Protocol of the Session on June 20, 2007

Wir wissen ja alle, dass der Fortschritt eine Schnecke ist, aber diese Schnecke, die würde Sie im ICE-Tempo, glaube ich, überholen, Herr Althaus.

(Unruhe bei der CDU)

Die CDU hat im Zusammenhang mit der heutigen Sitzung von „Effekthascherei“ gesprochen. Die CDU meint offensichtlich, es sei ja alles in Ordnung im Land. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, da werden Sie nicht mehr viele finden, die diese Auffassung teilen, dass alles in Ordnung ist im Land. Ich bin sicher, tief drinnen bei vielen von Ihnen hat sich die Erkenntnis auch breitgemacht, dass nicht alles zum Besten steht. Viele von Ihnen sind offensichtlich hochgradig verunsichert. Diese Angst, die da in Ihnen steckt, entlädt sich jetzt in verbalen Entgleisungen - so, wie wir das eben von Herrn Fiedler erlebt haben, wofür er mit einem Ordnungsruf bedacht worden ist, und so, wie wir das auf dem Parteitag der CDU am Wochenende erlebt haben, wo der Generalsekretär der CDU Politiker von PDS und SPD als „rote Lumpen“ bezeichnet hat. Ich finde, das ist eine Entgleisung, wie sie nicht vorkommen darf unter demokratischen Parteien.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Herr Mohring, Sie wissen vielleicht, dass diese Bezeichnung von den Nazis verwendet worden ist gegen Sozialdemokraten, um Menschen herabzuwürdigen, um sie ihrer Menschenwürde zu berauben und ihnen die Bürgerrechte zu entziehen. Das ist die Geschichte dieses Begriffs.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Wir haben einen Witz erzählt.)

Ich bitte Sie, Herr Mohring, sich das noch mal genau zu überlegen.

(Unruhe bei der SPD)

Herr Mohring, ich bitte Sie,

(Glocke der Präsidentin)

sich das noch mal genau zu überlegen, was Sie jetzt antworten.

(Unruhe bei der CDU)

Damit macht man nicht einmal Witze, Herr Mohring, das war ein ziemlich schlechter Witz.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich fordere Sie auf, sich öffentlich dafür zu entschuldigen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist doch ein Spott jetzt.)

Sie können das heute hier tun am Pult, aber ich lade Sie auch gern in die SPD-Fraktion ein, damit Sie sich entschuldigen können. Ich werde so etwas nicht einfach durchgehen lassen, wenn Sozialdemokraten als „rote Lumpen“ beschimpft werden. Dafür gebührt eine Entschuldigung, Herr Mohring.

(Beifall bei der SPD)

Aber noch einmal zu dem positiven Blick, den Sie hier entworfen haben, Herr Ministerpräsident. Natürlich gibt es positive Entwicklungen: bei den Steuereinnahmen z.B., in der Wirtschaftsentwicklung, bei den Arbeitslosenzahlen. Das bringt die Landesregierung plötzlich in die Lage, wohlklingende Haushaltseckwerte verkünden zu können, keine neuen Schulden 2008/2009 und, wenn alles gut läuft, in diesem Jahr auch keine neuen Schulden. Es ist sogar noch Geld da, um hier und da ein bisschen mehr zu verteilen. Aber die Frage muss doch erlaubt sein: Ist damit alles gut? Was hat denn die Thüringer Landesregierung dazu beigetragen, dass wir jetzt ohne neue Schulden auskommen? Sie haben es ja vor Kurzem noch nicht einmal geahnt, Frau Finanzministerin. Sie ernten jetzt, was die rotgrüne Bundesregierung

(Heiterkeit bei der CDU)

gesät hat mit Reformen und was viele mutige und engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer

(Glocke der Präsidentin)

und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren geleistet haben, um ihre Unternehmen fit zu machen. Das ernten Sie jetzt, nichts anderes.

(Beifall bei der SPD)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Sie sind der beste Witzeerzähler, Herr Mat- schie, das gebe ich zu.)

Herr Mohring, es ist noch nicht allzu lange her, es war in diesem Jahr, da hat der Ministerpräsident die Linie vorgegeben, man könne in Thüringen erst 2012 ohne neue Schulden auskommen. Da hatten, ich

erinnere Sie, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die schwarze Null längst erreicht. Die SPD hat im Januar den Antrag gestellt, auch in Thüringen die Neuverschuldung schneller zu stoppen. Unsere Zielmarke war damals 2010. Unser Antrag wurde abgelehnt im Januar und die Finanzministerin betonte damals ausdrücklich, dass eine seriöse Haushaltsplanung nur vom Ziel 2012 ausgehen könne. Sie sagte damals wörtlich: „Aus der Trickkiste mache ich keine Mittelfristige Finanzplanung.“ Frau Finanzministerin, beim Kommunalen Finanzausgleich haben Sie dann allerdings sehr tief in die Trickkiste gegriffen,

(Beifall bei der SPD)

so tief nämlich, dass gestandene Kommunalpolitiker Ihnen nicht nur Vertrauensbruch, sondern auch Betrug an den Kommunen vorgeworfen haben. Das ist schon ein schwerwiegender Vorwurf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aber die Kommunalfinanzen sind nicht das einzige Problem. Unter der Regierung von Dieter Althaus haben sich eine ganze Reihe von Bereichen eher zum Schlechten entwickelt. Herr Ministerpräsident, Sie haben hier von einer exzellenten Leistungsbilanz gesprochen. Ich weiß ja, dass „exzellent“ zurzeit Ihr Lieblingswort ist, aber ein Blick der anderen tut vielleicht ganz gut auf die Situation von Thüringen und deshalb will ich noch einmal einige Entwicklungen beschreiben, die ich eben nicht exzellent finde. Die Abwanderung und der Bevölkerungsrückgang haben sich beschleunigt in Thüringen, nicht verlangsamt. Im Februar beispielsweise hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung Thüringen die rote Laterne in der Finanzpolitik bescheinigt. Die haben eine Untersuchung zum Konsolidierungsbedarf des Bundes und der Länder gemacht und festgestellt, dass dieser Konsolidierungsbedarf in allen Bundesländern gesunken ist, außer in Thüringen und Schleswig-Holstein. Hier ist der Konsolidierungsbedarf gestiegen, also äußerst schlechte Noten für die Finanzpolitik dieses Landes. Wenig später, Frau Finanzministerin, hat das Marburger Mittelstandsbarometer erklärt, Thüringen sei das Schlusslicht beim Bürokratieabbau und die Initiative Neue soziale Marktwirtschaft, die immer ein Dynamikranking der Bundesländer herausgibt, hat Anfang Juni bestätigt, dass Thüringen bei der Dynamik zurückfällt. Sie haben hier einige Ansiedlungen aufgezählt, Herr Ministerpräsident. Das ist gut, dass die kommen, aber das hat mit der Landesregierung überhaupt nichts zu tun. Das hat mit unternehmerischen Entscheidungen etwas zu tun,

(Unruhe bei der CDU)

das können Sie nicht unter eigenem Erfolg verbuchen. Wer einen Blick in die Zeitungen wirft, der findet auch nicht unbedingt freundliche Urteile über

die Thüringer Landesregierung und ihren Ministerpräsidenten. „Die Welt“ schrieb Ende Mai vom „leeren Rauschen“; Dieter Althaus würde regelmäßig mit mittelschwerer Bedeutungsdichte einen Allgemeinplatz verbreiten - hieß es da -, nur nicht zu Thüringen, dazu höre man von ihm wenig. Oder, Ende letzten Jahres in der „Welt online“ unter der Überschrift: „Ostdeutsches Musterland stürzt ab - Althaus bekommt die Finanzen seines Landes nicht in den Griff, seit Jahren explodieren die Schulden, Ursachen eindeutig hausgemacht.“

(Beifall bei der SPD)

Aber auch Thüringer Zeitungen haben Ihre Arbeit in den letzten Monaten ähnlich beurteilt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Alte Zeitungen, nichts ist unaktueller als die Zeitung von heute.)

Ja, Herr Mohring, ich beschreibe die Entwicklung der letzten Monate und Sie werden sehen, dass viele der Probleme, die da beschrieben sind, bis heute nicht aufgelöst sind, deshalb nenne ich Sie Ihnen noch einmal. Ihr Gedächtnis ist offensichtlich sehr kurz. Auch die „Thüringer Allgemeine“ hat schon im Herbst von verschenkter Zeit geschrieben bei dieser Wahlperiode und die gemischte Bilanz, die die TA heute veröffentlicht, weist auch keine für eine Regierung besonders schmeichelhafte Mischung aus. Von 28 Vorhaben 7 erfüllt, der große Rest halb oder gar nicht, das ist wahrlich kein Ruhmesblatt für diese Landesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb Ende letzten Jahres: „Althaus hat den Schwung verloren, die Liste der Probleme des Landes ist groß, Althaus aber ist der Meister der kleinen Meldungen“. So ließe sich die Beurteilung fortsetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Frage ist, hat die Landesregierung eines dieser Probleme gelöst, über die wir seit vielen Monaten hier im Land diskutieren? Die Verschuldung des Landes steigt nicht weiter, das ist gut, aber ich sage es noch einmal, das ist keine Leistung der Landesregierung, Sie ernten hier die Früchte, die andere gesät haben.

(Zwischenruf Diezel, Finanzministerin: Wir haben viele eigene Vorschläge ge- macht.)

Wie sieht das bei anderen Fragen aus? Gegen die Familienpolitik dieser Landesregierung läuft ein Volksbegehren. Selbst der Ex-Sozialminister Pietzsch, CDU-Mitglied, hat vor einem Jahr scharfe

Kritik an dieser Art Familienpolitik geübt.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Sogar die FDP geht weiter.)

Auch wenn heute in einigen Zeitungen nachzulesen ist, Thüringen sei bei der Betreuung auf Platz 1, muss man sich die Meldungen noch einmal ein bisschen genauer ansehen. Ich habe mir noch einmal die Zahlen des Statistischen Landesamtes Thüringen vom April dieses Jahres herausgesucht. Die haben nämlich andere Zahlen gemeldet. Danach liegt Thüringen bei der Betreuung der unter 3-Jährigen hinter Sachsen-Anhalt, hinter Mecklenburg-Vorpommern und hinter Brandenburg. Die Zahl, die heute veröffentlicht worden ist, bezieht nur Kinder ein, die länger als sieben Stunden betreut werden,

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Soziales, Familie und Gesundheit: Fünf Stunden.)

und zeichnet damit kein genaues Bild der Situation, jedenfalls kein Bild darüber, wie viele Kinder Kindereinrichtungen insgesamt in Anspruch nehmen. Ihre Familienoffensive hat dazu geführt, dass die Elternbeiträge an vielen Stellen gestiegen sind. Dass das Angebot an Kinderkrippen und Kindergärten noch so gut ist, wie es im Moment ist, das ist beileibe kein Verdienst dieser Landesregierung, sondern allein ein Verdienst einer großen Anstrengung der Kommunen hier in Thüringen, denen ich an dieser Stelle auch noch einmal herzlich dafür danken möchte.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Der Vorschlag, den Sie gemacht haben zur Neuregelung des Kommunalen Finanzausgleichs, ist aus Ihren eigenen Reihen als „grottenschlechtes Handwerk“ bezeichnet worden.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Aber nur der erste Entwurf.)

Sie haben, Herr Althaus, die Zuweisungen an die Kommunen drastisch gekürzt und haben hinterher den Kommunen empfohlen, doch die Steuern zu erhöhen. Herr Ministerpräsident, das geht für mich nicht zusammen. In Sonntagsreden stellen gerade Sie sich immer wieder hin und fordern „Steuern runter!“, damit die Wirtschaft wachsen kann, und am Montag zwingen Sie die Kommunen, die Gewerbesteuern zu erhöhen. Erklären Sie mir bitte einmal, wie das zusammenpasst.