Protocol of the Session on November 24, 2017

„Der wirkliche Hintergrund Ihres Antrages“

- ich bringe wieder ein Zitat -

„scheint auch nicht die Sorge um die SEDOpfer zu sein, weil Sie diesen in allen Ihren Verlautbarungen genauso feindselig gegenüberstehen wie zu SED-Zeiten. Nein: Ihr Antrag ordnet sich ein in Ihr permanentes Bestreben, diesen Staat, in dem die DDR aufgegangen ist, durch Überforderung zu zerstören, um die Genugtuung zu haben, dass nicht nur Ihr Staatsgebilde, sondern […] die verhasste BRD am Ende scheitert.“

Sehen Sie es mir nach, wenn ich einer solchen Argumentation klar entgegenhalte, dass sie dem Geist des Kalten Krieges entspringt und an Absurdität in der Gegenwart kaum zu überbieten ist.

Nun kann man uns als Partei mit unserer Geschichte als Partnerin in dieser Debatte dem Grunde nach ablehnen. Aus der Sicht der Opfer kann ich das menschlich sogar nachvollziehen und ich akzeptiere es selbstverständlich. Im parlamentarischen Raum kann ich eine solche Argumentation jedoch nicht akzeptieren. Herr Philipp, ich bin Ihnen insofern dankbar, dass Sie heute die richtigen Worte dafür gefunden haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Man kann auch - darüber war ich tatsächlich überrascht -, wie es beispielsweise der Landeskirchenrat im Rahmen der 6. Tagung der II. Landessynode der Evangelischen Kirche anlässlich des Bußtages in diesem Jahr erklärte, eigene Verantwortung suchen. Ich zitiere aus dieser Erklärung:

„Wir haben staatlichem Druck zu oft nicht standgehalten […] Unrecht […] oft nicht deutlich genug widersprochen.

Wir beklagen, dem SED-Staat nicht klarer und kompromissloser entgegengetreten zu sein.

Wir beklagen die Fälle, in denen Pfarrer und Pfarrerinnen und kirchliche Mitarbeitende mit staatlichen Stellen konspiriert, Vertrauen verletzt und anderen Schaden zugefügt haben, und dass wir unsere Verflochtenheit in diese Schuld bis heute nicht bekennen.

Bis heute übernehmen wir als Kirche nicht die nötige Verantwortung für Menschen, die unter Mithilfe oder nach Verrat aus kirchlichen Kreisen inhaftiert, gedemütigt, traumatisiert oder zur Ausreise gedrängt wurden.“

Ich habe diese Aussagen nicht zu kommentieren, wiewohl ich ihnen mit großem Respekt begegne.

(Eva Feußner, CDU: Es wäre schön, wenn das Ihre Vorgängerpartei auch machen würde!)

Vielmehr möchte ich abschließend noch einmal betonen: Jawohl, es darf kein Verfallsdatum für die Rehabilitierung politischer Verfolgung geben. Das muss auch für die entsprechende gesetzliche Grundlage gelten. Ich kann uns alle nur auffordern, ganz klar die Perspektive der Betroffenen einzunehmen; alles andere würde ihnen nicht gerecht werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Vielen Dank, Frau von Angern. Es gibt eine Wortmeldung. - Frau Feußner, Sie haben das Wort.

Liebe Frau Kollegin, ich fand Ihre Rede in einer gewissen Weise sehr beeindruckend, aber ich möchte Sie hinsichtlich Ihrer soeben vorgetragenen Argumentation fragen: Welchen Grund haben Sie dann als Partei, sich nicht an der Überprüfung zu beteiligen, ob es bei Ihnen Mitglieder gibt, die bei der Staatssicherheit waren?

(Zustimmung von Andreas Mrosek, AfD)

Das passt nicht zusammen. Das möchte ich gern von Ihnen erläutert haben.

Frau von Angern, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Es passt insofern zusammen, als wir von allen Kandidatinnen und Kandidaten, die bei uns für Listen unserer Partei oder für Direktwahlkreise kandidieren, verlangen, diese Geschichte offenzulegen - und das tun sie.

(Beifall bei der LINKEN - Siegfried Borg- wardt, CDU: Unabhängig!)

Eine Nachfrage, Frau Feußner? - Bitte.

Dazu habe ich eine Nachfrage. Woher nehmen Sie dann die Gewissheit, dass diese eigene Darstellung stimmt? Warum lassen Sie das nicht, wie wir alle hier im Hause, also die anderen Fraktionen, von einer unabhängigen Behörde, nämlich der entsprechenden Behörde, die Sie kennen, machen, sondern vertrauen auf das, was Ihnen Ihre Mitglieder erzählen?

Sie haben es selbst gerade beantwortet: weil ich meinen Kolleginnen vertraue.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist aber eine fadenscheinige Begründung.

(Zustimmung bei der CDU - Ulrich Thomas, CDU: Genau!)

Wir kommen nunmehr zum nächsten Redner. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Sie haben das Wort, Herr Striegel.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen vor 28 Jahren war der Auflösungsprozess der DDR in vollem Gange. Massenhafter und friedlicher ziviler Ungehorsam hatte dafür gesorgt, ein politisches System herauszufordern, das auf Unrecht gebaut war und sich in mehr als 40 Jahren durch Unterdrückung gründlich selbst delegitimiert hatte. Die Männer und Frauen der friedlichen Revolution waren dabei, nicht nur den DDR-Staatsapparat zu überwinden und die Diktatur des Proletariats zu beenden, sie hatten mit dem Mauerfall bereits am 9. November 1989 die Öffnung der Grenzen erzwungen.

Mitte November 1989 verkündete Hans Modrow in einer Regierungserklärung den Umbau der Stasi zum Amt für Nationale Sicherheit. Dass in den Verwaltungen zu dieser Zeit massenhaft Unterlagen zerrissen, geschreddert, verheizt oder, wie im Fall des Bezirks Halle, im Schkopauer Karbidofen organisiert verbrannt werden, gelangt erst langsam an die Öffentlichkeit. Als es ruchbar wird, stehen mutige Frauen und Männer ein weiteres Mal auf.

Anfang Dezember 1989 bilden sich in vielen Orten der DDR Bürgerkomitees. Ihnen gelingt es in den meisten Fällen, durch Besetzung der Stasi-Zentralen die Vernichtung der Akten zu stoppen. Wichtige Dokumente, kilometerlange Aktenbestände, die DDR-Unrecht dokumentieren, bleiben so erhalten. Sie bilden einen von vielen sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten der Aufarbeitung.

Knapp 50 000 Menschen stellten im Jahr 2016 einen Antrag auf Einsicht in die Stasi-Unterlagen, darunter waren mehr als die Hälfte Erstanträge. Die individuelle Aufarbeitung des Unrechts in der DDR ist auch fast drei Jahrzehnte später nicht annähernd abgeschlossen.

Nicht wenige Menschen sind erst jetzt, nach 28 Jahren, bereit, über das zu sprechen, was sie erlebt, was sie erlitten, aber auch was sie verschuldet haben. Erst jetzt, oft mit dem Rentenalter, beginnen viele Betroffene mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Biografie, wollen Bilanz ziehen und stellen in Konfrontation mit der eigenen Erinnerung, bei der Durchsicht von Akten und intensiver Recherche das Ausmaß eigener Betroffenheit erstmals für sich oder in der Gesamtschau fest.

Es liegt damit auf der Hand, dass Anträge auf Rehabilitation durchaus bis 2042 und darüber hinaus zu erwarten sind, schließlich waren im Jahr 1989 die jüngsten zu rehabilitierenden Inhaftierten erst 14 Jahre alt. Das ihnen in der DDR angetane Unrecht wirkt für viele fort. Dass die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze im Jahr 2019 auslaufen sollen, ist deshalb nicht zu akzeptieren. DDR-Unrecht darf nicht verjähren!

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen sich dafür ein, dass die Frist für das Auslaufen der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze gestrichen wird. Dass wir uns auch als Koalition darauf verständigen konnten, eine Entfristung dieser Gesetze erreichen zu wollen, freut mich sehr.

Wir sehen über die Entfristung hinaus jedoch weiteren Handlungsbedarf. So bleibt es unser Anliegen, den Kreis der Berechtigten für den Zugang zu monatlichen Unterstützungsleistungen zu erweitern. Auch wollen wir die Beweiserleichterung bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden erreichen. Beides sind Anliegen der Opferverbände, die das schon seit Lan

gem an uns herantragen, und ich bin froh, dass uns heute noch einmal in Erinnerung gerufen worden ist, dass auch DIE LINKE für eine solche Erweiterung streitet.

Zuständig ist in allen genannten Fällen der Bund. Sachsen-Anhalt wird sich in den nächsten Wochen mit den anderen Bundesländern verständigen, um über den Bundesrat eine Entfristung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze anzustoßen.

Eine unlängst erfolgte Bundesratsinitiative der Länder Thüringen, Sachsen und Berlin zur Rehabilitierung von Heimkindern zeigt, dass eine Zusammenarbeit in diesem Feld auch über gemeinhin trennende Parteigrenzen hinaus möglich ist. Dieses Zusammenwirken braucht es auch, um die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze zu entfristen.

In der DDR begangenes Unrecht hat viele Facetten. Bei Roland Herrmann begann es mit der geliebten Levis-Jeans, wegen der er aus dem Russischunterricht flog, bevor er zum schwarzen Schaf der Klasse und dann zum Karrierehindernis für den staatsnahen Stiefvater wurde. Norda Krauel bekam wegen ihrer nicht linientreuen Mutter erst keine Berufsausbildung und dann Ärger mit den DDR-Behörden.

Beide Teenager landeten in den 1980-Jahren in einem DDR-Kinderheim, dem Durchgangsheim Bad Freienwalde. Sie wurden eingesperrt, drangsaliert und gebrochen. Auf ihr Schicksal haben meine Brandenburger Kolleginnen unlängst in einer Veranstaltung aufmerksam gemacht.

Um ihre Rehabilitierung musste Norda Krauel lange kämpfen. Im Rechtsstaat Bundesrepublik wurde ihr jahrelang die Rehabilitierung verweigert. Erst das Bundesverfassungsgericht verwies ihr Verfahren zurück, worauf ihr das Oberlandesgericht Brandenburg schlussendlich Gerechtigkeit zuerkannte.

Drangsaliert wurde auch Bärbel aus Halle. Von ihrem Schulleiter bekam sie schon in frühen Jahren zu hören: Du wirst in deinem Leben keinen Abschluss machen. Der Grund war ihr familiärer, durch aktive Kirchenmitgliedschaft geprägter Hintergrund und ihr Vater, der als selbstständiger Bäckermeister arbeitete. Ihre ganze Schulzeit hindurch wurde sie diskriminiert und ihr wurden von regimetreuen Entscheidungsträgern bewusst

Steine in den Weg gelegt. Lehrerinnen und Lehrer, weit über die SED hinaus, beteiligten sich.

Die Brüche in Bärbels Erwerbsbiografie wirken bis heute nach. Ihr in der DDR erlittenes Unrecht führte dazu, dass sie auch nach 1990 beruflich nicht durchstarten konnte, sondern beständig zwischen Krankheit, Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung wechselte. Dies alles schlägt sich heute vor allem in ihrer Rentenberechnung nieder.

Dadurch wird Unrecht auch finanziell fortgeschrieben.

Das DDR-Erziehungssystem hat Tausende Geschichten von Schülerinnen und Schülern wie Bärbel oder Roland geschrieben, die aus politischen Gründen von ihren Lehrerinnen und Lehrern benachteiligt wurden und der Willkür von Staat und Partei schutzlos ausgeliefert waren. Die DDR ging gegen solche Benachteiligungen nicht vor, sondern ermöglichte und förderte sie.

Zu den Trägern des Systems gehörten neben der Gruppe der Partei- und Staatsfunktionäre auch ein großer Teil der Schuldirektoren und ein nicht zu unterschätzender Teil der Lehrerschaft, die bewusst - auch mit Einschüchterung und Gesinnungsdruck - die Erziehungsansprüche gegenüber Kindern und Jugendlichen durchsetzten.

Während mit der SED-Diktatur im Jahr 1990 auch die von ihr verantworteten Benachteiligungen von Schülern ein Ende fanden, konnten die Folgen des geschehenen Unrechts für die einzelnen Betroffenen nicht revidiert oder gemildert werden.

Der aktuelle Blick auf die Betroffenen zeigt, dass politisch Verfolgte der DDR unabhängig von den angewendeten Repressionsmethoden mehrheitlich grundsätzliche Probleme zu bewältigen haben, für die sie gesellschaftliche Unterstützung benötigen, Probleme wie verringertes Einkommen aus Arbeit und Rente, gesundheitliche Folgeschäden, insbesondere psychische Erkrankungen und Traumata, Probleme bei gesellschaftlicher Integration und Teilhabe.