Protocol of the Session on June 13, 2002

Viertens: Täterkategorien wie der gefährliche Gewohnheitsverbrecher oder der Hangtäter entbehren jeder kriminologischen Grundlage. Sie sind - und das ist die ganz große Gefahr - Einfallstor für eine extensive Rechtsprechung.

Fünftens: Der Vollzug der Sicherungsverwahrung hat schädigende Auswirkungen auf den Verurteilten. Er führt zur Hospitalisierung, Abstumpfung und ähnlichen Folgen. Er verstößt daher gegen das verfassungsrechtliche Gebot und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und Sozialstaatlichkeit.

Aber auch, meine Damen und Herren, wenn man diese grundlegenden Einwände gegen die Sicherungsverwahrung dahingestellt sein lässt, sprechen eine Reihe von verfassungs- und menschenrechtlichen Gründen gegen das

baden-württembergische Gesetz und damit gegen den Thüringer Gesetzentwurf. Zunächst und zuallererst, und hier widerspreche ich ausdrücklich der Darstellung des Justizministers: Für die hier zu regelnde Rechtsmaterie gibt es keine Gesetzgebungskompetenz des Landes. Das Gesetz regelt eine Materie, die der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes auf dem Gebiet des Strafrechts nach Artikel 74 Abs. 1 Nummer 1 Grundgesetz unterliegt. Mit der Regelung der Sicherungsverwahrung im Strafgesetzbuch hat der Bund von dieser Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht. Die vom Gesetz vorgesehene Unterbringung ist eine Maßregel und unterliegt daher dem gerichtlichen Bereich des Strafrechts. Als ein Beleg hierfür kann der von mir bereits erwähnte § 42 e Strafgesetzbuch in der Fassung vor 1970 angeführt werden, der als Prognosezeitpunkt für die Frage, ob eine Sicherungsverwahrung erforderlich ist, die Entlassung aus der Strafhaft als den maßgeblichen Zeitpunkt vorsah. Bereits damals fiel also somit die voraussehbare Entwicklung des Gefangenen im Vollzug in den Erkenntnisbereich des die Sicherungsverwahrung anordnenden Strafgerichts. Die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung verstößt unseres Erachtens gegen das Rückwirkungsverbot nach Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz. Danach darf eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Intention dieses strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ist es, den Einzelnen vor Sanktionen zu schützen, die vor Begehung der Straftaten nicht vorhersehbar waren. Das gilt für Strafen wie für Maßregeln in gleicher Weise.

Die Anwendung des hier eingebrachten Landesgesetzes bedeutet nichts anderes, als dass gegen einen Straftäter durch zwei konstitutive Entscheidungen nacheinander eine Freiheitsentziehung verfügt wird. Die nachträgliche Sicherheitsanordnung stellt daher auch einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot nach Artikel 103 Abs. 3 Grundgesetz dar.

Die nachträgliche Sicherungsverwahrung, meine Damen und Herren, verstößt schließlich auch gegen Artikel 5 Satz 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Im Jahr 2000 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Verstoß Litauens gegen die Konvention festgestellt, weil Litauen eine Person aufgrund eines Gesetzes inhaftierte, das eine Freiheitsentziehung zur Verhinderung der Begehung einer schweren Straftat erlaubte. Ich glaube, ebenso dürfte eine isolierte Verwahrungsanordnung am Ende der Strafe, wie sie vom baden-württembergischen Landesgesetz vorgesehen ist, gegen die Menschenrechtskonvention verstoßen.

Neben den verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Einwänden sprechen aber auch eine Reihe von praktischen Problemen bei der Anwendung des Gesetzentwurfs gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrung, auf die ich aber hier und heute nicht eingehen möchte, die aber allesamt geeignet sind, die These zu untermauern, dass al

lein die Existenz eines derartigen Landesgesetzes das Vollzugsklima beeinträchtigt, indem es das notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Anstaltsleitung und Therapeuten einerseits und Strafgefangenen andererseits zum Erreichen des Vollzugsziels konterkariert.

Schließlich können auch die beiden in der Begründung zum eingebrachten Entwurf angeführten Beispiele für Baden-Württemberg und Bayern, diese beiden dort genannten Fälle einschließlich des weiteren Falls, den Herr Dr. Birkmann hier nun heute ausgeführt hat, bei denen die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nachträglich gegeben sein sollen, die Notwendigkeit für dieses Gesetz nicht begründen. Das unterstellt nämlich genau eine Prognosegenauigkeit, die überhaupt erst nachgewiesen werden müsste. Erforderlich ist nämlich vielmehr eine Evaluation der Frage, bei welchen Strafgefangenen in der Vergangenheit die Stellung eines Antrags auf nachträgliche Unterbringung zu erwarten gewesen wäre und wie ihr auf die Entlassung folgendes Legalverhalten war. Eine derartige Untersuchung, meine Damen und Herren, gibt es allerdings weder in Baden-Württemberg noch in Bayern, noch in Thüringen.

Um schließlich auf meine eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Was treibt die Landesregierung, bei all diesen Bedenken ein baden-württembergisches Gesetz so schnell zu importieren? Ich finde eine für mich plausible Antwort wiederum, wenn ich mir die Genese dieses Gesetzes in Baden-Württemberg ansehe. Dort wurde - nämlich aus wahltaktischen Überlegungen - ein auch dort höchst umstrittener Gesetzentwurf noch kurz vor der Landtagswahl im März 2001 in den Landtag eingebracht und verabschiedet. Am 22. September ist Bundestagswahl; entscheiden Sie selbst, ob das Zufall ist oder nicht. Aber ich bleibe bei meiner Einschätzung, die ich schon im AprilPlenum getroffen habe, meine Damen und Herren - Populismus. Na gut, könnte man sagen, Populismus und abgehakt und vielleicht auch noch ein wenig neidisch denken: Warum fällt mir so etwas nicht ein, es bringt doch bestimmt Wählerstimmen? Nein, meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen, warum mir so etwas nicht einfällt, warum man das nicht einfach abhaken kann, warum dieser ganz spezielle Populismus geradezu gefährlich ist. Er ist Mittel zur Erosion des liberalen Rechtsstaats. Das nämlich ist der Preis dieses speziellen Populismus und deshalb ist er gefährlich. Stimmenfang wird höher bewertet als das öffentliche Interesse an einem die Gefangenen therapierenden und resozialisierenden Behandlungsvollzug und es wird dabei in Kauf genommen, dass Gefangene aufgrund einer fehlerhaften Prognose zu Unrecht freiheitsentziehende Maßnahmen ertragen müssen. Ich sage nein zu diesem Gesetzentwurf und, ich denke, auch meine Fraktion wird nein zu diesem Gesetzentwurf sagen.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Seela, CDU: Und zu Ihrer Rede auch!)

Es hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Schemmel, SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Koch, auch ich bin genauso wie Sie etwas überrascht, dass, wenn wir über präventives Polizeirecht sprechen, niemand vom Innenministerium hier anwesend ist. Das wundert mich auch schon, aber bitte schön, das ist eine Frage, wie sich die Regierung ihre Arbeit wohl organisiert.

Aber ich möchte jetzt von dieser Vorbemerkung zur eigentlichen Sache kommen. Die Zielstellung dieses Gesetzgebungsvorhabens ist der Schutz der Thüringerinnen und Thüringer vor besonders rückfallgefährdeten Straftätern, so steht es im Gesetz. Ein eigentlich begrüßenswerter Vorsatz, auch wenn hier natürlich auf den absoluten Einzelfall abgehoben wird. In Baden-Württemberg zum Beispiel, wo ein ähnliches - sage ja niemand, ein gleiches - Gesetz wirkt - das Thüringer ist nämlich wesentlich verschärfter -, hat es bisher einen Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung gegeben. Dieser ist aber auch noch nicht beschieden, das heißt, wir sind hier auf jeden Fall auf der Seite des absoluten Einzelfalls. Lieber wäre es mir jedoch - und es wäre auch wesentlich sinnvoller -, wenn die Anstrengungen im gesamten Vollzug verstärkt würden, wenn überall versucht würde, einen strafvollzugsgesetzkonformen Vollzug zu gewährleisten, der - das weiß ja jeder hier - unter anderem aber auch den Bau einer weiteren Justizvollzugsanstalt in Thüringen erforderlich machen würde. So steht es in der Strafvollzugskonzeption des Freistaats. Nur auf der Grundlage eines solchen Behandlungsvollzugs mit Resozialisierungsziel für alle Gefangenen in Thüringen, aber das sind in etwa 2.000, gelingt es uns, die Bürgerinnen und Bürger umfassend vor gefährlichen rückfallgefährdeten Straftätern zu schützen.

Aber zurück zu Ihrem Einzelfall: Die Landesregierung ergreift hier zuerst eine Bundesratsinitiative, die relativ aussichtslos ist, da sie schon mehrfach in dieser Art und Weise gescheitert ist. Da dies vorausschaubar ist, wird gleichzeitig ein Landesgesetz - ich sagte es schon - im präventiven Polizeirecht vorgelegt. Im Gegensatz zu Herrn Dr. Koch zweifele ich die Gesetzgebungskompetenz des Landes an dieser Stelle nicht an,

(Beifall Abg. B. Wolf, CDU)

ich denke, das Land hat diese Kompetenz an dieser Stelle. Wie das Gesetz ausgeführt wird und über den Grundsatz kann man ja geteilter Meinung sein. Ich bin Herrn Dr. Koch zumindest dankbar für den Exkurs, den er durchgeführt hat zu dem Thema "Sicherungsverwahrung", zumindest so lange es bis 1995 ging, bevor Sie mit den PDS

Vorstellungen dann angefangen haben, aber bis dahin kann ich Ihrem Exkurs 100-prozentig zustimmen.

Die Landesregierung hat also, denke ich, diese Gesetzgebungskompetenz und sie will sie ausnutzen. Das Gesetz der Landesregierung hat zwei Ziele und die muss man einmal trennen. Es wird immer gesagt, es ist wie in Bayern, es ist wie in Sachsen-Anhalt - das ist ja nicht so. Es hat also zwei Ziele: erst einmal prinzipiell die Ermöglichung der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung und zweitens die für die Bundesrepublik Deutschland erstmalige Ausdehnung dieser präventiven Maßnahme auf Ersttäter. Das muss man einfach so sehen und wissen. Bei dem ersten Ziel kann ich noch einen Konsens feststellen. Ob er tragfähig genug ist, dass wir diese erste Lösung unterstützen können, weiß ich noch nicht, das werden wir uns noch im Ausschuss durch eine umfangreiche öffentliche Anhörung zu diesem Punkt erarbeiten müssen. Ich denke, an dieser Stelle wird auch den Kollegen aus der CDU wir müssen es ja nun im Justizausschuss beraten, obwohl es in den Innenausschuss gehört - zumindest dann, wenn wir es in beiden Ausschüssen beraten müssen, eine öffentliche Anhörung von Experten notwendig erscheinen, nicht wie bei den anderen zitierten Beispielen. Es gibt hier noch weit gehenden Konsens, diese Sicherungsverwahrung nachträglich anzuordnen. Sie war ja bisher nur möglich, wenn vom erkennenden Gericht im ursprünglichen Urteil diese Sicherungsverwahrung angeordnet war, sie soll nunmehr bei Fehlschlagen aller Maßnahmen im Vollzug und fortdauernder Gefährdung vor der Entlassung angeordnet werden können. Dazu gibt es zwei verschiedene Vorstellungen, die aber beide dieses ermöglichen wollen, und zwar einmal, so im Gesetzentwurf der Bundesregierung, den wir natürlich unterstützen, soll dies nur möglich sein, wenn dies bereits im Erkenntnisverfahren, also im ursprünglichen Urteil, so dargelegt und vorbehalten ist und nunmehr nachträglich nach entsprechender Prüfung angeordnet wird. Beim zweiten Weg, den die Landesregierung geht, soll das Startsignal ein Antrag der Vollzugsbehörde sein und dann über Staatsanwalt, Gutachter, Richter diese Sache angeordnet werden können. Das sind also zwei Wege, die sich unterscheiden, einmal die Anlage dieser Maßnahme im Urteil des erkennenden Gerichts, aber natürlich auch jetzt die Prüfung vor der Entlassung und zum anderen ausschließlich die Prüfung vor der Entlassung. Beide haben aber das gleiche Ziel: Freiheitsentzug ohne ein auf dem Strafgesetzbuch beruhendes, richterliches Urteil.

Wir werden uns hier also auseinander zu setzen haben. Ich denke, die vorgeschlagene Bundesregelung ist sauberer und es ist auch prinzipiell an dieser Stelle einer Bundesregelung Vorrang zu gewähren.

Der zweite Aspekt, die Einbeziehung von Ersttätern, ist natürlich außerordentlich umstritten. Diesen Weg will Thüringen nun auch allein gehen; selbst in den zitierten Gesetzen von Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt ist dies nicht so geregelt. Es geht - und da müssen wir uns über die Tragweite im Klaren sein - um nicht mehr und

um nicht weniger, als einem Ersttäter nach Verbüßung seiner Strafe präventiv das Recht auf Freiheit abzuerkennen. Dies lässt sich mit der ursprünglichen Konzeption der Sicherungsverwahrung als schärfste Reaktion auf schwere Wiederholungskriminalität mit ihrem verfassungsmäßig begründeten Ultima-Ratio-Charakter schwerlich vereinbaren. Die Freiheit der Person ist ein so hohes Rechtsgut, dass sie nur - und das sagen viele Urteile der Verfassungsgerichte; wen es interessiert, der kann gern die Zitatstellen, die stehen auf meinem Zettel, bekommen - durch besonders wichtige Gründe eingeschränkt werden darf. Und der hohe Rang der Freiheit der Person verlangt stets eine strenge Prüfung am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für die Anordnung der in diesem Fall nunmehr nachträglichen Sicherheitsverwahrung muss sich die von dem Betroffenen ausgehende Gefährlichkeit bereits hinreichend konkretisiert haben. Je weniger aussagefähige Tatsachen vorliegen, auf deren Grundlage die Prognose getroffen wird, umso schwieriger und fehleranfälliger wird die Prognose. Die Konzeption der Sicherungsverwahrung setzt voraus, dass eine ausreichende Tatsachenbasis vorhanden ist, um den Schluss auf eine anderweitig nicht korrigierbare Gefährlichkeit des Täters zu ziehen. Dass ein Betroffener weitere Straftaten begehen wird, kann mit großer Sicherheit als wahrscheinlich angenommen werden, wenn in der Vergangenheit bereits mehrere Straftaten vorliegen. Auch wenn man sich auf schwer wiegende Straftaten gegen die Person beschränkt und die Erkenntnisse aus dem Strafvollzug hinzunimmt, ist die empirische Basis, auf der die Prognose aufbauen soll, in aller Regel von geringer Aussagekraft. Das alles weiß auch unser Justizminister. Ich vermute deshalb, dass sich der Thüringer Justizminister - ich habe mir mal vorgenommen, zu Ihnen nicht von Populismus zu reden, ich gebrauche deshalb etwas anderes von der Publikumswirksamkeit einer solchen Regelung verführen ließ und damit alle verfassungsrechtlichen Bedenken, wie sie selbst in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt durchgreifend waren, einfach zurückgestellt hat. Ich kann für uns hier nur diese Konsequenz ziehen: Wir brauchen eine intensive Beratung im Justizausschuss und aus meiner Sicht auch im Innenausschuss, das ist präventives Polizeirecht, und wir brauchen eine öffentliche Anhörung von Experten zu diesem Punkt. Nur unter dieser Voraussetzung, dass eine öffentliche Expertenanhörung, ich sage mal, uns den Weg frei gäbe - und ich zweifle daran -, darf es ein solches Gesetz in Thüringen geben. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion hat sich der Abgeordnete Wolf zu Wort gemeldet.

(Zwischenruf aus dem Hause: Nein, nein.)

Herr Carius.

Sehr verehrte Präsidentin, lassen Sie mich vielleicht eine Vorbemerkung zu Herrn Dr. Koch treffen.

Zum einen, der Unterschied zum Gewohnheitsverbrechergesetz der Nazis ist doch ganz eindeutig. Ich will ihn nur einmal markieren. Es gibt einen ganz gravierenden Unterschied zwischen der Vergewaltigung und Ermordung junger Kinder und einem fortgesetzten Taschendiebstahl. Ich denke, das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CDU)

Zum Zweiten: Der Sarkasmus, mit dem Sie auf für das Schutzbedürfnis Einzelner in der Bevölkerung wichtige Gesetze reagieren, ist beschämend für unser Parlament.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte nicht wissen, welchen Aktionismus Sie in Gang setzen würden, wenn ein so trauriger Fall hier in Thüringen stattfände.

Doch, meine Damen und Herren, mit der Einbringung des Gesetzentwurfs zur Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter durch unseren Justizminister gehen wir heute einen wichtigen, fast möchte ich sagen, längst überfälligen Schritt in der Thüringer Rechtspolitik voran, denn dieses Gesetz setzt uns nun in den Stand - wenn wir es denn nach der Überweisung, für die ich auch bin, Herr Schemmel, an den Justizausschuss und auch an den Innenausschuss -, dass wir Maßnahmen gegen besonders gefährliche rückfallgefährdete Straftäter ergreifen können. Mit dem Gesetzentwurf wird einem für das Rechtsbewusstsein und Gerechtigkeitsempfinden unerträglichen Zustand abgeholfen, nämlich dem, dass wir bislang überhaupt keine Handhabe gegen solche Täter hatten, bei denen sich erst im Vollzug ihre Gefährlichkeit und insbesondere die Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sich der Täter nach der Verbüßung der Strafe erneut gegen elementare Rechtsgüter anderer vergeht. Nun würden wir eine Handhabe haben.

Der Justizminister hat in seiner Rede deutlich gemacht, um welche Arten von Verbrechen es sich hier ganz überwiegend handeln wird. Die genannten Beispiele, die wohl bei jedem von uns Abscheu und Ekel erregen, stellen vor allem Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere von Kindern, dar, aber auch andere Rechtsgüter sind betroffen, nämlich das Recht auf Freiheit, das Recht auf Leben und auch die persönliche Unversehrtheit von potenziellen Opfern. Immer wieder gibt es solche Fälle von Wiederholungstätern, die auch immer wieder zu einem berechtigten Sturm der Entrüstung in der gesamten Öffentlichkeit führen. Doch nun werden wir ein Zeichen setzen können für die Sicherheit und den Schutz des Einzelnen vor solchen Straftätern, zumindest im Freistaat. Denn obwohl der Bundeskanzler noch im letzten Jahr zu solchen Fällen in seiner typischen beifallsheischenden Art

gemeint hat - Frau Präsidentin, ich darf zitieren: "Wer sich an kleinen Mädchen vergreift, muss weggeschlossen werden, und zwar für immer.",

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Sie set- zen ja das Kanzlerwort konsequent um.)

trotzdem ist bis zur letzten Woche relativ wenig geschehen. Seit 1997 - der Justizminister hat es ausgeführt - gab es immer wieder Bundesratsinitiativen zunächst Bayerns, zuletzt eine Thüringens und Baden-Württembergs, zur Schaffung einer bundeseinheitlichen Regelung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung, die ebenso permanent niedergestimmt wurde, mit dem Verweis darauf, dass dieses Anliegen allein eine Sache der Gefahrenabwehr und damit der polizeirechtlichen Landeskompetenz sei. Unser jetziger Entwurf ist strikt an dieser Landeskompetenz orientiert. Er knüpft nur an die künftige Gefahr und nicht an die bereits begangene Straftat an. Er dient damit dem Schutz des Einzelnen

(Zwischenruf Abg. Dr. Koch, PDS: Das stimmt doch gar nicht.)

doch, das stimmt schon, lesen Sie doch mal nach

(Zwischenruf Abg. Dr. Koch, PDS: Ja eben.)

vor einer Gefahr für Leib und Leben. Doch was soll man eigentlich von einer Justizministerin halten, die bislang gesagt hat, eine bundeseinheitliche Regelung lehnen wir ab, das ist nicht unsere Zuständigkeit. Und nun ist doch ein solches Gesetz durch den Bundestag beschlossen worden, allerdings eine Krücke, wie ich finde. Und die Lücken, die dort wissentlich mit beschlossen wurden, die können wir sozusagen mit einem anderen Gesetz hier abdecken. Denn mit dem Bundesgesetz ist es nicht möglich, den Ersttäter nachträglich in Sicherungsverwahrung zu nehmen,

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das ist auch nicht die Absicht.)

der zwar sehr wohl eine einschlägige kriminelle Karriere vorweisen kann, die aber eben nicht aktenkundig geworden ist. Die Vorbehaltslösung, das heißt, nur solche Täter in nachträgliche Sicherungsverwahrung zu nehmen, deren Verurteilung bereits den Vorbehalt einer nachträglichen Sicherungsverwahrung enthält, hat zumindest zwei Schwächen. Zum einen werden davon nicht bereits einsitzende Täter erfasst und zum anderen erfordert der Vorbehalt bereits so viele Kenntnisse über die besondere Rückfallgefährlichkeit des Täters, dass man sich eigentlich fragen muss, warum nicht sofort Sicherungsverwahrung angeordnet wird.

(Beifall Abg. Groß, CDU)

Damit wird deutlich, das am Freitag im Bundestag beschlossene Gesetz ist eine Krücke, die hoffentlich nach dem 22. September durch eine konsequente Neuregelung ersetzt wird. Freilich ist die Sicherungsverwahrung einer der schwer wiegendsten Eingriffe in die persönliche Freiheit des Einzelnen. Doch wird diesem Umstand mit dem im Gesetz beschriebenen Verfahren Rechnung getragen! Herr Koch hat bereits am 26. April die Frage der Verhältnismäßigkeit erörtert und dieselbe infrage gestellt mit einer solchen Regelung. Die jetzt zu erörtern, würde sicher zu weit führen. Das sollten wir im Ausschuss tun. Nur, Herr Koch, wir können nicht allein die Freiheit des Täters sehen, sondern wir müssen auch die Sicherheit der Bevölkerung in den Blick nehmen,

(Beifall bei der CDU)

und damit meine ich nicht irgendeine unbestimmte Masse, sondern ich meine die Betroffenheit von Grundrechten einzelner Bürger, deren Leib und Leben in Gefahr steht, wenn ein solcher Täter freigelassen wird. Sie haben vom Übermaßverbot gesprochen. Nun, ich will es mir nicht leicht machen, aber es gibt auch genauso ein Untermaßverbot. Der Staat muss das Notwendige zur Sicherheit seiner Bürger tun. Das werden wir mit dem jetzigen Gesetz auch vollziehen.

Herr Koch, wenn ich mich recht entsinne, haben Sie sehr zynisch Bezug auf die geringe Fallzahl genommen. Darüber haben Sie sich fast lustig gemacht.

(Zwischenruf Abg. Dr. Koch, PDS: Das ist eine Unterstellung.)

Darüber hat er sich fast lustig gemacht. Lesen Sie doch das Protokoll vom 26.04. mal nach. Uns ist jeder Einzelfall zu viel,