Protocol of the Session on April 14, 2000

Für die Landesregierung beantwortet diese Frage Minister Dr. Pietzsch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren!

Zu Frage 1: Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Sonderprogramm ist eine Befragung bei Arbeitgebern und behinderten Arbeitnehmern vorgesehen.

Zu Frage 2: Nach den Richtlinien zur Durchführung des Sonderprogramms erfolgt die Antragstellung bei den örtlich zuständigen Arbeitsämtern. Eine Berichtspflicht über eingegangene Anträge ist nicht Bestandteil der Verwaltungsvereinbarung. Mit dem Arbeitsamt vereinbart ist die Übersendung von Kopien der Bewilligungsbescheide. In der Hauptfürsorgestelle liegen bislang 14 derartige Bescheidkopien vor. Wie viel Anträge noch bearbeitet werden, kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen.

Zu Frage 3: Das erste Thüringer Schwerbehindertensonderprogramm der Jahre 1995 und 1996 wurde nicht wissenschaftlich begleitet. Die wichtigste Schlussfolgerung war daher, entsprechende Erkenntnisse durch eine wissenschaftliche Begleitung zu gewinnen. Bei der Arbeitsassistenz handelt es sich um eine Leistung der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben, die nicht Bestandteil der Förderung eines Sonderprogramms ist, sondern gegebenenfalls als Einzelleistung im Rahmen der begleitenden Hilfe gewährt werden kann, so dass dieses Sonderprogramm damit, ich sage einmal ganz allgemein, nicht geschmälert wird.

Zu Frage 4: Die Ausschreibung zur wissenschaftlichen Begleitung des Sonderprogramms wurde im Staatsanzeiger vom 6. März 2000 veröffentlicht. Die Bewerbungsfrist

endete am 6. April 2000. Die Auswertung der Bewerbungen ist noch nicht abgeschlossen, so dass ich hierzu keine Angaben machen kann.

Es gibt dazu Nachfragen. Frau Abgeordnete Thierbach, bitte.

Herr Minister, Sie sagten, was uns auch bekannt war, dass zum ersten Sonderprogramm keine wissenschaftliche Begleitung stattgefunden hat. Liegen trotzdem der Landesregierung Kenntnisse vor, wie viele Dauerarbeitsplätze länger als ein Jahr nach dem Auslaufen der Förderung durch das erste Sonderprogramm entstanden sind, oder gibt es dazu auch nicht die Möglichkeit?

Dazu wäre die ausreichend lange Begleitung nötig. Das ist nicht gegeben gewesen. Ich habe Ihnen vorhin eine Zahl genannt, von 45 Mio. sind 5 Mio. rückgeführt worden. Daran können Sie ermessen, dass etwa 20 Prozent offensichtlich nicht zu einem wirklichen Dauerarbeitsplatz geführt haben.

Es war eine zweite Nachfrage signalisiert worden. Herr Abgeordneter Nothnagel.

Allerdings, Frau Abgeordnete Thierbach, wenn es 80 Prozent Dauerarbeitsplätze gegeben hat, das wäre ein Riesenerfolg. Ja, man muss es auch von der Seite betrachten.

Eine Nachfrage zur wissenschaftlichen Begleitung. Wäre es möglich, uns den Stand dann mitzuteilen, wenn die Ausschreibung gelaufen ist, wer das dann übernommen hat?

Das kann ich machen.

Es gibt keine weiteren Nachfragen. Damit stelle ich die Beantwortung dieser Frage fest.

Ich rufe die Frage des Abgeordneten Nothnagel, Europaweiter Protesttag für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, in Drucksache 3/491 auf.

Europaweiter Protesttag für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen

Am 5. Mai jährt sich zum zehnten Mal in Europa und in Thüringen zum fünften Mal der europaweite Protesttag der Behinderten für die Gleichstellung.

Der Trend zur Gleichstellung behinderter Menschen in Europa und in Deutschland ist nicht mehr aufzuhalten und der Paradigmenwechsel vom Wohlfahrtsdenken hin zum selbstbestimmten Leben ist in vollem Gange.

Ich frage die Landesregierung:

1. Welche Initiativen gibt es von der Landesregierung zur Gleichstellung behinderter Menschen?

2. Ist die Landesregierung bereit, diesen Paradigmenwechsel der Behindertenpolitik zu unterstützen, und wenn ja, wie?

3. Wer sind die Ansprechpartner der Landesregierung in Fragen der Gleichstellung behinderter Menschen?

4. Wie gestaltet sich dabei die Zusammenarbeit mit der progressiven Behindertenbewegung in Thüringen und welche Rolle spielt dabei der Landesbehindertenbeirat?

Für die Landesregierung beantwortet diese Frage Minister Dr. Pietzsch.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Abgeordneter Nothnagel, es mag sein, dass so, wie Sie im Vorspann geschrieben haben, ein Paradigmenwechsel vom Wohlfahrtsdenken hin zum selbstbestimmten Leben..., aber ich bitte, das, was ich gestern gesagt habe, zu berücksichtigen, wir müssen die Dinge differenziert angehen. Ich denke, ein Wohlfahrtsdenken sollte in unserem Staat nicht völlig von der Bühne verschwinden, das brauchen wir wohl auch noch für die Zukunft. Unter diesem Vorspann möchte ich die Fragen beantworten. Ich denke, es sollte auch kein Missverständnis darüber bestehen, dass Menschen mit Behinderungen in Thüringen durchaus einen Anspruch auf Gleichstellung haben und hier auch schon zu einem erheblichen Teil zu einer Gleichstellung gekommen sind. Ich habe dieses gestern an der Gleichstellung zwischen Mann und Frau exemplarisch deutlich gemacht, dass es sicherlich bis zum voll

ständigen Erreichen dessen, was die Behinderten wollen, noch ein geraumer Weg ist, weil es eben auch etwas mit der Einstellung und nicht nur mit Gesetzen zu tun hat.

Um auf Gesetze zu kommen: Der Artikel 2 der Thüringer Verfassung verpflichtet uns - und wir realisieren das auch -, dass bei allen Gesetzgebungsverfahren und im Verwaltungshandeln die Interessen von Menschen mit Behinderungen besonders beachtet werden. Die materiellen Hilfen zur sozialen und beruflichen Integration behinderter Mitbürger sind, wie wir ja schon vorhin in weiteren Anfragen gehört haben, durchaus ziemlich umfangreich.

Zu Frage 2: Die Landesregierung ist der Auffassung, dass das bestehende Rehabilitationssystem nicht ersetzt, sondern durch Maßnahmen ergänzt werden soll, und zwar durch Maßnahmen, die einen Anspruch von Menschen mit Behinderungen auf gesellschaftliche Teilhabe fördern. Der überwiegende Teil dieser Maßnahmen - wir haben es vorhin schon angesprochen - erfolgt auf Bundesebene, beispielsweise Schwerbehindertengesetz. Auf Landesebene sei exemplarisch hier die Thüringer Bauordnung erwähnt. Aber auch, ich meine, da sind wir in Thüringen schon ein ganzes Stück vorangekommen, die Untertitelung von Nachrichtensendungen durch Gebärdendolmetscher, zumindest am Vormittag der Nachrichtensendung, die am Tag vorher gelaufen ist.

Meine Damen und Herren, ich habe mich da persönlich sehr eingebracht, das war nicht so ganz leicht, dieses zu erreichen, aber ich möchte dem MDR von dieser Stelle auch danken, dass dort viel, viel Kooperationsbereitschaft dabei gewesen ist.

(Beifall bei der CDU, PDS)

Zu Frage 3: Probleme von Menschen mit Behinderungen in Thüringen werden im Behindertenbeirat diskutiert. Ich hatte Ihnen schon gesagt, der Behindertenbeirat ist durchaus in der Lage, und das soll er auch sein, sich die eigenen Themen zu suchen. Ich meine, dieser Behindertenbeirat ist der wichtigste Ansprechpartner der Landesregierung in Fragen der Behindertenpolitik, aber die Landesregierung steht darüber hinaus mit allen Behindertenverbänden sowie mit den Wohlfahrtsorganisationen im regelmäßigen Gespräch. Ich kann nur sagen, ich bin natürlich auch zu jedem Gespräch bereit oder immer, nicht zu jedem, sondern immer.

Zu Frage 4: Das impliziert erst einmal, was ist denn progressive Behindertenbewegung? Lieber Herr Nothnagel, ich möchte keinen Behindertenverband in Thüringen etwa in eine Ecke stellen, dass er der schlechtere und dass der andere der bessere ist. Deswegen möchte ich mich dazu lieber nicht äußern, sondern die Landesregierung arbeitet gemeinsam mit allen Interessenvertretungen behinderter Menschen. Ich glaube, das ist die wichtigste Rolle und über die wichtigste Rolle des Behindertenbeirats haben wir auch bereits gesprochen.

Gibt es dazu Nachfragen? Das ist offensichtlich nicht der Fall und ich stelle die Beantwortung dieser Frage fest. Ich rufe auf die Anfrage in Drucksache 3/501 des Abgeordneten Nothnagel, Nutzbarkeit von Kureinrichtungen durch Behinderte. Für die Landesregierung beantwortet diese Frage Minister Schuster. Ja, bitte. Ach, Herr Abgeordneter, ja.

Soll ich es mir sparen?

Bitte fragen Sie erst.

Nutzbarkeit von Kureinrichtungen durch Behinderte

Ziel sollte es sein, in Kurorten die Nutzbarkeit von Gebäuden und Räumen, die als Kur- und Erholungseinrichtung dienen, allen Menschen - auch denen mit Behinderung - zu ermöglichen. Dies betrifft sowohl den Neubau als auch manch vorhandene Altbausubstanz gleichermaßen.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie wird derzeit die Barrierefreiheit von Gebäuden und Räumen, die als Kur- und Erholungseinrichtung dienen, gewährleistet?

2. Ist beabsichtigt, die als Kur- und Erholungseinrichtung dienende Altbausubstanz in den Kurorten zunehmend behindertengerecht zu gestalten, und kann dies gegenüber den Kurorten bzw. den Betreibern von Kureinrichtungen als Auflage ausgesprochen werden?

3. Sind hinsichtlich der Gewährleistung der Barrierefreiheit die rechtlichen Grundlagen als ausreichend anzusehen oder beabsichtigt die Landesregierung hierzu initiativ zu werden, wenn ja, wann und wie, wenn nein, warum nicht?

Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Schuster.

Frau Präsidentin, für die Landesregierung beantworte ich die Fragen von Herrn Nothnagel wie folgt:

Zu Frage 1: Gemäß § 53 Abs. 3 Thüringer Bauordnung sind unter anderem Kureinrichtungen so herzustellen, dass sie von diesen Personen ohne fremde Hilfe zweckentspre

chend genutzt werden können. In § 53 Abs. 4 der Bauordnung ist vorgeschrieben, wie dies näher auszugestalten ist. Landläufig wird dies mit "behindertengerecht" umschrieben.

Zu Frage 2 antworte ich: Grundsätzlich ja. Die Anforderungen an die bauliche Gestaltung der in Rede stehenden Einrichtungen wird durch die Thüringer Bauordnung geregelt. In den Fällen, in denen kein Bestandsschutz besteht bzw. dieser durch Neubau, Umbau, Ausbau oder Erweiterung entfällt, kann eine derartige Forderung bauordnungsrechtlich durch die zuständigen Bauämter durchgesetzt werden. Soweit derartige Einrichtungen durch Landesmittel gefördert werden, werden die Zuwendungsempfänger im Rahmen des Antragsverfahrens darauf hingewiesen, die Einrichtungen so zu errichten, dass sie weitgehend von Behinderten genutzt werden können.

Zu Frage 3: Grundsätzlich bestimmt sich die Frage, ob derartige Einrichtungen behindertengerecht ausgebaut werden, nach den Bestimmungen der Thüringer Bauordnung. Die Thüringer Bauordnung lehnt sich wie die Bauordnungen anderer Länder an die Musterbauordnung an. Zurzeit wird diskutiert, ob die einschlägigen Regelungen mit Blick auf Barrierefreiheit verändert werden sollen. Ein Ergebnis der Diskussion auf der Fachebene liegt noch nicht vor. Hierüber haben die Betreiber derartiger Einrichtungen ein Eigeninteresse daran, die Zielgruppe, welche vielfach aus älteren Menschen und Behinderten besteht, anzusprechen und ihnen ein bedarfsgerechtes Kur- und Erholungsangebot zu bieten.

Gibt es Nachfragen? Eine Ausschussüberweisung, nehme ich an; Herr Abgeordneter Buse bitte.

Frau Präsidentin, ich würde gern eine Ausschussüberweisung beantragen. Namens der PDS-Fraktion beantrage ich die Überweisung dieser Anfrage an den Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Strukturpolitik.

Darüber stimmen wir ab. Wer der Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Das dafür erforderliche Quorum ist erreicht. Die Frage ist überwiesen.