Protocol of the Session on July 13, 2006

Nun stimmen wir für die obligatorische Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt einige Stimmenthaltungen. Mit Mehrheit ist auch diese Ausschussüberweisung geschehen.

(Unruhe im Hause)

Jetzt stimmen wir über die Federführung ab. Die Federführung soll beim Bildungsausschuss liegen, ist beantragt worden. Wer für die Federführung beim Bildungsausschuss ist, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Das ist eine Mehrheit. Gibt es hier Gegenstimmen? Das ist nicht der Fall. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt einige Stimmenthaltungen. Die Federführung liegt beim Bildungsausschuss.

Als Nächstes stimmen wir über die Ausschussüberweisungen des Entschließungsantrags der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/2122 ab. Wer der Ausschussüberweisung dieses Antrags an den Bildungsausschuss zustimmen möchte, hebe jetzt die Hand. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Da es keine Stimmenthaltungen gibt, überwiegt die Zahl der Gegenstimmen und die Überweisung des Entschließungsantrags an den Bildungsausschuss ist damit nicht vorgenommen worden.

Nun stimmen wir über die Überweisung des Entschließungsantrags an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit ab. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist eine große Mehrheit. Gibt es Gegenstimmen? Es gibt mehrere Gegenstimmen. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt auch einige Stimmenthaltungen. Die Mehrheit hat aber für die Überweisung des Entschließungsantrags an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit votiert.

Wir stimmen nun zur Überweisung dieses Entschließungsantrags an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten ab. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Es gibt mehrere Stimmenthaltungen. Es gab eine Mehrheit von Gegenstimmen gegen diese Ausschussüberweisung.

Wer der Ausschussüberweisung an den Innenausschuss zustimmen möchte, der hebe jetzt die Hand. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Das ist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt auch einige Stimmenthaltungen. Mehrheitlich ist diese Ausschussüberweisung abgelehnt worden.

Der Entschließungsantrag wird also nun im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit mitberaten und wir stimmen nicht direkt über selbigen ab.

Nun kommen wir zur Überweisung des Antrags der Fraktion der SPD in Drucksache 4/2069. Vor der di

rekten Abstimmung steht die Ausschussüberweisung. Wer diesen Antrag an den Bildungsausschuss überweisen möchte, der hebe jetzt seine Hand. Das ist niemand. Wer stimmt dagegen? Das ist eine Mehrheit. Wer enthält sich der Stimme? Es gibt eine ganze Reihe von Stimmenthaltungen. Die Ausschussüberweisung ist damit nicht vorgenommen worden.

Nun kommen wir zur Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das ist eine Mehrheit. Wer stimmt dagegen? Es gibt einige Gegenstimmen. Wer enthält sich der Stimme? Es gibt auch einige Stimmenthaltungen.

Herr Abgeordneter Gentzel, der Abgeordnete Panse hat vorhin gesagt, alle Anträge - wir hatten das extra noch mal abgesprochen - an diese Ausschüsse überweisen.

Herr Abgeordneter Panse, wir sind im Abstimmungsverfahren. Jetzt zu diesem Abstimmungsverfahren? Bitte schön.

Frau Präsidentin, ich wollte eine Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten abgeben. Ich habe die Ausschussüberweisung beantragt und hatte vorher auch signalisiert, dass ich zwei Änderungswünsche zu diesem Antrag hatte. Der Abgeordnetenkollege Gentzel ist darauf in seiner Rede leider nicht eingegangen. Nur deswegen haben wir für eine Ausschussüberweisung jetzt votiert, ansonsten hätte ich diesen Antrag auch mittragen können.

Danke schön.

Jetzt stimmen wir trotzdem noch einmal darüber ab, diesen Antrag der Fraktion der SPD an den Innenausschuss zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind einige wenige Stimmen. Die Gegenstimmen bitte. Das ist eine große Zahl von Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? Es gibt einige Stimmenthaltungen. Damit ist aber diese Ausschussüberweisung abgelehnt worden.

Nun kommen wir noch zur Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Wer den Antrag an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten überweisen möchte, der hebe jetzt die Hand. Das sind einige wenige Fürstimmen. Die Gegenstimmen bitte. Das ist eine Mehrheit von Gegenstimmen. Die Stimmenthaltungen bitte. Es gibt auch einige Stimmenthaltungen. Damit sind wir bei den Ausschussüberweisungen durch und dieser Antrag der Fraktion der

SPD wird mit im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit beraten. Wir kommen nicht zur direkten Abstimmung über diesen Antrag. Ich schließe damit den Tagesordnungspunkt 4 a und b.

Ich rufe nun auf den Tagesordnungspunkt 5

Bekanntgabe der Entscheidung des Erweiterten Gremiums zum Abschluss der Einzelfallprüfung bezüglich des Abgeordneten Kuschel gemäß § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Überprüfung der Abgeordneten des Thüringer Landtags auf eine hauptamtli- che oder inoffizielle Zusammen- arbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit oder dem Amt für Nationale Sicherheit

Die Vorsitzende des Erweiterten Gremiums, Frau Prof. Schipanski, bitte ich nun um die Bekanntgabe der Entscheidung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, gemäß § 7 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz ist die Feststellung des Erweiterten Gremiums, dass ein Abgeordneter wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS zusammengearbeitet hat und er deshalb unwürdig ist, dem Thüringer Landtag anzugehören, dem Landtag in öffentlicher Sitzung mit den Gründen bekanntzugeben. Dem Erweiterten Gremium zur Einzelfallprüfung in der Angelegenheit des Abgeordneten Frank Kuschel haben neben mir als Vorsitzende die Abgeordneten Dr. Klaubert, Pelke, Schröter und Walsmann als stimmberechtigte Mitglieder, der Abgeordnete Hausold als Fraktionsvorsitzender des Abgeordneten Kuschel sowie dessen Vertrauensperson, Herr Dittes, mit beratender Stimme angehört. Ständige Ersatzmitglieder ohne Rede-, Beratungs- und Stimmrecht waren Frau Groß und Frau Jung, Herr Höhn, Herr Carius und Herr Köckert.

Zum Abschluss der Einzelfallprüfung hat das Erweiterte Gremium gemäß § 6 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz mit den Stimmen von zwei Dritteln der stimmberechtigten Mitglieder aufgrund der Sitzungen am 14. März, 7. April, 24. April, 30. Mai und 28. Juni dieses Jahres festgestellt: Der Abgeordnete Frank Kuschel hat wissentlich als inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS zusammengearbeitet und ist deshalb unwürdig, dem Landtag anzugehören.

(Beifall bei der CDU)

Das Erweiterte Gremium ist bei seiner Entscheidungsfindung von folgenden rechtlichen Rahmenbedingungen und Kriterien für das Überprüfungsverfahren ausgegangen:

1. Das Erweiterte Gremium hat gemäß § 6 Abs. 1 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz den Auftrag, die von der Bundesbeauftragten übermittelten Unterlagen unter Einbeziehung der mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen des betroffenen Abgeordneten und ggf. weiterer ergänzender Unterlagen und Stellungnahmen der Bundesbeauftragten unter Abwägung aller belastenden und entlastenden Umstände daraufhin zu prüfen, ob zur gesicherten Überzeugung der stimmberechtigten Mitglieder feststeht, dass der Abgeordnete wissentlich als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter mit dem MfS/AfNS zusammengearbeitet hat und deshalb unwürdig ist, dem Landtag anzugehören.

2. Die Mitglieder sind in ihrer Überzeugungsbildung frei. Zur gesicherten Überzeugung genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, dem gegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Die Mitglieder müssen von der Verstrickung des Abgeordneten eine so sichere Überzeugung gewinnen, dass auch angesichts der beschränkten Beweismöglichkeiten vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung ausgeschlossen sind (Bundesverfassungsgericht 94, 351, 370). Kann das Erweiterte Gremium diese sichere Überzeugung nicht erlangen, steht es ihm offen, in den Gründen die Beweislage darzustellen und zu würdigen. Die Beweiswürdigung ist nicht an gesetzliche Beweisregeln gebunden. Insbesondere findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ keine Anwendung, da sich das Überprüfungsverfahren außerhalb des materiellen Strafrechts vollzieht.

3. Das Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz verlangt nicht die Aufklärung der einzelnen in den Treff- oder IM-Berichten enthaltenen Sachverhalte und nicht den Nachweis einer konkreten Schädigung aufgrund eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens. Die BStU hat in ihrem Schreiben vom 19.01.2006 ausdrücklich darauf hingewiesen. Ich zitiere: „… dass in vielen Fällen anhand der Stasiunterlagen nicht genau nachvollziehbar ist, inwieweit die Informationslieferung des ‚IM X’ an das MfS konkret gerade zur Maßnahme gegen den ‚Betroffenen Y’ beigetragen hat. Die Anlage und Führung der Akten des MfS erfolgte nach deren damaligen operativen Interessen. Diese sind mit heutigen Dokumentationsinteressen im Sinne der Aufklärung nicht identisch. Zudem galt innerhalb des MfS das Prinzip möglichst umfassender Konspiration. Dies führte dazu, dass mündlich wie schriftlich nur die Informationen weitergegeben bzw. aufgezeichnet wurden, die für den jeweiligen Zweck und den entspre

chend zuständigen Mitarbeiter von Interesse waren. Entscheidend ist, dass in der hoch entwickelten arbeitsteiligen Organisation des Staatssicherheitsdienstes jedem IM eine bestimmte Funktion zugewiesen wurde. Erst das Zusammenwirken vieler (hauptamt- licher wie inoffizieller) MfS-Mitarbeiter hat die oft tief greifenden repressiven Wirkungen erzielen können, denen viele Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt waren.... Oft konnten (und sollten) IM auch gar nicht wissen, für welche operativen Ziele und Zusammenhänge die von ihnen gelieferten Informationen gebraucht wurden. Bei entsprechender Nutzung konnten also auch an sich ‚harmlose’ Informationen eine erhebliche repressive Wirkung entfalten.“

4. Das Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz dient nicht der Bestrafung von rechtswidrigem Verhalten und persönlicher Schuld des Abgeordneten, sondern der parlamentarischen „Selbstreinigung“ zur Erhaltung des Vertrauens der Öffentlichkeit in das Parlament und seine Mitglieder. Festgestellt werden solle aufgrund einer politisch-parlamentarischen Bewertung, ob ein Abgeordneter sich durch sein persönlich zurechenbares Verhalten gleichsam moralisch disqualifiziert hat, als Vertreter des ganzen Wahlvolkes, nicht nur seiner Wähler, ein repräsentatives Mandat wahrzunehmen. Außer der politischen Öffentlichkeitswirkung durch Bekanntgabe des Überprüfungsergebnisses gibt es insbesondere nach der Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs vom 25.02.2000 keine Sanktionen gegenüber dem Abgeordneten. Diese „institutionelle“ Zielrichtung des Überprüfungsverfahrens rechtfertigt die Beschränkung der gesetzlich zugelassenen Beweismittel auf die Unterlagen der BStU sowie die Stellungnahmen des betroffenen Abgeordneten.

Zwar ist das Verfahren der Abgeordnetenüberprüfung einschließlich der politischen Feststellung der Parlamentsunwürdigkeit ein Eingriff in den verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 18.07.1997 ein parlamentarisches Überprüfungsverfahren, das zur Feststellung der politischen Parlamentsunwürdigkeit führt, jedoch verfassungsrechtlich für zulässig erklärt, sofern die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten ausreichend Rechnung trägt. Dies ist durch das anschließend verabschiedete zeitlich befristete Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz und vorliegend zusätzlich durch die Verfahrensordnung geschehen.

In seiner Entscheidung vom 25.02.2000 hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof lediglich den Entzug des Abgeordnetenmandats ohne verfassungsänderndes Gesetz für unzulässig erklärt, sich jedoch erneut ausdrücklich dazu bekannt, dass die frühere Tätigkeit eines Parlamentariers für das MfS diesem die

Legitimität nehmen könne, Abgeordneter zu sein. Diese Prämisse hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Ausnahmefall des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie in den neuen Ländern der Bundesrepublik begründet. Es hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Ministerium für Staatssicherheit ein zentraler Bestandteil des totalitären Machtapparats der DDR gewesen sei. Es habe als Instrument der politischen Kontrolle und Unterdrückung der gesamten Bevölkerung fungiert und insbesondere dazu gedient, politisch Andersdenkende oder Ausreisewillige zu überwachen, abzuschrecken und auszuschalten. Diese Tätigkeit des MfS habe auf eine Verletzung der Freiheitsrechte gezielt, die für eine Demokratie konstituierend seien. Die Bespitzelung der Bevölkerung sei ihrer Natur nach darauf angelegt gewesen, die Tätigkeit der handelnden Personen geheim zu halten und zu verschleiern. Bei besonderen Verdachtsmomenten gegen gewählte Abgeordnete könne das Parlament davon ausgehen, dass das Vertrauen in das Repräsentationsorgan in besonderer Weise gestört sei, wenn ihm Repräsentanten angehörten, bei denen der Verdacht bestehe, dass sie in der beschriebenen Weise eine Diktatur unterstützt und Freiheitsrechte der Bürger verletzt hätten.

Der Schutz des betroffenen Abgeordneten müsse dadurch gewährleistet werden, dass ihm nicht nur rechtliches Gehör gewährt, sondern auch gestattet werde, aktiv an der Herstellung des Beweisergebnisses mitzuwirken. Die abschließende Entscheidung müsse der Eigenart des gewählten Verfahrens sowie den zugelassenen Beweismitteln Rechnung tragen. Das Verfahren müsse Regelungen enthalten, die eine korrekte Wiedergabe des Umfangs der Ermittlungen gewährleistet (Bundesverfassungsgericht 94, 351, 368, 369). Dem verfahrensrechtlichen Schutz des betroffenen Abgeordneten diene insbesondere auch, dass grundlegende Entscheidungen mit einer Mehrheit von zwei Dritteln getroffen werden müssen. Hierdurch werde sichergestellt, dass alle den Abgeordneten belastenden Verfahrensschritte und Feststellungen nur mit einer Mehrheit getroffen werden könnten, die in der Regel eine Fraktion übergreife und auch die Opposition einbeziehe.

5. Die wissentliche Zusammenarbeit ergibt sich in der Regel aus dem bewussten und gewollten Übermitteln von Informationen an Mitarbeiter des MfS.

6. Inoffizielle Mitarbeiter sind nach der Legaldefinition des § 6 Abs. 4 Nr. 2 Stasiunterlagengesetz Personen, die sich wissentlich und willentlich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt haben, ohne dass sie dazu offiziell berechtigt oder verpflichtet waren. Diese Bereitschaftserklärung kann schriftlich, mündlich oder durch konkludentes Handeln erfolgen. Konkludentes Han

deln sieht die BStU dann als gegeben an, wenn faktisch Informationen an das MfS geliefert worden sind. Häufig sei solches schon in der Phase des IM-Vorlaufs geschehen. Für die Einstufung als IM sei es unerheblich, welche Motive die Person zur Informationsübermittlung bewogen hätten oder unter welchen konkreten Bedingungen die Aufnahme der Zusammenarbeit mit dem MfS zustande gekommen sei. Auch komme es nicht darauf an, welchen Umfang und welche thematischen Bezüge die dem MfS gelieferten Informationen hatten oder ob sich der Informant selbst als inoffizieller Mitarbeiter angesehen habe. Für die konkrete Einschätzung der Tätigkeit einer Person sei die förmliche Zuordnung zu bestimmten Kategorien nur ein Aspekt unter mehreren. Entscheidend für die Beurteilung sei immer die jeweilige Aktenlage im Einzelfall.

7. Die „Parlamentsunwürdigkeit“ ist ein ausfüllungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriff. Sie ist in § 1 Abs. 1 Satz 3 Thüringer Abgeordnetenüberprüfungsgesetz in einem Regelbeispiel dahin gehend umschrieben, dass sie in der Regel - also nicht ausschließlich - anzunehmen ist, wenn der Abgeordnete nachhaltig und zum Schaden anderer Bürger für das MfS tätig gewesen ist.

Im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck hat das Erweiterte Gremium des Thüringer Landtags das Regelbeispiel als erfüllt angesehen, wenn es durch konspirative Zusammenarbeit und heimliche Speicherung persönlicher Daten zu einem auch nach dem in der DDR geltenden Recht verbotenen Eingriff in die Privat- und Intimsphäre kam, die durch Artikel 17 des Internationalen Paktes über zivile und politische Rechte auch in der DDR vor willkürlichen Eingriffen des Staates geschützt war. Hier liege ein Schaden für den betroffenen Bürger jedenfalls dann vor, wenn durch die konspirative Zusammenarbeit mit dem MfS Eingriffe in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts erfolgten, in denen staatliche Eingriffe generell verboten sind.

Unabhängig von der Erfüllung des Regelbeispiels hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck eine Parlamentsunwürdigkeit auch dann angenommen, wenn eine nachhaltige Beeinträchtigung der demokratischen Vertrauenswürdigkeit des Abgeordneten und der Legitimation des Landtags festgestellt werden kann. Wer mit dem MfS in konspirativer Weise wissentlich zusammengearbeitet habe und in nicht nur unerheblichem Umfang über eine längere Zeit Treffs wahrgenommen und Berichte gefertigt habe, dem fehle es an demokratischer Vertrauenswürdigkeit vor dem Volk und damit an einer Grundvoraussetzung für die Wahrnehmung eines demokratisch repräsentativen Mandats. In einer repräsentativen Demokratie müssten die Bürger darauf vertrauen können, dass ihre

Repräsentanten ihr Mandat nur für und im Interesse des Volkes sowie in Verantwortung vor dem Volk ausüben und ihr politisches Handeln am Gemeinwohl ausrichten.

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat sich zu den Kriterien der Parlamentsunwürdigkeit nur insoweit geäußert, dass bei der Verwertung der Erkenntnisse der zeitliche Abstand zu einer früheren Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst Berücksichtigung finden müsse. Dazu hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck die Regelungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst herangezogen und die zeitlichen Anforderungen um so strenger angesetzt, je bedeutender die öffentliche Funktion des überprüften Amtsträgers ist. Die obersten Bundesgerichte beziehen die Berücksichtigung des Zeitfaktors regelmäßig auf einen Zeitraum, der 20 Jahre vor dem Beitritt liegt.

Ein weiteres Kriterium zur Beurteilung der Parlamentsunwürdigkeit ist die „demokratische Bewährung“ in der Zeit seit der Wende. Als solche hat das Erweiterte Gremium im Überprüfungsverfahren der Abgeordneten Beck nur ein solches Verhalten gelten lassen, bei dem eine „deutliche, überzeugende Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen und Taten“ gegeben sei.

Im Übrigen sind die Umstände der Beendigung der IM-Tätigkeit ebenso als Kriterium heranzuziehen wie die Freiwilligkeit der Zusammenarbeit und die Motivation. Dabei ist der Umstand zu berücksichtigen, dass nach der Richtlinie Nr. 1/79 des Ministerrates der DDR für die Arbeit mit inoffiziellen Mitarbeitern die Zusammenarbeit stets freiwillig zu sein hatte und abgelehnt werden konnte. Eine nachträgliche Ablehnung der Zusammenarbeit war ein ausdrücklicher Grund für eine Beendigung des IM-Einsatzes.

Aus den von der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übermittelten Unterlagen ergibt sich folgender Sachverhalt:

1. Zu dem Abgeordneten Kuschel liegt eine Personal- und eine Arbeitsakte des MfS vor. Danach wurde am 14.04.1987 von der Bezirksverwaltung Suhl, Kreisdienststelle Ilmenau des MfS, ein IM-Vorlauf angelegt, der am 14.04.1988 in einen IM-Vorgang umgewandelt wurde. Die Werbung von Herrn Kuschel als IMS - inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereichs - erfolgte am 10.03.1988.

2. Ziel der Werbung war gemäß dem Werbungsvorschlag, „durch zielgerichteten IM-Einsatz erforderliche Informationen zu Übersiedlungsersuchenden zu erlangen und geeignete Maßnahmen zur Bekämp

fung und Zurückdrängung von Antragstellern auf ständige Ausreise einzuleiten“. Der IM sollte ferner eingesetzt werden „zur abwehrmäßigen Sicherung der Personen, die im Zusammenhang mit der Unterbindung und Zurückdrängung von Antragstellern Aufgaben zu erfüllen haben“.

Herr Kuschel erschien für den Einsatz als IM besonders geeignet, weil er beruflich als stellvertretender Bürgermeister für Inneres der Stadt Ilmenau eine Schlüsselposition für die erfolgreiche Umsetzung der genannten Ziele innehatte. Seine Zuverlässigkeit zur Erfüllung der IM-Aufgaben wurde insbesondere damit begründet, dass er „bei nach seiner Meinung wichtigen Sachverhalten selbst den Kontakt zu unserem Organ suchte“ und er „bereit ist, Personen vorbehaltlos zu belasten“. Zur Zusammenarbeitsbereitschaft auf konspirativer Basis führte der Werbungsvorschlag aus, dass „die Notwendigkeit, Absprachen im Rahmen des Zusammenwirkens zu Problemen mit Übersiedlungsersuchenden … vertraulich zu behandeln“, von Herrn Kuschel „vorbehaltlos akzeptiert“ wurde und dass er bei Gesprächen, die in seinem Dienstzimmer durchgeführt wurden, „selbständig“ darauf achtete, „dass diese als offizielle Zusammenarbeit legendiert wurden“.

3. Bei dem Werbungsgespräch am 30.03.1988 wurde Herrn Kuschel „deutlich gemacht, dass das MfS zur Bekämpfung und Zurückdrängung von Übersiedlungsersuchenden sowie bei der Klärung der Frage ‚Wer ist wer?’ unter Personen, die im Zurückdrängungsprozess eingesetzt sind, seine Unterstützung benötigt“. Es wurde ihm mitgeteilt, „dass diese Zusammenarbeit Konspiration und Geheimhaltung erfordert“.

4. Im Ergebnis des Werbungsgespräches schrieb und unterzeichnete Herr Kuschel eigenhändig eine Verpflichtungserklärung, in der die Ziele und Grundsätze der Zusammenarbeit mit dem MfS bestätigt wurden. Die Erklärung hatte folgenden Wortlaut, ich zitiere: