2. Wann erfolgt die Bereitstellung der notwendigen Mittel, damit für die Einrichtung der Dauerpflege noch in diesem Jahr die Vorhaben realisiert werden können?
3. Kann die Neanderklinik hinsichtlich der Indikationserweiterung mit der Unterstützung des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit rechnen, insbesondere bei der Mitarbeit im Rehabilitationskoordinierungskreis?
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, für die Landesregierung beantworte ich die Mündliche Anfrage wie folgt.
Lassen Sie mich erst einmal eine grundsätzliche Bemerkung dazu machen, Frau Dr. Fischer. Die Klinik in Ilfeld liegt mir in besonderer Weise am Herzen, und dies aus mehreren Gründen. Das darf ich hier ruhig sagen, denn das ist eine Klinik, die aus dem Personal der ehemaligen Klinik heraus per Management-Buy-out diese Klinik erhalten hat, und das verlangt Respekt. Zum anderen haben Sie diesen strukturschwachen Bereich dort angesprochen, wobei ich allerdings dazu sagen muss, ein Krankenhaus ist keine Strukturmaßnahme für Arbeitsplätze, sondern ein Krankenhaus ist eben, ob Patienten da sind und ob dieses Krankenhaus dort zur medizinischen Versorgung gebraucht wird. Und zum Dritten, bevor ich zur Frage 1 komme: Es muss ein Konzept auf dem Tisch liegen, was stimmig ist. Dieses Konzept kann natürlich nicht vom Sozialministerium erarbeitet werden, sondern es kann nur das Sozialministerium Unterstützung dabei geben. Das heißt, es hat keinen Zweck, ein bisschen Akutmedizin, ein bisschen Rehabilitation, ein bisschen stationäre Pflege, ein bisschen ambulante Pflege, damit ist der Bestand dieser Einrichtung mit Sicherheit nicht gesichert. Wir müssen natürlich die anderen, die an dieser Frage beteiligt sind, mit ins Boot bringen. Insofern bemühen wir uns derzeit in Gesprächen mit Landkreis, mit Landesverbänden der Pflegekassen, dem Verband der privaten Krankenversicherung zu klären, ob und in welchem Umfang weitere Dauerpflegeplätze für den Landkreis Nordhausen, hier insbesondere für die Neanderklinik, im Vierten Landespflegeplan aufgenommen werden können. Das ist nicht so ganz einfach, denn es liegen mehrere Anträge dort vor in diesem Bereich und so schlecht versorgt mit Pflegeplätzen ist dieser Bereich auch wiederum nicht. Also es gibt einige Probleme dabei.
Zur Frage 2, wann die Bereitstellung der notwendigen Mittel erfolgt: In welchem Umfang Mittel bereitgestellt werden müssen, hängt natürlich von dem Konzept insgesamt ab. Wenn wir ein Konzept haben für diese Klinik, werde ich mich bemühen, dass umgehend die Mittel dann zur Umstrukturierung auch zur Verfügung gestellt werden können.
Zur Frage 3 hinsichtlich der Indikationserweiterung: Hier gibt es Probleme bei den Bedarfsvoraussetzungen, insbesondere im Bereich des Rehabilitationskoordinierungskreises, diese angedachte schwerpunktmäßige Rehabilitation dort einzurichten. Aber dazu bedarf es noch Absprachen, ob man es eventuell doch umprofilieren könnte.
Ja, mehr eine prinzipiellere Frage, was die onkologische Nachbetreuung usw. anbelangt bei AHB-Maßnahmen. Wie
schätzt es die Landesregierung ein, wäre es nicht sehr sinnvoll, wenn also heimatnah in dem Sinne und nah an einem Tumorzentrum eine Rehabilitation erfolgen würde?
Sie haben Recht, es ist durchaus sinnvoll. Aber wir haben im Augenblick, und das ist das Problem der RehaTräger, bisher eigentlich in diesem onkologischen Bereich in Thüringen bisher mehr Plätze, als eigentlich planungsmäßig von den Rentenversicherungsträgern vorgesehen sind.
Es ist ja bekannt, dass durch die Neanderklinik GmbH Ilfeld die Klage gegen die Einordnung in den Dritten Krankenhausbettenplan zurückgenommen worden ist. Die Frage in dem Zusammenhang: Gibt es weitere Kliniken bzw. Krankhäuser, die ihre Klagen zurückgenommen haben, und liegen inzwischen die Stellungnahmen der Landesregierung zu den einzelnen Verfahren bei den Gerichten vor?
Nein, die Stellungnahmen liegen noch nicht vor, glaube ich. Ich werde mich darum kümmern. Aber weitere Rücknahmen von Klagen sind mir im Augenblick nicht bekannt, weil die Kliniken natürlich hoffen, dass sie damit ihre Krankenhausbetten erhalten können. Das ist natürlich eine Voraussetzung gewesen für die Neanderklinik, dass wir überhaupt über weitere Konzepte reden konnten.
Die PDS-Fraktion beantragt, diese Anfrage an den Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit zu überweisen.
Wir haben den Überweisungsantrag gehört. Wer ist für diese Überweisung, den bitte ich um das Handzeichen. Danke. Damit ist auch das Quorum erreicht. Es wird entsprechend überwiesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Zeit der Fragestunde ist abgelaufen. Ich beende deswegen die Fragestunde für den heutigen Tag und wir kommen zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 2
Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes Gesetzentwurf der Fraktion der PDS - Drucksache 3/139 ZWEITE BERATUNG
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wir haben hier im Rahmen der Landtagssitzung vor sechs Wochen eine Debatte erlebt, die eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts ignorierte und Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger im Namen von erweiterten staatlichen Befugnissen, im Namen des Populismus, vor einem Gespenst namens "Gefährdung der inneren Sicherheit" zur Bedeutungslosigkeit verkommen ließ. Und dafür mussten zunächst die Zufallstreffer eines durch das Verfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern als verfassungswidrig beurteilten Instruments als Erfolg verkauft werden. Dies geschieht mit Zahlen, die die reale Gefährdungslage als besonders bedrohlich kennzeichnen sollen, um schließlich zu schlussfolgern, dass die gegenwärtige Situation die ereignis- und verdachtsunabhängigen Kontrollen regelrecht nötig macht. Da werden schnell geringe Erfolge von 3 bis 7 Prozent der Kontrollen, bei denen wohlgemerkt kaum große oder schwere Straftaten oder gar Straftaten im Zusammenhang mit grenzüberschreitender Kriminalität erfasst werden, sondern die Aufdeckung von Verstößen gegen die Versicherungspflicht von Kfz, das Fahren ohne Führerschein und ähnliche geringfügige Vergehen zu großen Erfolgen uminterpretiert, die aber in keiner Weise mit dem gesetzlich formulierten Ziel und Zweck der verdachts- und ereignisunabhängigen Kontrollen in Zusammenhang zu bringen sind.
Ich verweise hier auch auf den Sprecher der Grenzpolizei in Bad Reichenhall, der feststellte, ich zitierte: "Auf den ersten Blick mag die Schleierfahndung ja ganz erfolgreich aussehen, aber bei näherem Hinsehen sind es doch meistens Bagatelldelikte." Es handelt sich bei diesen Kontrollen "um eine Suche im Heuhaufen, um einen ineffizienten Schmarren".
Betrachtet man die polizeiliche Kriminalitätsstatistik von 1998, die selbst als Kontrollstatistik zu werten ist und in der sich Straftatenerhebungen immer entsprechend der jeweiligen Kontrollintenstität wieder finden, fällt auf, dass es nur einen geringfügigen Anstieg von Straftaten, nämlich um genau 0,5 Prozent, gegeben hat im Jahr 1998. In nahezu allen Deliktbereichen ist die Kriminalität gesunken, außer bei der Erschleichung von Leistungen und ei
nem Anstieg im Bereich der Rauschgiftkriminalität. Aber gerade die Fallzahlen in diesem Bereich liegen gegenüber den alten Bundesländern auf einem sehr viel deutlich niedrigeren Niveau. Hierbei handelt es sich auch um Vergehen, deren aufgedeckte Anzahl hauptsächlich von der Kontrollintensität abhängt. Die Summe der Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität ist gleich geblieben, ebenso wie der Ladendiebstahl. Der geringfügige Anstieg der aufgedeckten Straftaten im Bereich der Wirtschaftskriminalität und der organisierten Kriminalität lässt vor dem Hintergrund der schwankenden Entwicklung in den letzten Jahren keinerlei Rückschlüsse auf ein steigendes Potenzial zu. Die Kollegen Pohl, Wetzel und Birkmann haben in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs der PDS-Fraktion auf herausragende Erfolge verwiesen. Meine Damen und Herren, diese sind der polizeilichen Kriminalitätsstatistik nicht zu entnehmen.
Das heißt nichts anderes, dass die Delikte, die durch die Schleierfahnung aufgedeckt werden sollen, in dem Ausmaß in Thüringen überhaupt nicht existieren oder sie waren zuvor mit anderen Ermittlungsmethoden der Polizei aufklärbar und werden dies also auch künftig ebenso sein. In diesem Zusammenhang bitte ich Sie auch, nicht so zu tun, als gäbe es überhaupt keine polizeilichen Instrumentarien. Polizeiexperten, wie etwa der Kölner Polizeipräsident Roters, halten die Schleierfahndungskontrollbefugnis für überflüssig und die gegebenen Instrumentarien für völlig ausreichend.
Meine Damen und Herren, in vielerlei Hinsicht lässt sich den von uns vor sechs Wochen vorgebrachten Argumenten für eine Streichung des § 14 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz nichts weiter hinzufügen. Im Gegensatz zu Justizminister Birkmann allerdings gehen wir nicht davon aus, dass die bestehende Regelung einer Klage vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof standhalten würde. Denn inwiefern unterscheidet sich oder aber auch inwiefern ähnelt die Thüringer Regelung der vom mecklenburg-vorpommerischen Verfassungsgericht als nicht verfassungsgemäß zurückgewiesenen Regelung? Das frage ich den Minister, der hier zuletzt als Verfassungsminister bezeichnet wurde. Ich betone auch, meine Damen und Herren, noch kann sich dieses Parlament die Peinlichkeit ersparen, durch eine erneute Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts sich belehren lassen zu müssen.
Wir halten die Regelung für nicht verfassungsgemäß, für nicht geeignet und auch für nicht erforderlich. Meine Damen und Herren, sie verstößt eklatant gegen persönliche Freiheitsrechte, da sie das in Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz festgelegte Recht eines jeden Einzelnen zum eigenen selbstbestimmten Verhalten missachtet. Hier kommt es im Gegenteil gerade zu einer beliebigen Vereinnahmung des Einzelnen zu staatlicher Zweckverfolgung, die in Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz explizit ausgeschlossen wer
den soll, wie es das Verfassungsgericht in MecklenburgVorpommern festgestellt hat. Die Regelung verstößt gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Bestimmtheit, gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und ermöglicht weit reichende Folgeeingriffe. Bereichsspezifische Vorschriften, meine Damen und Herren, zur Datennutzung und -verarbeitung existieren überhaupt erst gar nicht. Die propagierte kriminalitätsmildernde Wirkung, die die Befugnis verspricht und wie Sie hier auch in Ihren Redebeiträgen immer wieder versprechen, dient letztendlich nur zur Rechtfertigung zahlreicher Eingriffe im Freiheitsrecht der Einzelnen.
Minister Birkmann sieht ja keinen rechtlichen Abwägungsbedarf zwischen Grundrechten und staatlicher Befugniserweiterung und Sicherheitsstreben. Zu den verfassungsrechtlich geschützten Gütern zählt er dennoch die Freiheit des Einzelnen und den Schutz vor Kriminalität, von denen letztere explizit gegen ersteres abgewogen wird. Ob dies gerade auch vor dem Hintergrund der realen Sicherheits- bzw. Gefährdungslage und den Erträgen der Regelung gerechtfertigt werden kann, bezweifeln wir an dieser Stelle erheblich. Es gibt eben gerade kein grundrechtlich verbürgtes Grundrecht auf Sicherheit vor Kriminalität. Der geforderte Schutz vor Kriminalität droht aber zurzeit die persönlichen Freiheitsrechte weit zu überwiegen und Grundrechtseingriffe jeglicher Reichweite zu rechtfertigen. Einem solchen Anspruch auf Kriminalitätsschutz, für den geradezu der Notstand ausgerufen wird, folgt das Streben nach Sicherheit durch Kriminalitätsbekämpfung und Risikovermeidung durch Jedermannskontrollen. Dieser Weg, meine Damen und Herren, führt politisch und auch rechtlich vom liberalen Rechtsstaat zum Präventions- und Schutzstaat. Das Grundgesetz will gar nicht in erster Linie und erst recht nicht um jeden Preis die materiellen Besitzstände des Einzelnen garantieren und hierfür massive Einschränkungen der individuellen Freiheit in Kauf nehmen. Der Staat soll nicht, so das Grundgesetz, die immanenten Risiken der Freiheit auf Null reduzieren, sondern Freiheiten weitmöglichst garantieren.
Und die geschichtliche Erfahrung lehrt doch, dass die Bürgerfreiheiten als Grundlage einer menschenwürdigen Existenz immer stärker durch die jeweiligen Inhaber der Staatsmacht bedroht waren als durch diejenigen, die ihre Freiheit partiell missbraucht haben. Benjamin Franklin brachte es auf den Punkt, als er sagte: "Der Mensch, der bereit ist seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren."
Meine Damen und Herren, betrachtet man das Sicherheitslagebild und setzt dieses in Beziehung zur vielseits heraufbeschworenen Gefährdung der inneren Sicherheit, so drängt sich hier schon der Verdacht auf, dass in erster Linie mit einer harten Gangart und dem Schaffen eines Klimas der Unsicherheit gepunktet werden soll. Umfragen machen eben deutlich, dass Bürgerinnen unter Sicherheit weit mehr verstehen als Sicherheit vor Krimi
nalität. Zum Beispiel gehören zu den wahrgenommenen Sicherheitsgefahren neben Gewaltäußerungen durch Einzelne auch Grund- und Menschenrechtsverletzungen und Gefahren, die aus der Art staatlicher Sicherheitsleistungen resultieren. Und wird der Begriff der Sicherheit auf den der Sicherheit vor Kriminalität verengt, kann Handlungsfähigkeit suggeriert werden. Es können Sicherheitsleistungen in anderen Bereichen vernachlässigt werden und diejenigen, die Grund- und Freiheitsrechte vor staatliche Befugniserweiterung stellen, können zu den eigentlichen Verursachern allen Übels abgestempelt werden.
Meine Damen und Herren, die verdachts- und ereignisunabhängige Kontrollbefugnis verstößt gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Ihr Zweck wird aus dem Gesetzestext nicht eindeutig deutlich. Jenseits der Verhütung und Unterbindung des unerlaubten Überschreitens der Landesgrenzen oder des unerlaubten Aufenthalts soll die grenzüberschreitende Kriminalität bekämpft werden; um welche Straftaten es sich hierbei handeln soll, bleibt aber völlig offen. Die Schleierfahndung verstößt auch gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Wir kritisieren die Inanspruchnahme einer Vielzahl von Nichtstörern gegenüber einigen wenigen zufällig durch die Kontrolle zu ermittelnden Straftätern und die vollständige Suspendierung der Unschuldsvermutung.
Es gibt ein Recht des Einzelnen, meine Damen und Herren, nicht ohne Anlass und Grund kontrolliert zu werden. Und das ist eben der Unterschied zwischen einem liberalen Rechtsstaat und einem Polizeistaat. Dieser Generalverdacht, der hier allen Bürgerinnen als Sicherheitsrisiko entgegen gebracht wird, wird nicht dazu beitragen das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen zu erhöhen, sondern vielmehr zu verunsichern, denn bekanntlich ist dort, wo eine polizeiliche Kontrolle stattfindet, auch eine tatsächliche Gefahr.
Herr Pohl, Sie hatten vor sechs Wochen die Eingriffsintensität als gering bezeichnet und die Kontrollen als zumutbar gekennzeichnet. Konkret führten Sie aus, dass es sich um unvermeidbar notwendige Eingriffe in die Rechte der Bürger handelt, die im Hinblick auf das verfolgte Gemeinwohlziel einer möglichst effektiven Bekämpfung einer sich wandelnden Kriminalstruktur zumutbar für den Bürger sind. Hier verschweigen Sie, Herr Pohl, dass an die Eingriffsbefugnis Folgebefugnisse angeschlossen sind, die bis zum Freiheitsentzug reichen können, auch dann, wenn keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Gefahr oder für die Begehung einer Straftat bestehen. Und bestünde diese Möglichkeit derartiger Folgeeingriffe nicht, liefe die Regelung ja vollständig ins Leere, denn Kontrollen allein bekämpfen keine Kriminalität. Dagegen bedarf, meine Damen und Herren, nach unserer Auffassung bereits der Einzeleingriff, die Feststellung der Identität, konkreter Anhaltspunkte, bedarf einer konkreten Eingriffsschwelle und darf keineswegs verdachts- und ereignislos vorgenommen werden. Die hier von Herrn Pohl hervorgehobene präventive Funktion kann nur schwer
nachvollzogen werden. Die Regelung beugt doch in erster Linie den Schwierigkeiten vor, die eine rechtsstaatlich gezähmte Polizei hat, die erst ihre Eingriffsbefugnisse abwägen muss, indem sie die Eingriffsschwelle auf nahezu Null minimiert.
Polizeiliches Handeln, meine Damen und Herren, kann die Ursachen von Kriminalität aber nicht beseitigen, sondern Kriminalität nur repressiv beantworten. Unbestritten geht von einem erhöhten Kontrolldruck, der hier wohlgemerkt auf allen Bürgerinnen lastet, eine generalpräventive Wirkung aus. Die bloße Abschreckung oder Einschüchterung des Betroffenen darf aber nicht das Ziel der Identitätsfeststellung sein, sondern diese muss in erster Linie der Ermittlung und der Aufklärung dienen.
Der Innenstaatssekretär Speck führte dazu in der Debatte in der ersten Lesung aus, ich zitiere: "Eine Identitätsfeststellung von Personen ohne konkreten Verdacht erhöht das Entdeckungsrisiko bei der Begehung von Straftaten."
Meine Damen und Herren, dieser durchaus richtigen Logik folgend, könnte man doch auch zu der Ansicht gelangen, dass man täglich alle Wohnungen durchsucht, um etwa beispielsweise auch den in Thüringen öffentlich diskutierten illegalen Waffenbesitz aufklären zu können. Aber auf eine solche Überlegung zu verzichten, ist doch nicht die Folge der dafür eigentlich zur Verfügung stehenden Kapazität der Polizei, sondern vielmehr sind einem solchen Eingriff Grenzen gesetzt, die die verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen betreffen. Diese Grenzen, meine Damen und Herren, sind nach unserer Auffassung bereits bei der Befugnis zur verdachts- und ereignisunabhängigen Identitätsfeststellung überschritten. Das Begehr des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, mit der Schleierfahndung den Fahndungsdruck zu erhöhen, zeigt in diesem Zusammenhang übrigens sehr deutlich den Hintergrund der Gesetzesbefürworter. Der strafverfolgende Charakter des Gesetzes kommt auch im Gesetzestext selber zum Tragen, wenn als Ziel die Bekämpfung von Kriminalität oder die Unterbindung illegalen Aufenthalts genannt wird. Eine ereignisunabhänige allgemeine Fahndung ist jedoch keineswegs, wie behauptet, eine Präventivmaßnahme, sondern eine repressive und sie unterliegt als Strafverfolgungsmaßnahme nicht dem Polizeiaufgabengesetz, sondern der Strafprozessordnung. Eine solche Zweckverfolgung ist deshalb kompetenzwidrig und als unzulässig zurückzuweisen.
Meine Damen und Herren, wir halten die Regelung zudem für ungeeignet, im vorgesehenen Zweck die Bekämpfung von Kriminalität zu erfüllen. Polizei kann nicht als Politikersatz fungieren und die Folgen sozialer Ungleichheit mit repressiven oder präventiven Mitteln beheben. In Zeiten, in denen Kriminelle eher Banken aufkaufen als in sie einzubrechen und Millionen von Mark von Politikern verschoben werden, stellt sich ohnehin die Frage, ob man nicht eher die Finanzströme als die der Per
sonen überwachen muss. Die Regelung entspricht auch in Bezug auf ihre örtliche Unbegrenztheit nicht den Anforderungen an die rechtsstaatliche Bestimmtheit. Waren zuvor nur verdachts- und ereignislose Kontrollen an so genannten gefährlichen Orten möglich, die im Polizeilagebild zu konkretisieren waren, so sind mit dieser Regelung solche Kontrollen überall möglich. Natürlich nutzen auch Straftäter Autobahnen und Durchgangsstraßen, sie begehen aber dort in der Regel keine Straftaten. Kontrollen sollen also ausdrücklich nicht dort passieren, wo Straftaten erfolgen, sondern sollen dort passieren, wo sich typischerweise Orte befinden, die von einer großen Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern frequentiert werden. Und eine genaue Definition der Straßen von erheblicher Bedeutung für den internationalen Verkehr existiert in diesem Zusammenhang auch nicht.
Wenn der Abgeordnete Wetzel der CDU-Fraktion sagt, Kriminalität muss auf ihren Verbindungsadern, den Durchgangsstraßen, bekämpft werden, so meint er doch sicher nicht, weil Kriminelle auch auf Volksfeste gehen, dass diese zukünftig zum Hauptkontrollraum werden sollten.
Es handelt sich hier auch nicht um eine Regelung, wie Staatssekretär Speck andeutet, die der Schließung einer Regelungslücke nach Wegfall der Grenzkontrollen dient. Das Verlagern von Grenzen ins Landesinnere widerspricht dem Ansinnen des Abkommens von Schengen. Zudem sieht das Schengener Durchführungsübereinkommen, wie bereits in der ersten Lesung eigentlich umfangreich dargestellt, andere Ausgleichsmaßnahmen vor. Auch die Erweiterung der Befugnisse für den Bundesgrenzschutz, dessen Aufgabe gerade in der Bekämpfung von Kriminalität in der 30-Kilometer-Zone hinter der Grenze gesehen wird, wurden aber, da sie ähnlich voraussetzungslos Kontrollen vorsahen, aus rechtlichen Gründen mit Einschränkungen versehen, zu denen der Wegfall von Folgeeingriffen, eine Präzisierung der Eingriffsbefugnis und eine 5-jährige Befristung gehören.
Meine Damen und Herren, wir halten diese Regelung für wenig bürgerfreundlich, weil sie Sicherheitspaniken schürt, durch Kontrollen belastet und keine Transparenz über ihre konkrete Notwendigkeit zulässt. Grundsätzlich müssen Bürgerinnen konkret informiert werden, welchen Grund, Zweck und Charakter die gegen sie ausgeübte Maßnahme, z.B. eine Identitätsfeststellung, hat. Polizeiliches Handeln muss tranparent dargestellt werden können, will es nicht in der Öffentlichkeit, in der öffentlichen Wahrnehmung als willkürlich erscheinen. All dies ist in der Regel in diesem Zusammenhang nicht gegeben. Es existiert auch kein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Verhalten des Überprüften und dem Zweck der Maßnahme. Dass es dennoch zu keiner Beschwerde durch die Kontrollierten kommt, ist nicht etwa Grund anzunehmen, dass es deshalb rechtmäßig ist, alles mit den Betroffenen zu
machen, die sich selbst häufig als versehentlich Kontrollierte begreifen. Dass mit der Behauptung einer gigantischen Kriminalität nahezu jeder Eingriff auch gegenüber den Betroffenen zu rechtfertigen ist, erfahren wir seit Jahren, wie z.B. bei der Debatte um den großen Lauschangriff nachzuvollziehen ist. Mit der hohen Duldung derartiger Maßnahmen, die wir eben nicht als Akzeptanz bezeichnen würden, werden die Maßnahmen, meine Damen und Herren, nicht automatisch rechtmäßiger. Wir halten die Befugnis zur verdachts- und ereignisunabhängigen Jedermannkontrolle auch nicht deshalb für rechtmäßig, weil von einem Justizminister, der obendrein als Verfassungsminister vorgestellt wird, dem Mann, von dem die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 29. Januar sagt: "Er ist eine Richterpersönlichkeit, er lässt sich den Sachverhalt schildern und nimmt sich alle nötige Zeit zu prüfen.", die absurde These eröffnet wird, das Gesetz sei deshalb schon als harmlos zu bewerten, weil es "wie man am Namen hört" Relikt einer sozial-liberalen Koalition unter Hans Jochen Vogel sei. Hier hat Herr Birkmann sich offensichtlich sehr wenig Zeit genommen.
Weder heißt die in § 14 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz geregelte Befugnis Schleierfahndung, weil sie mit der Entführung von Hans-Martin Schleyer in den 70er Jahren in Verbindung zu bringen ist, noch sind die tatsächlich im Zusammenhang mit dieser Entführung stehenden Gesetze für Kontrollstellen wiederzufinden im Polizeiaufgabengesetz § 14 Abs. 1, und die so genannte Schleppnetzfahndung § 163 Strafprozessordnung ist nicht mit der Schleierfahndung zu vergleichen, deren Herkunft auf den Grenzschleier verweist.
Kontrollstellen, meine Damen und Herren, sind zwar im Polizeiaufgabengesetz geregelt, aber in einem anderen Paragraphen und dort wurden jedoch durch die Zweckbindung keinesfalls so weit gehende Eingriffsschwellen nivelliert wie etwa bei der Schleierfahndung. Zu wenig Zeit hat Herr Birkmann offensichtlich auch aufgebracht, um sich mit den verfassungsrechtlichen Bedenken des Landesverfassungsgerichts in Mecklenburg-Vorpommern auseinander zu setzen, sonst hätte er auf die konkreten Ausführungen des Urteils Bezug nehmen können, statt sich mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, ein von dieser Regelung nur peripher betroffenes Rechtsgut, zu beziehen.
Meine Damen und Herren, die verfassungsrechtlichen und bürgerrechtlichen Bedenken, die die PDS-Fraktion mit der Befugnis gemäß § 14 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz hat, sind hier entsprechend des Urteils von MecklenburgVorpommern nochmals ausführlich formuliert worden. Ich fordere Sie auf, warten wir nicht auf ein Urteil des Landesverfassungsgerichts in Weimar, das uns zwingt, die Verfassungswirklichkeit wieder herzustellen. Aber ich kann Ihnen ankündigen, sollte es in diesem Rahmen zu keiner Änderung des Artikels 14 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz kommen, wird sich die PDS-Fraktion genötigt sehen, sich um eine Auslegung durch den Verfassungsge