Protocol of the Session on January 29, 2009

(Beifall CDU)

Die Fraktionen sind übereingekommen, die Beratung dieses Tagesordnungspunkts ohne Aussprache durchzuführen. Wird Ausschussüberweisung beantragt? Bitte, Abgeordneter Schröter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, namens der CDUFraktion beantrage ich die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit federführend und mitberatend an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Wir stimmen über diesen Antrag ab. Wer für die Überweisung an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen diese Überweisung, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich

der Stimme? 1 Stimmenthaltung. Damit ist dieser Antrag an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit überwiesen worden.

Wer für die Überweisung des Gesetzentwurfs der Landesregierung an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist gegen diese Überweisung, den bitte ich um das Handzeichen. Wer enthält sich der Stimme? Keine Stimmenthaltung, keine Gegenstimme. Damit ist der Gesetzentwurf an den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten überwiesen.

Wir stimmen über die Federführung ab. Es ist beantragt, dass der Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit die Federführung hat. Wer für die Federführung dieses Ausschusses ist, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Wer ist dagegen? Wer enthält sich der Stimme? Keine Gegenstimme, keine Stimmenthaltung. Damit ist der Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit federführend mit der Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung in Drucksache 4/4774 beauftragt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 5

Thüringer Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft (Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetz - ThürUVollzG -) Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 4/4803 - ERSTE BERATUNG

Wünscht die Landesregierung das Wort zur Begründung? Bitte, Frau Ministerin Walsmann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, der Regierungsentwurf eines Thüringer Gesetzes über den Vollzug der Untersuchungshaft, den wir heute hier erörtern, enthält die gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Untersuchungshaft in Thüringen. Die Zuständigkeit für die Gesetzgebung in diesem Bereich ist mit der Föderalismusreform vom Bund auf die Länder übergegangen. Damit haben die Länder zum ersten Mal die Chance, den Vollzug der Untersuchungshaft selbstständig gesetzlich zu regeln. Entsprechende Versuche des Bundes waren in den vergangenen Jahren zwar mehrfach unternommen worden, aber aus den verschiedensten Gründen nie über das Stadium von Entwürfen hinausgekommen, obwohl die Justizministerkonferenz und andere Fachleute dies wiederholt gefordert hatten. Der Bund hatte den Untersuchungshaftvollzug bisher nicht in einem eigenen Gesetz, sondern nur bruchstückhaft in wenigen

Einzelbestimmungen geregelt, die zudem über mehrere Gesetze verstreut sind. Einige Bestimmungen findet man in der Strafprozessordnung, andere im Strafvollzugsgesetz und wieder andere stehen im Jugendgerichtsgesetz. Ich halte diesen Rechtszustand für verfassungsrechtlich unbefriedigend und bin auch der Meinung, dass es der kriminalpolitischen Bedeutung des Untersuchungshaftvollzugs nicht gerecht wird. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Untersuchungshaftvollzug auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Für uns ist es deshalb wichtig, länderübergreifend weitgehend einheitliche Standards sicherzustellen, nicht zuletzt um die notwendige reibungslose Zusammenarbeit auf diesem Gebiet nicht zu gefährden. Deshalb hatten wir im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aus insgesamt 12 Bundesländern mit dem Ziel ins Leben gerufen, unter der gemeinsamen Federführung von Thüringen und Berlin einen Musterentwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz zu erarbeiten. Der Entwurf des Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetzes, der Ihnen heute vorliegt, beruht auf dem gemeinsamen Musterentwurf der 12-Länder-Arbeitsgruppe, dem sogenannten Erfurter Entwurf, den meine Kollegin von der Aue und ich am 3. November 2008 in Berlin vorgestellt haben.

Nach der erfolgreichen Zusammenarbeit beim Jugendstrafvollzug ist der Untersuchungshaftvollzug der zweite große Bereich, in dem mehrere Länder unter der Federführung Thüringens und Berlins einheitliche Regelungsinhalte festlegen. Thüringen ist nunmehr das erste Land der Arbeitsgruppe, in welchem die parlamentarische Beratung begonnen hat. Eine besondere Herausforderung bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs bestand darin, die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern korrekt und sauber voneinander abzugrenzen. Nach der Föderalismusreform ist nur die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs Ländersache, während das gerichtliche Verfahren, insbesondere das Strafverfahrensrecht und das Untersuchungshaftrecht nach wie vor Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes geblieben ist. Die Bundesregierung hat dem Bundesrat am 7. November 2008 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungshaftrechts zugeleitet. Danach sollen ab dem 1. Januar 2010 nur noch die zur Sicherung des Strafverfahrens erforderlichen Beschränkungen und der Rechtsweg gegen gerichtliche und behördliche Maßnahmen in der Untersuchungshaft bundesrechtlich geregelt werden. Bundesrechtliche Regelungen zum Untersuchungshaftvollzug wird es ab 2010 nicht mehr geben. Für uns war dies eine zusätzliche und natürlich besondere Herausforderung, denn wir mussten dafür Sorge tragen, dass die von der Bundesregierung geplante Änderung der Strafprozessordnung zur Untersuchungshaft und dieser Entwurf eines Untersuchungshaftvollzugsgesetzes

kompatibel sind. Es darf nämlich keine Grauzone zwischen Untersuchungshaftrecht und Untersuchungshaftvollzugsrecht entstehen. Dieser Spagat, meine ich, ist uns gelungen. Wir haben die Bundesregierung dazu bewegen können, im Untersuchungshaftrecht keine standardmäßigen Beschränkungen für Untersuchungsgefangene vorzusehen. Vielmehr soll das Gericht jede einzelne Beschränkung einer Prüfung unterziehen, bevor es sie anordnet.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Untersuchungshaftrecht fügt sich nunmehr fast passgenau in die Regelungen des Entwurfs zum Thüringer Untersuchungshaftvollzugsgesetz ein. Werden beide Gesetze zügig verabschiedet, was ich hoffe, wird es in Thüringen bereits ab 1. Januar 2010 eine lückenlose gesetzliche Regelung des gesamten Rechtsbereichs zur Untersuchungshaft geben.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, bei den Arbeiten am Entwurf haben wir uns vor allem an vier Leitlinien orientiert:

1. Der Regierungsentwurf ist geprägt von dem zentralen Gedanken, dass die Aufgabe des Untersuchungshaftvollzugs allein darin besteht, den in den Haftgründen Flucht, Fluchtgefahr, Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr zum Ausdruck kommenden Gefahren entgegenzuwirken. Wir haben daher bewusst kein Ziel des Untersuchungshaftvollzugs festgelegt, sondern in § 2 lediglich dessen Aufgabe bestimmt. Sie besteht allein darin, durch sichere Unterbringung der Untersuchungsgefangenen die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen. Einen Behandlungsauftrag wie im Strafvollzug kann der Untersuchungshaftvollzug naturgemäß nicht haben.

2. Die gesamte Gestaltung des Vollzugs der Untersuchungshaft muss von der Unschuldsvermutung geprägt sein. Dies bedeutet, über den Freiheitsentzug hinausgehende Beschränkungen müssen so gering wie möglich ausfallen. Das bedeutet weiter, dass bereits der Anschein vermieden werden muss, die Untersuchungsgefangenen säßen etwa zur Verbüßung einer Strafe ein. Untersuchungsgefangene und Strafgefangene sind daher grundsätzlich getrennt unterzubringen. Allerdings darf sich die Unschuldsvermutung nicht zulasten der Untersuchungsgefangenen auswirken und ihre faktische Schlechterstellung gegenüber den Strafgefangenen muss ein Ende haben. Deshalb sollen Untersuchungsgefangene, ohne dazu verpflichtet zu sein - das möchte ich betonen -, geeignete Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten wahrnehmen können. Die Entlohnung der Untersuchungsgefangenen wird auf das Niveau der Strafgefangenen angehoben. Nach dem Regierungsentwurf erhalten sie auch eine entsprechende Aus

bildungsbeihilfe, wenn sie während der Arbeitszeit an einer Bildungsmaßnahme teilnehmen.

3. Wir haben im Regierungsentwurf die Zuständigkeiten für die Ausgestaltung des Vollzugs und für die Angelegenheiten der Sicherheit und Ordnung neu bestimmt. Es soll nicht mehr das Gericht, sondern vielmehr die Anstalt als die sachnähere Behörde umfassend für alle vollzuglichen Entscheidungen zuständig sein. Das führt zu einer Vereinfachung und Beschleunigung der vollzuglichen Verfahren und zugleich zu einer Entlastung der Gerichte, die nunmehr keine vollzuglichen Entscheidungen mehr treffen müssen und sich voll und ganz auf das Strafverfahren konzentrieren können. Die Anstalt kann nach dem Regierungsentwurf auch selbstständig Disziplinarmaßnahmen und besondere Sicherungsmaßnahmen anordnen, soweit der Grund für die Anordnung rein vollzuglicher Natur ist. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, weil das Grundgesetz keinen Richtervorbehalt für die Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs vorsieht.

4. Der Regierungsentwurf gibt der Anstalt kein Recht zur Anordnung von Beschränkungen gegenüber Untersuchungsgefangenen aus Gründen des gerichtlichen Verfahrens. Die individuellen Einschränkungen nach Maßgabe der Strafprozessordnung können und müssen im Einzelfall vor Gericht oder von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden. Da die Anstalt derartige verfahrenssichernde Anordnungen allerdings häufig durch vollzugliche Entscheidungen umsetzen muss, sieht der Entwurf dafür an verschiedenen Stellen Ermächtigungsgrundlagen vor. Man erkennt sie an der Formulierung, wenn es zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung erforderlich ist, z.B. in § 12 Abs. 3 und in § 15 Abs. 5. Soweit das Gesetz eine solche Formulierung nicht enthält, dürfen den Untersuchungsgefangenen nur Beschränkungen auferlegt werden, die zur Aufrechterhaltung der Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt oder zur Umsetzung einer verfahrenssichernden Anordnung unerlässlich sind - das finden Sie in § 4 Abs. 2.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich kann Ihnen hier leider nicht den materiellen Inhalt des Regierungsentwurfs in allen Einzelheiten vorstellen, ich glaube, das möchten Sie jetzt auch gar nicht, weil es die heutige Tagesordnung sprengen würde. Ich werde mich deshalb auf sechs Kernpunkte noch mal konzentrieren und beschränken.

Die Untersuchungsgefangenen sind während der Ruhezeit einzeln unterzubringen. Die Einzelunterbringung dient dem Schutz der Intim- und Privatsphäre und nicht zuletzt auch dem Schutz vor wechselseitigen Übergriffen. Da sind wir schon bei Nummer 2. Die Besuchsregelungen für Untersuchungsgefange

ne werden deutlich erweitert. Die Mindestbesuchsdauer für erwachsene Untersuchungsgefangene wurde von bisher einer Stunde auf zwei Stunden im Monat erweitert. Der Kontakt zu Angehörigen wird besonders gefördert. Besuche sollen darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie persönlichen, rechtlichen oder geschäftlichen Angelegenheit dienen, die nicht schriftlich erledigt, durch Dritte wahrgenommen oder bis zur voraussichtlichen Entlassung aufgeschoben werden können. Als dritter Punkt in § 6 wird die Bedeutung der sozialen Hilfe hervorgehoben. Obgleich die Untersuchungsgefangenen ihre Angelegenheiten grundsätzlich eigenverantwortlich regeln, wollen wir sie bei der Lösung ihrer persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten nicht allein lassen. Im Interesse einer effektiven Hilfe sieht der Entwurf vor, dass die Anstalten mit außervollzuglichen Einrichtungen und Organisationen eng zusammenarbeiten.

Vierter Schwerpunkt: Der Entwurf greift auch den Gedanken der Untersuchungshaftvermeidung auf. Oftmals befinden sich Beschuldigte nur deshalb in Untersuchungshaft, weil sie keinen festen Wohnsitz nachweisen können. Die Beratung durch die Anstalt soll deshalb auch die Benennung von Stellen und Einrichtungen außerhalb der Anstalt umfassen, die hier Hilfe anbieten können. Ob dadurch die Dauer der Untersuchungshaft verkürzt wird, kann natürlich nur das Gericht und nicht die Anstalt entscheiden. Die Anstalt hat den Untersuchungsgefangenen - sofern sie dies wünschen - auch bei ihren Bemühungen um einen Täter-Opfer-Ausgleich zu unterstützen.

Als fünften Kernpunkt: Der Regierungsentwurf räumt bedürftigen Untersuchungsgefangenen erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf Taschengeld ein. Wir wollen verhindern, dass die Untersuchungsgefangenen ohne jegliche finanzielle Mittel zur Befriedigung privater Bedürfnisse dastehen und dadurch in subkulturelle Abhängigkeiten von anderen Gefangenen geraten, weil dies nicht zuletzt auch die Sicherheit der Anstalt gefährdet.

Und last, but not least: Der Vollzug der Untersuchungshaft an jungen Untersuchungsgefangenen wurde durch die Aufnahme eines Achten Abschnitts in den Entwurf integriert und konsequent am Erziehungsgedanken ausgerichtet. Als junge Untersuchungsgefangene gelten Gefangene unter 24 Jahre, die zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Dabei ist vorgesehen, dass junge Untersuchungsgefangene grundsätzlich getrennt von den übrigen Gefangenen untergebracht werden. Die Erziehung steht bei der Gestaltung des Untersuchungshaftvollzugs an jungen Untersuchungsgefangenen im Vordergrund. Wegen der Unschuldsvermutung darf die Erziehung allerdings nicht auf eine

Auseinandersetzung mit dem Tatvorwurf gerichtet sein. Erziehung in der Untersuchungshaft bedeutet, dass die jungen Untersuchungsgefangenen in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit unterstützt und angeleitet werden, aber nicht die Tat aufgearbeitet wird.

Nur wenn geklärt ist, welcher Erziehungs- und Förderbedarf besteht, können sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden. Deshalb ist schon bei der Aufnahme der Förder- und Erziehungsbedarf der jungen Untersuchungsgefangenen zu ermitteln; das finden Sie in § 69 des Entwurfs.

Jungen Untersuchungsgefangenen sollen neben altersgemäßen Bildungs-, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten sonstige entwicklungsfördernde Hilfen angeboten werden. Solche Hilfestellungen haben zwar nur Angebotscharakter, die Anstalt hat aber darauf hinzuwirken, dass die jungen Untersuchungsgefangenen von den Angeboten möglichst Gebrauch machen.

Bei den Besuchsregelungen werden junge Untersuchungsgefangene gegenüber den übrigen Untersuchungsgefangenen privilegiert. Ihnen werden - genauso wie den Jugendstrafgefangenen - mindestens vier Stunden Besuch im Moment gewährt.

Auch beim Sport wird der Standard aus dem Jugendstrafvollzugsgesetz beibehalten, soweit dies im Rahmen der Vollzugsaufgabe möglich ist.

Damit will ich es bei den einleitenden Ausführungen im Rahmen der ersten Lesung bewenden lassen. Detaillierte Einzelfragen können wir sicher im Ausschuss noch eingehend erörtern. Ich darf mich bedanken.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Hauboldt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Ministerin, ich hätte durchaus gern noch die Zahlen vernommen, aber ich denke, wir haben umfassend die Möglichkeit im Ausschuss, die einzelnen Dinge zu besprechen. Sie gestatten mir die Bemerkung, Sie haben ja sich heute meiner Mündlichen Anfrage zum Untersuchungshaftgesetz entzogen und deshalb den Regierungsentwurf befördert, aber das ist okay. Wir haben ja angemahnt, es rechtzeitig zu tun, deshalb nehmen wir das so zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren, durch die Föderalismusreform sind nun die Länder für das Recht über den

Vollzug der Untersuchungshaft zuständig. Wir als Fraktion DIE LINKE haben in diesem Zusammenhang wieder auf die negativen Auswirkungen hingewiesen, die diese Rechtszersplitterung zwischen den Ländern im Bereich des Justizvollzugs als Untersuchungshaft, Strafvollzug, Jugendstrafvollzug haben kann. Eine Reihe von Bundesländern haben diese Gefahren erkannt und darauf aufmerksam gemacht und daher schon einen gemeinsamen Entwurf zum Jugendstrafvollzug erarbeitet. Aber ob mit dieser Arbeitsgruppentechnik die Gefahr der Rechtszersplitterung wirklich für die Zukunft gebannt ist, wird erst die praktische Anwendung der Vorschriften, der weitere Umgang der Länder mit den Regelungen zeigen. Wir würden uns hier als Fraktion auch nach Abschluss der Phase der Gesetzeserarbeitung eine enge und dauerhafte Koordination zwischen den Bundesländern wünschen. Sie haben in Ihrem Redebeitrag, Frau Ministerin, durchaus darauf aufmerksam gemacht. Thüringen lehnt sich auch an den Musterentwurf an - das ist okay so. Die Tatsache, dass uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erstmals ein in sich geschlossenes, strukturiertes und detailliertes gesetzliches Regelwerk für den Vollzug der Untersuchungshaft vorliegt, ist durchaus positiv zu bewerten. Jedoch, wir finden sicherlich den Wehrmutstropen und sehen eine Reihe von Regelungspunkten sehr kritisch - dazu später im Einzelnen mehr. Ein Untersuchungshaftgesetz muss mit Blick auf folgende rechtliche und damit gesellschaftspolitische Tatsachen bewertet werden. Die Untersuchungshaft ist eine der einschneidendsten Repressionsmaßnahmen, die dem Staat zur Verfügung stehen. Sie ist eine Form länger dauernden Freiheitsentzugs. Sie wird allein zur Sicherung des ungehinderten Fortgangs des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens vollzogen. Grundlage ist nicht wie bei der Strafhaft eine rechtskräftige Verurteilung, Haftgrund ist eine Gefahrenprognose, das vom Betroffenen eine Flucht oder Handlung zu erwarten ist, die die weitere Aufklärung einer Straftat erschwert. Dabei kann sich letztendlich herausstellen, dass der von der Untersuchungshaft Betroffene gar nichts mit der Straftat zu tun hat, in deren Zusammenhang das Ermittlungsverfahren geführt wird. Untersuchungsgefangene sind Menschen, für die die Unschuldsvermutung - auch das haben Sie hier benannt, Frau Ministerin - gilt. In zahlreichen Fällen stellt sich bei Untersuchungsgefangenen dann nach Abschluss der Ermittlung heraus, dass sie tatsächlich unschuldig sind. Mit der Untersuchungshaft bewegt sich daher die Justiz in einem schwierigen praktischen Abwägungsprozess zwischen Schutz der Grundrechte und Sicherheitsinteressen des Staates. Unseres Erachtens müssen dabei die Grundrechte der Betroffenen so weitgehend wie möglich gewahrt werden. Alles andere käme einer faktischen, aber einer verfassungsrechtlich unzulässigen Vorverurteilung gleich. Dass diese Gratwanderung in der Praxis in zahlreichen Fäl

len misslingt, zeigt nicht nur die Tatsache, dass Fragen der Zulässigkeit der U-Haft oder von konkreten Maßnahmen in der U-Haft immer wieder sogar bis nach Karlsruhe vordringen und die Bundesverfassungsrichter in nennenswerter Anzahl wegen Grundrechtsverstößen Entscheidungen wieder aufheben. Da geht es beileibe nicht nur um den spektakulären Fall einer acht Jahre dauernden Untersuchungshaft, der 2005 Furore machte. Vor dem Hintergrund dieser Standpunkte und Fakten sehen wir als Fraktion DIE LINKE beim vorliegenden Gesetzentwurf für die Beratung im Justizausschuss, das darf ich hier benennen, insbesondere folgende Diskussions- und Problempunkte: Wenn die Unschuldsvermutung gerade im Rahmen der Untersuchungshaft gilt, ist es mehr problematisch, bei den Aufgabendefinitionen in § 2 zu formulieren, auch das haben Sie hier schon angesprochen: „und der Gefahr weiterer Straftaten zu begegnen.“. Wenn den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegengewirkt werden soll, ist es schwer nachvollziehbar, warum im Gesetzentwurf Fragen der sozialen Begleitung und Unterstützung leider nur in sehr allgemeiner Art und Weise angesprochen werden. Hier müssen die Aufgaben der gerade auch öffentlich Beteiligten im Rahmen der Tätigkeit des sozialen Auffangnetzes für die U-HaftBetroffenen stärker benannt werden.

Taschengeldanspruch schön und gut; Vorrang sollte aber die schnelle Gewährung regulärer sozialer Leistungen haben, z.B. auf Vorschussbasis. Hilfe zur Selbsthilfe wird in dieser existenziellen Situation für die U-Haft-Gefangenen nicht der einzig gangbare, nicht einmal der vorrangig gangbare Weg sein. Das Gesetz weist an wichtigen Stellen leider auch nach unserer Auffassung ärgerliche und angesichts der Realität im Thüringer Strafvollzug gefährliche Generalklauseln auf, so bei den Trennungsgrundsätzen. In der Theorie wird in § 11 Abs. 1 Satz 1 die Einzelunterbringung festgelegt, zwei Sätze weiter wird in dem Verweis auf die geringe Anzahl von U-Haft-Gefangenen die Abweichung von der Einzelunterbringung erlaubt. Angesichts der Tatsache der fortdauernden Überbelegungsproblematik - dazu ist in dem Ausschuss auch schon mehrfach etwas gesagt worden, als es um Jugendstrafvollzug ging - und der Tatsache, dass es 2008 im Durchschnitt 250 Untersuchungshäftlinge in Thüringen gab, ist die Gefahr groß, dass es nicht zur Verwirklichung eben dieses so hehren Grundsatzes kommt. Die Einzelunterbringung ist aber wichtig, damit sich die Betroffenen möglichst ungestört auf ihr Verfahren vorbereiten können. Die Gefahr der faktischen Aushöhlung dieser Vorgabe könnten höchstens noch durch die Festlegung der zentralen Zuständigkeit von 1 oder 2 Vollzugsanstalten für den Untersuchungshaftvollzug gebannt werden.

Die Problematik wiederholt sich noch einmal in § 13. Diese Abweichung des Grundsatzes der getrennten Unterbringung gibt es auch für den Bereich der jugendlichen U-Häftlinge, wobei mit Blick auf Fürsorgepflichten die strikte Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen besonders wichtig ist. Ebenso zu diskutieren ist die sehr dehnbare Vorschrift für die Festlegung der Belegungsgrenzen von Hafträumen.

Mit Blick auf die Funktionen der Untersuchungshaft als staatliche Repressionsmaßnahme und die Geltung der Unschuldsvermutung müssen nach Ansicht meiner Fraktion auch zahlreiche Vorschriften zur Kostenbeteiligung und gänzlichen Kostenübernahme zulasten der Untersuchungshäftlinge überprüft werden, angefangen bei der Gesundheitsfürsorge. Die Einräumung des Rechts auf Arbeit und Beschäftigung in der Anstalt während der Haft ist ja auch schön und gut, aber die Vorbereitungen und die Aufarbeitung auf das Strafverfahren und währenddessen darf nicht darunter leiden. Außerdem könnte die Umsetzung dieses Anspruchs schwierig werden, da bekanntermaßen zurzeit jetzt schon oder nur 60 Prozent der Strafgefangenen eine Beschäftigung haben und die verbleibenden 40 Prozent sind sicherlich nicht alle beschäftigungsuntauglich oder auch beschäftigungsunwillig.

Auffällig ist, dass trotz der besonderen Funktionen und Umstände der Untersuchungshaft der Katalog der Repressionsmaßnahmen sehr umfangreich ist und dem, was in der normalen Strafhaft möglich ist, sehr nahe kommt oder gar deckungsgleich ist. Hinzu kommt, dass nun für die Anordnung solcher Maßnahmen nicht mehr das Gericht, sondern die Anstalt selber zuständig sein soll. Hinzu kommt die Erschwerung für die Betroffenen, dass für die Selbstmaßnahmen das Landesrecht angewendet wird. Der Rechtsschutz dagegen wird aber weiterhin Sache des Bundesrechts sein. Das Beschwerderecht - im Landesrecht der § 65 - ist zu wenig konkret gefasst. Auch finden wir als Fraktion DIE LINKE enttäuschend, aber bezeichnend, dass es die Landesregierung wie schon beim Jugendstrafvollzugsgesetz unterlässt, die Funktion eines Strafvollzugsbeauftragten als Ombudsstelle zu schaffen. Die europäischen Bestimmungen verlangen ja eine solche unabhängige Beschwerdeinstanz schon für die normale Strafhaft, dann wäre sie doch erst recht für die grund- und menschenrechtlich viel problematischere Untersuchungshaft angesagt.

Wir als Fraktion werden da, wie schon in unserem Gesetzentwurf zum Jugendstrafvollzugsgesetz, einen entsprechenden Regelungsvorschlag im Rahmen eines Änderungsantrags unterbreiten. Es gibt einige Regelungen mit deutlich grundrechtlichem Problempotenzial, so die Möglichkeit, jemanden von Gottesdiensten und vergleichbaren religiösen Ver

anstaltungen auszuschließen in § 30 zum Beispiel. Wo bleibt hier nach unserer Auffassung das Grundrecht auf Glaubensfreiheit? Zum anderen die Befugnis der Anstalt, Schreiben anzuhalten, wenn sie kritische Äußerungen zu den Zuständen in der Anstalt enthalten und dem Schreiben des Untersuchungshäftlings eine Gegendarstellung der Anstalt beizugeben, so zu lesen in § 39. Gilt, meine Damen und Herren, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nur für Untersuchungsgefangene mit dem korrekten Weltbild? Was man auch immer in diesem Zusammenhang unter „korrekt“ dann verstehen möchte, wir werden die Möglichkeit haben, dies zu diskutieren. Hinsichtlich der besonderen Situation jugendlicher Untersuchungsgefangener bringt der weitgehende Verweis auf das Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz all die offenen Problempunkte dieses Gesetzes in das auf Jugendliche anwendbare Untersuchungshaftrecht. Es gelten die gleichen exzessiven Disziplinarmaßnahmen statt Methoden konsensualer Streitschlichtung. Entgegen den Vorgaben der UNO ist sogar der Einsatz von Schusswaffen erlaubt. Die soziale Einbettung ist aus unserer Sicht nicht ausreichend genug gesichert. So weit der Blick auf einige exemplarische Problempunkte zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung. Diese und weitere Einzelpunkte werden wir mit Sicherheit in der Debatte im Ausschuss ansprechen und unsere alternativen Regelungsvorschläge in einem - so denke ich - umfangreichen Änderungsantrag zur Debatte stellen. Wir halten auch eine mündliche Anhörung mit Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis für notwendig. Dazu werden wir morgen früh im Untersuchungsausschuss eine entsprechende Liste vorlegen.

(Zwischenruf Abg. Höhn, SPD: Justizausschuss.)

Was habe ich gesagt? Entschuldigung - Justizausschuss.

Bei der Lektüre des Gesetzentwurfs beschlich uns auch der Verdacht - gestatten Sie mir noch die Bemerkung -, dass der Text von den Autoren durchaus schon als Vorlage bzw. Ausgangspunkt für ein Thüringer Strafvollzugsgesetz abgefasst worden sein könnte. Mag sein, dass wir uns hier vielleicht irren mit dieser Ansicht, aber eines sei für diesen Fall schon vorausgeschickt: Das würde bedeuten, meine Damen und Herren, sich von den liberalen Errungenschaften des Strafvollzugsgesetzes des Bundes bei all seinen Schwächen zu trennen, und da haben wir große Probleme und Bauchschmerzen und hier würden wir unseren Widerstand ankündigen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall DIE LINKE)

Für die SPD-Fraktion hat sich Abgeordneter Höhn zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das Jahr 2006 war ein ereignisreiches Jahr, wenn wir uns erinnern. Es war das Jahr des sogenannten Sommermärchens. Jeder erinnert sich sicher gern daran. Es war auch das Jahr der sogenannten Föderalismusreform, wo man den durchaus in einigen Gebieten erfolgreichen Versuch unternommen hat, die Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern auf neue - ich sage -, klarere Füße zu stellen. Im Zuge dessen ist auch der Strafvollzug in Länderkompetenz übergegangen. Keiner weiß bis heute genau, warum dies überhaupt geschehen konnte. Niemand wollte es beantragt haben, am Ende stand dann doch die Länderkompetenz offensichtlich nur deshalb, weil sich niemand so richtig dagegen gewehrt hat. So kann es manchmal gehen. Wenn allerdings dann diese neue Kompetenz für die Bundesländer, wie geschehen beim Jugendstrafvollzugsgesetz und auch bei dem jetzt hier vorliegenden Untersuchungshaftgesetz, in fast flächendeckend bundesweiten Initiativen der Länder mündet, dann hat das zumindest für mich eine durchaus positive Auswirkung. Ich kritisiere dieses gemeinsame Vorgehen wie in diesem Fall der 12 Bundesländer ausdrücklich nicht.

(Beifall CDU)