Protocol of the Session on November 24, 2006

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Die Kinder- zahlen in den Kitas sind doch angestie- gen, Herr Bärwolff.)

Hier im Kindergarten kann man wesentlich besser mit Eltern zusammenarbeiten und - das wieder an die Adresse der Landesregierung - wesentlich besser als mit einer Elternakademie. Denn im Kindergarten kann man mit Eltern arbeiten, man kann ihnen Tipps zur Erziehung geben; das wird zunehmend schwieriger. Eine weitere Begleiterscheinung der Familienoffensive, die ihre Lobpreisung im Bericht der Landesregierung findet, sind die sogenannten lokalen Bündnisse für Familie. In einigen Kreisen gibt es sie, in Erfurt beispielsweise noch nicht. Kurz vor dem Gründungstermin wurde ich wieder ausgeladen, der Termin wurde abgesagt, aus Mangel an Teilnahme, wie es offiziell hieß. Doch das muss man sagen, meinem Eindruck nach sind die lokalen Bündnisse für Familie nur eine Alibiveranstaltung, um Ihrem Streben weiter Vorschub zu leisten.

(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Welchem, Herr Bärwolff?)

Ihre Harmonieideologie, die Sie hier permanent mit betreiben. Das sage ich Ihnen, das wollen Sie damit machen. Sie reden hier permanent von Familien und kürzen die Kohle für die Jugendlichen, na herzlichen Glückwunsch, da haben wir ja was gekonnt.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Das ist Dummnöl.)

Ach, das, was Sie heute früh zu den Ausbildungszahlen gesagt haben, ist auch nicht besser.

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Ein weiterer Aspekt, der im Bericht zwar nicht direkt angesprochen wird, aber dennoch eine Erwähnung wert ist, ist der der Kinderarmut. Das Wort „Kinderarmut“ fällt zwar im Bericht nicht ein einziges Mal, aber gerade in der Diskussion um Unterschichten, um Prekariat, um Abgehängte sollte man darauf eingehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Armut, und das steht fest, steht immer in Verbindung mit Benachteiligung, mit Ausgrenzung und Armut verringert Chancen. Arme Kinder haben tendenziell

schlechtere Ausgangspositionen als Kinder aus finanziell sicheren Elternhäusern. Arme Kinder haben auch eine geringere Chance auf Bildung. Aber, und das will ich Ihnen ganz deutlich sagen, es geht nicht um eine Chance auf Bildung, nein, an dieser Stelle geht es um Rechte. Es gibt ein Recht auf Bildung und es gibt ein Recht auf eine Kindheit in Würde.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wer von Chancen spricht, der ist bereit, sich auf die unwürdige Wettbewerbslogik der Neoliberalen einzulassen. Denn Chancen bedeuten Wettbewerb und Wettbewerb produziert bekanntlich Gewinner und Verlierer, doch mit diesen Verlierern kann und will ich mich nicht …

(Zwischenruf aus dem Hause)

Nein, Wettbewerb produziert Gewinner und Verlierer, sonst bräuchten wir keinen Wettbewerb und Wettbewerb produziert Verlierer und das kann ich für mich nicht akzeptieren. Ich möchte nicht, dass es Verlierer gibt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Es geht nicht um Chancen, nein, es geht um Menschen, die ein Recht haben, in Würde zu leben und nicht in Armut.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Landesregierung ist indes nicht in der Lage und wohl auch nicht willens, diesem Problem auf den Grund zu gehen und Abhilfe zu schaffen. Anders kann man die Lobgesänge auf das Thüringer Bildungssystem im Bericht nicht verstehen. Dazu wird aber, denke ich, die Kollegin Skibbe noch Ausführungen machen. In Ihrem Kinder- und Jugendbericht wird permanent zum Beispiel auf das gute Thüringer Schulsystem abgehoben. PISA hat allerdings gezeigt, dass gerade das Schulsystem vorwiegend nach sozialen Gesichtspunkten selektiert und nicht - wie immer behauptet - nach Leistungen. Wie sonst ist der hohe Anteil von Förderschülern in Thüringen zu erklären? Sind Thüringer Schüler tendenziell dümmer als andere Schüler? Nein, das kann ich jedenfalls für mich nicht so behaupten. Eine weitere Schizophrenie, die sozusagen Ihrer Politik innewohnt: Sie reden von sozialer Selektion und Herr Schwäblein hat es ja auch schon versichert, Sie akzeptieren, dass es sie gibt. Um diese soziale Selektion zu verhindern, spielen Sie zum Beispiel im Bereich der Hochschule mit dem Gedanken, neue Studiengebühren einzuführen. Also das ist so ein Widerspruch, wo ich mich frage, wie passt das zusammen? Sie reden von sozialer Selektion, allen ist klar, dass wir diese abbauen müssen und Sie sorgen für viel mehr Ge

bühren, für viel mehr finanzielle Hürden im Bildungssystem und damit sorgen Sie auch sozusagen dafür, dass die Möglichkeiten, Bildung wahrzunehmen, daran teilzuhaben, zu partizipieren, immer geringer werden. Da, das will ich Ihnen ganz klar sagen, sind wir durchaus dagegen und das findet unsere Zustimmung nicht, deshalb auch der massive Protest gegen das Hochschulgesetz, denn nicht umsonst heißt es „Wehret den Anfängen“. Hier liegen die Anfänge, also müssen wir hier dagegen vorgehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Im Übrigen, und das ist ein weiterer Aspekt im Bericht, wir müssen dazu übergehen, ein Umdenken in der Politik mit Kindern voranzutreiben. Bislang werden Kinder immer nur als halbe Erwachsene dargestellt. Kinder, zum Beispiel bei den Berechnungen zum Hartz-Regelsatz, sind zwei Drittel vom Erwachsenen - Kinder sind halbe Erwachsene. Ich allerdings fordere Sie dazu auf, auch die Landesregierung, über eine eigenständige Kinderpolitik nachzudenken, eine Politik, die die Kinder in den Mittelpunkt stellt, die Kinder mit ihren eigenen Bedürfnissen und Bedarfen, eine Kinderpolitik, die sozusagen die Kinder betrachtet, unabhängig vom finanziellen und familiären Hintergrund,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

denn nur so ist zu gewährleisten, dass einer Gesellschaft, einem Staat alle Kinder gleich viel wert sind. Ich will Ihnen das durchaus auch an einem Beispiel klarmachen, wie es nämlich nicht läuft, beispielsweise der Kinderfreibetrag, der wird über die Steuererklärung geltend gemacht. Hartz-IV-Empfänger machen keine Steuererklärung - wo sollen sie diesen Kinderfreibetrag geltend machen? Im Gegenteil, ihnen wird das Kindergeld noch als Einkommen bei Hartz IV angerechnet. Für mich jedenfalls und auch für unsere Fraktion ist es eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit - so geht es nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Auch das Elterngeld von Frau von der Leyen hilft da nur wenig weiter, denn das erklärte Ziel des Elterngeldes war es und ist es - und das halte ich für wirklich hochgradig bedenklich -, gerade Akademiker zu motivieren, Kinder zu bekommen, als ob Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen, als ob Kinder von Arbeitslosen weniger wert wären.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: So ein Quatsch!)

Das ist doch aber genau so. Während Kinder von Gutverdienenden 1.800 € bekommen, bekommen die von weniger gut Verdienenden einen Sockelbe

trag von 300 €. Können Sie mir mal erzählen, wo die Gerechtigkeit ist?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wir als Gesellschaft haben die Verpflichtung, jedem Kind seine Rechte zu gewähren, jedes Kind gleich zu fördern, unabhängig vom Familieneinkommen und unabhängig von …

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Das genau machen wir in Thüringen, Herr Bärwolff.)

Na, da habe ich aber Zweifel.

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Unabhängig vom Einkommen zahlen wir ein Erzie- hungsgeld.)

Super. Wir wollen die Beteiligungsschwellen für Eltern z.B. einer Kita senken. Wir wollen eine eigene Politik für Kinder. Die PDS-Fraktion im Bundestag hat dafür ein Projekt, nämlich die Kindergrundsicherung, vorgelegt. Die Kindergrundsicherung soll Kinder unabhängig vom familiären Hintergrund betrachten, sie soll eine finanzielle Leistung an Familien sein, die aber nicht an das Familieneinkommen gekoppelt ist. Der Jugendhilfeausschuss im Landtag wird sich mit diesem Thema auch noch beschäftigen. Diese Kindergrundsicherung, das hat mir beispielsweise auch der Landesjugendring bereits versichert - da gab es schon Gespräche -, ist da durchaus auch auf Interesse gestoßen. Ich denke, auch hier im Landtag werden wir demnächst einen Antrag einbringen, wo wir eine Bundesratsinitiative von der Landesregierung erwarten, um diese Kindergrundsicherung zu etablieren, denn das ist wirklich wichtig, das sagen ja auch die Wissenschaftler, reden Sie mit denen. Sie haben doch immer so viele Wissenschaftler in petto, reden Sie mit den Fachleuten, mit Prof. Lutz, mit Prof. Mertens von der Uni Jena, alle sagen Ihnen das Gleiche: Wir müssen anfangen, Kinder unabhängig von der Familie zu betrachten. Das heißt nicht, dass wir die Familie als kleine gesellschaftliche Zelle außer Acht lassen, aber man muss anfangen, Kinder als Kinder auch zu begreifen.

(Zwischenruf Abg. Emde, CDU)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herr Emde, auch die CDU-Fraktion hatte eine Einladung zur Fachtagung „Kinderarmut“ am 15. September 2006. Ich habe von der CDU-Fraktion leider keinen gesehen. Die Veranstaltung stand allen offen, sie war kostenlos, hat nichts gekostet, es gab sogar noch etwas zu essen, wäre also auch eine

Anreizschwelle für Sie dabei gewesen -

(Heiterkeit bei der Linkspartei.PDS)

Sie allerdings waren nicht dabei. Es gab sogar Fettbrote.

Trotzdem, es geht hier an dieser Stelle um Kinder und Jugendliche, und da ist noch ein Aspekt, auf den wir eingehen wollen, auf den auch der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung eingeht, und zwar ist das der Aspekt arbeitsloser Jugendlicher. Diese, und das zeigt sich auch relativ deutlich, arbeitslosen Jugendlichen haben bereits einen Teufelskreis einer Ausgrenzung, einer Benachteiligung nach sich gezogen oder sind Teil dieses Teufelskreises. Hier zeigt sich immer wieder, dass den jungen Menschen, die im Hartz IV landen, dass den jungen Menschen mit den schwierigen Benachteiligungen geholfen werden muss, dass sie bereits durch die Sozialraster oder durch die Hilferaster z.B. in der Grundschule, in den Regelschulen durchgefallen sind. Hier allerdings muss sich die Jugendhilfe die Schuhe anziehen und diese Jugendlichen mit den Instrumenten der Jugendhilfe wieder fit machen.

Leider Gottes hat die Abschaffung des § 19 Abs. 1 im Ausführungsgesetz zum KJHG dort Wege verbaut, nämlich - das wissen Sie vielleicht nicht so genau, aber es findet trotzdem statt -, die Jugendberufshilfe war für die Kommunen eine Pflichtleistung. Auf Drängen des Landkreistags haben Sie diese Pflichtleistung für die Kommunen abgebaut. In der Drucksache 4/2323 vom Innenministerium wird ja voller Stolz über den Abbau kommunalbelastender Standards gesprochen. Ja, das ist traurig, dass Sie voller Stolz davon sprechen, dass die Pflichtaufgabe Jugendberufshilfe für die Kommunen abgeschafft wurde. Herzlichen Glückwunsch! Wissen Sie, was Sie jetzt für ein Problem haben, jetzt haben Sie haufenweise Jugendliche, denen Sie so nicht mehr helfen können, die Sie durch das Sozialsystem durchschleifen. Ich weiß nicht, was Sie für einen humanistischen Anspruch haben, aber ich habe jedenfalls einen. Ich weiß, was Humanismus ist, das kann ich Ihnen zeigen.

(Heiterkeit bei der CDU)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Das ha- ben wir ja am 09.11. gesehen, was Sie unter Humanismus verstehen!)

Das ist direkte Demokratie, Herr Seela.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich darf um Ruhe bitten, der Abgeordnete Bärwolff hat das Wort. Sie können sich dann gerne zu Wort melden und bitte darum - das gehört auch zum Anspruch des Hauses -, den Redner ausreden zu lassen und sich danach zu melden. Herr Bärwolff, fahren Sie bitte fort.

Danke schön. Das Problem, was sich mit der Jugendberufshilfe einfach ergibt, ist Folgendes: Wir haben eine ganze Reihe Jugendlicher, die die Instrumente der Jugendhilfe dringend nötig haben, denen man wirklich helfen muss, die große Defizite haben in der Sozialisation. Wie gesagt, ich hatte das hier beim letzten Mal schon angesprochen, es geht meist beim pünktlichen Aufstehen los. Ich habe damit auch Probleme, gebe ich zu, aber die Jugendlichen, um die es geht, die benachteiligten Jugendlichen haben teilweise Probleme mit Drogen, mit Schulden usw., die haben relativ häufig keine Schulausbildung. Was machen Sie, wenn Sie jetzt die Jugendberufshilfe als kommunale Pflichtaufgabe abschaffen? Dann passiert Folgendes: In Erfurt wird das kommunale Jugendbildungswerk umstrukturiert und es gibt keinen mehr, der sich um diese Jugendlichen kümmert. Ich habe keine Lust, und ich denke auch, eine Gesellschaft sollte die Verantwortung haben, sich um diese Jugendlichen zu kümmern, sie auch in den Hintern zu treten - da habe ich überhaupt nichts dagegen. Aber das kann nicht alles sein, sondern man muss ihnen Angebote machen, man muss sie anreizen, man muss ihnen positive Perspektiven eröffnen, damit sie sich beteiligen, damit sie ihre Defizite überwinden können.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)