgt wiederfindet: Bestandsschutz bis 2013 als Planungssicherheit und politische Verlässlichkeit für die Landwirte, Ablehnung der größenabhängigen Kürzungen von Direktzahlungen sowie erhöhte Modulation, tatsächliche Vereinfachung von Cross-Compliance - nicht nur darüber reden, sondern auch tatsächlich machen - sowie klare Perspektiven in der Milchpolitik. Da bin ich überhaupt nicht ängstlich, wenn wir die Experten uns anhören, wie sich das entwickelt, dann sagen sie, der Bedarf wird steigen. Der Bedarf an Milch wird steigen in der Welt. Das bedeutet, wenn alle ein bisschen gut arbeiten und darüber nachdenken, dass da überhaupt keine Milchseen und Käse- und Butterberge entstehen müssen, das ist überhaupt nicht nötig. Ich denke, wenn man darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten es gibt in der EU, das so zu steuern, dass wir den vernünftigen Ausstieg nach dem Ende der Milchquote haben, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

All diese Forderungen, meine Damen und Herren, finden sich in unserem Alternativantrag. Da die Zeit für Entscheidungen drängt - und das hat Frau Becker deutlich gesagt, das muss ich nicht wiederholen -, brauchen wir keine Politikfolgeabschätzung mehr zu machen. Sie haben völlig recht, was Sie zu dem Antrag der LINKEN formuliert haben, Frau Becker. Ich wiederhole das einfach nicht mehr, das ist nicht zielführend. Die Beschlüsse der Sonderagrarministerkonferenz vom 2. Juni liegen voll auf unserer Linie. Umso erstaunlicher erst einmal festzustellen, dass es keine Unterschiede Süd, Nord, Ost und West gibt und das ist richtig gut. Dann müssen wir auch sehen, dass diese Gemeinsamkeit weiter trägt. Deshalb bitte ich darum, dass sie unserem Antrag zustimmen, weil er erstens, Frau Becker hat es auch formuliert, der weitergehende ist und weil er konkret ist. Wir wollen nicht über die Mittel jetzt schon reden, die verteilt werden können in andere Richtungen, bevor wir nicht vernünftig verhandelt haben. Als Rückenstärkung für den Minister und die Landesregierung und Minister Seehofer brauchen wir konkrete, klare Standpunkte; die sind formuliert in dem Alternativantrag der CDU. Ich bitte um Zustimmung. Danke schön.

(Beifall CDU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit beende ich die Aussprache. Kann ich davon ausgehen, dass das Berichtsersuchen zu Nummer 1

des Antrags der Fraktion der SPD, zu Nummer 1 des Alternativantrags der Fraktion der CDU und zu den Nummern 1 und 2 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE erfüllt ist oder erhebt sich Widerspruch? Es erhebt sich Widerspruch, dann stimmen wir darüber ab.

Wer der Auffassung ist, dass das Berichtsersuchen zu Nummer 1 des Antrags der Fraktion der SPD, zu Nummer 1 des Alternativantrags der Fraktion der CDU und zu den Nummern 1 und 2 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE erfüllt ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Gegenstimmen? Danke. Stimmenthaltungen? 1 Stimmenthaltung. Bei einer Reihe von Gegenstimmen ist zugestimmt worden, dass das Berichtsersuchen erfüllt ist.

Sie hatten Ausschussüberweisung beantragt, auch vom Sofortbericht oder nur von den Anträgen?

(Zuruf Abg. Dr. Scheringer-Wright, DIE LINKE: Ich ziehe die Ausschussüberwei- sung zurück.)

Sie ziehen die Ausschussüberweisung zurück. Gut. Es liegen also keine Anträge vor, den Sofortbericht in den Ausschüssen zu beraten. Damit beende ich hierzu die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung zu Nummer 2 des Antrags der Fraktion der SPD. Wird von der SPD Ausschussüberweisung beantragt? Das ist nicht der Fall. Dann werden wir direkt über den Antrag abstimmen, das heißt wir stimmen ab über die Nummer 2 des Antrags der Fraktion der SPD in Drucksache 4/4126. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist dagegen, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer enthält sich der Stimme? Bei einer Anzahl von Stimmenthaltungen ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung der Nummer 2 des Alternativantrags der Fraktion der CDU. Auch hier ist keine Ausschussüberweisung beantragt. Wir stimmen direkt über die Nummer 2 des Antrags in Drucksache 4/4156 ab. Wer ist für diesen Antrag, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen diesen Antrag, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich der Stimme? Bei einer großen Zahl von Stimmenthaltungen ist diesem Antrag mit Mehrheit zugestimmt. Die Nummer 2 des Alternativantrags der Fraktion der CDU ist angenommen, da stimmen wir nicht mehr über die Nummern 3 und 4 des Alternativantrags der Fraktion DIE LINKE ab.

Damit schließe ich diesen Punkt und rufe auf den Tagesordnungspunkt 26

Erklärung des 18. März zum „Tag der Parlamentarischen Demokratie“ Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 4/4131 -

Wünscht die Fraktion der CDU das Wort zur Begründung? Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Dr. Hahnemann, DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, als ich den Antrag das erste Mal las und entdeckte, dass die CDU-Fraktion den 18. März zu einem Gedenktag für die parlamentarische Demokratie erklären lassen möchte mit der Berufung auf den 18. März 1990 und den 18. März 1848/49, da musste ich anfangs lächeln, und zwar nicht deswegen, weil ich der Meinung bin, dass dieses Datum nicht das richtige ist, sondern einfach deswegen, weil ich mich an meinen Geschichtsunterricht vor inzwischen einigen Jahrzehnten erinnern musste, in dem ich über eine Eigenart von Gesellschaften in der Krise gelernt habe, dass sie sich u.a. dadurch auszeichnen, dass sie Feste und Feiertage in zunehmendem Maße pflegen je weniger nahe sie der Lösung ihrer Probleme sind.

(Zwischenruf Abg. Köckert, CDU: Da seid ihr ja in einer Dauerkrise.)

Das können Sie an Rom nachvollziehen,

(Unruhe CDU)

das können Sie auch an der DDR nachvollziehen, wenn Sie sich vergegenwärtigen, was in den letzten Jahren zu DDR-Zeiten damals gewesen ist. Nun beantragen Sie aber keinen Feiertag, sondern einen Gedenktag und trotzdem haben die Feiertage und die Gedenktage eines gemein; sie bergen nämlich die Gefahr, dass die Herrschenden sich ihrer Unfähigkeit hingeben, gesellschaftliche Probleme zu lösen und die fehlende Lösung der Probleme einer Gesellschaft ins Ideelle transformieren. Insofern ist ein Gedenktag prinzipiell dann ein untaugliches Mittel, wenn er nicht begleitet wird von alledem, was im wirklichen Leben, im praktischen Leben der Bürgerinnen und Bürger vonnöten wäre. Wir haben uns also mit diesem Antrag ganz kurz befasst und wir haben im Grunde genommen dreierlei Dinge dazu zu sagen.

Erstens: Wenn Sie sich überhaupt dafür entscheiden, einen solchen Gedenktag einzurichten, dann sollte es kein „Tag der Parlamentarischen Demokratie“ sein, sondern ein „Tag der Demokratie“. Hier an diesem Punkt erweist sich Ihre Sicht auf den Gegenstand zu eng. Man sollte das insbesondere vor dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1989 tun, denn das war ein ganz entscheidendes Jahr für die deutsche Entwicklung, getragen vom Engagement von Bürgerinnen und Bürgern von unten. Nicht nur, dass das eine der Wiegen oder zumindest eine der Beförderungen der direkten Demokratie gewesen ist, nein, selbst das Grundgesetz kennt ja beide Formen der Demokratie - sowohl die parlamentarische als auch die direkte. Immerhin bleibt Demokratie im Kern - und ich glaube, das muss man bei der Sicht auf solche Daten auch bedenken - immer das Prinzip der Selbstregierung. Wenn also ein Gedenktag, dann nicht die Eingrenzung auf parlamentarische Demokratie, sondern die Ausweitung auf Demokratie ganz allgemein als eine Anforderung an Gesellschaften. Und ein solcher Gedenktag muss die Erfolgsmomente von Entwicklungen genauso wie die Gefährdungen und die Niederlagen betrachten.

Zweitens: Der 18. März ist nach unserer Auffassung nicht die erste Wahl als Gedenktag, weil nicht alle notwendigen Gedenkaspekte enthalten sind. Der 18. März 1990 - bekannt -, da denken Sie an einen bestimmten Wahltag, das harmoniert natürlich mit Ihrer Einschränkung auf die parlamentarische Demokratie,

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Richtig erkannt.)

das steht ja auch in Ihrer Begründung.

(Zwischenruf Abg. Wetzel, CDU: Ja, richtig erkannt.)

Beim 18. März 1848 allerdings beginnen schon die ersten Probleme. Wir müssen, wenn wir es unter dem Aspekt der parlamentarischen Demokratie bedenken, dann schon zur Kenntnis nehmen, dass im Rahmen der 48er/49er-Revolution alles im Grunde genommen auf die Frankfurter Nationalversammlung abzielte und Sie wissen, dass in der Frankfurter Nationalversammlung das historische oder politische Ziel schon nicht mehr stand - parlamentarische Demokratie -, sondern eine deutliche Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung favorisierte nach meiner Kenntnis die konstitutionelle Monarchie. Es hätte im Vormärz wesentlich bessere Daten gegeben als den 18. Ich gehe davon aus, dass Sie das wissen. Ich erinnere nur an den 21. September 1848, als an der deutsch-schweizer Grenze die Republik ausgerufen wurde oder an den 23. Juli als die auf

ständischen badischen Truppen kapituliert haben.

Wenn man sich zu einem solchen Tag entschließt, dann gäbe es einen zwar schon teilweise belegten, aber wesentlich geeigneteren - und das wäre der 9. November. Ich erinnere an den 9. November 1989; der steht für eine demokratisch-emanzipatorische Bürgerbewegung und für Gestaltungskraft von Gesellschaft entsprechend politischen und gesellschaftlichen Anforderungen. Aber irgendwie war der 9. November den Herrschenden in Deutschland auch ein wenig unheimlich. Sie dürften, wenn sie alle Gedenkaspekte eines solchen Tages mit einbeziehen wollen, den 9. November 1938 und den 9. November 1923 als Tage der Gefährdung und der Zerstörung von Demokratie nicht vergessen. Sie könnten gleichzeitig aber auch auf den 9. November 1918 verweisen als den Tag, der den ersten Übergang zur Demokratie in Deutschland symbolisiert. Sie könnten auch auf den 9. November 1848 verweisen. An diesem Tag wurde in Wien Robert Blum, der demokratische Abgeordnete der Nationalversammlung, ermordet.

Meine Damen und Herren, es ist sicher kein Zufall, dass der Bundesrat auf Initiative des Landes Berlin einen Antrag analogen Inhalts beraten hat und sein Ausschuss zu dem Ergebnis kommt, dass er dem Bundesrat empfiehlt, diese Entschließung nicht zu fassen.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich für diesen Antrag keinerlei Sympathie entwickeln kann. Würde ich gezwungen, einen solchen Tag kreieren zu müssen, dann wäre es für mich der 4. November 1989, als fast eine Million Menschen in Berlin sich entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und den Herrschenden in der DDR klarzumachen, dass es so nicht weitergeht. Ich beantrage die Überweisung Ihres Antrags an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten.

(Beifall DIE LINKE)

Das Wort hat Abgeordneter Mohring, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, der 18. März 1990, an diesem Tag haben die Bürgerinnen und Bürger in der damaligen DDR das erste Mal in der kurzen Geschichte dieses Staates in allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen ein eigenes Parlament gewählt. Wolfgang Fiedler und Siegfried Wetzel haben dieser ersten frei gewählten Volkskammer angehört. Die friedliche Revolution im Herbst 1989 hat damit mit dieser Wahl

zur ersten frei gewählten Volkskammer ihr ureigenstens, ihr erstes Ziel erreicht, nämlich ein eigenes Parlament zu wählen, was in geheimen und freien Wahlen gewählt wurde. Mit diesem Wahlakt entstand eine parlamentarische Demokratie. Der 1949 gegen den Willen der Menschen aus der sowjetischen Besatzungszone hervorgegangene Zwangs- und Unrechtsstaat gehörte staatsrechtlich endgültig der Vergangenheit an.

(Beifall CDU)

Damit herrschten erstmals nach dem zweiten Weltkrieg in ganz Deutschland demokratische Bedingungen. Die frei gewählte Volkskammer begann in der DDR eine freiheitliche, demokratische und rechtsstaatliche Ordnung zu errichten und sie griff auf die große Tradition des Föderalismus zurück gegen den von der SED praktizierten Zentralismus. Letztendlich hat diese frei gewählte Volkskammer auch den Weg zu unserer staatlichen Einheit am 3. Oktober 1990 geebnet.

(Beifall CDU)

Wir sind mit den CDU-Fraktionsvorsitzenden aller deutschen Länder der Meinung, dass an dieses Datum in Deutschland erinnert werden sollte, denn die parlamentarische Demokratie ist nicht selbstverständlich. Sie ist gegen vielfältige Widerstände und gegen katastrophale Rückschläge errungen worden, und sie wird von Extremisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums immer wieder infrage gestellt, auch heute.

Auf den langen Weg zum demokratischen Verfassungsstaat verweist aber auch ein anderer 18. März, nämlich der von 1848. Das Datum steht für den blutigen Kulminationspunkt dieser Revolution. Sie mündeten in der Nationalversammlung in der Paulskirche, die ein demokratisches, national geeintes Deutschland wollte, aber am Widerstand - Sie wissen das - der deutschen Fürsten scheiterte. Die gut 150 Jahre zwischen 1848 und 1990 beschreiben einen schwierigen Weg unserer Geschichte, schlechthin vielleicht sogar den schwierigsten Weg unserer Geschichte. Ein Weg, der uns Anschauungsmaterial in Fülle dafür bietet, dass Menschenwürde, dass Freiheit und dass Rechtsstaat, eine funktionierende demokratische Staats- und Verfassungsordnung immer wieder infrage gestellt und mit Füßen getreten worden sind. An die verhängnisvollen Folgen erinnern wir in diesem Haus alljährlich am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Aber nicht allein die extreme Rechte und die Nationalsozialisten stellten die Weimarer Republik immer wieder infrage, sondern nach unserer Auffassung auch die extreme Linke. Sie orientierte sich an der Sowjetunion und hatte mit Demokratie oder gar parla

mentarischer Demokratie nichts am Hut.

(Beifall CDU)

Diese politische Richtung erhielt schließlich nach 1945 die Gelegenheit, ihre Vision in einem Teil Deutschlands zu verwirklichen. Am Beispiel des Thüringer Landtags von 1946 bis 1950 kann man gut verfolgen, wie wenig die SED geneigt war, sich auf demokratische Experimente einzulassen. Eine unabhängige Justiz, insbesondere die Verwaltungsgerichtsbarkeit, und die Gewaltenteilung waren ihr immer wieder ein besonderer Dorn im Auge. Dass hier unter dem Deckmantel des Antifaschismus eine neue weltanschauliche Erziehungsdiktatur errichtet werden sollte, war fast von Anfang an klar. Viele müssen den berühmten Satz Ulbrichts: „Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ immer noch gut in Erinnerung haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit all dem war im Herbst 1989 Schluss und mit dem 18. März 1990 kehrte die DDR auf den europäischen Weg demokratischer Verfassungsstaatlichkeit zurück. Seither hat die Demokratie in Thüringen feste Wurzeln geschlagen.