Protocol of the Session on June 22, 2018

Trotz vieler guter Regelungen und Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt besteht nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf. Folgende Umsetzungsdefizite werden als besonders dringlich eingestuft: Das ist erstens das Problem einer verlässlichen Finanzierung von Frauenschutzhäusern und anderen Unterstützungsdiens

ten, zweitens die bessere Unterstützung und der Schutz der Betroffenen von sexualisierter Gewalt, drittens eine effektive Strafverfolgung bei Verstößen gegen die sexuelle Selbstbestimmung und viertens die Entschädigung Betroffener bei psychischer Gewalt mit schweren Folgen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh, dass wir im Land Sachsen-Anhalt in den letzten Jahren nicht nur oft über die Frage der Verbesserung des Schutzes von von Gewalt betroffenen Frauen und ihren Kindern diskutiert haben, sondern dass wir auch viel erreicht haben zur Verbesserung und zur Stärkung der Angebote, aber auch, was die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen betrifft.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD, und von Andreas Steppuhn, SPD)

Man muss an dieser Stelle auch erwähnen, dass Sachsen-Anhalt das erste Bundesland war, das eine kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung eingeführt hat, als das bundesrechtlich noch nicht verpflichtend vorgeschrieben war.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, ich bin froh, dass wir im Land Sachsen-Anhalt ein flächendeckendes Netz von Frauenhäusern, Beratungsstellen und Unterstützungseinrichtungen haben, für das wir jährlich 2 Millionen € ausgeben.

Zum Glück muss im Land Sachsen-Anhalt keine Frau, die Zuflucht in einem Frauenhaus suchen möchte, abgewiesen werden; auch wenn ein Frauenhaus an seine Kapazitätsgrenze stoßen sollte, finden die Kolleginnen und Kollegen vor Ort immer eine Möglichkeit und gute Lösungen. Das ist auch ihrer guten Netzwerkarbeit geschuldet, die sie seit der Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser leisten.

(Zustimmung von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

- Ja, ich finde auch, dass das einen Beifall wert ist. Man muss sich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die unter Bedingungen, die in den letzten Jahren nicht immer einfach waren, wirklich eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Deshalb gebühren ihnen mein Dank, mein Respekt und meine Anerkennung.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD, und von Cornelia Lüddemann, GRÜNE)

Ich bin froh, dass wir im Doppelhaushalt 2017/ 2018 die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass auch für die Kinder in den Frauenhäusern die notwendigen Fachkräfte für die psychische Betreuung und Unterstützung zur Verfügung stehen. Die ersten Kolleginnen und Kollegen sind in diesem Jahr eingestellt worden. Auch das Modell

projekt, mit dem mobile Teams Frauen und Kinder mit Gewalterfahrung psychosozial betreuen sollen, hat seine Arbeit aufgenommen. Auch hierbei ist das Land Sachsen-Anhalt Vorreiter.

Bei aller Zufriedenheit darf man aber die nach wie vor bestehenden Probleme nicht aus dem Auge verlieren. Wir haben ein komplexes, ein kompliziertes Finanzierungssystem mit drei verschiedenen Zuwendungsgebern. Neben dem Land sind das in der Regel der Landkreis und die entsprechende Kommune. Das bedeutet: Wenn bei einem der drei Beteiligten Schwierigkeiten auftreten, kann das für die oft kleinen Vereine, die die Frauenhäuser betreiben, schon zu einer existenziellen Bedrohung führen.

Deshalb sollten wir in unseren Anstrengungen, die Finanzierung der Frauenhäuser auf verlässliche Füße zu stellen, nicht nachlassen. Verpflichtungsermächtigungen wären hierbei ein erster Schritt; Zuwendungsverträge eine noch bessere und verlässlichere Lösung.

Optimistisch macht mich, dass die von Bundesseite schon lange versprochene Unterstützung nun langsam konkrete Formen anzunehmen scheint. Die Bundesfrauenministerin Franziska Giffey will einen runden Tisch von Bund, Ländern und Kommunen einrichten. Sie hat konkret auch ein Investitions-, Innovations- und Sanierungsprogramm des Bundes angekündigt. Das würde uns beispielsweise dabei helfen, den barrierefreien Ausbau der Frauenhäuser in Angriff zu nehmen. Darüber haben wir in den letzten Jahren viel diskutiert, sind diesbezüglich aber nicht weitergekommen.

Aber auch hierzu brauchen wir - weil wir wissen, selbst wenn Geld kommt, wird es nicht dafür reichen, sofort alle Frauenhäuser barrierefrei zu gestalten - ein entsprechendes Konzept mit Prioritäten, das dann einen schrittweisen Ausbau vorsieht.

Es gibt aber auch noch andere Baustellen. Eine bessere Prävention setzt eine niedrigschwellige, für die Betroffenen gut erreichbare und leicht zugängliche Beratung voraus. Ich weiß, dass die Kolleginnen der Landeskoordinierungsstelle, Liko, und die Kolleginnen in den Interventions- und Beratungsstellen gute Arbeit leisten.

Aber aufgrund der Tatsache, dass in den Beratungsstellen meistens nur eine Kollegin sitzt, können sie natürlich nicht gleichzeitig im Büro sitzen, telefonisch erreichbar sein, Beratungsgespräche führen und in der Fläche unterwegs sein, um diejenigen Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind, unmittelbar vor Ort zu beraten und zu unterstützen. Deshalb müssen wir an der Stelle nochmals über eine Stärkung dieses System der Interventionsstellen diskutieren.

Auch bei den Opferschutzambulanzen besteht Handlungsbedarf. Ich bin froh, dass wir bei der Diskussion zum Themenkomplex Rechtsmedizin zunächst eine Übergangslösung gefunden haben, auch im Hinblick auf die Finanzierung der zwei Standorte in Halle und in Magdeburg. Es gibt aber auch noch andere Landesteile, in denen der Bedarf besteht, Opferschutzambulanzen vorzuhalten. Hierzu müssen wir überlegen, wie wir das auch in den östlichen und in den nördlichen Teilen unseres großen Bundeslandes umsetzen können; möglicherweise auch unter Einbeziehung von Krankenhäusern oder ambulanten Einrichtungen.

Die Istanbul-Konvention enthält darüber hinaus noch andere Vorgaben zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Sie betreffen das Umgangsrecht, aber auch die Frage der Fort- und Weiterbildung von Polizei, Justiz und Verwaltung sowie die Verbesserung des Opferzeuginnenschutzes.

Wir haben schon im Jahr 2013 bei der Erstellung des Landesprogramms für ein geschlechtergerechtes Sachsen-Anhalt zum Handlungsfeld Antigewaltarbeit eine Vielzahl von Maßnahmen festgelegt. Deshalb ist es aus meiner Sicht nun Zeit, dass wir diese Maßnahmen evaluieren: Was wurde umgesetzt? Was haben wir tatsächlich erreicht? Wo besteht nach wie vor Handlungsbedarf? - Das muss dann die Grundlage dafür sein, dass das Landesprogramm fortgeschrieben wird. Das ist der Gegenstand unseres Antrages.

Da Frau Ministerin Keding die von der GFMK beschlossene gemeinsame Erarbeitung einer verbindlichen Gesamtstrategie jüngst begrüßt hat, bin ich mir sicher, dass wir durch die Landesregierung auf Bundesebene das Notwendige unternehmen, um die entsprechenden bundesgesetzlichen Regelungen zu verankern, wie beispielsweise den Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung. Auch das ist bereits lange in der Diskussion. Auch diesbezüglich bin ich froh, dass die Bundesfrauenministerin konkrete Initiativen startet.

In diesem Sinne gibt es viel zu tun. Es gibt konkrete Maßnahmen, die wir in Angriff genommen haben. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zum Antrag der Koalitionsfraktionen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Cor- nelia Lüddemann, GRÜNE)

Ich sehe hierzu keine Wortmeldungen. Deswegen kommen wir jetzt sofort zur Fünfminutendebatte.

Bevor Frau Ministerin Keding für die Landesregierung spricht, begrüßen wir ganz herzlich Damen und Herren im Bundesfreiwilligendienst der Stadt Zahna-Elster auf unserer Besuchertribüne. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt haben Sie, Frau Ministerin, das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Prof. Dr. KolbJanssen hat eben ausgeführt, was Inhalt und Genese der Istanbul-Konvention ist. Frauen sollen vor allen Formen von Gewalt geschützt werden. Die Gleichstellungsministerkonferenz - es sind dort fast nur Frauen vertreten - in Bremerhaven hat sich mit dem Thema befasst und einstimmig einen Leitantrag angenommen mit dem Titel: „Frauen vor Gewalt schützen, Istanbul-Konvention umsetzen, Chancen für Frauen und Gleichstellungspolitik nutzen“.

Es soll mit Bund, Ländern und Kommunen eine verbindliche Strategie erarbeitet werden, um sich gemeinsam über die Aufgaben zu verständigen, die sich aus der Istanbul-Konvention ergeben: sei es eine bessere Koordination der Akteure, sei es die stärkere Prävention oder sei es der Ausbau und die Verbesserung der Unterstützungs- und Hilfesysteme.

Meine Vorrednerin hat auch darauf verwiesen, dass wir uns im Land Sachsen-Anhalt schon längst auf den Weg gemacht haben. Wir sind noch nicht am Ziel, aber wir haben uns schon vor längerer Zeit auf den Weg gemacht. Ich denke, wir sind diesbezüglich schon sehr weit gekommen.

Wir haben im Land ein breit gefächertes Unterstützungssystem mit der Landeskoordinierungsstelle und mit dem Netzwerk für ein Leben ohne Gewalt etabliert. Wir haben vier Interventionsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt und Stalking in Dessau-Roßlau, in Halle, in Magdeburg und in Stendal. Wir haben an diesen Orten vier Beratungsstellen für Opfer von sexualisierter Gewalt, in denen wir eine niedrigschwellige Information und Unterstützung gewährleisten.

Wir haben eine Opferberatung in allen Dienststellen des Sozialen Dienstes der Justiz. Wir haben am Landgericht Magdeburg und an diversen Amtsgerichten eine Zeugenbetreuung. Im Land Sachsen-Anhalt sind derzeit fünf Personen als psychosoziale Prozessbegleiter tätig.

Die vertrauliche Beweissicherung, die Sie angesprochen haben, bzw. die Opferschutzambulanzen oder - wie es ganz richtig wäre - die anonyme

Spurensicherung sind ebenfalls Themen, die auf der Gleichstellungsministerkonferenz in Bremerhaven im Hinblick auf deren Finanzierung thematisiert worden sind. Die Frage ist, wie das mithilfe des Bundes organisiert werden kann.

Dabei handelt es sich um Stellen, bei denen schon vor der Anzeige oder der rechtlichen Verfolgung, also sehr schnell nach einem Übergriff sexueller Natur oder auch von Gewalt in der Partnerschaft, die Spuren, und zwar gerichtsverwertbar, gesichert werden, ohne dass sich das fragliche Opfer schon entscheiden muss, mit diesem Vorgang zur Polizei oder zur Staatsanwaltschaft zu gehen und Anzeige zu erstatten. Es ist wichtig, dass in diesem Meinungsbildungsprozess in jedem Fall erst einmal die Spuren gesichert werden können.

Wir haben im Augenblick Angebote in Halle und in Magdeburg an der jeweiligen Rechtsmedizin. Ich denke auch, dass wir überlegen müssen, wie wir dieses weiter in das Land hineintragen und wie wir dieses sinnvoll organisieren können.

Es ist ferner das Fortbildungsangebot angesprochen worden. Es gibt ein sehr umfangreiches Fortbildungsangebot für den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst, entweder in Zusammenarbeit mit dem Bund oder auch eigene Fortbildungsprogramme, bei denen Themen wie der Schutz vor Gewalt, Opferschutz, Zeugenbetreuung, aber auch die Zeugenvernehmung sowie der weitergehende Schutz, zum Beispiel im Rahmen des Adhäsionsverfahrens, regelmäßig beleuchtet werden.

Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben auch den Finanzbedarf für die Frauenhäuser, den meine Vorrednerin ebenfalls dargestellt hat, in die Haushaltsplanungen aufgenommen. Wir werden mit Ihrer Unterstützung weiter auf diesem Weg voranschreiten, und ich kann gern dazu berichten. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Danke, Frau Keding. - Herr Lange hat eine Frage.

Frau Keding, Sie haben gerade die Ambulanzen an den Hochschulen angesprochen. Dort gibt es seit Jahren Streit darüber, wer die zusätzliche Finanzierung dieser Leistungen übernimmt. Wie sieht es in Ihrem Haus aus? Sind Sie bereit, diese Leistungen der Hochschulambulanzen mitzufinanzieren?

Frau Ministerin Keding, bitte.

Wir haben uns darauf verständigt, nachdem wir dieses Thema in den Jahren zuvor immer wieder hatten, dass in diesem Jahr die Haushaltsanmeldung für den erforderlichen Bedarf aus einer Hand erfolgt, und zwar bei dem für Wissenschaft zuständigen Ministerium.

Ich sehe keine weiteren Fragen. Deshalb können wir in der Debatte der Fraktionen voranschreiten. Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Herr Spiegelberg. Herr Spiegelberg, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Werte Damen und Herren des Hohen Hauses! Heute liegt uns in der Drs. 7/3014 ein Antrag der Kenia-Koalition unter dem Titel „Umsetzung der Istanbul-Konvention“ vor, mit dem der Landtag neben einer Feststellung zum aktuellen Stand des bereits bestehenden Netzes von Frauenhäusern sowie Beratungs- und Interventionsstellen die Beauftragung der Landesregierung mit der Weiterentwicklung von bestehenden Strategien zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt sowie die Berichterstattung über die Umsetzung der IstanbulKonvention in den geregelten Verpflichtungen bis Ende 2018 im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung beschließen soll. Außerdem soll eine weitere Verbesserung auf Bundesebene unterstützt werden.

Meine Damen und Herren! Hier im Hause ist wohl unbestritten, dass wir auch heutzutage in Deutschland noch immer ein deutliches Problem mit Fällen häuslicher Gewalt gegenüber Frauen haben. Neben der körperlichen Gewalt ist hierbei stets auch die massive psychische Belastung für die Opfer zu berücksichtigen, die bis zur völligen Zermürbung einer Persönlichkeit und deren Selbstbestimmung führen und neben den Verlustängsten ein Grund sein kann, weshalb sich viele Opfer trotz einer solch leidvollen Beziehung zunächst nicht trauen, Hilfe zu suchen, oder sich erst nach sehr langer, oft zu langer Zeit überwinden und diesen oftmals rettenden Schritt wagen.

Die vorliegenden statistischen Daten zu solchen Fällen häuslicher Gewalt, wie sie bereits angesprochen wurden, sind dabei immer mit einer gewissen Vorsicht zu behandeln, da die Dunkelziffer nach einhelliger Meinung wohl gravierend höher ist und wir also nur einen kleinen, sichtbar gewordenen Teil vor uns sehen. In jedem Fall ist aber festzuhalten, dass unabhängig von der ge

nauen Zahl der geschehenen Vorfälle jeder Vorfall einer zu viel ist und es eine selbstverständliche Hauptaufgabe für die Politik sein sollte, jeder Form von Gewalt gegenüber Frauen massiv entgegenzuwirken, Frauen besser zu schützen und sie im eingetretenen Ernstfall bestmöglich zu betreuen, so wie in der Istanbul-Konvention aufgeführt.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch die Tatsache, dass eben nicht nur Frauen Opfer häuslicher Gewalt werden können, sondern es auch Kinder und - dies wird oft vergessen oder leider oft belächelt - Männer treffen kann, die sich oft noch mehr davor schämen, Hilfe zu suchen und sich infolge häuslicher Gewalt durch ihre Partnerin helfen zu lassen. Es sollte daher ein selbstverständlicher Anspruch sein, unabhängig von Geschlecht oder Alter jedes Mitglied einer Familie oder Partnerschaft in gleichem Maße vor häuslicher Gewalt zu schützen und allen ein gutes Netz an Beratungsmöglichkeiten und Schutzhäusern anzubieten.

Dies ist bei dem Kenia-Antrag leider größtenteils nicht der Fall, da er sich - wie die Konvention - hauptsächlich bis ausschließlich auf weibliche Opfer fokussiert und andere Opfer zu unserem Bedauern vernachlässigt. Ich hoffe daher noch auf eine Nachbesserung in der Landespolitik der Koalition zum Thema häusliche Gewalt, wenn diese nicht ungerecht, unvollständig und einseitig bleiben soll.