Zu allen diesen Dingen, Herr Haseloff, sind Sie von der „Budapester Zeitung“ befragt worden, als Sie dort Ihren Besuch gemacht haben. Da sagen Sie, man kann sich nun darüber streiten, was im technischen Vollzug alles zu berücksichtigen ist. Aber letztlich hat Ungarn der Europäischen Union mit der Schließung der Grenzen einen Dienst erwiesen. Des Beifalls der AfD können Sie sich sicher sein, liebe Kolleginnen und Kollegen! Aber, Herr Haseloff, in der Grundwertedebatte um die Perspektive der Europäischen Union sind Sie ein Totalausfall. Das müssen wir Ihnen hier mit aller Deutlichkeit sagen.
Es gibt noch viele Dinge, die zurzeit im Argen liegen und die drohen, die Europäische Union in eine Sackgasse zu führen. Das, was wir brauchen, ist eine Europäische Union der sozialen Sicherheit, eine Europäische Union, die zuallererst in ihren Mitgliedsländern offensiv und überall für Demokratie und Menschenrechte und für Frieden und Entspannung eintritt.
Bei allen drei Feldern gibt es in Brüssel und in der Landesregierung zurzeit massive Defizite. Das ist eine Situation, mit der wir uns nicht einverstanden erklären können.
Wir wollen eine proeuropäische Entwicklung. Wir wollen eine europäische Integration: für soziale Sicherheit, für Frieden, für Gerechtigkeit. Dafür kämpfen wir offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen. - Danke.
Ich stelle keine Frage, sondern mache eine kurze Zwischenintervention. - Ich möchte einfach nur feststellen, dass Ihr Beitrag vollständig unglaubwürdig ist, dass Sie ausdrücklich nichts dagegen haben, dass ein Förderer des Steuerbetrugs an der Spitze der EU steht, der ein glühender Verfechter Ihrer Thesen ist, auf die Sie sich ausdrücklich berufen haben. Da sage ich ganz ehrlich: Pfui Deibel! An der Spitze der EU brauchen wir glaubwürdige Personen, die auch glaubwürdige Politik vertreten. Das ist gerade Herr Juncker nicht.
Das Zweite, das ich anmerken will, ist, dass ich es unverschämt finde, mit welch demagogischer Art und Weise Sie den Herrn Haseloff hier angreifen, gerade in einer Situation, in der er langsam wieder anfängt, vernünftige Ansichten nach oben weiterzugeben, unter anderem die, dass man dort auch mal über einen Generationenwechsel nachdenken muss.
Und dass die EU in der Öffentlichkeit so angegriffen wird, hat man der Tatsache zu verdanken, dass es gar keine Diskussion in der Bevölkerung gibt, keine Verfassung der EU, gar nichts und alle Macht immer mehr zentralisiert und die Macht der örtlichen Parlamente ausgehebelt wird. Das wollen wir nicht. Wir wollen, dass das Volk bestimmt.
Also, Kollege Farle, ich habe gesagt, welche Rolle Herr Juncker in der Vergangenheit gespielt hat. Aber: Wenn selbst jemand wie er inzwischen der Überzeugung ist, dass die EU ohne eine soziale Garantiefunktion, ohne eine soziale Säule, nicht überleben kann, dann wissen wir, dass die Debatte innerhalb der Europäischen Union viel, viel weiter als in der Bundesrepublik Deutschland ist. Und wenn die Debatte über eine soziale Säule innerhalb der Europäischen Union von so einem Erzneoliberalen wie Juncker kommt, dann sage ich nicht, sie ist falsch, weil sie von einem erzneoliberalen Juncker kommt, sondern ich sage: Selbst der weiß inzwischen, dass es nicht anders
geht. Das ist bemerkenswert. Das Traurige daran ist, dass diese Erkenntnis bei uns in Deutschland nicht ankommt; das ist das Problem.
Punkt 2. Natürlich, Herr Farle, ist das, was Herr Haseloff mit Herrn Orbán macht, vollständig in Ihrem Interesse. Das finden Sie richtig gut, weil Herr Orbán dort all Ihre Positionen vertritt, die Sie hier vertreten:
Die sagt über Herrn Orbán: „Orbán vergiftet die Seele der Ungarn, weil sie von ihm hassen lernen.“ Und: „Orbán ist ein Diktator, aber Ungarn ist keine Diktatur.“ Sie ist übrigens die Nachfolgerin von Hannah Arendt auf ihrem Lehrstuhl, eine ungarische Holocaustüberlebende.
Dass das eine Idealfigur für die AfD ist, ist doch klar. Und dass Sie es gut finden, dass Herr Haseloff sich mit dem so super versteht, ist auch klar. Klar ist aber auch, dass wir das kritisieren wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Sehr geehrter Abg. Gallert, Sie hatten ausgeführt, soweit ich das richtig verstanden habe, dass die ungarische Regierung im Grunde eine antisemitische Kampagne gegen den Milliardär und ungarischen Juden Soros führt. Jetzt frage ich aber:
Woher nehmen Sie denn den Ansatz dazu, dass diese Kampagne, die es ja geben mag, auf der Annahme und auf der Grundlage von Antisemitismus basiert? Ist es nicht vielleicht so, dass der Milliardär Soros kritisiert wird und er eben Jude ist, nicht weil er Jude ist? - Das würde mich interessieren.
Also, meine Einschätzung ist zum Beispiel die Einschätzung des Verbandes der jüdischen Gemeinden in Ungarn,
der ausdrücklich davon spricht, dass Orbán, obwohl er es leugnet, natürlich - dafür gibt es neben Fidesz auch noch Jobbik in Ungarn - mit dieser Kampagne massiv antisemitische Vorurteile bedient und fördert. Wir haben es seit Beginn dieser Debatte damit zu tun, dass antisemitische Vorfälle in Ungarn massiv zunehmen. Die erwähnten Plakate werden typischerweise mit „Drecksjude“, „Drecksau“, „Vergasen“ betitelt. Das ist das, was an Reaktionen durch diese Kampagne organisiert wird.
Das sieht unter anderem - er ist ja betroffen - der Verein der jüdischen Gemeinden in Ungarn ausdrücklich so. Übrigens sah es auch der Botschafter Israels so, der eine scharfe Stellungnahme abgegeben hat, bevor er dann von Netanjahu zurückgepfiffen worden ist, weil Netanjahu sagt: Letztlich ist Antisemitismus nicht so schlimm. Hauptsache ich habe Verbündete innerhalb der Europäischen Union für meine Siedlungspolitik. Der hat übrigens auch ein Problem mit Soros, weil Soros auch innerhalb Israels zivilgesellschaftliche Organisationen ausdrücklich unterstützt, auch ideell unterstützt, die sich kritisch mit der Siedlungspolitik dort auseinandersetzen. Nein, da ist es so. Es werden antisemitische Reflexe bedient. Wer die Plakate sieht, der denkt eins zu eins an die Goebbels-Kampagne aus den 30er-Jahren. Das wissen die auch in Ungarn.
Übrigens hat der Kollege Orbán auch den Reichsstellvertreter Hitlers, der für 600 000 Deportationen von Juden verantwortlich ist, erst vor einigen Wochen als „hervorragenden würdigen Staatsmann“ geehrt. Das ist die Situation in Ungarn. Aber es mag immer noch Leute geben, die sagen: Mit Antisemitismus hat das alles nichts zu tun. Nur, glaubwürdig ist das nicht, werte Kolleginnen und Kollegen.