Vorschläge dazu liegen von vielen Seiten auf dem Tisch; die Bandbreite dabei ist sehr groß. Nur, wenn wir nicht bald handeln - ich sage es immer wieder -, dann fliegt uns das Ganze um die Ohren. Mittlerweile ist das nämlich ein Kessel, der vorm Explodieren steht, und wenn wir nicht rechtzeitig den Dampf herausnehmen und eine wirkliche Reform machen, dann haben wir keine Möglichkeit mehr einzugreifen.
Meine Damen und Herren, Prof. Sinn - Ifo-Institut München - hat vor wenigen Tagen in Brüssel dazu gesprochen. Brüssel soll Deutschland stärker beobachten, was die sozialen Sicherungssysteme und was die Bewegung auf dem Arbeitsmarkt anbelangt; da wird gefordert, man muss sich bewegen und man muss sich bewegen im Sinne von Amerika und von Großbritannien. Ich brauche, glaube ich, in diesem Haus nicht zu sagen, was das heißt. Bewegen im Sinne von USA in Bezug auf den Arbeitsmarkt, in Bezug auf das Sozialhilferecht - ich sage es einmal fein ausgedrückt -, das ist Kapitalismus pur. Wenn wir noch lange warten, wird das kommen, weil wir gar nicht mehr anders können, weil die finanzielle Lage dann so schlecht sein wird, dass es gar nicht mehr anders geht. Wenn wir noch Regelungen treffen wollen, die allen und auch unserem Selbstverständnis gerecht werden, dass das Ganze bei uns soziale Marktwirtschaft heißt, dann ist es wirklich längst überfällig.
Der Bundeskanzler unterstützt mit blumigen Worten das Sparbemühen von Herrn Eichel, aber es wird bisher nicht gesagt, wo gespart wird. Der Arbeitsminister lässt verkünden - das ist vor Monaten schon in Erfurt passiert -, es wird eine Zusammenführung dieser Systeme geben. Er verkündet es mittlerweile auch selbst, aber über das Wie haben wir auch noch nichts gehört. Ich habe das dumme Gefühl, dass dieser Wirbel um die Bundesanstalt für Arbeit - um diese geschönten Statistiken - dazu führt, dass die wahren Probleme überhaupt nicht mehr zur Sprache kommen. Es wird vielleicht im Moment die Gelegenheit genutzt, die finanziellen Reserven, von denen ich überzeugt bin, dass die auch da sind - bei diesem Haushalt sind mit Sicherheit finanzielle Reserven da -, dazu genutzt werden, um Herrn Eichels Löcher zu stopfen und nicht dazu, um vernünftige Reformen anzugehen. Man kann ja der Bundesanstalt viel vorwerfen, aber ich habe es vorhin gesagt: Ich finde es im Moment schlimm, was mit den Leuten passiert, die vor Ort die Arbeit machen müssen. Die kommen doch gar nicht mehr an ihre Vermittlungstätigkeit, die sind doch mit Statistiken, mit zählen und Berichte schreiben überfordert. Wenn für solche Modellprojekte schon meterweise Papier und Auswertungen gemacht werden müssen, dann kann ich nur sagen, das ist nicht Sache der Bundesanstalt, das ist Sache der Regierung, denn die Gesetze macht nicht die Bundesanstalt.
Wenn wir diesen Maßstab ansetzen, der im Moment bei der Bundesanstalt angesetzt wird, müssen wir das beim BMA auch ansetzen. Wir haben es gestern wieder gehört auf meine Mündliche Anfrage: Wenn ein Bundesministerium nicht in der Lage ist, eine Ausschreibung so zu formulieren, dass sie wasserdicht und dass sie von der EU genehmigungsfähig ist, dann ist das ein Armutszeugnis. Darüber wird so hinweggegangen. Das wäre in Thüringen mindestens den Stuhl eines Ministers oder mindestens einen Untersuchungsausschuss wert, wenn uns das passiert wäre.
Meine Damen und Herren, die Bundesanstalt wäre ein Thema für sich, aber ein paar Worte möchte ich dazu doch sagen, weil das ein Zusammenhang mit der Zusammenführung dieser Systeme ist. Es muss endlich wieder dazu kommen, dass die Bundesanstalt die Aufgaben wahrnimmt, für die sie da ist. Es muss eine Reduzierung auf die Kernaufgaben geben, nämlich die Vermittlung von Arbeitslosen, die Aktivierung von Arbeitslosen und die Durchführung der Arbeitslosenversicherung. Alle anderen Sachen müssen ausgegliedert werden. Dann kommt ein Punkt dazu, der von uns oft angesprochen worden ist - von Minister Schuster im Bundesrat und auch von diesem Pult aus -, es muss endlich einmal eine vernünftige Kostenaufteilung angegangen werden. Wir müssen uns Spielräume schaffen, nicht, um irgendwelche Löcher zu stopfen, sondern wir müssen uns Spielräume schaffen, dass wir endlich die Beitragssenkungen in Angriff nehmen können. Das geht im nächsten halben Jahr mit Sicherheit nicht. Aber die einzige Möglichkeit, Sozialversicherungsbeiträge zu senken, besteht in Deutschland meiner Meinung nach überhaupt nur bei der Arbeitslosenversicherung. In der Krankenversicherung werden sie weiter steigen. In der Rentenversicherung haben wir wahrscheinlich überhaupt keine Chance, noch an Beitragssenkungen zu gehen, wenn man es nicht auf der anderen Seite irgendwo den Leuten aus der Tasche nehmen muss. Aber wir brauchen Spielräume für Beitragssenkungen, um wirklich einmal Arbeitskosten zu senken. Wenn wir Arbeitsplätze haben und mehr Arbeitsplätze akquirieren wollen, dann müssen wir Beiträge senken.
Meine Damen und Herren, nur ein paar Prämissen zur Zusammenführung: Die Zusammenführung der Sozial- und der Arbeitslosenhilfe darf nicht zu mehr Belastung in den Kommunen führen. Die Kommunen stehen doch jetzt schon mit dem Rücken zur Wand, die haben doch jetzt schon, wenn wir uns einmal die großen Städte anschauen, keinerlei Spielräume. Die nehmen zum Teil Kredite auf, um ihre Sozialhilfelasten zu bezahlen. Das muss man sich einmal vorstellen; so kann das doch nicht weitergehen. Deswegen nützen uns dabei solche Mosaiksteine wie "Mainzer Modell" oder so etwas überhaupt nichts, zumal ich davon ausgehe, dass es bei uns sowieso nicht zum Tragen kommt. Wir brauchen eine generelle Lösung. Wie ist denn die derzeitige Situation? Die Kommunen sind doch nur Zahlstellen. Die Kommunen müssen das bezahlen, was woanders verordnet wird. Das kann es wohl auch nicht sein. Es muss
dazu kommen, dass jeder arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger den Zugang zum SGB III bekommt. Die müssen die gleichen Chancen haben, wie alle anderen auch; wie für Arbeitslosenhilfeempfänger, muss es auch für Sozialhilfeempfänger sein, die arbeiten können. Arbeitslosenhilfeund Sozialhilfeempfänger müssen vor Ort betreut und auch an die Arbeit herangeführt werden. Ich denke, das kann man sehr gut machen. Da gibt es in Deutschland Modellprojekte, die das genau angehen. Ich glaube schon, dass das genau der Punkt ist - und das sage ich noch mal -, da ist die Kostenaufteilung sehr wichtig, damit die Kommunen nicht zusätzlich belastet werden.
Für all das brauchen wir zwei Voraussetzungen: Als erste Voraussetzung brauchen wir wieder ein Wirtschaftswachstum in Deutschland. Da müssen wir uns auch einmal fragen, warum es nur in Detschland so ist, dass man mindestens ein Wirtschaftswachstum oberhalb von zweieinhalb Prozent braucht, um überhaupt neue Arbeitsplätze zu bekommen. Warum ist das in anderen Ländern anders? Warum kann man nicht mit einem Wirtschaftswachstum zwischen 0,8 und 1 Prozent, wie das z.B. in Spanien oder in Portugal der Fall ist, schon Arbeitsplätze schaffen? Warum geht das bei uns nicht? Das sind Fragen, die beantwortet werden müssen. Gestern ist ja die Wachstumsprognose erst wieder herabgesetzt worden.
Die zweite Voraussetzung ist: Für diejenigen, die arbeiten sollen und wollen - davon gehe ich natürlich aus -, müssen wir Anreize schaffen. Es muss so sein, dass derjenige, der arbeitet, am Ende mehr hat, als derjenige, der von - ganz gleich, wie das Ding heißt - Sozial- oder Arbeitslosenhilfegeld lebt, der muss mehr in der Tasche haben. Ich denke da z.B. an dieses Drei-Säulen-Modell, was CDU und CSU kürzlich vorgestellt haben, dass das ein guter Weg sein könnte, gerade speziell für diese Gruppe von Menschen wäre das ein Einstieg - das Einstiegsgeld ist gesagt worden - oder die Entlastung von Sozialbeiträgen, gestaffelt nach dem Einkommen.
Meine Damen und Herren, die Erfahrungen aus diesen MoZArT-Projekten sollten ausgewertet werden, das ist richtig. Aber die sollten nicht in den nächsten fünf Jahren ausgewertet werden, und damit sollten sich nicht wieder ganze Völkerscharen befassen und am Ende feststellen, dass die Statistik nicht stimmt. Die sollten ausgewertet werden und es sollte vor allem endlich mal eine Entscheidung getroffen werden. Das Problem sollte angegangen werden. Aber, ich glaube, ich gebe Herrn Staatssekretär in dem Fall Recht, ich habe meine Bedenken, ob das im nächsten halben Jahr noch passiert. Ich habe manchmal das Gefühl, es gibt in dieser Bundesregierung Menschen, die scheuen sich davor - vielleicht erwarten es manche sogar, dass sie es nicht mehr in Angriff nehmen müssen. Ich kann Ihnen sagen, es muss passieren, sonst passieren in Deutschland Dinge, die wir alle nicht wollen. Es ist wirklich schlimm, wenn man sich einmal mit Bürgermeistern von großen Städten oder mit Menschen unterhält, die in Arbeitsämtern arbeiten, die Lage ist verheerend. Wenn da nicht schnell etwas ge
Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, ich fange selten damit an, dass ich mich bei der Landesregierung für den Bericht bedanke. Ich tue es aber ehrlichen Herzens, weil das wenigstens die Chance bot zu sehen, dass jemand den Antrag tatsächlich ernst genommen hat, mit den Schwerpunkten, die im Antrag stehen. In dem Antrag geht es nämlich tatsächlich um die Beschaffung des Lebensunterhalts durch Arbeit hinsichtlich eines Regelungsbedarfs - sprich der Regelsätze - bzw. was ist der Begriff "Einkommen"? Das wiederhole ich deswegen, weil man in der Situation, in der wir uns gegenwärtig aufgrund von Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe, Armut und Ausgrenzung in diesem Land befinden, über alles und nichts reden kann. Es ist immer irgendetwas richtig. Genau diesen Ansatz wähle ich nicht, sondern ich wähle den Ansatz zu unseren Ausführungen, dass es nämlich 51.934 Sozialhilfeempfänger in Thüringen gibt. Die sind nicht zu faul zum Arbeiten, die sind auch nicht alle irgendwie
- auch dazu kommen wir noch, Herr Bergemann - und irgendwo, sondern die leben hier in Thüringen unterhalb des Existenzminimums.
Warum sage ich das? Noch vor einem Jahr hat sich die Landesregierung gelobt, dass die Sozialhilfe gesunken ist. Ich hätte mich über den Fakt gefreut, aber nicht über ein Eigenlob. Leider ist genau die Tendenz eine andere. Wir haben nämlich eine Steigerung zum 31.12.2000 von 4.200 Einzelschicksalen, die nun auch Sozialhilfeempfänger heißen.
Wenn ich gesagt habe, ich möchte unbedingt auf das zurückkommen, was in dem Antrag steht, worüber der Staatssekretär aus seiner Sicht berichtet hat, dann möchte ich als Erstes wieder zu den Regelsätzen kommen. Frau Vopel, die Regelsätze und das Niveau der Regelsätze sind keine Erfindung einer Sozialdemokratie, sondern wir haben bereits seit 1989 einen so genannten Reformstau, weil nämlich durch die CDU-Regierung 1989 das Bedarfsmessungssystem für Regelsätze geändert wurde. Bis dorthin hatten wir ein Warenkorbmodell zur Berechnung des Regelsatzes. Warum? Weil man gesagt hat, man muss einfach mal gucken, was eine Familie unbedingt zum Leben braucht, dass es existenzsichernd ist. Was hat man dann gemacht? Man hat sich
auf ein Statistikmodell geeinigt, abstrakte Zahlen, abstrakte Entwicklungsgrößen, die letztendlich dann so genannt regelsatzrelevant wurden.
Was ist noch in der Zeit passiert? Es gab 1994 ein zweites Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramm der Kohl-Regierung. Dort wurden die Regelsätze zur Sozialhilfe gedeckelt. Deckel drauf, wir brauchen nicht erhöhen. Das sollte eine vorübergehende Beschränkung der jährlichen Regelsatzerhöhung bewirken. Was kam dann? Eine so genannte Reform des Sozialhilferechts im Juli 1996. Diese sollte angeblich eine Revision der Regelsätze in Gang bringen. Das hieß wieder nichts anderes, als dass die Bemessung der Regelsätze nach dem Statistikmodell - also nicht nach dem Bedarf, was man wirklich im Monat braucht - reformiert werden sollte. Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Es hat sich an der Reform tatsächlich nichts geändert. Wir haben den Eindruck, dass gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland wenige überhaupt noch überlegen, wie der Begriff des steuerlichen Existenzminimums tatsächlich auf Lebensverhältnisse übertragen werden soll. Von Europa reden alle, aber die Normen Europas zum Existenzminimum zur Grundlage zu nehmen für den, der nicht aus eigenem Einkommen leben kann, dazu ist die Politik in der CDU/CSU und leider auch in der SPD nicht in dem Maße bereit, wie es tatsächlich der Würde eines selbst bestimmten Lebens auch ohne eigenem Einkommen entsprechen würde.
Die PDS-Fraktion lehnt eine Verlängerung auch der geplanten Übergangsregelung, die Herr Staatssekretär aufgeführt hat, ab. Nicht die Begründungen können ausschlaggebend sein, die Herr Staatssekretär hier gegeben hat. Weil die Bundesregierung nichts getan hat, werden Übergangsregelungen, die in Thüringen 54.934 Menschen kein Leben in einem existenzsichernden Einkommen ermöglichen, die sollen nach der Landesregierung - denn da hat sie zugestimmt - befristet bis 2004 weiter warten. Nun könnte jemand behaupten, Sozialhilfeempfänger sind doch nicht immer dieselben. Es gibt aber eine sehr große Gruppe von Sozialhilfeempfängern, die sich sehr lange darin befinden, und die sich auch noch im Jahre 2004 in dieser Situation befinden, nämlich möglicherweise 21.389 Kinder. Die Kinder sind die am meisten Betroffenen, die sollen bei der Übergangsregelung, die Herr Staatssekretär aufgezählt hat, auch noch eine Runde benachteiligt werden. Wir lehnen dieses deswegen rundum ab. Bei den Regelsätzen nachdem sich seit 1996 nicht viel getan hat - gab es dann aber einen Hit, und zwar den Hit, dass ab 1. Juli 1999 die Regelsätze an die Rentenentwicklung gekoppelt werden. Jetzt muss ich es Ihnen zumuten, dass Sie sich natürlich einen Kopf darüber machen, um zu überlegen, wie werden denn die Rentensätze, die Hebelsätze berechnet? Natürlich wieder nach der Einkommensentwicklung. Nun sehen Sie sich doch aber einmal die Einkommensentwicklung in Thüringen auf dem untersten Lohnniveau an. Da wird es doch problematisch. Die Regelsätze resultieren doch nicht aus Beamten- oder Diäteneinkommen, sondern es gibt ein Lohnabstandsgebot. Da wollen Sie bis 2004, dem haben Sie
zugestimmt, warten. Wir sind der Meinung, dass dieser Zustand umgehend aufgehoben werden muss. Dieser Umstand sollte herausgetrennt aus einem Gesamtreformpaket zur Sozialhilfe tatsächlich als Bundesratsinitiative durch die Landesregierung eingebracht werden.
Herausgelöst aus dieser Gesamtreform, weil alle Reformen bisher gezeigt haben, dass sie keine Reformen waren, sondern immer nur Versuche, bestehende Systemstrukturen nach Kassenlage dem anzupassen. Wir sind der Meinung, wenn schon hier im Landtag die Diäten einer automatischen Steigerung unterliegen, dann sollte dieses Modell, das für Abgeordnete legitim verfassungsrechtlich geschützt ist, als Modell für die Berechnung des Regelbedarfs nach § 22 BSHG auch durch die Landesregierung im Bundesrat eingeführt werden.
Nach Angaben des statistischen Bundesamts ist es so, dass sich die Haushaltskosten, also die Nahrungsmittel und die Haushaltsenergie, seit 1994 um 10 Prozent gesteigert haben. Der Regelsatz zum 01.07.2001 stieg, nicht um 10 Prozent, sondern um 1,9 Prozent. Diese Relationen wollte ich Ihnen auch noch einmal benennen, damit Sie auch überlegen, ob das Modell, was wir als Abgeordnete für Diätenregelung haben, verfassungsrechtlich geschützt, letztendlich nicht doch eine Überlegung wert ist. Wir können uns nur der Hochachtung all derer anschließen, die sich schon vor ca. 300 Thüringer Bürgerinnen und Bürgern artikuliert haben, die sich an dem ungewöhnlichen Experiment der Diakonie sowie der Caritas beteiligt haben, vier Wochen von Sozialhilfe zu leben. "Die Brücke", die Erfurter Straßenzeitung kennen viele; dort können Sie sich von Betroffenen, die sich diesem Versuch unterzogen haben, vier Wochen von Sozialhilfe zu leben, einfach einmal anschauen, können nachlesen, was diese am Ende empfunden haben. Wenn man es selbst nicht durchmacht, so sollte man es dort wenigstens einmal lesen. Dann sieht man nämlich, wie viel Respekt vor denen entwickelt wird, die jährlich mit so einem Sozialhilfesatz leben müssen. Manchmal denke ich, wir Abgeordneten sollten es auch versuchen, denn ein Zitat möchte ich bringen, das in der "Brücke" nachlesbar ist. Dort schreibt ein Betroffener: "Ich sehe soziale Probleme jetzt noch deutlicher und habe sehr große Angst, dass ich auch einmal in solche Situationen kommen könnte". Angst ist nun nicht unbedingt ein gutes Motiv, aber es zeigt zumindest, dass diejenigen, die in einem gesicherten Einkommen leben, sich nach einem vierwöchigen Versuch mit Sozialhilfe zu leben, nicht mehr ausschließen, dass es ihnen selbst irgendwann mal so gehen könnte. Wir möchten, dass das Land seine Position zu den §§ 18, 22 und 76 noch einmal überdenkt, den Vorschlag der Selbständigenanträge im Bundesrat im Interesse derer prüft, die ich Ihnen benannt habe und tatsächlich dann mit der Hilfe vieler anderer Länder vielleicht doch noch Verbesserungen hinbekommt.
Ich möchte zu einem zweiten Komplex etwas sagen, dabei möchte ich auch auf Frau Vopel eingehen. Es ist richtig, am besten wäre es, alle hätten eine existenzsichernde Arbeit. Es ist richtig, dass Lohnersatzleistungen nicht den Arbeitsmarkt befördern können. Es ist richtig, dass wir eine Reform brauchen. Wir brauchen aber keine SGB III-Reform, die tatsächlich die Sozialhilfe und die Arbeitslosenhilfe gleichsetzt. Natürlich sind das steuerfinanzierte Leistungen, aber wenn ich es aus dem Blick der Betroffenen mache, was verantworten Sie dann, wenn Sie Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zusammenführen, nämlich dass diejenigen, die in der Arbeitslosenhilfe gegenwärtig z.B. der Bedürftigkeitsüberprüfung nicht ausgesetzt sind, diese dann vor sich haben; dass das Prinzip eingeführt wird: Eltern für Kinder, Kinder für Eltern; dass die Entwürdigung bei diesen Überprüfungen für einen noch größeren Personenkreis zunimmt und dass die Kommunen, bei denen Sie eben gesagt haben, die dürfen nicht allein die Sozialhilfe in dem Umfang weiter tragen, genau diese Verantwortung auch noch aufgebürdet bekommen. Nun kommen wir aber auch zu dem Problem: Es ist doch richtig, dass wir eine Kommunalfinanzreform brauchen, da gebe ich Ihnen Recht, Frau Vopel. Wir brauchen aber auch im Land ein anderes Verhältnis zum Sozialhilfelastenausgleich. Der Sozialhilfelastenausgleich ist doch eine Landesgröße an dieser Stelle. Frau Vopel, wenn Sie kritisieren, dass schon manche Kommune einen Kredit aufnehmen muss, Sie haben den Fakt geschildert, dann ist der Fakt richtig, nur die Lösung finden wir nicht nur in Bonn, sondern wir sollten hier im Landtag für die Veränderung des Sozialhilfelastenausgleichs eintreten, damit die Kommunen umgehend nicht mehr, um die Sozialhilfe bezahlen zu müssen, entweder andere Stellen kürzen oder möglicherweise sogar Kredite aufnehmen müssen.
Was schaffen sie möglicherweise noch mit einer Gleichstellung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe? Die Probleme schaffen Sie nicht ab, die wir alle schon hatten. Wir brauchen keinerlei Modelle, die vielleicht wieder heißen wie in der Einführung § 42 h AFG. Diese Bestrebung gibt es schon wieder, weil einige der Meinung sind - Herr Staatssekretär, das unterstelle ich Ihnen jetzt nicht, aber das wird von anderen Politikern artikuliert -, dass mit der Eigenverantwortung für das Leben angeblich die Leute überhaupt nicht bereit wären, einem Lebenssinn in Arbeit nachzugehen und dass sie deswegen die Befähigung zum Arbeiten vollständig verlernt hätten. Es gibt Leute, die die Fähigkeit zum Arbeiten verlernt haben. Ich habe mir die Zahlen von Erfurt angeschaut. Zwei Drittel der Sozialhilfeempfänger wären aufgrund ihres Alters - nämlich Kinder, Rentner und eine andere Gruppe Asylbewerber - überhaupt nicht in der Lage, arbeiten zu gehen; dort werden Ausschließlichkeiten gemacht. Dieses eine Drittel, das jetzt noch arbeitsfähig ist, nach Alter und Umständen, die sie haben, ist im Arbeitsamt nicht vermittlungsfähig, weil sie Sozialhilfeempfänger sind. Was haben wir für ein Phänomen in Thüringen? Was ist aus dem Programm "Arbeit statt Sozialhife"
geworden? Haben wir hier nicht an einem Phänomen aus Thüringen abgebaut? Sie fordern, wir sollen sie gleichstellen mit Arbeitslosenhilfeempfängern. Die Möglichkeit aber zu nutzen, was wir selber haben, ohne auf Bonn oder Berlin warten zu müssen, die haben wir mit dem letzten Haushalt gekürzt.
Am Ende. Diese Reduzierung von "Arbeit statt Sozialhilfe" verhindert das Anwenden des eigenen Spielraums des Landes, um diejenigen, die heute nicht vermittlungsfähig sind, überhaupt wieder auf dem zweiten Arbeitsmarkt vermittlungsfähig zu machen. Das kann die Landesregierung umgehend, spätestens mit ihrem Nachtragshaushalt wieder korrigieren. Diese Erwartungshaltung haben wir auch.
Druck auf Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger in der Form, dass man sie etwa bewegen müsste, ist ein falsches Mittel. Sie, Frau Vopel, haben gesagt, dass Sie die amerikanischen Verhältnisse "Kapitalismus pur" nicht haben wollen. Es wäre ein guter Konsens, denn was ist dort mit der Sozialhilfe passiert? Dieses Phänomen besteht aber in dem Begriff "Druck", dass es tatsächlich Länder in den USA gibt, die keine Sozialhilfeempfänger mehr haben, weil man sie nämlich verdrängt hat; weil ihre Ansprüche nicht mehr reduziert und nicht mehr realisiert werden. Es gibt tatsächlich einfach Gegenden, die haben den Haushaltsposten "Sozialhilfe" gestrichen. Wer diesen Posten haben will, muss in ein anderes Land gehen. Das sind Verdrängungen, die wir auf keinen Fall zulassen dürfen. Dann müssen wir aber auch über das Phänomen "Druck" nachdenken. Druck, was soll das heißen? Ich bin der Meinung, Hilfestellung, Unterstützung und keine Diskriminierung von Sozialhilfeempfängern sind Voraussetzungen dafür, dass wir sie tatsächlich, dieses eine Drittel, das vielleicht nicht unbedingt arbeiten gehen will, dass wir sie motivieren. Aber, dann muss auch Arbeit vorhanden sein. Wir haben eben nicht genug Arbeit in diesem Land, weil sie falsch verteilt ist.
Sie ist falsch verteilt! Wir könnten die Einfachsteuer haben, Herr Kretschmer, erzählen Sie doch nicht so einen Unsinn! Wir werden überhaupt kein Problem der Sozialhilfe unter der Arbeitslosigkeit in diesem Lande neu regeln, wenn wir uns nicht daran machen, das Steuersystem so zu verändern, dass auch der, der viel hat, für die Gesellschaft viel finanziert, das wissen Sie ganz genau. Wir haben hier Reichtumsverhältnisse, mit denen hätte niemand ein Haushaltsloch und da wären zwei Prozent des Reichtums abgeschöpft. Sie wollen offensichtlich keine
Ich bin auch nicht drohend, ich mache Ihnen nur klar, dass Ihre Ansätze wirklich sehr falsch sind. Wenn Sie hier behaupten, dass Arbeit zu teuer wäre. Geld ist in diesem Land genug da. Ich möchte noch auf das Problem eingehen, dass Sie, Herr Staatssekretär, gesagt haben, an der Experimentierklausel nimmt gegenwärtig nur Altenburg teil. Mir ist bekannt, aufgrund einer Anfrage und einer Antwort, dass es bei zwei Kreisen und fünf kreisfreien Städten Bereitschaft dazu gab. Ich würde gern wissen, was ist daraus geworden? Wieso nur in Altenburg? Bis 2003 müssen wir uns an der Stelle gedulden, um die Erfahrung zu haben. Ich sage aber auch, es würde mich interessieren, was aus den anderen nicht eingestiegenen Kreisen für Gründe gekommen sind, warum sie die Modelle nicht angenommen haben. Deswegen würde ich namens meiner Fraktion beantragen, dass dieser Bericht im Ausschuss für Soziales, Familie und Gesundheit weiterdiskutiert wird.
Frau Thierbach, haben Sie das falsch verstanden oder falsch verstehen wollen? Sowohl bei den Modellprojekten als auch bei dem, was mit Arbeit und Sozialhilfeempfängern zu tun hat, ist es ganz selbstverständlich - das habe ich gesagt -, dass es sich dabei immer um die arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger handelt. Kein Mensch will in diesem Land einen Kranken, einen Alten, einen Schwachen oder eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die zeitweilig in der Sozialhilfe ist - was wir gern anders haben möchten - zur Arbeit schicken. Haben Sie das falsch verstanden oder wollen Sie das falsch verstehen? Zum Zweiten, ich habe nicht von "Druck" gesprochen, haben Sie das vielleicht richtig gehört, dass ich gesagt habe: "Anreiz", das ist ein Unterschied.
Frau Vopel, Ihre Frage könnte man ganz schnell beantworten. Wenn die Dinge, mit denen Sie die Probleme lösen wollen, nicht Druck beinhalten würden, dann wären sie
Anreize. Jetzt sagen Sie, ein bisschen Druck muss immer sein. Ich glaube nicht, dass jemand einen Abgeordneten hier "drücken" muss und er bekommt trotzdem automatisch seine Diäten, der kann ja auch tun, was er will. Der zweite Punkt ist, lassen Sie uns sachlich über die vielen Probleme, die es gibt, im Ausschuss reden; versuchen wir dort lieber aufzulösen, dass die Landesregierung nicht bereit ist, Übergangsregelungen weiter zu unterstützen, die für die 54.000 keinerlei Verbesserung der Lebensumstände mit sich bringen, das wäre dann eine sachliche Diskussion. Danke.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, Herr Maaßen, zunächst erst einmal eine Bemerkung zu Ihrer Einlassung bezüglich der Arbeitslosenzahlen. Sie wissen, wann die Zahl 3,5 Mio. entstanden ist, das war im Jahr 2000, als die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ganz andere waren. Richtig, wir liegen jetzt bei 4,3 Mio. Wegen der Wintersituation ist sogar noch eine Erhöhung zu befürchten, das wissen wir auch, dass der März noch schlechter aussehen könnte. Wir haben Probleme mit der allgemeinen Wirtschaftssituation. Ich darf bemerken, dass in diesen Arbeitslosenzahlen, wenn man die Vergleiche zu 1998 zieht, man die 400.000 Wahlkampf-ABM und -SAM natürlich berücksichtigen muss. Wir wissen, wie die Situation in der Bauwirtschaft aussieht. Ich habe verschiedene Runden durch die Arbeitsämter gedreht. Es gibt z.B. ein ganz interessantes Phänomen, was etwa die Arbeitsamtsdirektion Suhl betrifft. Wir wissen, wir haben hohe Entlastungen nach Bayern, etwa 21.000 Auspendler. Dort ist es oft im Handwerk und in der Bauwirtschaft so, dass die von Anfang an nur Zeitverträge bekommen, dass sie von Mitte Dezember bis Mitte März quasi arbeitslos sind, nach Thüringen kommen und hier wieder in das Arbeitslosengeld fallen. Es ist leider so, dass das bayerische Stammpersonal dann über das Jahr arbeitet und dass die Thüringer dann hinzukommen, um die Leistungsspitzen abzufangen. Darüber muss man auch reden. Verschleppung von Reformen durch die Bundesregierung, Frau Vopel, ich habe mich ja schon dazu geäußert - Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe -, warum das so lange dauert. Sie wissen ganz genau, dass dieses Thema nicht erst mit der Regierungsübernahme 1998 zu Stande gekommen ist, sondern dass es wahrscheinlich schon um die 20 Jahre alt ist, weil dieses Thema komplex ist. Ich komme dann noch dazu. Herr Professor Sinn, der macht Statistiken und zieht daraus seine Schlussfolgerungen. Wie kompliziert das Thema umzusetzen ist, das ist ja nicht seine Sache. Im Übrigen darf ich bemerken, dass die Länder selbst diese Modellversuche gewollt haben.