Protocol of the Session on April 7, 2017

Eine Kurzintervention, bitte. - Herr Gallert, Sie haben gerade zum Abschluss gesagt: Für uns gibt es kein Zurück. Das erinnert mich an den Ausspruch: Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Das ist genau Ihre Theorie. Sie haben gerade wunderbar dargelegt, dass die EU eben nichts oder kaum etwas für den kleinen Mann bringt.

(Hendrik Lange, DIE LINKE: Das stimmt nicht!)

Darin gebe ich Ihnen vollkommen recht. Was Sie aber einfach nicht schaffen, ist, dann zu sagen, okay, dann lassen wir dieses Konstrukt einfach sein. Es hat sich nicht bewährt. Es hat es nicht geschafft, für den Bürger dazu sein.

Sie müssen eben, ganz typisch LINKE, immer am Gestern und Vorgestern festhalten. Sie können sich nicht der neuen Realität stellen und einfach einmal sagen, alte Konstrukte, die nicht funktionieren, lassen wir beiseite.

Ich glaube, das ist beim Kommunismus bei Ihnen ganz genauso. Sie können nicht sein lassen, was einfach nicht funktioniert. Ich würde mich freuen, wenn Sie einmal einen Schritt weitergehen. Die AfD ist schon einen Schritt weiter. Lassen Sie sich inspirieren. Wir sind die Zukunft. - Danke.

(Beifall bei der AfD)

Herr Kollege Gallert, Sie können darauf erwidern, müssen es aber nicht.

Ich habe auf diesen Hinweis gewartet, Frau Präsidentin.

(André Poggenburg, AfD, Rüdiger Erben, SPD, und Sebastian Striegel, GRÜNE, la- chen)

Ich werde es trotzdem tun.

Tun Sie das. Bitte.

Erstens. Herr Poggenburg, ich kann nichts für Ihre Kognition. Dafür bin ich nicht zuständig, und ich weigere mich auch, mich darin hineinzudenken.

Zweitens. Ja, es gibt politische Sachverhalte, die lassen sich nicht auf null und eins und Plus und Minus reduzieren. Dass das offensichtlich schwierig ist, haben wir bei der letzten Debatte gehört, und bei dieser wird es wahrscheinlich nicht anders sein.

Ich sage noch einmal ganz deutlich: Nein, gerade Menschen mit unteren Einkommen, gerade Menschen, die sich heute häufig vor der Institution der Europäischen Union fürchten, würden bei einem Rückfall in die Zeiten der Nationalstaaten massiv unter Druck geraten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir alle kennen die Debatten: Schmeißt die Griechen doch aus dem Euro raus! Sollen sie doch sehen, wie sie klarkommen! Würden sie jetzt ihre alte Währung wieder einführen, hätten wir wahrscheinlich mit Hungersnöten zu rechnen, weil sie mit ihrer eigenen Währung überhaupt nicht mehr in der Lage wären, die eigene Bevölkerung zu versorgen.

Wir hätten die Situation - übrigens auch in Sachsen-Anhalt -, dass wir nicht massenhaft Schulen hätten bauen können. Wir hätten die Schulsozialarbeiter nicht. Wir hätten ein Steuerdumping und wir hätten ein Sozialdumping zwischen konkurrierenden Nationalstaaten. Das wäre noch schlimmer als das, was wir jetzt an Missständen in der Europäischen Union haben.

Wer sich die Situation real angucken will, der soll sich gerade einmal die künftige soziale Situation unterer Einkommensgruppen in Großbritannien angucken. Die werden unter die Räder geraten bei dieser Geschichte, nicht die oberen Zehntausend. Deswegen wollen wir nicht zurück, Herr Poggenburg.

(Starker Beifall bei der LINKEN - André Poggenburg, AfD: Gut!)

Vielen Dank, Herr Kollege Gallert. - Bevor für die Landesregierung Staats- und Kulturminister Herr Robra spricht, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler des Hauptmann

Gymnasiums Wernigerode recht herzlich bei uns im Haus begrüßen zu dürfen.

(Beifall im ganzen Hause)

Sie haben das Wort. Bitte, Herr Robra.

Schönen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Unter dem Eindruck der Feierlichkeiten zu den Römischen Verträgen vom 25. März 1957, die unter anderem die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gebracht haben, ist ein zweites Jubiläum zu kurz gekommen, dass für die heutige Europäische Union mindestens dieselbe große Bedeutung hat.

Am 7. Februar 1992, also vor gut 25 Jahren, wurde nämlich der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Damit entstanden die Europäische Union als solche, die Wirtschafts- und Währungsunion, die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Zusammenarbeit in der Innen- und Rechtspolitik. Es wurde die Unionsbürgerschaft eingeführt. Die Rechte des Europäischen Parlaments wurden durch die Einführung des Mitentscheidungsverfahrens gestärkt und - für uns besonders wichtig - die Mitwirkung der subnationalen Ebene wurde durch die Begründung des Europäischen Ausschusses der Regionen geschaffen.

Maastricht war der Weg aus der damals so genannten Eurosklerose. Nach zwei Jahrzehnten schnellen wirtschaftlichen Wachstums hatten die Wirtschaftskrisen der 70er- und die Währungskrise der 80er-Jahre des vorherigen Jahrhunderts zur Stagnation der Europäischen Union geführt. Erst allmählich setzte sich wieder die Erkenntnis durch, dass Europa zusammenstehen muss, um die Krisen zu bewältigen.

Diese Einsicht, meine Damen und Herren, wünsche ich uns auch heute, statt in unreflektiertes Europa-Bashing zu verfallen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Maastricht markiert aber in gewisser Weise auch den Beginn unserer eigenen Europapolitik hier in Sachsen-Anhalt, nicht nur weil die Debatte, die zu Maastricht führte, mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Wiederentstehen des Landes Sachsen-Anhalt zusammenfiel. Im Kontext von Maastricht wurde bekanntlich der Europa-Artikel, Artikel 23, in das deutsche Grundgesetz eingeführt. Seitdem ist die Mitwirkung an der europäischen Einigung Staatszielbestimmung und Verfassungsauftrag, und zwar unter Beteiligung der deutschen Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union.

Die Landesregierung versucht auch in dieser siebenten Legislaturperiode, dieser Verantwortung nach besten Kräften gerecht zu werden; denn für ein Land wie Sachsen-Anhalt ist die in der EU gelebte und praktizierte Solidarität überlebenswichtig. Europäische Kleinstaaterei würde uns im weltweiten Standortwettbewerb ins Mark treffen.

Wenn wir über Europa reden, dann geht es uns weder um Schönfärberei noch um Schwarzmalerei. Es geht auch, so wichtig es ist, nicht nur um Geld aus Brüssel, das uns so sehr geholfen hat. Darin sind immer nur 22 % Bundesmittel. Wer ernsthaft glaubt, wir würden das Geld aus Berlin in der gleichen Weise bekommen - das ist die Renationalisierungsdebatte zu den Kohäsionsfonds; lesen Sie es einmal nach -, der hat sich geschnitten. Was wir vom Westen bekommen, das haben wir gesehen im Rahmen des Bund-LänderFinanzausgleiches.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Dann hole ich mir das Geld lieber in der Weise, wie es Herr Gallert schon beschrieben hat, weitgehend unkonditioniert aus Brüssel ab, anstatt es hier im Wege der klein-klein-zweckgebundenen Pakete aus Berlin zu bekommen. Das sollte man also bitte noch einmal genauer durchdenken.

Meine Damen und Herren! Wenn die Probleme auf europäischer Ebene liegen, dann müssen wir sie natürlich genauso klar und deutlich benennen wie auf allen anderen Ebenen. Solche Probleme, die auch die Akzeptanz von Europa beeinträchtigen, sehe ich beispielsweise in der europäischen Überregulierung.

Es entspricht dem in den europäischen Verträgen verankerten Subsidiaritätsprinzip, dass die europäischen Vorgaben auf ein Minimum mit speziellem Mehrwert für Europa beschränkt werden. Herr Vizepräsident Gallert hat dafür schon ein paar Beispiele genannt.

Dieses Problem thematisieren aber auch wir seit Langem und immer wieder, nicht mit dem Ziel eines eventuellen Austritts aus der EU, sondern mit dem Ziel ihrer konstruktiven Weiterentwicklung. Es hilft insofern niemandem, Europa schlechtzureden, sondern es gilt, Europa besser zu machen. Das ist auch weiß Gott nicht unmöglich.

(Daniel Rausch, AfD: Nicht „Europa“! Die EU! - André Poggenburg, AfD: Europa ist nicht die EU! Immer der gleiche Fehler!)

Auch gegenüber der Europäischen Kommission thematisieren wir auf allen Kanälen Probleme bei der Anwendung von EU-Regelungen, beispielsweise mit einer Sitzung der Staatssekretärskonferenz am 24. April 2017 in unserer Landesvertretung in Brüssel.

Wir sind als Landesregierung inzwischen in die Phase der konkreten Umsetzung der Europa- und Internationalisierungsstrategie eingetreten, die

sich die Landesregierung am 20. Dezember 2016 gegeben hat. Diese Strategie ist vor allem im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien erörtert worden und auf den

Europaseiten des Internetportals der Landesregierung für jedermann nachlesbar.

Dort sehen Sie dann auch, Herr Poggenburg, was es unseren Menschen hier in Sachsen-Anhalt gibt, dass wir Teil der Europäischen Union, Teil der europäischen Gemeinschaft sind. Ich kann nur empfehlen, es noch einmal nachzulesen, ebenso die Beispiele der konkreten Maßnahmen, die wir zum selben Zeitpunkt beschlossen haben, damit alle unsere Ressorts konkrete europäische und internationale Aktivitäten und Maßnahmen umsetzen, um uns immer besser in die Europäische Union einzubringen - durchaus auch kritisch, dort wo es angebracht ist. Auch dieser Bericht liegt Ihnen vor.

Wenn wir aus der Sicht eines Bundeslandes Lösungen für drängende Herausforderungen suchen, dann bietet der europäische und internationale Austausch auf persönlicher Ebene beste Gelegenheit, von den Erfahrungen anderer zu lernen. Ich möchte daher alle Akteure im Land, die Kammern und Verbände, die Vereine, die Bildungseinrichtungen, die Kultureinrichtungen und die Kommunen, ermuntern, ihren Blick verstärkt über die Landesgrenzen hinweg zu richten, bestehende Kontakte zu Partnern im Ausland auszubauen und neue Kontakte zu knüpfen. Die Landesregierung wird sie alle dabei engagiert und gern unterstützen.

Wir tun dies unter anderem auch in diesem Jahr wieder mit der jährlichen Europawoche, die vom 2. Mai an in ganz Sachsen-Anhalt stattfinden wird. Die Zukunft der EU wird dabei eines der meistdiskutierten Themen überall im Lande sein. Das komplette Veranstaltungsprogramm wird demnächst publiziert. Sie sind alle herzlich eingeladen, daran teilzunehmen.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, kamen die Staats- und Regierungschefs sowie die führenden Vertreter der europäischen Institutionen am 25. März 2017 aus Anlass des 60. Jahrestages in Rom zusammen und verabschiedeten die feierliche Erklärung von Rom. Darin gaben sie die Verpflichtung ab - ich zitiere -, „die Europäische Union durch noch mehr Einheit und Solidarität untereinander und die Achtung gemeinsamer Regeln stärker und widerstandsfähiger zu machen“.

Die sogenannte Agenda von Rom umfasst die vier Kernziele: ein sichereres und geschütztes Europa, ein wohlhabendes und nachhaltiges Europa, ein soziales Europa und ein stärkeres Europa in der Welt.

Auch die Europäische Kommission hat ein Weißbuch zur Zukunft der EU vorgelegt, in dem verschiedene Szenarien entfaltet werden. Bis zur Sommerpause wird sie mit mehreren Reflexions

papieren die wichtigsten Politikbereiche weiter konturieren. Wir werden uns auch in diesen Reflexionsprozess engagiert einbringen.

Meine Damen und Herren! Wie Sie wissen, findet die gesamte Zukunftsdebatte aktuell vor dem Hintergrund der Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich statt. Es wird für uns darauf ankommen, unsere Interessen auch in diesem bedauerlichen, aber unvermeidlichen Prozess wahrzunehmen.

Deshalb hat die Landesregierung als Mitantragsteller im Bundesrat am 31. März 2017 eine Entschließung eingebracht, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, die Länder in die Verhandlungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs und zum Abschluss einer neuen Partnerschaft der EU mit dem Vereinigten Königreich einschließlich etwaiger Übergangsregelungen zur Vermeidung eines ungeordneten Austritts eng einzubeziehen und entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben angemessen zu beteiligen.