Protocol of the Session on June 8, 2006

(Unruhe bei der CDU)

Aber wir werden Geschichte nie offen aufarbeiten können und immer nur vom Ende der Geschichte reden, wie es Herr Dr. Krause gesagt hat, wenn wir nicht diesen Prozess beginnen und auch gemeinsam gehen. Wir kommen sonst in eine Situation, wo es einen Teil der Menschen gab, die in der DDR gelebt haben, die sozusagen böse, willkürlich waren und einen Teil der Menschen, die dort gelebt haben, die gut waren. Diese Debatte kann man so nicht führen, so kann man nicht mit Geschichte umgehen, so kommt man auch nicht zu Schlussfolgerungen aus der Geschichte. Ich bitte Sie einfach darum, stellen auch Sie sich dieser Diskussion um das Funktionieren von Machtstrukturen und der Rolle des Einzelnen in der DDR. Ich glaube, da haben alle Fraktionen einen Anteil zu leisten, nicht nur die Linkspartei.PDS, die diesen Prozess in besonders schmerzhafter Weise führt.

Nun möchte ich einiges sagen zu dem Thema „MfS“. Sie sprechen das hier immer wieder an, dass wir auch Abgeordnete in unseren Reihen haben, die belastet sind. Wissen Sie, ich denke, dass Menschen, die verwoben waren in dieser Weise in das Machtsystem und die Machtstruktur der DDR, eine Chance haben müssen, sich zu diesem Verwobensein zu äußern, und zwar öffentlich zu äußern. Wenn z.B Frau Leukefeld sich auf den Markt stellen kann und sagen kann, hört mir bitte einmal zu, ich habe so und so gelebt in der DDR, ich hatte die und die Vorstellungen und ich habe das und das getan und heute

weiß ich, dass es nicht gut war.

(Zwischenruf Abg. Bergemann, CDU: Das hätte Sie 1990 machen können!)

Das hätte Sie eben nicht machen können! Genau, wenn Sie das gemacht hätte, wäre Sie stigmatisiert worden, so wie Sie heute stigmatisiert wird durch eine Unwürdigkeitserklärung. Ich glaube, so kann man nicht mit Menschen umgehen, so kann man sie nicht mitnehmen, so kann man nicht zur Versöhnung kommen über die Grenzen von politischen Parteien hinaus. Ich weiß nicht, warum Sie 17 Jahre lang das Thema immer wieder aufrufen, ohne auch in Ihre eigene Geschichte zu gehen, in Ihre eigene Verantwortung in der DDR zu gehen.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Sie müs- sen auch einmal die andere Seite be- trachten!)

Die Wenigsten bei Ihnen sind so jung, dass Sie dort nicht gelebt haben, dass sie dort nicht ein gelebtes Leben hatten, in dem sie ganz sicher auch, der eine oder andere, der eine mehr, der andere weniger, Verantwortung getragen haben und diese Verantwortung auch gelebt haben. Führen Sie doch die Diskussion mit uns! Lassen Sie uns doch darüber diskutieren, wie man solche Strukturen verhindern kann, dass sie nicht wieder zustande kommen. Sie sagen immer, die jetzigen Geheimdienstdiskussionen sind Diskussionen, die über die Medien transportiert werden. Das ist richtig. Trotzdem gibt es Erscheinungen, die bedenklich sind. Für mich ist es eine ganz bedenkliche Erscheinung, dass die Landesregierung und die CDU für sich das Thema „Opferrehabilitation“, die wir fordern, die wir wollen, die wir für richtig befinden, um deren Schwierigkeiten wir auch wissen, für sich beanspruchen. Es ist sehr schwierig für jemanden nachzuweisen, wo seine persönliche Biografie gebrochen wurde. Deshalb wollen wir auch keinen Schlussstrich, deshalb wollen wir auch keine Schließung der Akten, sondern wir wollen einen anderen Umgang mit den Akten. Das ist die Forderung, die wir haben. Wir wollen es nicht, wie es jetzt ist. Ich glaube, Sie sollten darüber nachdenken, ob Sie in jedem Falle in Ihrer politischen Betrachtung der Wirklichkeit tatsächlich Recht haben oder ob Sie nicht auch den Diskurs mit anderen wollen und auch andere Sichtweisen und Erfahrungen zumindest hören wollen, wenn Sie sie schon nicht akzeptieren können. Ich bitte Sie einfach darum, die Anträge zu überweisen. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Ich sehe jetzt keine weiteren Redeanmeldungen. Ich komme, wie eben noch einmal betont, zu den

Anträgen auf Ausschussüberweisung. Herr Abgeordneter Buse.

Frau Präsidentin, namens der Fraktion der Linkspartei.PDS beantrage ich neben den von Herrn Gentzel beantragten Ausschüssen auch die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Gleich- stellung wäre auch noch einer!)

Wir stimmen als Erstes darüber ab, den Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache 4/1986 an den Innenausschuss zu überweisen. Wer diesem folgt, bekundet das jetzt. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt keine Stimmenthaltungen, damit ist die Zahl der Gegenstimmen mehr als die der Fürstimmen. Die Ausschussüberweisung des Antrags ist abgelehnt.

Als nächstes stimmen wir über die Ausschussüberweisung des Antrags der Fraktion der SPD in Drucksache 4/2027 ab, auch hier an den Innenausschuss. Wer diesem folgen möchte, hebe die Hand. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Ja. Diese Überweisung ist auch abgelehnt.

Dann der Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/2028 an den Innenausschuss. Wer diesem zustimmt, hebe jetzt die Hand. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Enthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Damit ist auch diese Überweisung abgelehnt.

Als nächstes kommen wir zur Überweisung des Antrags der Fraktion der CDU in Drucksache 4/1986 an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Damit ist die Ausschussüberweisung an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten abgelehnt.

Als nächstes kommen wir zur Überweisung des SPD-Antrags in der Drucksache 4/2027 an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Damit ist auch mit einer Mehrheit von Gegenstimmen diese Aus

schussüberweisung abgelehnt.

Wer den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/2028 an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten überweisen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Damit ist auch mit einer Mehrheit diese Ausschussüberweisung abgelehnt.

Wir kommen nun zur Antragsüberweisung des CDUAntrags in Drucksache 4/1986 an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es Stimmenthaltungen? Da es keine Stimmenthaltungen gibt, ist mit Mehrheit die Ausschussüberweisung abgelehnt.

Als nächstes kommen wir dazu, den Antrag der Fraktion der SPD in Drucksache 4/2027 an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit zu überweisen. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Damit hat eine Mehrheit die Antragsüberweisung abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung darüber, dass der Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in Drucksache 4/2028 an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit überwiesen wird. Wer dem zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte. Danke schön. Gibt es hier Stimmenthaltungen? Stimmenthaltungen gibt es nicht. Damit ist diese Ausschussüberweisung auch abgelehnt.

Alle Ausschussüberweisungen sind abgelehnt worden.

(Zwischenruf Abg. Schröter, CDU: Ge- schäftsordnungsantrag.)

So kommen wir nun direkt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache 4/1986. Herr Abgeordneter Schröter bitte.

Namens der Fraktion beantrage ich namentliche Abstimmung.

Das habe ich mir fast gedacht. Wir werden also jetzt über diesen Antrag der Fraktion der CDU namentlich abstimmen und ich bitte darum, dass die Schrift

führer die Stimmkarten einsammeln.

Ich nehme an, dass jeder die Möglichkeit hatte die Stimmkarten abzugeben. Ich bitte darum, dass ausgezählt wird.

Mir liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vor. In der Abstimmung zum Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache 4/1986 wurden 85 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 44, mit Nein haben 41 gestimmt, es gab keine Stimmenthaltungen. Der Antrag ist damit mehrheitlich angenommen (nament- liche Abstimmung siehe Anlage).

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 10 in seinen drei Teilen und wir kommen zurück in die laufende Tagesordnung. Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4

Kultur ins Grundgesetz Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drucksache 4/1965 -

Die Fraktion der Linkspartei.PDS hat angezeigt, dass der Abgeordnete Blechschmidt die Begründung übernimmt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, in Replik der zurückliegenden Diskussion, aber auch anderer Diskussionen in diesem Haus und im Übergang zu diesem Thema ist mir folgender Gedanke und Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss aus einem Artikel Anfang der 50er-Jahre „Kräfte und Grenzen einer Kulturpolitik“ eingefallen, der da lautet: „Mit Politik kann man keine Kultur machen, vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.“ In Vorbereitung meiner Einbringungsrede hat sich der Grad der Hoffnung, dass viele Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen, was den Inhalt zu Fragen der Kultur angeht, vorhanden sein müssten in diesem Saal, gesteigert - nicht nur, weil natürlich eine Großzahl der Abgeordneten immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, sich für Kultur, egal ob Theater, Museen, Bibliotheken, Konzerte etc. pp., einzusetzen, nein, sondern weil die Erkenntnis auch Fuß gefasst hat in diesem Haus, dass Kultur existenzieller Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens ist.

Meine Damen und Herren, Zitat: „Deutschland, das Land der Dichter und Denker, die Heimat von Beethoven und Bach, ohne ein staatliches Bekenntnis zur Kultur - undenkbar? Nein! Die Mütter und Väter unserer Verfassung haben dem Staat viele Ziele ins Grundgesetz geschrieben; zuletzt wurde der Schutz der Tiere und der Natur aufgenommen. Aber Schutz

und Förderung von Kultur als unserer ideellen Lebensgrundlage sind nicht positiv verankert, und das, obwohl Deutschland sich immer als Kulturstaat verstanden hat. Zu Recht, denn Kunst und Kultur sind Teile unserer Identität. Unsere gemeinsame Kultur hat die Deutschen in den Zeiten der Teilung über Mauer und Stacheldraht hinweg als Einheit verbunden. Wir begreifen Kunst und Kultur als unverzichtbar für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Sollten wir dann nicht das Bekenntnis, ein Kulturstaat zu sein, in unserer Verfassung zum Ausdruck bringen...? Diese Frage wird seit 1981 debattiert. Die Mitglieder der letzten Enquetekommission ‚Kultur in Deutschland’ haben sie mit Ja beantwortet. Sie empfahlen nach langer Beratung einstimmig, das Grundgesetz um einen Artikel 20 b ‚Der Staat schützt und fördert die Kultur.’ zu ergänzen.“ Ende des Zitats.

Dies, meine Damen und Herren, ist ein Teil des Redebeitrags der Abgeordneten Gitta Connemann, CDU/CSU, zu der Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes, Staatsziel Kultur, im Deutschen Bundestag am Freitag, dem 10. März 2006. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen, zumindest nicht im Rahmen der Begründung, aus zeitlichen Gründen. Dennoch, meine Damen und Herren Abgeordneten, die Fraktion der Linkspartei.PDS im Thüringer Landtag hat mit der Drucksache 4/1965 einen Antrag in den Thüringer Landtag eingebracht, der der Empfehlung der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ aus dem Jahr 2005 ausdrücklich folgt. Wir fordern die Landesregierung damit auf, sich gegebenenfalls mit einer Bundesratsinitiative für eine entsprechende Gesetzesänderung einzusetzen, dies auch und besonders als ein Bundesland mit umfangreicher historischer und nachhaltiger Kulturtradition.

Zum Schluss noch einmal die Bundestagsabgeordnete Frau Connemann, ich zitiere: „Meine Damen und Herren, das Einzige, was von einer Gesellschaft bleibt, ist ihre Kultur. Sollte sie uns deshalb nicht eines besonderen Schutzes wert sein? Ich glaube, ja. Deshalb bitte ich Sie inständig...: Lassen Sie uns gemeinsam überzeugen, lassen Sie uns gemeinsam beraten, und zwar für die Aufnahme von Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz.“

Meine Fraktion und ich, meine Damen und Herren, glauben dies auch. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Damit eröffne ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Als erster Redner hat das Wort Abgeordneter Döring, SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! „Wo Kultur wegbricht, wird Platz frei für Gewalt.“ Dieser Satz von August Everding macht deutlich, Kultur ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Lebens. Sie befähigt zur Kommunikation, fördert Identitätsstiftung und ist damit eine wesentliche Voraussetzung für die Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Das kulturelle Leben ist Gradmesser für den geistigen Reichtum unseres Gemeinwesens und kulturelle Traditionen stiften Identität auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene.

Meine Damen und Herren, Kulturförderung ist keine Subvention, sondern Investition in die Zukunft. Diese Feststellung aus dem Koalitionsvertrag von SPD und CDU verstehe ich in erster Linie als Selbstverpflichtung, ein Angebot an kulturellen Leistungen und kultureller Bildung sicherzustellen, das sowohl kulturellen Qualitätsansprüchen genügt als auch eine breite Teilhabe ermöglicht. Dabei dürfen wir die Augen vor der kulturpolitischen Wirklichkeit nicht verschließen. So bleibt die Situation der notleidenden Museen, Theater, Chöre, Orchester, Musik- und Kunstschulen, Bibliotheken und anderen kulturellen Einrichtungen kritisch. Der Einsparungsdruck lastet seit Jahren auf der Kulturfinanzierung. Die Finanznot der öffentlichen Haushalte führt nur allzu oft dazu, dass Kulturausgaben erheblich gekürzt werden. Wir haben genau dieses Problem hier im Hause nicht nur in den letzten Haushaltsdebatten immer wieder intensiv diskutiert. Auch wenn es dabei gelang, viele Institutionen gerade noch zu erhalten, eine dauerhafte Sicherung bedeutet dies noch lange nicht. Und es ist zu befürchten, dass uns noch schwierigere Umstrukturierungen ins Haus stehen, hinter denen sich tiefe Einschnitte in die Kulturlandschaft unseres Freistaats verbergen.

Meine Damen und Herren, was liegt in einer solchen Situation näher, als den Blick darauf zu richten, wie die kulturellen Einrichtungen vor einem weiteren Niedergang bewahrt werden können? Eine mögliche Antwort lautet: Wir brauchen eine neue Übereinkunft über den Stellenwert der Kultur in der Gesellschaft. Der Staat und seine Bürger müssen sich in gemeinsamer Verantwortung vergewissern, welche Ressourcen sie dabei zur Verfügung stellen wollen. Eine Staatszielbestimmung Kultur kann dabei sehr hilfreich sein. „Sie würde die kulturellen Aufgaben des Staates gleichgewichtig neben den sozialen und umweltbezogenen im Grundgesetz verankern und damit das Gewicht der Kultur auf Verfassungsebene eindeutig erhöhen.“, so Friedhelm Hufen, Professor für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Mainz.

Meine Damen und Herren, natürlich muss sich ein jeder darüber im Klaren sein, dass eine Veranke

rung als Staatsziel nicht bedeutet, dass auf einmal mehr Geld für Kultur zur Verfügung steht. Aber es wäre ein deutliches Signal des Staates an alle, die sich in der und für die Kultur engagieren. Die Verankerung der Kultur als Staatsziel unterstreicht die Verantwortung des Staates, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu schützen und die Kultur zu fördern. Bei einem Staatsziel Kultur handelt es sich um ein qualifiziertes Abwägungsgebot für alle staatlichen Ebenen und muss von denen, die die Entscheidungskompetenz haben, angewendet werden. Diese Selbstbindung des Staates wäre ein gewichtiges Argument, wenn es um den Stellenwert der Kultur in politischen und juristischen Entscheidungsprozessen geht.

Meine Damen und Herren, um einen möglichen Einwand gleich aufzugreifen und zu entkräften: Auch das Kompetenzgefüge von Bund und Ländern ist die Ergänzung des Grundgesetzes um ein Staatsziel Kultur ohne Auswirkung. Staatszielbestimmungen sind föderalismusneutral. Sie wirken einzig als Direktiven und Abwägungsschranken; die Kulturhoheit der Länder wird dadurch also nicht berührt. Eine Verstärkung der kulturbezogenen Bundeskompetenzen und ein Eingriff in die kulturelle Selbstgestaltungskompetenz der Kommunen sind damit also nicht verbunden. Und um es noch an einem anderen Beispiel deutlich zu machen: In Artikel 7 Abs. 1 Grundgesetz heißt es: „Das gesamte Schulwesen steht unter Aufsicht des Staates.“ Niemand ist bisher auf die Idee gekommen, in dieser mit Verfassungsrang ausgestatteten Bestimmung einen Verstoß gegen die Kulturhoheit der Länder zu sehen.

Meine Damen und Herren, die Frage, ob ein Staatsziel Kultur Verfassungsrang erhalten soll, wird in der Bundesrepublik seit 25 Jahren im politischen Raum diskutiert. In diesem Zusammenhang steht nicht zuletzt die vom Bundestag eingesetzte Enquetekommission „Kultur in Deutschland“, die im Jahr 2003 ihre Arbeit aufgenommen hat. Zu ihren ersten Ergebnissen gehört der einstimmige, von allen Bundestagsfraktionen mitgetragene Vorschlag, Kultur als Staatszielbestimmung ins Grundgesetz aufzunehmen. Es bestand zudem sowohl bei der CDU als auch bei der SPD der Wunsch, dieses Vorhaben im Koalitionsvertrag der großen Koalition zu verankern. Dass die Koalition die Staatszielbestimmung dann doch nicht in den endgültigen Vertragstext mit übernahm, lag vor allem daran, dass man die Länder nicht so schnell ins Boot bekam, die ja letztendlich im Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit einer entsprechenden Verfassungsänderung zustimmen müssen. Deshalb, denke ich, kommt es jetzt darauf an, wie sich die Bundesländer zur Aufnahme einer Kulturklausel in das Grundgesetz stellen. Ein eindeutiges Votum des Landes Thüringen wäre dabei auch deshalb sehr hilfreich, weil ja im Bundestag seit Anfang dieses Jahres über einen Gesetzentwurf beraten wird, der genau die von der

Enquetekommission vorgeschlagene Grundgesetzverankerung eines Staatsziels Kultur zum Inhalt hat.

Meine Damen und Herren, die Aufnahme der Staatszielbestimmung Kultur in das Grundgesetz ist unter Experten auch im politischen Bereich unstrittig. Dass sich auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann dafür ausgesprochen hat, ist deshalb nur folgerichtig. So viel Einmütigkeit ist im politischen Raum ja nun wahrlich selten. Das Land Thüringen sollte sich daher ebenfalls für ein Staatsziel Kultur mit Verfassungsrang stark machen. „Wer ein Ziel will, darf den Weg nicht scheuen“, so Theodor Fontane. Eine Zustimmung zum vorliegenden Antrag kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Staatsziel Kultur sein. Ich danke Ihnen.