Meine Damen und Herren, im Rahmen der Plenarsitzung im November deutete der Abgeordnete Schemmel seine Absicht zum Geheimnisverrat an. Er verriet den gemeinen Abgeordneten und natürlich auch der Öffentlichkeit, dass die Landesregierung ihrer jährlichen Berichtspflicht entsprechend § 7 Abs. 7 Thüringer Verfassungsschutzgesetz und § 35 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz nicht nachgekommen ist. Der Grund: Das Wissen der Landesregierung war so geheim, dass selbst anerkannte Geheimnisträger nicht daran beteiligt wurden. Und hier, meine Damen und Herren, erfahren wir einiges über den möglichen Charakter der Geheimnisse, über die PKK, die Möglichkeit deren Mitglieder, ihre parlamentarische Kontrolle wahrzunehmen, die Bereitschaft der Landesregierung, sich kontrollieren zu lassen, und natürlich auch über das Grundrechtsverständnis der Landesregierung selbst. Wir erfahren hier, was die PDS schon lange darlegt, nicht nur, dass durch eine parlamentarische Geheimkontrollkommission keine dem demokratischen Grundsatz der Transparenz genügende Kontrolle gewährleistet wird, sondern lediglich der Kreis der Geheimnisträger erweitert wird. Wir erfahren hier auch, dass PKK-Mitglieder sich von den zuständigen Berichterstattern vieles bieten lassen müssen, auch weil sie keinen parlamentarischen oder öffentlichen Druck auf die Landesregierung entfalten können. Ich möchte hier insbesondere die SPD daran erinnern, dass gerade sie es war, die aufgrund der rechtsstaatlichen Kontrollmöglichkeiten durch Richtervorabkontrolle und Parlamentarische Kontrollkommission für den Lauschangriff geworben hatte.
Meine Damen und Herren Abgeordneten der SPD-Fraktion, hören Sie endlich auf, die PKK zu loben, die sie seit Jahren auch verteidigen! Auch Sie sehen nun, was einst Bundeskanzler Helmut Kohl so schön im Bundestag sagte: Die Realität ist in Wirklichkeit ganz anders.
Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion hält Geheimdienste und geheimdienstliche Mittel auch bei der Polizei und die mit ihnen vorgenommenen Grundrechtseingriffe für schrankenlos und unkontrollierbar. Wir halten sie für ineffektiv, sie schaden sogar mehr, als sie nutzen. Die rechtsstaatlichen und bürgerrechtlichen Kosten solcher
Als 1998 das Gesetz zur Änderung des Artikel 13 Grundgesetz, sprich das Gesetz zur Legitimation des Großen Lauschangriffs, und in der Folge das Thüringer Gesetz zur Umsetzung des Bundesgesetzes kamen, hat die PDS auf Bundes- und auf Landesebene deutlich gemacht, dass sie die damit erweiterten Kompetenzen in der Strafprozessordnung und zum Teil auch in den Polizeigesetzen der Länder ablehnt. Ich erinnere Sie daran, meine Damen und Herren Abgeordneten, Sabine LeutheusserSchnarrenberger hat an dem Tag, an dem der Lauschangriff verabschiedet wurde, als schwarzen Tag für den liberalen Rechtsstaat bezeichnet, sie trat deshalb als Bundesjustizministerin zurück. Burkhard Hirsch, ebenfalls von der F.D.P., erklärte an diesem Tag, dies sei nicht mehr der Rechtsstaat, für den er 50 Jahre lang eingetreten war. Und beide hatten daraufhin am 30. September 1999 Verfassungsbeschwerde eingelegt, die heute immer noch anhängig ist.
Meine Damen und Herren, das Thüringer Polizeiaufgabengesetz musste für diese Kompetenz nicht einmal erweitert werden, es musste gar beschränkt werden, womit wir eigentlich schon sehr viel darüber erfahren, welche weit reichenden Eingriffe in Grundrechte im PAG geregelt sind, und das, meine Damen und Herren, von Anbeginn an. Die Möglichkeit zur heimlichen Ausforschung der Privatsphäre bestand seit 1992 bereits weit reichend. Nicht einmal eine erhebliche Gefahr galt und gilt als Eingriffsschwelle. Eine konkrete zeitliche Befristung für die Maßnahme musste ins Polizeiaufgabengesetz eingefügt werden, denn diese war bis 1998 überhaupt nicht vorgesehen. Eine Benachrichtigung der Betroffenen über die erfolgte Bespitzelung in den eigenen vier Wänden ist im Thüringer Polizeirecht selbst dann nicht vorgesehen, wenn sich kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anschließt. Die 1998 verfügten Kontrollpflichten werden jedoch den exzessiven Einsatz der Spitzelmethode nicht beschränken, meine Damen und Herren, wir wissen aus der Telekommunikationsüberwachung, dass die richterlichen Kontrollinstanzen nur selten ablehnen, was Polizei und Staatsanwaltschaften beantragen. Und das wird beim Großen Lauschangriff nicht wesentlich anders sein.
Meine Damen und Herren, Methoden der Kommunikationsüberwachung sind, wie der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gößner in seinem Buch "Big Brother & Co." anmerkt, breit streuende Waffen, und die Begehrlichkeiten zu ihrer extensiven Nutzung sind hoch, das sehen wir im Übrigen an der Vielzahl der Telekommunikationsüberwachungen, die jährlich die zweistellige Tausendergrenze überschreitet. Im Rahmen der neu geschaffenen Befugnis zum Lauschangriff wurden 1998 in acht Bundesländern in neun Fällen Wanzen gegen 20 unmittelbar Betroffene eingesetzt - Thüringen war 1998 nicht dabei -, aber nur in zwei Strafverfahren flossen Informationen aus der Überwachung ein. Das heißt, in sieben von neun Fällen war der Lauschangriff überflüssig. Angaben über die
Zahl der unbeteiligten und unverdächtigten Betroffenen dieser Bespitzelung waren dabei erst gar nicht zu erhalten. Die längste Überwachung dauerte knapp zwei Monate. 1999 waren es schon 30 Wohnungen in 11 Bundesländern, die abgehört wurden. Die Anzahl der unmittelbar Betroffenen betrug 142, von denen nur 63 als Beschuldigte gelten. Die längste Überwachung dauerte bereits einen Monat länger als ein Jahr zuvor, 1998.
Meine Damen und Herren, ich bin überrascht, dass die Landesregierung nicht willens ist, einen Bericht dem Thüringer Landtag zu geben über einen Sachverhalt, wo sie verpflichtet ist, der Bundesregierung jährlich Bericht zu erstatten. Deshalb werden wir dem Antrag der SPD zustimmen, der beinhaltet, für Thüringen die Fallzahlen der eingesetzten Lauschangriffe im Rahmen der Strafprozessordnung vorzulegen. Ich möchte es nicht dabei bewenden lassen, einfach hier für den Landtag nur die Zahlen einzufordern, die die Landesregierung der Bundesregierung übermittelt, also nicht nur die Übermittlung der Anzahl der eingeleiteten Verfahren und die Aufschlüsselung nach Anlasstaten in Gruppen einsortiert, sondern es geht auch um Angaben, die dem Landtag übermittelt werden müssen und die öffentlich gemacht werden müssen wie etwa, in wie vielen Fällen wurde die Überwachung, die durch die Polizei oder Staatsanwaltschaften eingefordert worden sind, von Richtern abgelehnt. Es geht aber auch genauso um die Angaben, wie viele Wohnungen von derartigen Lauschangriffen betroffen waren. Es geht um die Dauer der Maßnahmen. Es geht auch darum, in welchen Fällen Benachrichtigungen der Betroffenen stattgefunden haben, und falls dies nicht erfolgt ist, aus welchem Grund die Betroffenen nicht informiert wurden. Und es geht letztendlich natürlich auch um die Wirkung auf eventuelle Verfahren, in wie vielen Fällen tatsächlich aus den Abhörmaßnahmen Ermittlungs- oder gar Strafverfahren bis hin zur Verurteilung folgten.
Und, meine Damen und Herren, es geht natürlich letztendlich auch um eine Übersicht über die von einer Überwachungsmaßnahme betroffenen Personen und eben nicht nur der verdächtigten Personen, sondern es geht darum darzustellen, wie oft und wie viele Inhaber, Mieter, Nutzungsberechtigte von überwachten Wohnungen betroffen waren sowie sonstige unbeteiligte Besucherinnen und Besucher, Nutzer und Nutzerinnen, die nach der bisherigen Lesart nicht zu den eigentlichen Betroffenen dieser Überwachungsmaßnahme zählen, weil sie sich in der Wohnung lediglich zufällig aufgehalten haben.
Meine Damen und Herren, das in den Zahlen des Bundes deutlich werdende Verhältnis der Anzahl der Betroffenen und auch mit dem Hinweis, den ich gerade gegeben habe zur Anzahl der Strafverfahren bzw. Beschuldigten, legt offen, wie irrelevant die Methode tatsächlich ist bzw. wie weit reichend Unschuldige von der Spitzelmaßnahme betroffen sind, für die bereits der einfache Verdacht genügt, dass sich der Beschuldigte ver
mutlich in der überwachten Wohnung aufhält. Immer wieder wird angeführt, dass der § 110 I Nr. 3 Strafprozessordnung Katalogtaten besonderer Schwere umfasst. Es ist unstrittig, meine Damen und Herren, dass es sich bei Mord, Totschlag und Völkermord um schwerste Delikte handelt. Umstritten ist jedoch, ob es sich bei einzelnen Straftaten dieses Katalogs tatsächlich um schwere Straftaten handelt, z.B. bei Taten, die Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren nach sich ziehen, z.B. die Vorbereitung der Herstellung von falschen Vordrucken für Euroschecks oder Bestechlichkeit oder Bestechung. Eindeutig abzulehnen, meine Damen und Herren, ist die Aufnahme von Straftaten nach dem Ausländer- und Asylverfahrensgesetz als Katalogtaten in die Strafprozessordnung. Oder wollen Sie etwa behaupten, dass die gemeinschaftliche Absprache zur Verletzung der Residenzpflicht nach Asylverfahrensgesetz den Fortbestand der Bundesrepublik gefährdet und deshalb zu belauschen ist? Und wenn Sie, meine Damen und Herren, der Meinung sind, die Fälle illegalisierter Fluchthilfe sind hier in den Fokus gerückt, dann ist dem nicht mit einer weiteren Grundrechtseinschränkung zu begegnen, sondern nur damit, die Festung Europa zum Einsturz zu bringen und die 1993 vollzogene Grundrechtseinschränkung in Artikel 16 a Grundgesetz wieder rückgängig zu machen oder, wie Günter Grass am gestrigen Tag anlässlich des 50. Jahrestages des UNHCR sagte, den Asylrechtsartikel wieder ansehnlich zu machen.
Meine Damen und Herren, vielfach wird ebenso angeführt, dass es bei den Kriterien für organisierte Kriminalität, auf die sich das den Lauschangriff einführende Gesetz bezieht, es schließlich nicht unmittelbar auf die Schwere des Delikts ankommt, sondern es kommt auch auf die Art der Ausführung und seiner Auswirkungen an, die in den Fällen von organisierter Kriminalität regelmäßig als schwer wiegend anzusehen sein sollen. Der Verweis auf die organisierte Kriminalität steht zwar, meine Damen und Herren, noch in der Gesetzesbegründung, nicht aber im Gesetzestext selbst. Es ist insofern beim Lauschangriff als ein - ich zitiere hier erneut Sabine Leutheusser-Schnarrenberg - "Standardinstrument der Strafverfolgung" auszugehen. Um nicht den Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung darüber zu überlassen, ob ein Vergehen das Erfordernis einer schweren Straftat erfüllt, hätte eine tatbestandliche Präzisierung erfolgen müssen, die es zumindest im Nachhinein ermöglicht hätte, die Annahmen, die zur Anordnung eines großen Lauschangriffs geführt haben, zu überprüfen.
Der große Lauschangriff auf Wohnungen, auf die Privatsphäre und die Schlafzimmer der Bürgerinnen und Bürger, wurde im Kriminalitätswahlkampfjahr 1998 mit dem Beschwören der Schimäre organisierte Kriminalität legitimiert. Nicht nur, meine Damen und Herren, dass wir in Thüringen keine tatsächliche OK-Lage haben,
es ist auch so, dass vieles, was unter organisierter Kriminalität zusammengefasst wird, so gar nicht existiert, und, Herr Fiedler, ich will Ihnen das auch gleich deutlich machen. In Thüringen sind 1999 178 Straftaten mit OK-Relevanz erfasst worden mit einem Gesamtschaden von 1,7 Mio. Mark, das sind pro Straftat etwas weniger als 10.000 DM. Vergleichen Sie das bitte mit der PilzAffäre. Aus diesen 178 Straftaten haben sich 1999 nur zehn Ermittlungsverfahren ergeben. Es ist eben auch so, meine Damen und Herren, wie 1996 der Vizepräsident des Bundeskriminalamtes feststellte, dass im Ergebnis die Beförderung des Themas "organisierte Kriminalität" in der Öffentlichkeit zu unseriöser Dramatisierung oder Verallgemeinerung geführt habe, in deren Folge es zu einer Banalisierung des OK-Begriffs gekommen ist. Zudem, meine Damen und Herren, führt jede Aufrüstung des Sicherheitsapparates nicht zu mehr "großen Fischen" im Netz der Fahnder, sondern zur Aufrüstung der Kriminellen und dazu, dass bestenfalls "kleine Fische" gefangen werden. Horst Herold, Ihnen sicherlich bekannt als ehemaliger Bundeskriminalamtspräsident, führte bereits 1974 aus - ich zitiere: "Je mehr die Polizei ihre Abwehr- und Verfolgungsstrategien verfeinert, je mehr sie die elektronische Datenverarbeitung in ihren Dienst stellt und die kriminalistischen Arbeitsweisen verwissenschaftlicht, desto mehr trägt sie tendenziell zur Intellektualisierung und Technisierung des Verbrechens bei, wenn das berufsmäßige Verbrechen gegenüber den modernen Arbeitsweisen der Polizei gleichsam überleben will, um es sich in einer Art krimineller Gegenmacht organisieren, um als Organisation die Schlupfwinkel zu bieten, die der Einzelne nicht mehr hat."
Meine Damen und Herren, gerade diejenigen, gegen die sich der große Lauschangriff wenden soll, werden sich am besten dagegen zu wehren wissen. Und gerade dort, wo von Zentren der organisierten Kriminalität gesprochen wird - in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main -, gab es 1998 keinen einzigen Lauschangriff, und das trotz 350 Tatverdächtiger in OK-Verfahren.
Meine Damen und Herren, der große Lauschangriff steht am bisherigen Ende der Kette geheimdienstlicher Mittelaufrüstung bei der Polizei und der Nutzung so gewonnener Erkenntnisse im Strafverfahren. Nachdem 1991 die verdeckten Ermittler und die akustische und optische Überwachung außerhalb von Wohnungen in die Strafprozessordnung eingeführt wurden und damit geheimpolizeiliche Mittel in den Strafprozess integriert wurden, folgte dann 1998 mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität die Legalisierung der akustischen Überwachung in privaten Räumen. Und die CDU-Fraktion befürwortet bereits in der Öffentlichkeit die Befugnis zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum.
Meine Damen und Herren, all die vorausgegangenen Maßnahmen wurden damit gerechtfertigt, dass die bisherigen nicht den Nutzen brachten, den man sich angeblich anfänglich auch davon versprach. Statt aber nun von ihrer Nutzung abzusehen, musste und muss wohl nun noch weiter aufgerüstet werden. Ich frage Sie: Was wird als Nächstes kommen - die optische Wohnraumüberwachung, der Spähangriff auf Wohnungen, weil verdeckte Ermittler und großer Lauschangriff nicht ermöglicht haben, in die Kernbereiche der kriminellen Organisation vorzudringen?
Meine Damen und Herren, die Verschärfungen beweisen, dass es um einen Kontrollzugriff des Staates auf die Bürger geht, der sich unter wechselndem Namen tarnt. In diesem Sommer hat die Debatte um Rechtsextremismus ermöglicht, Kontrollinteressen zu mobilisieren und Grundrechte einzuschränken. Demokratiebeschränkende Maßnahmen, meine Damen und Herren, werden die Demokratie aber nicht stärken - ganz im Gegenteil, sie werden sie schwächen.
Und ich sage es Ihnen auch ganz deutlich, Neonazis werden das begrüßen, denn diese haben an Rechtsstaatlichkeit überhaupt kein Interesse.
Meine Damen und Herren, die PDS-Fraktion hat die akustische Wohnraumüberwachung abgelehnt. Wie verfassungsfeindlich die Maßnahme war, zeigt sich daran, dass hierfür das Grundgesetz so geändert werden musste, dass schließlich ein massiver Eingriff in ein verfassungsgarantiertes Individualrecht vorgenommen wurde. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist verfassungsmäßig verankert, um dem Einzelnen einen Bereich privater Lebensführung zu sichern. Die PDS hat nicht nur gegen die Grundgesetzänderung gekämpft, sondern auch darum, wenigstens Berufsgruppen, deren Arbeitsverhältnisse Vertrauensverhältnisse sind, aus der Überwachung herauszunehmen. Die PDS hat auch im Nachgang zum Bundestagsbeschluss gefordert, wenigstens die Überwachung auf maximal vier Wochen zu begrenzen und danach eine erneute Genehmigung notwendig zu machen. Wir haben auch gefordert, wie es seinerzeit auch die Datenschutzbeauftragten des Landes und der Länder inklusive Thüringen getan haben, über den Grundrechtseingriff, Herr Wolf, anonymisiert öffentlich Bericht zu erstatten, und die Kriterien für einen solchen Bericht hatte ich Ihnen genannt.
Wir haben uns gegen die Zuweisung der Kontrolle an die Parlamentarische Kontrollkommission gewandt, weil wir die Geheimniskrämerei mit Grundrechtseingriffen ebenso wie diese selbst für demokratiefeindlich halten, und die Zuweisung der Kontrolle polizeilicher Maßnahmen
nach § 35 Abs. 5 Polizeiaufgabengesetz in eine Geheimkommission, die eigentlich zur Kontrolle eines Geheimdienstes geschaffen worden ist, deutet die Begehrlichkeit einer neuen Geheimpolizei an. Wir bezeichnen diesen Grundrechtseingriff, wie es ehrlicherweise auch die Geheimdienste tun, als Lauschangriff, als Angriff des Staates auf die Bürger. Die vernebelnde und verharmlosende Sprachregelung "Aufklärung mit technischen Mitteln" weisen wir zurück. Hier wird in den verfassungsmäßig garantierten unantastbaren Bereich der privaten Lebensführung eingegriffen, der explizit der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen sein soll, weil es zur Entfaltung des Individuums und seiner freien Entwicklung der Einzelne eines solchen privaten Raumes bedarf, in dem er nicht annehmen muss vom Staat beobachtet zu werden. Dies hat, meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht insofern festgestellt, dass dem Einzelnen im Hinblick auf seine Menschenwürde, im Interesse seiner freien Persönlichkeitsentfaltung und seiner körperlichen und psychischen Integrität ein solcher elementarer Lebensraum zu gewährleisten ist. Eine Verhältnismäßigkeitsabwägung zwischen dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung und schwer wiegenden Interessen der Allgemeinheit findet hier aber nicht einmal mehr statt. Die Grundgesetzänderung verstärkte erneut das Recht der Sicherheitskräfte gegenüber dem Recht der Bürger. Zur Durchführung der Lauschangriffe können staatliche Bedienstete gar in die Wohnung der Bürger einbrechen, und dies völlig spurenfrei. Schlüsselfirmen werden verpflichtet, Kopien von Sicherheitsschlüsseln für die Polizei bereitzuhalten.
Meine Damen und Herren, wenn der Staat alles darf, was machbar und was denkbar ist, besteht die Gefahr, in ein illiberal-autoritäres Regime abzugleiten. In der DDR, meine Damen und Herren, wurde illegal abgehört. Dass dies ja jetzt ganz legal passiert, macht die Sache für die Betroffenen auch nicht besser.
Und der Lauschangriff betrifft nicht nur die vielgerühmten Gangsterwohnungen, denn er wird ja gerade eingesetzt, um Beweise gegen einen lediglich Verdächtigen erst zu erbringen. Der Lauschangriff trifft eine Vielzahl von Unbeteiligten und das ist doch gerade auch der Sinn der Sache, denn Unbeteiligte dienen als Medium, um ermittlungsdienliche Äußerungen des Beschuldigten erst herbeizuführen. Der Lauschangriff hebelt die Unschuldsvermutung genauso aus wie das Recht auf Zeugnisverweigerung und das rechtsstaatliche Gebot der Offenheit staatlichen Handelns.
Wir sagen, meine Damen und Herren, kein Mensch schuldet dem Staat seine Grundrechte zum Zwecke der Verbrechensbekämpfung. Anders als die CDU gehen wir da von der Priorität der Freiheitsrechte gegenüber dem Staat aus, statt ein Grundrecht auf Sicherheit zu reklamieren,
das es nicht nur nicht gibt, sondern das auch den Rechtsstaat letztendlich korrumpiert. Wir halten es da, meine Damen und Herren, mit einem Ihrer bekanntesten Sprecher, dem ehemaligen Bundeskanzler, Ehrenmann und Spendensammler Helmut Kohl, der auf dem 59. Deutschen Juristentag 1992 sagte, ich zitiere und damit will ich abschließen: "Wir müssen immer wieder Verständnis dafür wecken, dass dem Rechtsstaat Grenzen gesetzt sind, die dem spontanen Rechtsempfinden vieler nicht mehr entsprechen. Wir müssen akzeptieren, dass der Rechtsstaat auch diejenigen schützt, die es moralisch vielleicht gar nicht verdienen. Diese Beschränkung schützt uns alle und sie schützt den Rechtsstaat selbst. Ohne sie ist Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit nicht denkbar." Vielen Dank.
Ich muss jetzt einmal fragen. Herr Abgeordneter Fiedler, hatten Sie eine Redemeldung signalisiert? Abgeordneter Pohl hat noch eine Redemeldung signalisiert. Der Staatssekretär möchte noch sprechen. Normalerweise wollten wir in die Mittagspause jetzt eintreten.
Wir setzen dann auch nach der Fragestunde mit der Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt fort, weil es sonst, glaube ich, nicht so sehr gut ist, wenn wir uns unter diesen Zeitdruck setzen. Ich möchte jetzt in die Mittagspause eintreten. Um 14.00 Uhr beginnen wir mit der Fragestunde - eine Stunde Fragestunde - und dann Fortsetzung zu den Beratungsgegenständen, die noch offen sind.
Trotz nicht so sehr gefüllter Räume, ich will einmal so sagen, ich muss ja bei der Formulierung vorsichtig sein, setzen wir mit der Tagesordnung fort.
Vor dem Landtag hat der damalige Innenminister Richard Dewes (SPD) am 16. Juni 1995 ausgeführt, dass die sozialen Belange der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bußgeldstelle Suhl, welche im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen nach Artern verlegt werden soll,
Er hat weiterhin in seiner Rede ausgeführt: "Die meisten Frauen sind nach BAT VII oder BAT VI b beschäftigt, das heißt, sie sind von ihren Einkommensverhältnissen her in der Regel nicht dazu in der Lage, einen solchen Umzug von Suhl nach Artern mitzumachen."
Der Innenminister führte weiter aus, dass 80 Prozent der in der Bußgeldstelle Beschäftigten Frauen sind, die damals im Schnitt 42 Jahre alt waren und elf Frauen davon damals über 50 Jahre waren. Er ging damals davon aus, dass es innerhalb von zwei Jahren gelingen würde, im Südthüringer Bereich diesen Frauen adäquate Aufgaben in Landesdienststellen zur Verfügung stellen zu können. Hierzu gab es ausdrücklichen Applaus von der CDU und SPD, die in dieser Zeit die große Koalition getragen haben.
1. Wie vielen von den damals beschäftigten Personen, insbesondere wie vielen von den vorgenannten Frauen, die mittlerweile im Schnitt 47 Jahre alt sein müssten, hat man adäquate Arbeitsplätze im Landesbereich bzw. in Landesdienststellen angeboten und wie viele konnten umgesetzt werden?
2. Da der Innenminister 1995 vor dem Parlament ausgeführt hat, dass man den in dieser Dienststelle Beschäftigten einen Anreiz geben wolle, von Suhl nach Artern umzuziehen, und dies das Anliegen der Regierung sei, frage ich die Landesregierung, welche Anreize wurden ausgelobt bzw. ist es zwischenzeitlich zu rechtsverbindlichen Vereinbarungen mit dem Personalrat respektive mit dem Hauptpersonalrat gekommen?
3. Wenn die Landesregierung davon ausgeht, dass die zum Umzug stehende Behörde überwiegend von älteren Frauen, die sich in einem für den Arbeitsmarkt sehr kritischem Lebensalter befinden, besetzt ist, die zudem tariflich in den unteren Lohngruppen angesiedelt sind und von einem Umzug für diese aus Eigenmitteln der Betroffenen nicht auszugehen ist, frage ich die Landesregierung, welche Beihilfen materieller und immaterieller Natur wurden oder werden zur Verfügung gestellt, um den Umzugswilligen den Umzug auch zu ermöglichen?