Protocol of the Session on November 24, 2006

Wir werden künftig - auch das sagt die Antwort aus, aber auch der Demographiebericht - überproportionale Leerstände im ländlichen Raum haben, auch aufgrund der Eigentümerstruktur. Da bin ich bei einem ersten Widerspruch. Während man immer davon redet, wir wollen in die Zentren gehen, wir wollen in die Städte, ist die LEG immer noch damit beschäftigt, Baugrundstücke im ländlichen Raum zu vermarkten, und das auch angesichts der Prognosen, dass wir die größten Leerstände im ländlichen Raum haben werden. Nun sind das etwa 50 Prozent der Flächen, die die LEG noch nicht vermarktet hat. Das ist ein Buchwert von 52,5 Mio. und entspricht 12,81 Prozent der Bilanz der LEG. Das ist also kein Pappenstiel für die Landesentwicklungsgesellschaft. Trotzdem, denke ich, sind wir hier gefordert, uns einmal darüber Gedanken zu machen, was mit diesen

Flächen werden soll. Es ist jedenfalls nicht sinnvoll daran festzuhalten, sie auf Biegen und Brechen einer Bebauung zuzuführen. Auf der anderen Seite muss man ja sagen, dass der Freistaat Thüringen vor ein paar Jahren 65 Mio. aus der LEG herausgezogen hat, um Haushaltslöcher zu stopfen. Insofern entspricht das fast diesem Buchwert über den wir hier reden.

Nächstes Problem sind die Wohnungen für ALG-IIEmpfänger. Die Landesregierung geht davon aus, dass aufgrund ihrer Modernisierungsstrategie genügend preiswerter Wohnraum vorhanden ist. Ich kann, wenn ich dann die Antworten weiterlese, das nicht so ganz nachvollziehen, denn letztendlich beziehen Sie sich auf Aussagen von Wohnungsunternehmen. Vielleicht wäre es hier sinnvoller gewesen, bei den ARGEn nachzufragen. 28 von 67 Wohnungsunternehmen verfügen über keinen ausreichenden Wohnraum für Hartz-IV-Empfänger, haben diese geantwortet. Wir haben 223 Mitgliedsunternehmen im VTW, nur 67 haben geantwortet, das kann nicht repräsentativ sein. Ich denke, hier müssten wir noch einmal sehen, dass wir zu einer gesicherten Datenbasis kommen. Was letztendlich die Varianten für die Unterbringung betrifft, dass man - wie man es mancherorts auch schon tut - ursprünglich für den Abriss vorgesehene Ein- oder Zweiraumwohnungen stehen lässt, wird von uns abgelehnt. Wir sind dafür, dass man Belegungsbindungen wieder aktiviert, dass man diesen Weg geht. Denn eins können wir doch hier alle nicht wollen, dass sich irgendwo an den Rändern unserer Städte Gettos bilden. Wir haben die Diskussion über die Unterschicht - kein schöner Begriff, aber es ist so, 25 Prozent der Bewohner der neuen Bundesländer fühlen sich von der Entwicklung der Gesellschaft abgehängt. Wenn wir die jetzt noch irgendwo am Stadtrand separat unterbringen, werden sie doch noch mehr abgehängt. Wenn wir uns einmal die Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern anschauen, wo wir in einigen Bereichen im östlichen Landesteil NPD-Ergebnisse im zweistelligen Bereich haben - teilweise von 25, 35 Prozent -, dann sind es die Regionen wo letztendlich nur noch die dageblieben sind, die nicht mehr fortgehen konnten. Die geistigen Eliten sind nicht mehr vorhanden. Wir haben keine Durchmischung der Bevölkerung. Das bildet doch einen guten Nährboden für die Rattenfänger von der ganz rechten Seite. Wir sollten in Thüringen nicht erst diese Nährböden schaffen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Es ist schön, wenn Sie mir zustimmen, dann lassen Sie es uns gemeinsam angehen.

Noch ein paar Worte zur Situation der Wohnungsunternehmen: Die Wohnungsunternehmen im Freistaat befinden sich trotz Altschuldenhilfegesetz und

vielfältiger Hilfen nach wie vor in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation. Das zeigen auch die drei Insolvenzen mit mehr als 2.300 betroffenen Mieterhaushalten. Neben dem Problem, dass bei den Mietern dort sehr viel Angst und Verunsicherung entsteht, habe ich ein weiteres Problem. Ich habe nämlich nicht wie bei einer Insolvenz in der Industrie einen lästigen Mitbewerber aus dem Feld geschlagen, nein, die Wohnungen sind noch da, sie werden von irgendjemandem aufgekauft, vielleicht weiter heruntergewirtschaftet und damit entstehen letztendlich neue Probleme für die anderen ansässigen Wohnungsunternehmen. Das kann nicht der Weg sein. Ein Problem ist auch nach wie vor die Finanzierung der Wohnungsunternehmen durch die Banken. Wobei ich sagen muss, dass ich den Eindruck habe, dass sich hier im letzten halben Jahr eine gewisse Entspannung aufgezeigt hat. Aber nach wie vor sind viele Banken nicht bereit, wenn jetzt die Zinsbindungen auslaufen, die Unternehmen weiterzufinanzieren. Sie müssen das zwar, die Verträge sehen das so vor, aber sie bieten dann letztendlich Zinskonditionen an, die jenseits von Gut und Böse sind. Das betrifft eben nicht nur Wohnungsunternehmen, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sind, sondern auch Wohnungsunternehmen, die durchaus gesund sind. Es hat bei einigen Banken inzwischen ein Umdenken gegeben. Nichtsdestotrotz besteht das Problem weiter. Ich denke, in dem Fall, in dem ein Wohnungsunternehmen gesund ist und eine wirtschaftliche Erwartung hat, müsste es dann auch möglich sein, dass anstelle der Hausbank die Thüringer Aufbaubank einspringt und die weitere Finanzierung übernimmt. Es geht nicht darum, irgendwelche Leichen dreimal um den Friedhof zu tragen, sondern es geht darum, auch weiterhin gesunde Unternehmensstrukturen zu haben.

Zu den Fördermitteln ist hier schon einiges gesagt worden, auch zur Höhe der Fördermittel. Was diese Differenz zwischen Rückbau und Aufwertung betrifft, hier muss ich ausnahmsweise der Landesregierung mal völlig recht geben. Man muss, bevor man aufwerten kann, erst zurückbauen und so kommt auch diese Differenz zustande. Ansonsten ist in den letzten Jahren schon das Augenmerk darauf gerichtet worden, dass nicht nur abgerissen wird, sondern dass gleichzeitig auch eine Aufwertung der betroffenen Gebiete stattfindet. Ich hatte schon das Problem benannt, dass es uns bislang nicht gelungen ist, private Vermieter da mit einzubeziehen. Wir haben auch ein Problem, wenn es darum geht - es ist immer wieder hier angesprochen worden -, Wohneigentum zu schaffen, das Wohneigentum hält die Leute im Land. Aber wir hatten auch mal ein Programm zur Schaffung von selbstgenutztem Wohneigentum in den Innenstädten im Rahmen des Stadtumbau Ost, das kam nicht so richtig zum Laufen, daraufhin ist es abgesetzt worden. Ich denke, hier sollte man doch mal

sehen, was die Hemmnisse sind und dass wir gerade in dem Bereich wieder mehr tun müssen. Ein Problem ist natürlich auch immer - bislang hat man das immer mit irgendwelchen Vereinbarungen auf Bundesebene in Zusammenhang gebracht -, dass wir mit unseren Förderrichtlinien sehr spät sind. Ich denke, wir sollten hier auch im Interesse derjenigen, die Fördermittel nutzen wollen, zu einem Vorlauf kommen und da muss sich das Ministerium für Bau und Verkehr gegenüber dem Finanzministerium auch mal stärker durchsetzen.

Das Thema Kosten der Infrastruktur ist auch schon angesprochen worden. Pi mal Daumen kann man sagen, mit einer Ausdünnung der Bevölkerung um die Hälfte verdoppeln sich die Infrastrukturkosten. Dem muss sicherlich in Zukunft stärker Rechnung getragen werden. Ich könnte hier schnell mal ein paar Beispiele nennen, wo man an der Peripherie Gebäude hat stehenlassen und davor zurückgebaut. Letztendlich wird am Ende kaum noch jemand die Kosten bezahlen können. Deswegen sage ich auch, der Abriss ganzer Wohnviertel darf mittel- und langfristig kein Tabu sein. Bevor ich zu einer derartigen Kostensteigerung auch im Bereich der Betriebskosten komme, muss ich mir schon Gedanken machen, wie ich durch kluges Umzugsmanagement einen geordneten Rückbau von der Peripherie zustande bekomme. Das ist aber nicht gleichbedeutend damit - nicht dass ich hier missverstanden werde -, dass man heute schon sagt, wir machen jetzt in den Gebieten gar nichts mehr. Wir werden sicherlich auch in Zukunft nicht an dem Problem vorbeikommen, dass wir das eine oder andere Gebäude noch modernisieren müssen, was wir in 20 Jahren dann abreißen. Aber ich kann auch nicht die Alternative für die Bewohner aufmachen, wir werden sowieso weniger, bei euch tun wir jetzt gar nichts mehr. Das geht so nicht.

Stärkung der Innenstädte, auch Stärkung der Zentren - das ist hier immer wieder gesagt worden. Es ist die „Innenstadtinitiative“ genannt worden, das Projekt „Genial zentral“ - viele gute Sachen. Aber ich bin der Auffassung, wir sollten auch Gesetze und Verordnungen, die außerhalb des Wohnungsbaus liegen, mal auf Ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Innenstädte überprüfen. Mit dem gestern hier verabschiedeten Ladenschlussgesetz - das ist meine feste Überzeugung - haben wir nichts zur Stärkung der Innenstädte getan, im Gegenteil, wir schwächen sie. Wer heute einmal die Zeitung gelesen hat, die IHK Erfurt hat mitgeteilt, dass nach einer Umfrage mit Ausnahme der großen Handelszentren die kleinen Einzelhändler kaum die verlängerten Öffnungszeiten nutzen werden. Es ist auch klar, sie können es nicht, es sind zum Teil Familienbetriebe, es ist gar nicht möglich. Was ist denn die Folge davon? Wir werden ein Abwandern der Kaufkraft aus den Innenstädten in die großen Einkaufscenter auf der grü

nen Wiese haben. So mancher kleine Einzelhändler in der Innenstadt wird letztendlich seinen Laden noch aufgeben müssen - eine Tendenz, die wir auch in der Vergangenheit schon hatten - zugunsten eines Filialisten, der dann da reingeht, eine neue Werbung anbringt, ein neues Schaufenster einsetzt, aber ansonsten an dem Haus nichts tut. Wir brauchen gerade den Mittelstand, die kleinen Einzelhändler als Träger der Städtebauförderung, der Stadtentwicklung in den Innenstädten vor Ort. Wir sollten alles dafür tun, sie zu stärken und sie nicht noch zu schwächen.

Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Sedlacik zu?

Bitte.

Ich nahm an, Sie sind fertig, aber Sie wollten noch weitermachen?

Ich wollte dann noch weitermachen, aber Sie dürfen fragen.

Dann wäre ich bereit, meine Frage am Ende zu stellen. Ich möchte Sie nicht stören.

Ich wäre jetzt sowieso zum nächsten Punkt gekommen.

Vielleicht klären wir das jetzt. Jetzt machen wir geordnet weiter. Frau Doht, Sie haben das Wort und Sie, Frau Sedlacik, melden sich dann bitte noch mal.

Zu den Stadtentwicklungskonzepten: Hier hat es ja - auch das ist positiv - eine Begleitforschung gegeben, aber das Ergebnis war auch, dass ein Teil der Stadtentwicklungskonzepte letztendlich zu optimistisch war. Ein Zeichen, dass man auf kommunaler Ebene den gesamten Umfang des demographischen

Wandels noch nicht ganz erkannt hat oder erkennen wollte. Ich denke, hier müssen wir dazu kommen, dass bei einer Überarbeitung der Konzepte realistische Entwürfe entstehen, und wir müssen viel mehr, als das bislang geschehen ist, das Umland mit einbeziehen. Wir haben im Landesentwicklungsplan Stadtumlandräume ausgewiesen. Die sollten dann auch, wenn möglich, ich weiß, dass das schwierig ist, aber das sollte schon unser Ziel sein, gemeinsam geplant werden. Das Ganze wäre natürlich noch viel einfacher, wenn wir zu einer Gebietsreform kämen, dann könnten wir wirklich großräumig planen, wie Herr Wetzel vorhin gefragt hat, aber das können wir momentan nicht, weil wir auch im Umfeld der Städte viele kleine Kommunen haben, die ganz andere Interessen haben. Da unser Thüringer Ministerpräsident leider ein glühender Verfechter der Kleinstaaterei ist, werden wir an diesem Punkt nicht so schnell weiterkommen. Das vielleicht so weit.

Lassen Sie mich aus dem Gesagten ein paar Forderungen seitens unserer Fraktion ableiten. Wir wollen zum einen die Stärkung der Zentren und insbesondere der Innenstädte. Das heißt, wir müssen die Wohneigentumsbildung in den Innenstädten stärker fördern, brauchen preiswertes Wohnbauland auch für Familien mit Kindern, denn es nutzt uns nichts, wenn wir Einwohnerzuwächse konstatieren und letztendlich feststellen, es sind nur die Senioren, die aufgrund einer schlechteren medizinischen oder sozialen Versorgung jetzt aus dem Umfeld wieder in die Städte zurückziehen, nein, wir brauchen Kinder in den Städten. Wir sollten die Wohnungsbaufördermittel konsequent auf die Innenstädte konzentrieren. Da brauchen wir neben der Wohneigentumsförderung nach wie vor auch einen geringen Mittelansatz für den Mietwohnungsneubau, denn die eine oder andere Baulücke wird sich für den Bauherrn nicht gewinnbringend oder zumindest kostendeckend schließen lassen, wenn man hier nicht mit Fördermitteln unterstützt, also Mietwohnungsneubau aus städtebaulicher Sicht, nicht so sehr aus wohnungspolitischer Sicht. Die Förderung auf der grünen Wiese sollte generell eingestellt werden und, wie gesagt, wir sollten alle Förderprogramme und auch alle Gesetze und Verordnungen einmal daraufhin überprüfen, inwieweit sie diesem Ziel dienen. Wir müssen versuchen, die Privateigentümer stärker als bisher in den Prozess des Stadtumbaus mit einzubeziehen in die Planung, aber natürlich, wenn man jemanden einbezieht, muss man auch darüber nachdenken, inwieweit man ihn an dem Fördertopf beteiligt. Der Bund hat dazu eine Studie zur Situation der privaten Wohnungseigentümer in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse jetzt vorliegen müssten. Vielleicht ergeben sich hier auch Anregungen. Wir müssen nach wie vor die Wohnungswirtschaft unterstützen, wenn es darum geht, kreditfähig zu bleiben. Es kann nicht unser Ziel sein, dass weitere Wohnungsunter

nehmen in Insolvenz geraten. Wir müssen die Kosten für den Rückbau der technischen Infrastruktur stärker in den Focus rücken. Wir reden immer über zweite Miete, die Betriebskosten. Ich hatte es vorhin schon einmal gesagt. Eine Halbierung der Bevölkerung in einem Wohngebiet ist eine Verdoppelung der Betriebskosten, deswegen generell die Forderung, den Rückbau von der Peripherie her. Ich denke, die Fördermittelvergabe ist durchaus auch die Möglichkeit, hier den goldenen Zügel anzusetzen.

Wir wollen keine weitere soziale Ausgrenzung von ALG-II-Empfängern durch Bereitstellung von unsaniertem Wohnraum. Ich hatte es schon gesagt. Wir sprechen uns dafür aus, die seit 1999 ruhenden Belegungsbindungen wieder zu aktivieren. Dazu brauchen wir natürlich erst mal eine umfassende Erhebung.

Zusammenfassend kann man sagen, Wohnungspolitik kann sicherlich nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen. Das Hauptproblem ist nach wie vor die hohe Arbeitslosigkeit und damit die geringen Zukunftsperspektiven für junge Menschen hier. Aber Wohnungspolitik muss auf diese Probleme reagieren. Sie muss Antworten finden. Ein angemessener Wohnraum und ein lebenswertes Umfeld sind letztendlich auch wieder Wirtschaftsfaktoren für eine Kommune. Sie tragen zur Sicherung des sozialen Friedens mit bei. In diesem Zusammenhang muss der Stadtumbau weiter große Priorität haben. Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen, dass das Bundesprogramm über 2009 hinaus im ausreichenden Umfang fortgeführt wird. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Kleinen Moment, Frau Abgeordnete. Frau Doht, Sie hatten die Nachfrage der Abgeordneten Sedlacik zugelassen. Bitte schön.

Meine Zwischenfrage am Ende. Frau Doht, ich wollte Sie fragen, sind Sie bereit, Ihre Falschdarstellungen zurückzunehmen, wenn ich hier nochmals klarstelle, es ging mir um die privaten Vermieter, die sich nicht am Rückbau beteiligen und nicht generell um alle Wohnungsunternehmen, die nicht abreißen, die Fördermittel bekommen sollen.

Also, das haben Sie vorhin nicht so gesagt. Sie haben gesagt, dass nur diejenigen Fördermittel bekommen sollten, die sich auch am Rückbau beteiligen. Das tut mir leid, wenn ich das dann falsch verstanden habe.

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor, vonseiten der Landesregierung auch nicht. Dann ist auch keine Fortsetzung der Aussprache im Fachausschuss beantragt worden. Das sehe ich so. Damit kann ich diesen Tagesordnungspunkt schließen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 8

Folgerungen aus dem „Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland - Zwölfter Kinder- und Jugendbericht -“ für die Jugendhilfe in Thüringen Beratung des Berichts der Landes- regierung - Drucksache 4/2289 - auf Verlangen der Fraktion der Linkspartei.PDS dazu: Unterrichtung durch die Prä- sidentin des Landtags - Drucksache 4/2360 -

Wünscht die Fraktion der Linkspartei.PDS das Wort zur Begründung? Nein, dann eröffne ich die Aussprache zur Beratung des Berichts. Das Wort hat Abgeordneter Bärwolff, Linkspartei.PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben den Antrag gestellt, heute über den Zwölften Kinder- und Jugendbericht bzw. über die Schlussfolgerungen der Kommission und die Folgerungen für die Thüringer Jugendhilfe zu debattieren.

Zunächst einige Hintergründe oder Bemerkungen zum Zwölften Kinder- und Jugendbericht: Dieses relativ dicke und umfängliche Papier ist ja im Oktober letzten Jahres dem Bundestag zur Kenntnis gegeben worden. Im Thüringer Ausführungsgesetz zum KJHG ist verankert, dass auch die Landesregierung dazu eine Stellungnahme abzugeben hat. Ich möchte dem Ministerium für Soziales, Familie und Gesundheit durchaus danken für die zügige Bearbeitung. Ich habe mir sagen lassen, dass das Erscheinungsdatum des Landesberichts wirklich sehr frühzeitig war. Dafür meinen Dank.

Der Bundesbericht an sich ist auf großes Interesse in der Fachwelt gestoßen. Es gab auch in Thüringen einige Veranstaltungen z.B. mit dem Professor Dr. Rauschenbach, der ganz maßgeblich den Bericht mitgeprägt hat. Inhalt dieses Berichts ist die Bedeutung von Schule und Jugendhilfe für die Entwicklung von Kindern. Es gibt auch noch weitere Empfehlungen bzw. weitere Themen, die in diesem Bericht eine Rolle spielen. Da gibt es dann diverse Empfehlungen, die sind an die Politik gerichtet. Dazu hat der Jugendhilfeausschuss im Thüringer Landtag auch Stellung genommen. Aber später mehr.

Zunächst erst einmal aus unserer Sicht zur Entwicklung der Jugendhilfe in Thüringen. Klar ist, es gibt viele Angebote für Kinder und Jugendliche, aber - und dieses Aber muss man an dieser Stelle wirklich setzen und unterstreichen - immer mehr Kinder in Thüringen leben in Armut, etwa ein Fünftel, in den großen Städten Erfurt, Jena und Gera etwa ein Drittel. Mit der Familienoffensive der Landesregierung hat sich die Situation der Kitas nicht verbessert. Im Gegenteil, mit der Kürzung des Personalschlüssels und anderer Rahmenbedingungen haben die Kitas ihre bundesweit sehr hohen Standards verloren.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das ist doch gar nicht wahr!)

Mit der sogenannten Familienoffensive haben Sie den Kindern in diesem Land keinen Gefallen getan. Aber darauf werden meine Fraktionskolleginnen noch eingehen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Immer noch haben viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz, trotz des Berichts, den der Minister heute früh hier abgeliefert hat. Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen, die teilweise sogar noch nicht einmal einen Schulabschluss haben, ist unverändert hoch. Das allein ist Skandal genug. Die Frage für uns als PDS: Welche Folgen hat nun diese beschriebene Armut? Flächendeckende Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen, das macht einen Teufelskreis auf. An dieser Stelle möchte ich gerne Ihren Ex-Sozialminister Heiner Geißler zitieren, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis: „Die schlimmste Folge ist, dass sich die Armut von selbst ständig vermehrt. Es werden immer mehr Leute in die Armut hineingeboren und befinden sich damit von Anfang an in einer Diskriminierungssituation. Sie erleben die Ausgrenzung schon in der Schule. Das Analphabetentum wird zunehmen, die Kriminalität steigen. Es droht ein schleichender Verfall unserer Gesellschaft, eine Entwicklung, wie wir sie aus Amerika kennen.“ Diese Zeilen von Heiner Geißler kann ich durchaus teilen, denn der Teufelskreis von Benachteiligung hat Folgen, schlechtere Gesundheit, schlech

tere Ausgangspunkte für Bildungswege und damit der Einstieg in eine nachhaltige Ausgrenzung. Denn schlechte Bildungswege ziehen eindeutig niedrige Qualifikation nach sich und das wiederum bedeutet schlechte Chancen auf dem Ausbildungsmarkt bzw. auf dem Arbeitsmarkt. Wenn junge Menschen dann demotiviert sind, ist das kein Wunder. Ihnen fehlen einfach die Perspektiven; sie wissen nicht was kommt - das aber ist für sie wichtig.

Was aber sagt denn der Landesbericht der Regierung zu alledem? Zunächst muss man einmal klarstellen, dass Grundanliegen dieses Kinder- und Jugendberichts ist es, eine Analyse der umfassenden Benachteiligung von Kindern darzulegen und vor allem Ursachen und Strategien aufzuzeigen. Am Ende - das hatte ich bereits gesagt - hat die Kommission dem Gesetzgeber, also der Politik, einige Hausaufgaben aufgegeben und die Empfehlungen sollten von der Landesregierung durchaus auch berücksichtigt werden. Ein Beispiel dazu: Im Kapitel 7 des Bundesberichts wird angesprochen, dass Bildung, Betreuung für Kinder und Jugendliche gänzlich kostenfrei zu sein hat. In der Drucksache der Landesregierung wird dazu auf Seite 2 relativ frech dargestellt - das kann ich Ihnen noch einmal zitieren. Erst noch einmal im Bundesbericht: „Bildung, Betreuung, Erziehung müssen allen Kindern aller Altersstufen zugänglich sein.“ Das ist die Kernbotschaft des Berichts. Die Landesregierung äußert sich hierzu: „Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Freistaat Thüringen durch diese Empfehlungen in seiner bisherigen Politik für Familien, Kinder und Jugendliche grundsätzlich bestätigt wird.“ Na, herzlichen Glückwunsch! Das ist der Kern sozusagen Ihres Landesberichts. Sie nehmen die Empfehlungen des Bundesjugendberichts, die durchaus greifbar sind, die durchaus fortschrittlich sind und benutzen sie sozusagen, um Ihre Heim- und Herdideologie, die Sie auch mit der Familienoffensive hier vorangebracht haben, zu untermauern. Zumindest für die PDS-Fraktion kann ich sagen, wir möchten das so nicht teilen!

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Für uns steht fest, Kinder brauchen zuallererst Kinder und keine Herdprämie für Muttis.

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Das ist eine Unverschämtheit nach wie vor.)

Das wird ja dadurch nicht besser, dass wir es hier schon hatten. Im Bundesbericht steht zum Beispiel geschrieben, dass wir kostenlose Kitas brauchen. Kinder müssen einen Zugang zu diesen Bildungseinrichtungen haben, unabhängig vom finanziellen Hintergrund der Eltern bzw. unabhängig von dem, was die Kommunen zur Verfügung stellen können. Wir

haben in Thüringen bislang ein umfassendes System gehabt. Über den Kindergarten kann man zum Beispiel auch die Eltern erreichen, zumal, wenn wir über Frühwarnsysteme debattieren.

(Zwischenruf Dr. Zeh, Minister für Sozia- les, Familie und Gesundheit: Die Kinder- zahlen in den Kitas sind doch angestie- gen, Herr Bärwolff.)