Protocol of the Session on May 23, 2019

Verehrter Kollege Lippmann, ich habe in Ihrer Rede etwas vermisst. Ich habe eine ganz klare Distanzierung von Ihren Genossen in Berlin vermisst.

(Oh! bei der LINKEN)

Sie kritisieren die Privatisierung und wünschen mehr staatliches Eigentum an verschiedenen Dingen, unter anderem an Wohnungen und anderes mehr. Aber die größte Privatisierungswelle in der Bundesrepublik Deutschland hat dort stattgefunden, wo LINKE mitregiert haben, nämlich in Berlin.

(Guido Henke, DIE LINKE: Nachdem die CDU alles abgewirtschaftet hatte! - Hendrik Lange, DIE LINKE: Und die Banken kaputt- gemacht hat! - Weitere Zurufe von der LINKEN - Zurufe von der AfD)

- Halt, halt, halt! Nicht so aufgeregt! In Bezug auf die Glaubwürdigkeit heißt doch das - -

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt hat erst einmal der Abg. Gürth das Wort. Danach können Sie sich auch noch zu Wort melden. - Bitte.

In der Zeit, in der die LINKEN in Berlin mitregiert haben, wurden dort 209 000 Wohnungen privatisiert.

(Ulrich Thomas, CDU: Hört, hört! - Zuruf von der AfD: Geht ja gar nicht! - Zurufe von der LINKEN)

Das ist die größte Zahl in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik. Distanzieren Sie sich davon und erkennen Sie das als einen Fehler in

Ihrem Sinne an? Oder wie gehen Sie damit um, dass Sie hier so reden, aber dann, wenn Sie regieren, anders handeln?

(Tobias Rausch, AfD, lacht - Zustimmung von Daniel Szarata, CDU)

Zweitens. Sie haben hier die größte systematische Entreicherung des Staates kritisiert.

(Zuruf von Hendrik Lange, DIE LINKE)

Aber diese findet überall dort statt, wo LINKE regieren. Das zeigt nicht nur das Beispiel Berlin. Sie antworten in Ihrer Kritik auf den Sozialstaat, den wir jetzt haben, mit sozialistischen Ideen von gestern. Welchen Sozialismus würden Sie denn jetzt, wenn Sie es könnten, einführen?

(Eva von Angern, DIE LINKE: Den demo- kratischen! - André Poggenburg, fraktions- los: Maoismus!)

Wir hatten Stalin. Wir hatten die DDR. Wir sehen China, Nordkorea.

(Eva von Angern, DIE LINKE: Dazu können wir ja eine Aktuelle Debatte führen!)

In Kuba ist das Wetter besser; das gebe ich zu.

(Ulrich Siegmund, AfD, lacht - Eva von Angern, DIE LINKE: Aber das ist ein an- deres Thema!)

In Venezuela sehen wir ebenfalls einen sozialistischen Staat, der von Ihnen ja auch unterstützt wird, zumindest von Ihren Parteifreunden in Berlin. Welche Form des Sozialismus würden Sie uns denn jetzt empfehlen? - Das wäre jetzt meine Frage.

Herr Lippmann, Sie haben jetzt das Wort.

Ich antworte auf den ersten Teil Ihrer Ausführungen ähnlich, wie ich es bei Herrn Loth getan habe. Wir brauchen gar nicht nach Berlin zu gucken. Wir können auch bei uns bleiben. Wir haben auch Verantwortungsträger in den Landkreisen, in denen eine Privatisierung von Krankenhäusern stattfindet, was man nur bedauern kann. Ich sage es noch einmal: Im Einzelfall gibt es unterschiedliche Gründe dafür, aber dem Grunde nach kann man das nicht befürworten und das machen wir auch nicht.

(Alexander Raue, AfD: Warum machen Sie es denn? - Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Ich wiederhole es noch einmal: Ich glaube, ich muss in diesem Haus nichts über die inzwischen jahrzehntelang anhaltende strukturelle Unterfinanzierung unserer Kommunen sagen. Ich muss hof

fentlich nicht noch einmal sagen, dass wir nicht kommunalfreundlich sind, was immer erzählt wird. Mal gucken, wie die FAG-Geschichten weitergehen.

Ich erinnere an meine Reden im Rahmen der Haushaltsdebatten, in denen ich zumindest den Rahmen aufgezeigt habe, über welche Dimensionen wir reden. Wir haben nun mal keine riesigen Haushalte. Das gilt für die Bundesrepublik insgesamt, und es gibt eine Staffelung zwischen dem Bund - der im Moment einigermaßen etwas machen kann, der zum Beispiel 40 Milliarden € hinlegen kann - und den Ländern, auch den Ländern untereinander, und dann gibt es noch Unterschiede zwischen den Ländern und den Kommunen.

Es ist im öffentlichen Bereich schon lange zu wenig Geld unterwegs. Es gibt genügend Dokumentationen darüber, wo dieses Geld liegt. Auch darüber habe ich schon gesprochen. Wenn Kommunen nicht in die Zwangssituation versetzt werden, ihre Sachen zu privatisieren - oder sie folgen natürlich auch einem Hype: privat geht vor Katastrophe -, dann machen die das nicht freiwillig. Das sind Einzelfallentscheidungen, die man trotzdem in jedem Fall kritisch sehen kann.

Zu dem zweiten Teil Ihrer Ausführungen kann ich nur sagen, dass ich den persönlich als ein bisschen enttäuschend, aber auch als ein bisschen bezeichnend finde. Es wird immer versucht, die Debatte darüber, dass man sich mit seinem Wirtschaftssystem - vor allem dann, wenn es zu Verwerfungen führt - ernsthaft auseinandersetzen muss, auf die Bagatellebene einer wirklich platten Sozialismus-, Stalinismus-, SED- oder was auch immer für eine Debatte zu heben. Davon haben Sie bei mir kein einziges Wort gehört, weil das nicht unser Thema ist. Wir leben im Jahr 2019. Wir haben eine ganz konkrete Wirtschaftsordnung. Wir haben eben eine Verfassungsdiskussion geführt, die auch Anknüpfungspunkte dafür bietet.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Es ist einfach nicht in Ordnung, wenn sich regierungstragende Parteien und Fraktionen vor dieser Verantwortung immer und immer wieder wegducken.

(Beifall bei der LINKEN - Tobias Rausch, AfD: Da lachst du dich kaputt!)

Herr Abg. Gürth, Sie haben signalisiert, eine Nachfrage stellen zu wollen. Bitte.

Natürlich darf man sich nicht vor Debatten wegducken. Insofern ist die Aktuelle Debatte zu die

sem Thema auch immer angezeigt; das ist überhaupt keine Frage. Es ist auch nicht gut, sich auf irgendwelche Plattitüden zurückzuziehen, weder auf vergangene noch auf zukünftige. Die Debatte muss geführt werden.

Deswegen frage ich nach. Sie beklagen jetzt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, den Druck aus schlechten kommunalen Kassen, der, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ursächlich dafür ist, dass Ihre Genossen in Regierungsverantwortung in Berlin das Gegenteil von dem machen, was Sie hier propagieren,

(Zuruf von Eva von Angern, DIE LINKE)

nämlich Wohneigentum verkaufen. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wieso verkauft man dann die Wohnungen an private Investoren und kauft sie teilweise zum siebenfachen Preis wieder zurück? - Das hat gerade in der Berliner Presse gestanden. Das ist wirtschaftlich ja auch für einen kommunalen Haushalt hanebüchen. Zusätzlich haben sie Vermögen der Stadt Berlin privatisiert, haben es privaten Investoren gegeben, mit dem Rendite erwirtschaftet werden kann, zumal auch die kommunalen Wohnungsgesellschaften damit werben, Renditen von bis zu 20 % zu erzielen. Die Einnahmen für den Berliner Haushalt aus den noch verbliebenen Restwohnungen betragen immerhin 207 Millionen €. Wieso verkaufen Sie das dann?

Herr Lippmann, bitte.

Dieses Hin und Her bei den Verkäufen ist selbstverständlich problematisch, sagt aber nichts anders aus als das, was ich schon ausgeführt habe. Die Erkenntnis in einer Situation und in einer Not, in der man sich befindet, zu verkaufen, basiert logischerweise gar nicht in erster Linie darauf, Geld zu gewinnen. Wir machen das hier ja auch, wir machen das doch alle, auch Sie machen das ununterbrochen, PPP-Geschichten usw. Das heißt, dass wir gegebenenfalls auch Eigentum oder vertragliche Dinge abgeben oder für Investoren freigeben, einfach um uns das Geld zu beschaffen, das wir in den Kommunen eigentlich haben müssten, um zum Beispiel unsere Schulen zu sanieren.

Der Druck geht ja immer weiter. Wir sind insoweit erst in der Mitte des Weges. Es ist ja nicht so, dass die Investoren schon zufrieden wären. Das ist ein ganz generelles Problem, auch ein verfassungsrechtliches Problem: Wie willfährig geben wir dem Druck von Geld nach, obgleich wir selber dafür gesorgt haben, dass dieser Gelddruck überhaupt entstehen konnte?

Wir haben zugelassen, dass es diese Konzentration an Geldmitteln gibt, dass hier mit riesigen Summen gespielt werden kann. Wir haben Einzelpersonen, die über so viel Kapital verfügen, dass davon ganze Volkswirtschaften und ganze Staaten leben könnten. Man kann doch nicht sagen, dass das in Ordnung ist. Wenn ich die Kommunen und auch das Land in eine solche Situation bringe, dann werden unkluge und unverantwortliche Entscheidungen getroffen. Dann versucht man, diese zurückzunehmen, und es wird viel Geld bewegt. Die wirtschaftliche Basis ist dafür nicht gegeben. Denn auch dieses Geld wird nicht wirtschaftlich investiert; auch dieses Geld wird an die Banken herangetragen und wird im Finanzsektor hin- und hergeschoben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. - Ich sehe gerade, dass die Landesregierung angekündigt hat, auf einen Redebeitrag zu verzichten. Somit ist der nächste Debattenredner an der Reihe. Für die CDU-Fraktion ist das der Abg. Herr Thomas.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Ich ahne schon, was kommt!)

Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Lippmann, ich stelle mir vor, dass ich ein junger Mensch aus Baden-Württemberg wäre, der hier seinen Lebensmittelpunkt suchen möchte, nachdem er hier studiert hat. Nachdem der sich Ihre Rede von heute angehört hätte, müsste er nach dem, was Sie hier gesagt haben, schon morgen das Land Sachsen-Anhalt verlassen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der AfD)

Herr Lippmann, wenn ich jemand wäre, der in den 90er-Jahren in den Westen gehen musste, weil ich hier keinen Job gefunden habe, nun aber mit dem Gedanken spiele, nach Sachsen-Anhalt zurückzukommen, dann müsste ich sagen: Nach Ihrer Rede heute bleibe ich lieber dort, wo ich jetzt bin; denn Sachsen-Anhalt ist in den letzten Jahren so schlimm geworden, dass ich da nicht mehr hingehen kann.

(Zustimmung bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Jetzt stellen wir uns einmal vor, BMW überlegt sich, mit dem Konzernsitz nach Sachsen-Anhalt zu kommen. Eine Einladung dafür war Ihre Rede nicht. Insofern ist es schade, Herr Lippmann, dass Sie diese Debatte dazu missbraucht haben, unser Land in ein Licht zu rücken, das es einfach nicht verdient hat.

(Zustimmung bei der CDU)