Deshalb strebt der Bundesrat mit seinem auch vom Land Sachsen-Anhalt unterstützten Gesetzentwurf zur Verbesserung der Lage der Heimkinder gesetzliche Beweiserleichterungen an. Hintergrund ist ein einstimmiger Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni 2016. Diesen setzt der Bundesrat mit seinem Gesetzentwurf vom Dezember 2016 um.
Der Zug der Gesetzgebung rollt also. Allerdings ist die Meinungsbildung der Bundesregierung noch nicht abgeschlossen. Das hat diese kürzlich dem Bundestag mitgeteilt. Es liegt nun in den Händen voraussichtlich des neuen Bundestages, nach der Wahl im September 2017 eine Entscheidung zu treffen.
Meine Damen und Herren! Sie möchten mit dieser Debatte ausweislich des Titels heute nicht nur DDR-Unrecht weiter aufarbeiten; Sie möchten auch Versöhnung fördern.
Als die Missstände in der Heimerziehung Ost wie West und in der venerologischen Station der Poliklinik Mitte in Halle langsam bekannt wurden, erahnte niemand das tatsächliche Ausmaß der Entwürdigungen. Es war für viele nicht nachvollziehbar, dass wesentliche humanitäre Prinzipien und Werte so eklatant verletzt werden konnten. Das Bewusstsein zum Ausmaß des dort verübten Unrechtes musste erst einmal gebildet werden, damit wir es angemessen berücksichtigen kön
Wir stehen heute in der Verantwortung für das damals geschehene Unrecht und haben dieses Unrecht auch erkannt. Ich finde, es ist eine gute Sache, dass wir uns aus Anlass des Berichts der Landesbeauftragten damit befassen. Dies bestätigt, dass wir uns alle jenseits einer persönlichen Schuld in einer moralischen und damit auch in einer rechtlichen Verantwortung sehen.
Viele SED-Unrechtsopfer wollen, jedenfalls nach dem, was ich wahrnehme, an sich und vor allem, dass der rechtsstaatswidrige und entwürdigende Umgang mit ihnen und die Misshandlungen, die sie zu DDR-Zeiten erfahren haben, als das, was es ist, anerkannt wird: als Unrecht.
Viele sind bis heute nicht entstigmatisiert oder rehabilitiert, weder vom Runden Tisch Heimerziehung noch vom Bundestag und auch nicht von anderen Institutionen. Ohne Anerkennung dieses Unrechts werden wir dem System DDR nicht angemessen begegnen können.
Die Betroffenen werden als Maßstab nehmen, inwieweit tatsächliche Möglichkeiten bestehen oder geschaffen werden, um auch materielle Entschädigung und rentenfähige Anerkennung gesundheitlicher Folgeschäden zu erhalten, und welche Unterstützung sie jenseits der materiellen Folgen in neutralen Beratungsstützpunkten oder durch die psychosozialen Gesprächsgruppen der Landesbeauftragten für Betroffene von SED-Unrecht und DDR-Heimerziehung erfahren werden. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und die Beschäftigung mit diesem Thema.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe keine Nachfragen. - Wir steigen in die Debatte ein. Der erste Debattenredner wird Herr Abg. Büttner sein. - Ach so, das ist getauscht worden. Entschuldigung.
Die erste Debattenrednerin wird Frau Bull-Bischoff von der Fraktion DIE LINKE sein. Doch bevor Frau Bull-Bischoff beginnt, möchte ich Schülerinnen und Schüler der Goethe-Sekundarstufe in Magdeburg recht herzlich bei uns im Hohen Hause begrüßen. Herzlich willkommen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wer Zukunft gestalten will, der muss sich der Vergangenheit stellen. Ich denke, das ist ein Satz mit sehr unterschiedlichen und vielfältigen Perspektiven und Deutungen. Da ist zum einen die rechtlich-moralische Dimension - es müssen eigene Verstrickungen auf den Tisch kritischer Betrachtungen - und da ist zum anderen die politische Dimension. Dahinter steht der Anspruch, wir wollen und wir müssen wissen, wie diktatorische und autoritäre Verhältnisse im Großen wie im Kleinen funktionieren.
Was war die DDR? - Das Sozialismuskonzept der DDR ist gescheitert und es musste scheitern, weil es darauf setzte, den Menschen zwar soziale Sicherheit zu bieten - selbst das hat sehr unterschiedliche und kritische Perspektiven -, aber gleichzeitig elementare demokratische Grund- und Freiheitsrechte missachtete. Es fehlten demokratische Strukturen. Es gab keine freien demokratischen Wahlen. Es gab nicht den uneingeschränkten Schutz durch verbriefte Rechte des Einzelnen.
Es waren vor allen Dingen politisch Andersdenkende, die sich auf diese Verbindlichkeit demokratischer Rechte nicht verlassen konnten. Sie waren offen und verdeckt Benachteiligungen ausgesetzt, wurden politisch verfolgt oder gar ihrer Freiheit und ihrer Würde beraubt.
Bürgerinnen und Bürger der DDR haben ein solches Sozialismuskonzept klar und unmissverständlich abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Das ist ein Zitat gewesen aus einem Beschluss, den die LINKE Sachsen-Anhalt im Herbst 2014 in Quedlinburg beschlossen hat. Ich habe es nicht nachprüfen können, würde aber einmal schätzen, zwei Drittel der Delegierten waren ehemalige Verantwortungsträger.
Wenn wir heute über DDR-Unrecht diskutieren, dann gilt immer wieder denen der Dank und vor allem der Respekt, die sehr viel riskiert haben, die vor allen Dingen sehr viel riskiert haben lange vor dem Herbst 1989, und zwar zu einer Zeit, als sie noch wenige und damit deutlich gefährdeter waren als später, als es viele wurden.
Anfang der 90er-Jahre hatte meine Partei sehr viel Diskussionsbedarf. Schließlich waren und sind wir die Partei vieler Verantwortungsträger, auch wenn mittlerweile viele junge Leute zu uns gestoßen sind, die eine ganz eigene, manchmal auch andere Perspektive auf die Vergangenheit haben.
Ich will natürlich sagen, es wäre unglaubwürdig, an dieser Stelle zu behaupten, dass wir zu jeder Zeit erfolgreich gewesen wären im Sinne einer kritischen Perspektive. Dennoch will ich es in aller
Form zurückweisen zu sagen, wir hätten uns dieser Verantwortung nicht gestellt. Meine Reden in diesem Plenum sind immer öffentlich gewesen. Es gibt nichts Öffentlicheres als Parteitage und Vertreterinnenversammlungen der Partei DIE LINKE.
Wir alle sind auf diesem Gebiet mittlerweile keine Neulinge mehr. Wir haben ca. 27 Jahre Erfahrung. Welche Erfahrungen sind das? Welche Erfahrungen gehören dazu?
Debatten über DDR-Unrecht erhitzen nach wie vor sehr stark die Gemüter. Ich sage einmal, aus der Perspektive derjenigen, die drangsaliert wurden, finde ich das auch sehr nachvollziehbar. Es erschwert aber - ebenso nachvollziehbar - differenzierte und, ich will auch sagen, damit keineswegs weniger anstrengende Debatten.
Grundsätzlich ist darüber viel diskutiert und dazu auch viel beschlossen worden. Um aber der Frage auf den Grund zu kommen, wie die DDR in ihren mikrosozialen, in ihren kleinen Strukturen funktioniert hat, ist der Blick auf persönliche Verstrickungen nötig. Das ist mit Fragen verbunden an das Mitglied der SED, der FDJ, der Gewerkschaften, mit Fragen an Mitglieder und Funktionäre der Blockparteien, mit Fragen an Akteurinnen im Sport, an Künstler und an viele andere mehr. Viele Fragen, behaupte ich, sind noch nicht gestellt worden, geschweige denn diskutiert oder gar beantwortet worden.
Gewinn bringend fände ich beispielsweise Gespräche zwischen dem ehemaligen IM, der im Jahr 1994 auf der Titelseite der „Bild“ veröffentlicht wurde, seine eigene politische Vergangenheit allerdings nie verschwiegen hat und sich damit nach wie vor kritisch auseinandersetzt, und denjenigen, die von der Staatssicherheit drangsaliert oder gar verfolgt worden sind.
Ich weiß, dass es schwer ist, aufeinander zuzugehen, vor allen Dingen für diejenigen, die gelitten haben, die sehr viel mehr riskiert haben als diejenigen, die heute wissen, was richtig war oder gewesen wäre.
Gewinn bringend fände ich Gespräche zwischen der ehemaligen SED-Bezirkssekretärin und dem Wissenschaftler, der nicht nur kritisch gedacht, sondern der auch aufgeschrieben hat, was er dachte. Beide sind gegebenenfalls sogar Mitglieder meiner Partei. Ich finde, dass das ein sehr nachdenklich machender und zugleich interessanter Umstand ist.
Gewinn bringend, meine Damen und Herren, fände ich aber auch Gespräche zwischen den jungen und jüngeren Leuten meiner Partei, die durchaus einen sehr kritischen Blick auf die DDR haben, und ehemaligen Mitgliedern der Blockparteien - nur einmal so als Beispiel -, die für sich
reklamieren, ohne den Begriff des Unrechtsstaats sei keine Diskussion möglich, und dennoch über viele Jahre in selbigem als Mandatsträger gesessen haben.
Im Antrag der Fraktion der GRÜNEN ist von Versöhnen und Verstehen die Rede. Ich will sagen, ich bin keine Verfechterin des Begriffs „Versöhnung“. Ich glaube, ehrlich gesagt, auch nicht, dass es nötig ist. Ich finde wichtiger das Verstehen, natürlich nicht im Sinne von einverstanden - selbstverständlich nicht -, sondern im Sinne von Interesse und Nachvollziehbarkeit.
Nun zu der Frage, wie meine Fraktion zur Einsetzung des Stasi-Überprüfungsausschusses - ich bezeichne es einmal so - steht.
Politische Biografie ist keine Privatsache und vor allem dann nicht, wenn man den Anspruch hat, sich in die Auseinandersetzungen im parlamentarischen System einzubringen. Deswegen gelten für uns zwei Punkte.
Erstens. Eine Kandidatur für ein Amt oder ein Mandat erfordert die Offenlegung der politischen Biografie. Zur politischen Biografie gehört für uns auch - auch, aber eben nicht nur - die Kooperation mit dem Ministerium für Staatssicherheit. Das meint auch eigene Verantwortung in der Zeit der DDR als Mitglied der SED, der FDJ, als Funktionsträger von Blockparteien und vieles andere mehr.
Das entscheidende Kriterium für uns ist dabei aber die heutige Perspektive, meine Damen und Herren, die heutige politische Perspektive auf die Verantwortung von damals. Die selbstkritische Reflexion des eigenen Handelns, und das auf offener Bühne, ist für uns das entscheidende Kriterium.
Zweitens. Wenn persönliche Verstrickungen insbesondere mit dem System der Staatssicherheit nachträglich bekannt werden, dann erwarten wir eine Vertrauensabstimmung in geheimer Form von dem Gremium, das gewählt hat.
Nun können Sie mich fragen, wie erfolgreich war denn Ihre Strategie. Dazu will ich erstens sagen, hier in Sachsen-Anhalt gab es seit dem Jahr 1994 keinen einzigen Fall, bei dem nachträglich Unbekanntes zutage gefördert wurde, und es gab keinen Fall, bei dem es nicht ausreichend vorher öffentlich gemacht worden ist, und ich sage dazu, immer verbunden mit öffentlichen Diskussionen und Auseinandersetzungen. Viele von Ihnen waren Zeuge dessen.
Zur Wahrheit gehört aber eben auch, unsere Art des Umgangs mit den persönlichen und politischen Biografien bietet und bot natürlich keine Sicherheit für Ehrlichkeit und Transparenz. Der Start der rot-roten Regierung in Brandenburg war sehr stark durch Unehrlichkeit belastet.
Wir haben Kritik und Skepsis bei der Regelüberprüfung im Parlament. Die Debatte reduziert sich - das ist auch in der Tat unsere Erfahrung - auf dichotome Kategorien wie „schuldig“ oder „nicht schuldig“, „IM“ oder „nicht IM“. Ich frage einmal vorsichtig in den Raum, ohne eine Antwort zu erwarten, wie viele der damaligen Abgeordneten sich die Stasi-Akte von Frau Tiedge tatsächlich angeguckt haben. Interessant ist aber, warum es der eine oder andere nicht tat.
Die Praxis der Regelüberprüfung befördert nach unserer Auffassung einen Tunnelblick auf die Geschichte und dient nicht selten der Entlastung statt dem Blick auf Vielfalt von Verstrickungen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Eine kontroverse, aber ehrliche Diskussion darüber, wie eine Diktatur in ihren sozialen und politischen Strukturen, in ihren Regeln und Ritualen funktioniert, was persönliches Handeln in unterschiedlichen Funktionen dazu beiträgt und wo es seine Grenzen hat, finde ich sehr nötig und lehrreich, wenn es heute darum geht, wie man autoritäre Strukturen aufbricht. Unser Anspruch war und ist dabei, über komplexe Verstrickungen zu diskutieren und die Biografie nicht auf eine Stasi-Mitarbeit zu reduzieren.
Auf diese Weise kann man nach unserer Auffassung dem Funktionieren einer Diktatur nicht auf die Spur kommen. Recht und Unrecht, vor allem in seinen differenzierten Verstrickungen und schon gar nicht inmitten parteipolitischer Konkurrenz, ist auf diese Weise nicht feststellbar. Meine Fraktion wird sich deshalb teils der Stimme enthalten und teils dagegen stimmen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2019 jährt sich das Jahr der friedlichen Revolution zum 30. Mal. Es ist 25 Jahre nach der Veröffentlichung der IM-Mitgliedschaft in der „Bild“-Zeitung in Halle. Ich erneuere mein Angebot, das ich an anderer Stelle schon gemacht habe: Lassen Sie uns das nutzen, um die LINKE, um meine Partei beim Wort zu nehmen. Lassen Sie uns öffentlich darüber diskutieren, auch mit ehemaligen IMs und Funktionsträgern meiner Partei, worin lag und liegt persönliche und politische Verantwortung mit dem Blick auf die DDR. Ich hielte das für Gewinn bringender, notwendiger und keinesfalls weniger anstrengend, und zwar für alle Beteiligten.
Sehr verehrte Frau Bull, Ihre Redezeit ist schon deutlich überschritten. Sie haben aber die Möglichkeit, sie noch etwas zu verlängern. Es gibt eine Nachfrage.