Protocol of the Session on June 2, 2016

Wer hier lebt, braucht Zukunftschancen. Für die Rahmenbedingungen, für den Abbau von Benachteiligungen und dafür, dass es gerecht zugeht, dafür ist Politik da, dafür stehen die Fraktionen, die sich hier in dieser neuen Konstellation in Verantwortung begeben haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich am Ende meiner Rede noch einmal kurz auf die Ausführungen des Herrn Poggenburg eingehen, auch wenn er immer noch nicht wieder im Raum ist.

(Zuruf von der CDU: Wo ist er denn jetzt?)

- Draußen. - Inhaltliche Impulse werden wir wohl von der AfD auch in Zukunft nicht erwarten können. Was wir offensichtlich laufend stattdessen erwarten müssen, sind immer neue Eskalationen und Provokationen gegen das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft und gegen die demokratische Arbeit hier im Parlament.

Ein Paradebeispiel dafür ist die Verunglimpfung von Jérôme Boateng durch den stellvertretenden Parteivorsitzenden Gauland. Ein Beispiel ist insbesondere auch die Erklärung von Herrn Abg. Tillschneider zur Haltung der katholischen Kirche zum Thema Einwanderung.

(Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!)

Herr Poggenburg hat diese Äußerungen gerechtfertigt und sie klar und deutlich als die Haltung der AfD gekennzeichnet. Damit wird deutlich, dass die AfD sich zwar gern als Verteidigerin des christlichen Abendlandes definiert, aber eigentlich selbst das vorantreibt, was sie dem Islam zuschreibt,

das Hervorbringen von Hasspredigern und das Hervorbringen von sogenannten Gotteskriegern. Ich denke, all das nützt nichts für eine Alternative für unser Land.

Die Diskussion hat aber auch einen Vorteil: Aufgrund der kruden Ideen zu der Aufmachung von Schokoladenprodukten scheint es so, dass mittlerweile Fußballschauen und der Verzehr von Kinderschokolade gewissermaßen zum Bekenntnis gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit geworden sind. Beiden Aktionsformen sage ich für diesen Sommer eine hohe Beteiligung voraus und wünsche allen dabei viel Vergnügen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Fraktionsvorsitzende

Dr. Pähle. - Wir kommen jetzt zum Redebeitrag der Fraktion DIE LINKE. Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Abg. Knöchel, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen, meine Herren! Was durften wir eben erleben? - Nachdem sich eine Fraktion in unserem Hause hier 40 Minuten lang in Selbstmitleid geübt, rassistische Parolen verbreitet hat, war sie der Auffassung, dem Volk eine Audienz gewähren zu müssen, und wollte das, nachdem sie in diesem Hause gesprochen hat, mit uns allen tun. Immer der AfD nach und immer schön jammern.

Nein, wir haben von Herrn Poggenburg gehört, wie alle gegen die AfD sind, wie schlecht es ihr geht, keine Selbstreflektion und schon gar nichts zum Thema Sachsen-Anhalt. Bitte entschuldigen Sie, dass ich in diesem Punkt nicht mitmache, sondern mich jetzt den Problemen unseres Landes zuwende, Positives feststelle, Kritisches nicht unterlasse.

(Marco Tullner, CDU: Aber mehr Positives!)

Herr Ministerpräsident Haseloff, Ihre Regierungserklärung heute erfolgte in der Tat in einer neuen Tonalität, die auch in unserer Fraktion Zuspruch fand. Nein, das ist nicht mehr allein die Sachzwanglogik, die wir in den vergangenen Jahren hier in diesem Hause allzu oft hören mussten. Hier war Nachdenklichkeit, hier war Reflektion, hier war aber auch viel hätte, könnte, sollte. Das mag daran liegen, dass diese Koalition aus drei Partnern besteht, die unterschiedlicher nicht sein können, die sich auf Kompromisse geeinigt haben. Das kann daran liegen, dass zwei dieser drei Koalitionspartner seit zehn Jahren das Land regieren und einer sogar seit 15 Jahren.

Um Sachsen-Anhalt ist es eben nicht bestens bestellt. Seit Jahren vermeldet Deutschland Wachstum. Seit Jahren geht dieses Wachstum an der unteren Bevölkerungsschicht vorbei. Der Unterschied zwischen Arm und Reich nimmt in Deutschland immer deutlicher zu. Um wie viel schwieriger ist die Situation in Sachsen-Anhalt, wenn hier nicht einmal das Wachstum in dem Maße angekommen ist, wie es in Deutschland angekommen ist.

Wir liegen in Sachsen-Anhalt um zehn Prozentpunkte gegenüber der Entwicklung in den anderen neuen Bundesländern zurück. Hier ist Handlungsbedarf; hier, Herr Ministerpräsident, meine Damen, meine Herren, muss der Schwerpunkt der Arbeit liegen.

Falsche Weichenstellungen sind die Ursachen. Vor allen Dingen bei der Vorgängerregierung war mangelnder Gestaltungsanspruch zu diagnostizieren. Sie wollte einen Haushalt mit einer schwarzen Null verwalten, statt das Land zu regieren. Die Folgen sind bekannt und spätestens seit dem 13. März auch in diesem Haus sichtbar. Die Mischung aus kleinem Geist und roher Sprache konnten wir vorhin erleben.

Unsicherheit ist das, was das Denken in unserem Land bestimmt. Die Unsicherheit von Arbeit in Zeiten von Leiharbeit und dauerbefristeten Arbeitsverhältnissen bestimmt ganz Deutschland. Aufgrund der falsch verstandenen Förderstrategie in den Niedriglohnsektor trifft es Sachsen-Anhalt dabei noch einmal verstärkt.

Die Antwort ist immer noch eine Abstimmung mit den Füßen. Der positive Wanderungssaldo des vergangenen Jahres hat seine Ursache vor allen Dingen im Zuzug der Flüchtlinge.

Doch auch diese Chance wurde bisher nicht ausreichend genutzt. Rechte Parteien und Rassisten, im Vergleich zur überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung eine laute, verrohte Minderheit, konnten die Dominanz in der öffentlichen Wahrnehmung erlangen, weil die vormalige Landesregierung eben nicht für ein Willkommen an die Schutzbedürftigen stand, sondern eine Mindestlohn- und Obergrenzendebatte anzettelte.

Umso mehr möchte ich positiv hervorheben, Herr Ministerpräsident, dass Sie in Ihrer heutigen Regierungserklärung einen klaren Paradigmenwechsel angekündigt haben. Er muss jetzt auch in unserem Land vollzogen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Beispiele der Unsicherheiten ließen sich fortsetzen. Die Unsicherheiten an den Hochschulen, von denen tatsächliche Entwicklungsimpulse für unser Land ausgehen können, sind hervorgerufen worden, weil sie von der damaligen Landesregie

rung in ihrer Aufgabe allein auf die Rolle des Kostgängers reduziert wurden.

Die neue Tonalität in der Regierungserklärung tat gut. Wir werden einfordern, dass die Themen ernsthaft angegangen werden. Dazu muss mehr getan werden.

Die Überschrift „Kontinuität und neue Perspektiven“ ließ das zunächst nicht erwarten. Kontinuität dem Wort nach steht für einen ununterbrochenen Zusammenhang für die Fortsetzung des Alten. Genau das brauchen wir aber nicht. Perspektive steht für Sichtweise, also dem Blickwinkel auf unser Land. Es braucht keinen neuen Blickwinkel auf unser Land, sondern ein Durchgreifen, eine neue Herangehensweise bei seiner Gestaltung.

Wir haben den Koalitionsvertrag mit großem Wohlwollen gelesen. Er greift Themen auf, die auch unsere Fraktion in der Vergangenheit immer wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat.

Aber es bleibt eben auch ein Katalog des Sollens und Wollens mit Finanzierungsvorbehalten. Die Fragen des Wann und Wie sind allerdings die entscheidenden. Darauf haben wir heute eine Antwort erwartet, und darauf haben wir heute leider noch keine Antwort bekommen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Finanzausstattung der Kommunen, die Personalausstattung der Landesverwaltung, insbesondere die von Polizei und Lehrern, ein Paradigmenwechsel in der Förderpolitik, weg von der Niedriglohnpolitik, die deutlich stärkere Unterstützung und Förderung von Demokratieprojekten, die verbesserte Finanzierung der Hochschulen und die Hinwendung zu einem zweiten Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose - all dies waren die Probleme der letzten Legislaturperioden. Diese Probleme wollen Sie angehen. Dabei sage ich Ihnen unsere kritische Begleitung und Unterstützung zu.

Aber es sind die Probleme der vergangenen Legislaturperioden, reparieren sozusagen, was unterblieb, was falsch angegangen wurde. Die Koalition etabliert sich damit als Reparaturbrigade von Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus findet sich wenig. Wie gesagt, es mag der Struktur der Koalition geschuldet sein, befriedigen kann es nicht.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir reichen Ihnen die Hand, Herr Ministerpräsident, wenn es um die Fragen der Zukunft unseres Landes geht. Die Vorhaben in der Koalitionsvereinbarung, in der Personalpolitik umzusteuern, haben wir mit Interesse und Respekt zur Kenntnis genommen. Diese Kursänderung ist überfällig und muss die Folgen einer über Jahre dauernden Fehlentwicklung beseitigen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Die Richtung stimmt, Blinken allein hilft aber nicht. Die für das Schuljahr 2016/2017 vorgesehenen Neueinstellungen werden angesichts der Lage nicht genügen, um 103 % Unterrichtsversorgung in den Schulen in allen Regionen des Landes zu gewährleisten. Die Mangelsituation hat in der letzten Zeit Lücken gerissen, die geschlossen werden müssen. Die Schülerzahl wächst, über das ganze Land gerechnet. Die Neubesetzung jetzt freiwerdender Stellen ist also lange noch nicht genug.

Außerdem zeichnet sich ein zweites Problem ab: Neueinstellungen zu realisieren. Die Schulbehörden werden auch im Herangehen den Schalter umlegen müssen. Nicht nur sichten, begutachten, auswählen, gegebenenfalls Neuausschreibung können den Arbeitsstil prägen. Es geht um die Gewinnung von Lehrkräften, um eine Willkommenskultur für alle, die für den Schuldienst in Sachsen-Anhalt Interesse zeigen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Die Mitglie- der der Fraktion der AfD betreten den Ple- narsaal)

Das werden auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sein, die nach einem gut durchdachten Programm die Chance erhalten müssen, noch ausstehende Professionalität zu erwerben und einen vollständig anerkannten Abschluss zu erlangen, damit sie nicht Lehrkräfte zweiter Klasse bleiben. Zu diesen Themen haben wir für diese Sitzung Anträge gestellt. Dieses Thema wollen wir gemeinsam mit Ihnen beraten.

Viele Ziele dieser Personalpolitik sind Teil der Wahlauseinandersetzungen gewesen. Jetzt haben Sie eine Verschiebung vorgenommen: Statt 18,5 Vollbeschäftigteneinheiten je 1 000 Einwohner in 2019 wollen Sie nun 18,7 Vollbeschäftigteneinheiten je 1 000 Einwohner in 2020. Diese zusätzlichen 0,2 brauchen Sie aber schon vollständig, um die Neueinstellungen bei Lehrern und Polizisten zu realisieren.

Relativ wenig gesagt wurde zum übrigen Umbau in der Landesverwaltung. Wir hatten hier die Frage der Straßenbauverwaltung, die Frage: Wie geht es beim Hochwasserschutz und bei den übrigen Teilen der Landesverwaltung weiter? - Das heißt, die Frage des Landespersonals bedarf auch in dieser Legislaturperiode einer sorgfältigen Betrachtung. Wir müssen von den Kommazahlen und dem Begriff „Vollbeschäftigteneinheiten“ wegkommen und über die Aufgaben, die in diesem Land anstehen, diskutieren.

Für uns ist klar, dass der begonnene Pfad des gemeinsamen Unterrichts erfolgreich sein kann und dass er für die Schülerinnen und Schüler, die jetzt in dieser Form lernen, gelingen muss. Diese Frage wird vor allem in den Schulen und in den Klassenzimmern entschieden. Die

Aufgabe braucht Qualifikation und Erfahrungsaustausch genauso wie persönliches Engagement. Sie braucht auch ein Mindestmaß an Personalausstattung, die in der Gesamtbilanz sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern berücksichtigt werden muss.

Auch in Zukunft muss es allen freigestellt sein, gemeinsam zu lernen: Kinder mit mehr oder weniger pädagogischen Förderbedarfen, Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, schnell und langsam Lernende. Eine administrative Delegierung in Förderschulen gegen den Willen von Schülern und Eltern darf es nicht geben.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Inklusion und gemeinsames Lernen kann gelingen und erfolgreich sein; das belegen Studien eindrucksvoll. Wir haben nicht das Recht, Kinder in ihren Perspektiven zu beschneiden.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir halten es für wichtig, dass alle Schulen, die sich in den vergangenen Jahren auf dem Weg zur Gemeinschaftsschule begeben haben, diesen Weg fortsetzen können. Das Patt in der Schulpolitik, das im Koalitionsvertrag - zumindest zwischen den Zeilen - gut zu lesen ist, sollte diese erfolgversprechenden Wege nicht verbauen.

Insbesondere das praxisverbundene Profil Polytechnik, das die Gemeinschaftsschulen, aber auch andere entwickeln, halten wir für einen zukunftsfähigen Weg, damit Lernen besser gelingt, alle anspricht und zugleich einen systematischen und nachhaltigen Beitrag zur Berufs- und Studienorientierung an allen Schulen zu leisten vermag.

Herr Ministerpräsident, Sie haben heute auch noch einmal die Bedeutung der frühkindlichen Bildung sowie die Bedeutung von Kindertagesstätten betont. Wir sind - dabei setzen wir auf das kommende Jahr - nicht der Auffassung, dass es nur ein finanzielles Problem ist. Wir haben ein Problem bei der Gesamtfinanzierung von Kommunen, aber wir haben keine überdurchschnittlichen Kosten für die Betreuung einzelner Kinder in den Kindertagesstätten. Wir haben ein Strukturproblem. Deshalb müssen wir den Evaluierungsprozess im Kinderfördergesetz zügig angehen und überlegen, wo die Unterschiede liegen.