Sie, meine Damen und Herren von der LINKEN, scheuen 28 Jahre nach der friedlichen Revolution noch immer die Auseinandersetzung mit alten Kadern, die bei geschichtspolitischen Fragen bei Ihnen leider tonangebend sind,
Sie ergehen sich in dialektischen Ausflüchten: Sie hätten einer Überprüfung ja zugestimmt, wenn man Sie vorher gefragt hätte.
Was unterscheidet denn die Überprüfung hier von einer Thematisierung auf einem sogar öffentlich stattfindenden linken Parteitag? Was ist in Sachsen-Anhalt anders als in Thüringen, wo Ihre Abgeordneten einer Überprüfung zugestimmt haben?
Ihre Ablehnung steht im Kontrast zu den Äußerungen manches jüngeren Mitglieds Ihrer Partei und auch zur Verantwortungsübernahme, die Sie schon in den 1990er-Jahren für das Handeln der SED oder auch zuletzt in der Koalitionsvereinbarung in Thüringen gezeigt haben. Ein offensiver, ein konstruktiver Umgang mit eigener Parteivergangenheit und vielleicht auch mit persönlicher Verantwortung sieht anders aus. Schade!
Dass die AfD für Schlussstrichmentalität steht, dass sie von historischer Verantwortung nichts wissen und aus Geschichte nichts lernen will, haben wir schon im Umgang der Partei mit den Verbrechen der NS-Diktatur erlebt. Wer hier von Schuldkult fabuliert und erinnerungspolitische Wenden um 180 Grad durchführen will, der sieht wohl auch fast drei Jahrzehnte nach dem Ende der SED-Diktatur die Notwendigkeit gekommen, Unrecht zu beschweigen und zu vergessen. Ihr Verhalten ist geschichtsvergessen, aber konsistent.
Warum sollten Sie beispielsweise ein Interesse daran haben, zu erfahren, welche Rolle westdeutsche Kommunisten für die Stabilisierung der Diktatur in der DDR spielten? Dass mit Ihrer Fraktion auch eine deutlich sichtbare personelle Änderung im Landtag einhergegangen ist, könnte ein starkes Argument für eine Überprüfung aller Abgeordneten auf Stasi-Tätigkeit sein.
Ich bin sofort am Ende, Frau Präsidentin. - Versöhnung braucht Aufarbeitung. Diese braucht Erinnerungsarbeit, und Erinnerungsarbeit kommt ohne Kenntnis dessen, was war, nicht aus. Wir sollten deshalb auch im Angesicht derer, die in
der DDR unter Unrecht zu leiden gehabt haben, diesen Überprüfungsausschuss einsetzen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Striegel. Es gibt eine Anfrage. Möchten Sie diese beantworten? - Herr Tillschneider, bitte.
Keine Anfrage, sondern eine Intervention. - Herr Striegel, ein produktiver Umgang mit der Vergangenheit besteht ganz sicher nicht im ritualhaften Memorieren vergangener Zustände und vergangener Schuld; vielmehr besteht eine produktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit darin, dass man die Lektion aus vergangenem Unrecht lernt und auf die Gegenwart, auf das Hier und Jetzt anwendet. Wenn Sie das tun würden, dann würden Sie vielleicht ihren inquisitorischen Umgang mit dem politischen Gegner, der dem DDRRegime in nichts nachsteht, einmal hinterfragen.
Herr Tillschneider, Ihre Äußerung steht für sich, und sie ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die zu DDR-Zeiten Unrecht erlitten haben. Was wir betreiben, ist kein inquisitorischer Umgang,
Wer im Heute Schlussfolgerungen aus der Diktatur der SED, aus der Diktatur der DDR ziehen will, der muss sich über Verstrickungen mit diesem System informieren. Auch die Frage von Schuld muss miteinander besprochen werden. Dass Ihre Fraktion sich einer solchen Überprüfung verweigert, ist, wie gesagt, konsistent. Sie stehen immer wieder für den Schlussstrich. Sie wollen keine Verantwortung aus der Geschichte übernehmen.
nur die Frage: Was soll dabei am Ende herauskommen? - Ich will die Frage vielleicht etwas konkretisieren und ein Beispiel nennen. Ich sitze auch im Kreistag in Anhalt-Bitterfeld. Dort haben wir diese Diskussion auch sehr lange geführt. Da gibt es jemanden, über den sehr viel geschrieben worden ist: Herr Ronald Maaß von der Linkspartei. Sie kennen diesen Fall sicherlich.
Ich frage Sie: Welche Konsequenzen wollen Sie denn ziehen, wenn so etwas herauskommt und in den Medien auch geschrieben wird? Was passiert dann? - Mir fehlt immer die Konsequenz, wenn man dann etwas weiß. Das verstehe ich nicht. Deshalb sehe ich das insbesondere auch bei den Kollegen von der CDU immer nur als Schaufensterantrag an, weil man nämlich keine Konsequenzen zieht und am Ende diese Leute sogar noch in Aufsichtsräte wählt.
Sehr geehrter Herr Roi, in einem demokratischen politischen System bestehen Konsequenzen nicht nur darin, dass am Ende nach friedlichen Revolutionen den Leuten der Kopf abgehackt wird - das ist nämlich nicht die Ansage hier - oder dass sie zwingend aus Ämtern zu entfernen sind; vielmehr besteht in einem demokratischen politischen System der Gewinn in der Beschäftigung mit Diktatur und mit den Verstrickungen in der Diktatur darin, dass man miteinander ins Gespräch kommt, dass man miteinander darüber spricht, an welchen Stellen jemand in schuldhaftes Handeln gekommen ist,
ob es für solches Handeln Begründungen, Nachvollziehbarkeiten gibt. Das ist die Aufgabe, der sich eine Demokratie stellen muss, wenn sie zurückblickt auf Zeiten, in denen Diktatoren geherrscht haben. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Striegel. Ich keine weiteren Anfragen. - Für die Landesregierung spricht Ministerin Frau Keding. Sie haben das Wort, Frau Ministerin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren! Gleich zu Beginn der Debatte und meiner Ausführungen möchte ich meiner Freude
darüber Ausdruck verleihen, dass der 23. Tätigkeitsbericht der Beauftragten des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur die Basis für eine Aktuelle Debatte des Landtages bildet.
Zum 1. Januar 2017 wechselten die Landesbeauftragte Frau Neumann-Becker sowie ihre Kollegen und Kolleginnen aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung zum Landtag. Dies möchte ich zum Anlass nehmen, an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich für die geleistete Arbeit, die Impulse und insbesondere auch die geführten Gespräche zu danken.
Meine Damen und Herren! Die Heimerziehung in beiden Teilen Deutschlands ist für die Zeit bis Mitte der 70er-Jahre etwa in eine öffentliche Diskussion gekommen. Fast eine halbe Million Kinder durchliefen bis 1989 die Heime der Jugendhilfe in der DDR. Fast 500 000 Kinder! Es waren mehrere tausend Mädchen und Frauen, die ab 1962 in geschlossene Frauenstationen für Geschlechtskranke zwangsweise eingewiesen worden sind. Eine dieser Stationen befand sich in der Poliklinik Mitte in Halle. Es war nicht die ganze Poliklinik Mitte, aber eine Station dort.
Dass die meisten dieser Patientinnen nicht geschlechtskrank waren, war den DDR-Ärzten durchaus bewusst, wie es bereits in einer Fachpublikation in den 70er-Jahren kommentiert wurde. Die Einrichtung, die Station war Teil des Unterdrückungsapparates der ehemaligen DDR. Dies belegen die bisherigen Forschungen zur Heimerziehung West und Ost und zur politisierten Medizin in der DDR, die auf ein ganzes Ursachenbündel für die Verhältnisse verweisen.
Namentlich für Ostdeutschland herrschte eine starke politische Betrachtung vor. Heimerziehung und Zwangseinweisung dienten teilweise einer staatssozialistischen Erziehungsdiktatur, die zu extremen Disziplinierungen der Betroffenen führte.
Die Politik hat bereits Konsequenzen aus diesen Erkenntnissen und den dazu öffentlich geführten Debatten gezogen und mit Blick auf die ehemaligen Heimkinder im Jahr 2012 je einen Fonds „Heimerziehung“ sowohl für den West- als auch für den Ostteil von Deutschland eingerichtet.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat mit mehreren Entscheidungen eingegriffen, was bei den Instanzgerichten zu einem Wandel der Rechtsprechung bezogen auf die Heimerziehung in der DDR geführt hat.
Leid zu belegen. Zwei von ihnen erstritten vor dem Oberlandesgericht Naumburg eine Rehabilitierung. Das heißt, der Freiheitsentzug dort ist als rechtsstaatswidrig anerkannt worden. Daraus ergibt sich ein Anspruch auf Entschädigung für die durchschnittlich vier bis sechs Wochen, die eine solche Erziehungsunterbringung in der Poliklinik in der Regel dauerte. Die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Naumburg sind rechtskräftig.
Mit dem geltenden strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz und der Rechtsprechung gibt es eine tragfähige und, wie ich meine, angemessene Grundlage für die Anerkennung und Entschädigung von erlittenem DDR-Unrecht. Ein Anspruch auf monatliche Opferpension besteht hingegen in der Regel nicht, weil der Einweisungszeitraum für diese Unterbringung in der Station der Poliklinik im Regelfall unter 180 Tagen lag.
Meine Damen und Herren! Der Bericht der Landesbeauftragten weist darauf hin, dass es für ehemalige Heimkinder Ost heute besonders schwierig sei, eine strafrechtliche Rehabilitierung für einen Aufenthalt in einem DDR-Kinder- und Jugendheim oder einem Jugendwerkhof rechtlich durchzusetzen. Diese Einschätzung teile ich. Zwar würden die gesetzlichen Grundlagen an sich ausreichen, aber für die Annahme einer politischen Verfolgung braucht es Beweise.