Protocol of the Session on November 24, 2017

worden. Die Verfolgung der Friedhofssachbearbeiterin war folglich nur eine vermeintliche Verfolgung, weil eben nur die Post geöffnet worden war.

Ein zweiter Fall betraf einen nachweislich als IM tätigen Mitarbeiter, der sich selbst als Opfer ausgab, aber zu den Tätern gehörte. Er rechtfertigte seinen Antrag mit einem angeblich vorhandenen Zwillingsbruder mit demselben Vornamen und Geburtsdatum. Er sei immer wieder mit diesem Zwillingsbruder verwechselt worden.

Diese beiden Fälle zeigen exemplarisch auf, dass Fälle immer wieder ausgefiltert werden müssen, damit den unzweifelhaften Opfern zumindest eine späte Gerechtigkeit widerfährt. Es darf nicht dazu kommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Täter am Ende über die Opfer triumphieren.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der AfD)

Ich denke auch an das schwere Schicksal der Zwangsausgesiedelten. In den Jahren 1952 und 1961 kam es im Grenzgebiet der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland zu zwei groß angelegten Aktionen. Jeweils in den frühen Morgenstunden wurden die Wohnhäuser politisch missliebiger Bürgerinnen und Bürger von Polizei, Staatssicherheit und Kampftruppen umstellt. Die Betroffenen wurden aus den Wohnungen geholt, gerade einmal mit dem notwendigen Hab und Gut auf LKW oder auf dem nächstgelegenen Bahnhof in Viehwaggons verfrachtet und von der Grenzregion weggebracht. Ihren Bestimmungsort weiter im Inland der DDR erfuhren sie in der Regel erst auf der Fahrt. Dort wurden sie oft unter primitivsten Umständen untergebracht, manchmal in verlassenen oder verwahrlosten Gebäuden.

Den Deportierten war die Rückkehr in das Grenzgebiet verboten. Grund und Boden wurde ihnen weggenommen. Infolge der verleumderischen Begründung für die Ausweisung durch die Behörden waren die Menschen an ihrem neuen Wohnort oft als Quasi-Kriminelle stigmatisiert.

Alle diese echten Opfer haben einen Anspruch darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir sie nicht vergessen. Meine Damen und Herren! Es ist schon schwer genug für diejenigen Menschen, die unter SED und Stasi gelitten haben, mit der Last der Erinnerung an das eigene Schicksal fertig zu werden. Wie viel schwerer muss es für sie sein, wenn sie dabei nicht Mitgefühl und Verständnis erfahren, sondern auf Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung stoßen. Ich denke, wir sind es diesen Menschen schuldig, dass wir uns ihr Leiden immer wieder ins Gedächtnis rufen.

Dies allein reicht aber nicht aus. Immer wieder müssen wir uns auch fragen: Haben wir genug für diese Menschen getan? Haben wir uns genug da

für eingesetzt, dass unsere Rechtsordnung ihnen zumindest einen kleinen Ausgleich für ihr Schicksal zukommen lässt?

Am 4. November 1992 und damit vor etwas mehr als 25 Jahren ist das erste Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht in Kraft getreten. Hauptgegenstand war das Gesetz über die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im Beitrittsgebiet; das sogenannte strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz. Mit diesem Gesetz hat der Bundesgesetzgeber eine Rechtsgrundlage geschaffen, um rechtsstaatswidrige Urteile der DDR-Justiz aufzuheben und den Betroffenen eine Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft zu gewähren. Ein erster und sehr wichtiger Schritt zur Aufarbeitung des SED-Unrechts war damit getan.

Allerdings fehlte im Jahr 1992 noch eine Ausgestaltung des Artikels 19 des Einigungsvertrages in Form einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen sowie eine Regelung, die Nachteile durch politisch motivierte Eingriffe in den Beruf sowohl durch Inhaftierung als auch durch andere Verfolgungsmaßnahmen ausgleichen konnte.

Diese Regelung erfolgte dann im Jahr 1994. Am 1. Juli des Jahres 1994 trat das Zweite Gesetz zur Bereinigung von SED-Unrecht in Kraft. Die zwei Hauptbestandteile dieses Gesetzes waren das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz, ein Gesetz zur Bereinigung von Verwaltungsunrecht und das berufliche Rehabilitierungsgesetz, das einen Nachteilsausgleich für politisch Verfolgte im Berufsleben ermöglichte.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Seit dem Inkrafttreten des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes wurden bei den Rehabilitierungsbehörden in Sachsen-Anhalt insgesamt 6 579 Anträge auf Rehabilitierung und 18 659 Anträge auf berufliche Rehabilitierung gestellt. Etwa zwei Drittel der Anträge auf verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und drei Viertel der Anträge auf berufliche Rehabilitierung wurden positiv entschieden.

Im Augenblick begleiten wir noch 187 offene Anträge auf verwaltungsrechtliche und 664 Anträge auf berufliche Rehabilitierung.

Die Rehabilitierungsgesetze sind ein wesentlicher Bestandteil der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Als Vorstufe der Rehabilitierung und wichtiger Teil für die Aufarbeitung der Vergangenheit sei an dieser Stelle auch die Arbeit der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur genannt und ausdrücklich gewürdigt.

Als wichtiger Teil der Erinnerungskultur und Zeugnis des Respektes des Landes Sachsen-Anhalt gegenüber allen Opfern von politischer Ver

folgung und Gewaltherrschaft möchte ich zum Abschluss meiner Ausführungen auch die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt erwähnen. Diese Stiftung verwaltet mit der zum europäischen Kulturerbe gehörenden Grenzübergangstelle Marienborn und dem dazugehörigen Grenzdenkmal in Hötensleben das bedeutendste Mahnmal für das Einmauern einer eigenen Bevölkerung in der DDR.

An Teilungsunrecht und politische Willkürherrschaft sowie an die Opfer der SED-Diktatur erinnert die Stiftung insbesondere mit den Gedenkstätten Moritzplatz in Magdeburg und Roter Ochse in Halle, beides Haftanstalten, die dem Ministerium für Staatssicherheit als Untersuchungsgefängnis dienten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu unserer Geschichte und Erinnerungskultur und Verantwortung gehört, dass wir uns und anderen in zwei Diktaturen des letzten Jahrhunderts unglaublich viel zugemutet haben, Unrecht getan haben, was nicht allein materiell auszugleichen ist, sondern für die Betroffenen, egal welcher Diktatur, auch in Generationen noch schwer zu verarbeiten sein wird. Es dient nicht, das eine Unrecht gegen das andere aufzuwiegen, sondern, um es mit Hannah Arendt zu sagen, die Addition beider Unrechte ist das Ergebnis unserer Geschichte.

Insofern sollten wir an dieser Stelle auch an diejenigen denken, die in der DDR Unrecht erlitten haben. Es wurden Familien auseinandergerissen. Wir sollten uns eindeutig zu dem Unrecht in der DDR bekennen, ohne sibyllinisch zu überlegen, wie man es anders formulieren könnte. Wir sollten das deutlich sagen und uns distanzieren. Auf der anderen Seite sollten wir dankbar sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem jeder das tun kann, was er möchte, um nach seiner Fasson glücklich zu werden. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD und bei der SPD)

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Minister. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Somit kommen wir zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern.

Doch bevor ich ihr das Wort übergebe, begrüße ich bei uns im Hohen Hause recht herzlich Damen und Herren der Vereinigung „Opfer des Stalinismus“, des Bürgerkomitees Sachsen-Anhalt und der Konrad-Adenauer-Stiftung. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Weiterhin habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen

Halle recht herzlich im Hohen Hause begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Weiterhin begrüße ich auf das Herzlichste Damen vom Projekt „Zwischen Arbeit und Kind“ der Fortbildungsakademie der Wirtschaft Magdeburg. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sehr geehrte Frau Abgeordnete, Sie haben jetzt das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren Abgeordneten! Wir befinden uns im Jahr 29 nach der friedlichen Revolution im Jahr 1989. Wir erinnern uns: Viele Bürgerinnen der DDR gingen in verschiedenen Städten, auch hier in Magdeburg, in die Kirchen, auf die Straßen, um der damaligen Regierung zu sagen: Wir sind das Volk und wir wollen kein Weiter-so; wir wollen ein freies Land, in dem Meinungsfreiheit und Demokratie nicht nur Worte sind, sondern gelebte Realität. Es war eine sehr politische Zeit. Ich erinnere mich, dass ich als damals Zwölfjährige zum einen verunsichert war, zum anderen aber auch sehr neugierig auf die vielen Veränderungen in unserem Land. Wie wir wissen, änderte sich sehr viel.

In Vorbereitung der heutigen Debatte habe ich eine Rede gefunden, die mich bei jedem wiederholten Lesen beeindruckt. Sie beeindruckt mich wegen des Gesagten und auch wegen des Zeitpunkts des Gesagten. Ich meine die Rede von Michael Schumann, der leider viel zu früh starb und der im Dezember 1989 meine Partei im Mark erschütterte, aber für ihre Zukunft so wichtige Worte fand.

Die Rede führte er damals unter dem Titel „Wir brechen unwiderruflich mit dem Stalinismus als System“. Er sprach klar von einem Machtmissbrauch und beschrieb dessen Symptome wie folgt: Konzentration der Macht in den Händen eines arroganten Alleinherrschers, Steuerung der Wirtschaft durch eine Kommandozentrale, Reglementierung und bürokratische Zentralisation von Kultur, Wissenschaft und Bildung, die kritische Geister außer Landes trieb, politische Entmündigung der Bürger unserer Republik und Kriminalisierung Andersdenkender, Verwandlung der Medienlandschaft in eine trostlose Informationswüste und eine widerliche Hofberichterstattung. - Sehr deutliche Worte, die ich ausdrücklich teile.

Nun möchte ich in das Jahr 2014 gehen. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE brachte vor fast genau drei Jahren einen Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR ein. Durch den Gesetzent

wurf sollte der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert werden. Sowohl die Verurteilten wegen asozialen Verhaltens nach § 249 StGB der DDR im Zusammenhang mit den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 als auch die Betroffenen der Zersetzungsmaßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit sollten Leistungen nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz erhalten können.

In Vorbereitung auf diese Rede habe ich auch noch einmal die Richtlinien des Ministeriums für Staatssicherheit gelesen, die die Zersetzungsmaßnahmen sehr deutlich formuliert haben. Ich kann Ihnen sagen, das ist schauderhaft.

Die Befristung der Antragstellung sollte 2014 gestrichen werden, ebenso die Gewährung der Leistung als soziale Ausgleichsleistung. Die Betroffenen sollten unabhängig von ihrem Einkommen eine Ausgleichsleistung erhalten. Der Betrag der monatlichen Ausgleichsleistung nach dem strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz sollte um 50 € und nach dem beruflichen Rehabilitierungsgesetz um 30 € entsprechend des Gesetzentwurfes der Bundesregierung in Drs. 446/14 erhöht werden.

Außerdem sollte für den Leistungsanspruch keine Mindesthaftdauer festgelegt werden. Darüber hinaus sollte jede erlittene Haft- oder Zersetzungsmaßnahme unabhängig von ihrer Dauer einen Anspruch auf eine monatliche Ausgleichsleistung rechtfertigen.

Soweit eine Kausalität zwischen Freiheitsentziehung bzw. Zersetzungsmaßnahme und Gesundheitsschädigung nicht nachweisbar ist, sollte zugunsten der Betroffenen diese Kausalität unterstellt werden. - So weit zum Inhalt des damaligen Gesetzentwurfes.

Meine Kollegin im Bundestag Halina Wawzyniak sagte damals in ihrer Einbringungsrede:

„Soziale Gerechtigkeit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Keine von beiden hat […] einen höheren Wert; das eine ist ohne das andere nichts […] wert.

Wir können es nicht ungeschehen machen, aber wir können dafür sorgen, dass den Opfern der SED-Diktatur mehr Gerechtigkeit widerfährt.“

Diese Worte, meine Damen und Herren, teilt meine Fraktion in ihrer Intention ausdrücklich. Daher werden wir heute auch Ihrem mit der Aktuellen Debatte verbundenen Antrag zustimmen - auch wenn er weiter gehen könnte.

(Beifall bei der LINKEN, bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Aber - das gehört zur Wahrheit dazu - lassen Sie mich kurz auf den Erfolg des Gesetzentwurfes und vor allem auf die Debatte dazu eingehen. Der

Gesetzentwurf wurde von der Mehrheit des Bundestags abgelehnt. Die Begründung für die Ablehnung wirkt geradezu absurd. So teilte unter anderem ein Mitglied des Bundestages für die CDU mit, dass man sich den Forderungen der SEDOpfer nicht verschließen würde und diese im Rahmen eines Berichterstattergespräches angehört habe. - Zuhören ist immer gut, aber konkrete Handlungen sind besser.

Als noch weitaus verheerender in seiner Botschaft empfand ich jedoch das Argument, das vom Mitglied des Bundestages Herrn Vaatz geäußert wurde - ich zitiere -:

„Die Linkspartei ist die letzte politische Kraft in Deutschland, die ein Recht hätte zu verlangen, dass für das von ihr allein verursachte Unrecht nun die ganze Gesellschaft aufzukommen hätte, und dies in einer Höhe und unter Bedingungen, die die Linkspartei […] festlegt.“

Das, meine Damen und Herren, ist ein sehr fragwürdiges Demokratieverständnis, und ich gehe davon aus - dies konnte ich den Worten meiner Vorredner auch entnehmen -, dass eine solche Argumentation in diesem Haus nicht geteilt wird; denn eine solche Argumentation vergisst, dass es auch in der DDR die sogenannten Blockparteien gab.

Aber es wird noch absurder:

„Der wirkliche Hintergrund Ihres Antrages“