Protocol of the Session on June 21, 2018

Ich meine, wir müssen genau da ansetzen; denn im Betrieb verbringen die Azubis 70 % ihrer Zeit. Einerseits können wir die Ausbildungsbetriebe gezielt dahin gehend beraten und stärken, um attraktiv für Auszubildende zu bleiben und zu werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass jede und jeder Azubi auch einen weiteren Weg in die Berufsschule in Kauf nehmen wird, wenn er oder sie mit der Berufswahl und dem Betrieb zufrieden ist

und die entsprechenden Rahmenbedingungen stimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die anderen 30 % der Zeit, die im Blockunterricht an den Berufsschulen verbracht werden, möchte ich für unsere Azubis Folgendes feststellen: Es soll möglichst kurze Anfahrtswege geben. Ja, klar, das ist ein großes Ziel. Es soll die bestmögliche Ausstattung an unseren Berufsschulen vorhanden sein und eine verlässliche Fachexpertise und eben gute Rahmenbedingungen geben; ich komme gleich darauf zurück. Ich sehe uns als Land daher in der Pflicht, eben dies für unsere Fachkräfte von morgen zu sicherzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie stelle ich mir das konkret vor, meine Damen und Herren? Wenn unsere Azubis zum Teil längere Fahrtwege auf sich nehmen, dann brauchen wir eine gesicherte und unbürokratische Erstattung von Fahrtkosten und Übernachtungskosten am Berufsschulstandort. Das gilt, wie ich finde, für alle Schülerinnen und Schüler und nicht nur für jene, die nicht den nächsten Berufsschulstandort nutzen. Diesen Schritt sollten wir wagen, wenn wir es ernst meinen mit der Steigerung der Attraktivität der dualen Ausbildung.

Für uns GRÜNE muss daher die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Auszubildende zu den Kosten der auswärtigen Unterbringung sowie zu Fahrtkosten aus Anlass des Besuches einer auswärtigen Berufsschule geändert werden. Man könnte auch einmal den Namen dieser Richtlinie ändern; das ist ja ein wahnsinniges Konstrukt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für uns ist klar: Zukünftig darf es keine Ermessensfrage des Landesschulamtes mehr sein, ob Kosten für Fahrten und Unterbringung, die im Zuge von Berufsschulbesuchen entstehen, zurückerstattet werden. Wir brauchen transparente Regeln, die immer gelten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich sage es noch einmal: Jede Schülerin und jeder Schüler einer Berufsschule soll das Recht auf eine angemessene Erstattung von Fahrt- und Unterbringungskosten haben. Inwiefern die knapp bemessene Ausbildungsvergütung hierbei angerechnet wird, sollte dabei auf der Grundlage von validen Zahlen geklärt werden.

Die Abrechnung muss dabei überall bekannt sein, gut erklärt sein und so unbürokratisch wie möglich ablaufen. Der Erfolg dieser Maßnahme soll schließlich nicht am Antragsverfahren scheitern. Dafür muss natürlich sichergestellt werden, dass an entsprechender Stelle genügend Mittel in den

Haushalt eingestellt sind, um allen antragstellenden Azubis das Geld tatsächlich erstatten zu können. Wir alle haben im Rahmen der nächsten Haushaltsberatungen die Möglichkeit, hierbei für Verbesserungen zu sorgen.

Meine Damen und Herren! Ich denke, ich habe Ihnen eben wesentliche Schritte genannt, die die anstehenden Veränderungen in unserer Bildungslandschaft sinnvoll flankieren. Lassen Sie mich klarstellen: Einem Azubi-Ticket, wie es der Minister angekündigt hat und wie es auch von den anderen Fraktionen - es waren, glaube ich, alle - präferiert wurde, stehen wir nicht im Weg, ganz im Gegenteil.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir wissen jedoch, dass der Prozess dazu wohl etwas länger dauern wird, voraussichtlich länger, als wir hier alle gemeinsam in dieser Legislaturperiode zusammensitzen werden.

(Zuruf von Minister Marco Tullner)

Ich spreche mich daher für eine schnelle Änderung der bereits erwähnten Richtlinie aus; denn ich will, dass unsere Azubis bereits zum neuen Schuljahr von besseren Rahmenbedingungen profitieren. Das wäre jetzt ein deutliches Zeichen, wo doch gestern bekannt wurde, dass rund 1 000 Ausbildungsplätze kurz vor Beginn des nächsten Ausbildungsjahres immer noch nicht besetzt sind. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich sehe keine Nachfragen. Dann danke ich Herrn Aldag für die Ausführungen. - Für die CDU spricht der Abg. Herr Keindorf. Herr Keindorf, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Stellen Sie sich bitte einmal für einen kurzen Augenblick vor, dass ich in diesem Moment nicht als Mitglied der CDU-Fraktion zu Ihnen spreche, sondern als Präsident der Handwerkskammer Halle.

(Florian Philipp, CDU: Das geht doch gar nicht! - Angela Gorr, CDU: Deswegen sol- len wir es uns ja vorstellen! - Minister Marco Tullner: Das wollen wir uns nicht vorstel- len!)

Dann würde ich nach den Redebeiträgen das Fazit ziehen: Endlich sind die Hinweise aus der Wirtschaft im Parlament angekommen und werden erkennbar von allen Parteien auch entsprechend ernst genommen. Ich gehe sogar so weit, dies aus der Sicht der Wirtschaft oder des Handwerks als Sternstunde des Parlaments zu bezeichnen.

(Angela Gorr, CDU: Oh!)

Das Problem ist erkannt und es wird ohne erkennbares parteipolitisches Taktieren gemeinsam nach Lösungen gesucht. Dies hat nur etwas lange gedauert.

Aus der Sicht der Wirtschaft ist es nicht fünf vor zwölf, sondern es ist Punkt zwölf. Wir müssen jetzt die Probleme gemeinsam anpacken, die zum Teil durch den demografischen Wandel und zum Teil durch Fehlanreize in der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte entstanden sind. Dafür haben wir bereits im letzten Jahr im Landtag auf Initiative der CDU-Fraktion hin einen Beschluss zum Thema Berufsschule gefasst, der jetzt auf seine Umsetzung wartet.

Wenn ich aber an das Zustandekommen des damaligen Beschlusses denke, dann muss ich feststellen, dass es auch hierbei viel Zeitverzögerung gegeben hat, weil uns Formulierungsfragen immer wieder zurückgeworfen haben. Als wir endlich eine Formulierung gefunden hatten, stand uns in der entsprechenden Sitzung der Wolf im Wege und der Beschluss zu den Berufsschulen musste erneut vertagt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Flächenland wie Sachsen-Anhalt mit seinen vielfältigen ländlichen Regionen profitiert von der Stärkung der dualen Ausbildung mit den Lernorten Ausbildungsbetrieb und Berufsschule. Ohne attraktive Berufsschulangebote vor Ort fällt es den Unternehmern immer schwerer, Nachwuchs zu finden und an das Unternehmen zu binden. Das hätte schwerwiegende Konsequenzen. Seien wir uns dessen bewusst: Die Lehrlinge von heute sind morgen potenzielle Unternehmer und damit Ausbilder, Arbeitgeber und Steuerzahler. Ohne sie gehen Arbeitsplätze für immer verloren. Das betrifft in erster Linie den ländlichen Raum.

Leider, so sagen wir, ist das Kind an dieser Stelle bereits in den Brunnen gefallen; denn in den zurückliegenden Jahrzehnten hat die Bildungspolitik einseitig höhere Abiturienten- und Studentenzahlen propagiert. Dieser Irrweg erfolgte losgelöst vom tatsächlichen Fachkräftebedarf in der Wirtschaft.

Noch schwerer wiegt der Umstand, dass mit diesen Fehlanreizen ein Beitrag dazu geleistet wurde, junge Menschen aus den ländlichen Regionen zum Studium in die Oberzentren zu lenken. Daher braucht sich niemand über die massiv eingebrochenen Auszubildendenzahlen wundern. Die Lasten bekommen die Berufsschulen und der ländliche Raum heute zu spüren.

Nach einer ISW-Studie aus dem Jahr 2015 werden zum Beispiel allein in den vier südlichen Landkreisen 33 500 Fachkräfte bis zum Jahr 2021 benötigt, um den laufenden Bedarf zu decken. Je

der, der rechnen kann, weiß, dass diese Fachkräfte eigentlich in diesem Jahr damit beginnen müssten, in die Berufsschule zu gehen; aber sie sind nicht da.

Gegenwärtig geraten die Berufsschulen noch an anderer Stelle unter Druck; denn nach wie vor verlassen zu viele Schüler das Gymnasium vorzeitig ohne Abitur. Diese Schüler durchlaufen jedoch während der Schulzeit im Gegensatz zu den Sekundarschülern keine Berufsorientierung; hierdurch gehen der Wirtschaft wertvolle Potenziale an leistungsstärkeren Schülern verloren. Schüler auf dem Weg zum Abitur, die kurzfristig die Richtung ändern, durchkreuzen ebenfalls jede sorgfältige und langfristige Berufsschulnetzplanung.

Eine erfreuliche Nachricht - Sie haben es vielleicht am Samstag in der „Mitteldeutschen Zeitung“ gelesen -: Es entscheiden sich in diesen Tagen wieder mehr Schüler für die Sekundarschule. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese kleine Trendwende in den nächsten Jahren verstetigt. Aber wer nach der Grundschule in diesem Jahr auf die Sekundarschule wechselt, steht der Wirtschaft eben erst in neun bis zehn Jahren als Fachkraft zur Verfügung.

Meine Damen und Herren! In dem von mir bereits angesprochenen Landtagsbeschluss hat die Koalition die Weichen richtig gestellt.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Neben spür- und messbaren Investitionen in die Berufsschulen und der besseren Unterstützung von Auszubildenden bei den Fahrt- und Unterbringungskosten - hier sind, wie ich höre, die Haushaltsberatungen dank der CDU-Fraktion auf einem guten Weg -, zeichnet sich ein attraktives Berufsschulnetz durch möglichst kurze Wege für die Schüler aus. Oberste Priorität muss es daher sein, dass der Weg zur nächstgelegenen Berufsschule mit entsprechender Fachspezifik über Kreisgrenzen hinweg vom Ausnahme- zum Regelfall gemacht wird.

Nach unserer Ansicht, die von allen Wirtschaftskammern geteilt wird, hätte eine entsprechende Neuregelung von § 41 Abs. 5 des Schulgesetzes die notwendige Klarheit schaffen können. Wir haben eine Neufassung des Schulgesetzes zwar gestern schon beschlossen; aber nach dem Beschluss ist vor dem Beschluss. Ich habe deshalb gute Hoffnung, dass wir das Schulgesetz in dieser Legislaturperiode vielleicht noch ein zweites Mal anfassen; damit hätten wir die Chance, auch in diesem Punkt noch einmal tätig zu werden.

(Thomas Lippmann, DIE LINKE: Top!)

- Ich nehme dich beim Wort, Marco.

(Heiterkeit bei der CDU - Thomas Lipp- mann, DIE LINKE: Das war ich!)

- Das war jetzt der Falsche, ja.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Ein klassischer Freud!)

Die im vorliegenden ersten Teilbericht zum Berufsschulnetz enthaltene Behauptung, eine wohnortnahe Beschulung sei „nicht zielführend“, entspricht allerdings nicht den Tatsachen. Das können die vier Wirtschaftskammern auch mit Zahlen belegen. Ausgehend von diesen Zahlen haben die vier Kammern eine umfassende Analyse zum Berufsschulnetz in Auftrag gegeben. Bevor diese Ergebnisse nicht vorliegen und entsprechend ausgewertet sind, sollte die Politik auf Schnellschüsse verzichten. Diese Auswertung wird in den nächsten Wochen vorliegen.

Eines kann ich aber jetzt schon verraten: Aktuell müssen ca. 5 800 Schüler, also mehr als ein Viertel aller Schüler in dualer Ausbildung in Handwerk, Industrie und Handel - die Landwirte oder andere Berufsgruppen habe ich dabei noch nicht eingerechnet - mehr als 50 km je Fahrtstrecke zur Berufsschule zurücklegen; das sind also gute 100 km pro Tag. Wenn der Auszubildende die nächstgelegene Berufsschule besuchen dürfte, dann könnten etwa 1 000 Auszubildende ihren Schulweg verkürzen. Aber genau das lässt unser Schulgesetz momentan noch nicht zu.

Damit ich nicht missverstanden werde: Der Bildung von Landes- und Regionalfachklassen dort, wo es nachweisbar notwendig und sinnvoll erscheint, stellt sich niemand ernsthaft in den Weg. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass bewährte Strukturen ohne Abstimmung mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern infrage gestellt werden.

Neben der Möglichkeit der Blockbeschulung und der Internatsunterbringung ist die Bildung von Mischklassen für eine qualitativ hochwertige Ausbildung in Sachsen-Anhalt unverzichtbar. Gerade Mischklassen sind oft das letzte Mittel, um eine Ausbildung vor Ort zu gewährleisten; hier werden Schüler in Berufsgruppen und Berufsbereichen während eines Teils der Ausbildung gemeinsam unterrichtet.

Sehr geehrter Herr Minister, lieber Marco! Im aktuell gültigen Erlass der Landesregierung zu den Mischklassen wird das Instrument auch völlig richtig begründet. Ich zitiere: „Ziel ist eine möglichst ausbildungs- und wohnortnahe Beschulung.“

Mir ist bewusst, dass bei der Ausgestaltung der Mischklassenbeschulung Optimierungsbedarf besteht. Darauf habe ich hier auch in der Vergangenheit bereits hingewiesen. Grundsätzlich darf dieses Instrument aber nicht infrage gestellt werden. Daher begrüße ich die Signale, die jetzt von der Landesregierung kommen. Das Gespräch am

Montag war sozusagen der erste Schritt in die richtige Richtung. Damit haben wir den Zug gemeinsam auf das richtige Gleis gestellt.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)