Protocol of the Session on April 7, 2017

Frau Bull-Bischoff.

Wir behandeln hier den Auftrag eines Parlaments, der zur Basis ein Gesetz hat. Im Abgeordnetengesetz ist es, glaube ich, der § 46a. Der allein beschreibt die Grundlage dafür, was wir heute zu beschließen haben. Das geht nur: machen oder nicht machen. Einen Kompromiss kann ich da nicht entdecken.

Was die Frage der öffentlichen Auseinandersetzung angeht, glaube ich, ist ein Untersuchungsausschuss überhaupt nicht geeignet, weil dafür eine fortgesetzte gesellschaftliche Debatte nötig ist. Ich habe erneut angeboten: 2019 haben wir ein Jubiläum. Jubiläen eignen sich wegen der Aufmerksamkeit immer in besonderer Weise. Lassen Sie uns darüber diskutierten. Das ist öffentlich. Ein Untersuchungsausschuss ist doch bei Weitem nicht in diesem Maße öffentlich wie die notwendige gesellschaftliche Debatte darüber, wie persönliche Verstrickungen aussahen, wie sie dazu geführt haben, die DDR-Diktatur zu stabilisieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. Es gibt noch eine weitere Nachfrage von Herrn Striegel. - Herr Striegel, bitte.

Frau Kollegin Bull-Bischoff, Sie haben gerade noch einmal darauf verwiesen, dass es der § 46a des Abgeordnetengesetzes ist, der die Einsetzung eines solchen Ausschusses regelt. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, also ja oder nein, können Sie mir sagen, wie Äußerungen aus Ihrer Fraktion zu verstehen sind, wenn mit Ihnen früher geredet worden wäre, hätte man einem solchen Einsetzungsbeschluss durchaus zustimmen können?

Herr Striegel, ich kann nicht alle öffentlichen Äußerungen meiner Fraktionsmitglieder kommentieren. Aber wenn ich jetzt sagen würde, es wären Gespräche möglich, würde ich so tun, als wenn wir nur bockig oder beleidigt gewesen wären. Ich will ganz klar sagen: Unsere Kritik und unsere Skepsis sind sehr ernst gemeint. Ich wiederhole: Überprüfung geht nur als machen oder nicht machen. Ich will nicht ausschließen, dass man möglicherweise zu einem Text gekommen wäre

In Thüringen geht das.

oder später zu einem Text kommt, der all die Kritik, die ich vorgebracht habe, in irgendeiner Weise einfängt und zu einem gemeinsamen Anliegen macht. Aber an dieser Stelle kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Bull-Bischoff. - Wir kommen zur nächsten Rednerin. Das ist die Abg. Frau Schindler für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort, Frau Schindler.

Sehr geehrte Präsidentin! Werte Damen und Herren! Mit dem Beschluss des Gesetzes über die Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur am 12. November 2015 hier im Landtag haben wir dieser Behörde nicht nur einen neuen Namen gegeben, sondern auch eine neue Aufgabe. Wir haben uns mit der neuen Aufgabe eindeutig zu der Behörde und zur Weiterführung ihrer Aufgabe bekannt, weil wir der Überzeugung sind, dass die Aufgabe Aufarbeitung der SED-Diktatur und des Unrechts, das damit geschah, nicht beendet ist.

Wir haben die Aufgabe erweitert, weg von der Fokussierung auf die Arbeit der Staatssicherheit hin auf die Diktatur der SED und der DDR. Der § 3 des Gesetzes lautet:

„Die Landesbeauftragte hat die Aufgabe, das Gesamtsystem der politischen Verfolgung, insbesondere die Struktur, Methoden, Wirkungsweise und Folgen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt aufzuarbeiten und zu vermitteln.“

Dies taten wir im vollen Bewusstsein, dass die Aufgabe der Aufarbeitung der jüngeren Geschichte hier in Deutschland längst nicht abgeschlossen ist und auch nicht umfänglich abgeschlossen wurde.

Heute liegt Ihnen nun ein Antrag nach § 46a Abs. 3 Satz 1 des Abgeordnetengesetzes zur Einsetzung eines Ausschusses zur Überprüfung der Abgeordneten auf die Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst vor. Das haben wir als Koalitionsfraktionen beantragt, nicht nur als Formalie, weil es in jeder Legislaturperiode üblich war, dies zu fordern, sondern weil es nach unserer Überzeugung auch weiterhin notwendig ist.

Herr Roi, wenn Sie nach den Konsequenzen dieser Überprüfung fragen, sage ich Ihnen eines: Der Abschnitt Va des Abgeordnetengesetzes hat die Überschrift: „Wahrung des Ansehens des Landes Sachsen-Anhalt, des Landtages und seiner Mit

glieder“. - Es geht hier um Ansehen, Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Abgeordneten.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Das sind die wichtigsten Eigenschaften für Politik und Politiker. Das Beispiel um den Staatssekretär Andrej Holm in Berlin zeigt, dass die Frage, ob heute noch politisch verantwortliche Personen mit der Stasi in Zusammenhang gebracht werden können und mit ihr zusammengearbeitet haben, weiterhin eine wichtige politische Diskussion ist, die nicht nur von der Politik, sondern auch von der Bevölkerung geführt wird und die eine durchaus emotionale Debatte auslösen kann.

Es gehört eben dazu, nicht nur die Vergangenheit zu kennen, sondern offen damit umzugehen und klar miteinander darüber zu reden. Immer wieder gibt es Fälle, bei denen es diesen offenen Umgang mit der Vergangenheit nicht gibt. Dafür ist erst einmal Wissen notwendig, um miteinander reden zu können.

Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Menschen es bisher nicht geschafft haben, offen mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Aber wir hier im Parlament sind es der Bevölkerung schuldig, dass wir das offenlegen und darüber diskutieren.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE)

Es geht nicht um eine Verfolgungsdebatte. Es geht um Offenheit und Wahrheit. Der Ausschuss hat die Aufgabe, diese Überprüfung einzuleiten und das Ergebnis über einen Bericht dem Landtag bekannt zu machen. Mit der heutigen Einsetzung des Ausschusses kann ich nur an alle Mitglieder dieses Hauses appellieren, sich an dieser Überprüfung zu beteiligen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU - Zu- stimmung von Sebastian Striegel, GRÜNE)

Frau Bull-Bischoff, wenn es denn so gemeint ist, dass man ehrlich damit umgeht - - Wenn Sie vielleicht diesem Ausschuss nicht zustimmen werden, kann jedes Mitglied selber unabhängig von diesem Ausschuss eine Überprüfung und die Offenlegung beantragen, ob man eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit hatte oder nicht. Bisher habe ich das von den Mitgliedern der Linkspartei noch nicht erlebt.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Birke Bull- Bischoff, DIE LINKE)

Die Beauftragte für die Aufarbeitung der SEDDiktatur sagte im Vorwort des 23. Tätigkeitsberichtes, den sie am 28. März 2017 der Präsidentin übergab - ich zitiere -:

„Die Notwendigkeit zur Aufarbeitung des Gesamtsystems der politischen Verfolgung besteht, solange so viele Menschen auf

grund ihrer politischen oder politisch motivierten Verfolgung mit ihrem Schicksal nicht versöhnt sind und eine angemessene Anerkennung nicht erfahren. Die Notwendigkeit der Aufarbeitung besteht aber auch in der politischen Einsicht, dass die Nachwirkungen der Diktatur vielfältiger und langfristiger Natur sind und dass“

- hier wiederum ein Zitat -

„‚Demokratie Demokraten braucht‘ (Fried- rich Ebert).“

1989 sind die Menschen in diesem Teil Deutschlands auf die Straße gegangen, um sich von einer Diktatur zu befreien. Diese Menschen haben unseren hohen Respekt. Einige in unseren Reihen sind froh und glücklich, dabei gewesen zu sein, das miterleben zu dürfen. Wer zu dem Zeitpunkt, als die Menschen auf der Straße waren, die Plakate, die Transparente gelesen hat, konnte den Drang nach Freiheit, aber auch den Wunsch nach Wahrheit, nach Wissen und nach Transparenz spüren. Viele waren unmittelbar Repressalien ausgesetzt. Manche sind daran zerbrochen. Viele leiden bis heute noch darunter.

Als wir das Gesetz 2015 änderten und im Landtag beschlossen, gab es hier im Haus zwei Etagen tiefer eine Ausstellung. Die Ausstellung hatte den Titel „Hammer, Zirkel, Stacheldraht“. Zur Eröffnung sprach der Bundesvorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft. Er wies auf die vielen Menschen hin, die noch immer unter den Folgen der Gewaltherrschaft leiden, und darauf, wie wichtig es ist, diesen auch weiterhin mit Beratung und psychologischer Betreuung beizustehen.

(Zustimmung von Angela Gorr, CDU)

Wir sind es diesen Opfern der Diktatur und der Umstände in der DDR schuldig, dieses nicht wegzuwischen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Es gibt auch heute noch eine hohe Zahl von Anträgen, die Einsicht in die Stasi-Akten möchten. Der Bericht spricht im Jahr 2016 von 6 676 Menschen, die weiterhin daran interessiert sind, wie ihre Entwicklung, ihr Schicksal mit einer eventuellen Überwachung zusammenhängt.

Es ist die Zahl von 2 500 Ratsuchenden im Jahr 2016, die Fragen stellen. Es sind Nachfragen von Betroffenen, aber auch von Angehörigen, die Aufklärung für ihre Biografie wollen, die Aufklärung wollen, weil viele Fragen, die sich bis dahin in den Familien gestellt haben, nicht beantwortet werden können. All dies ist Voraussetzung für eine Versöhnung.

Wir möchten, dass wir als Parlament diese Versöhnung schaffen. Aber Voraussetzung dafür ist

Wissen. Deshalb beantragen wir die Einsetzung eines Ausschusses zur Stasi-Überprüfung.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich appelliere nochmals an das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Abg. Schindler. Es gibt zwei Nachfragen. Sind sie bereit für die Nachfragen? - Ich sehe, ja. Herr Gallert und dann Herr Höhn. - Bitte, Herr Gallert, Sie haben das Wort.

Frau Schindler, es geht ja um den Antrag nach § 46a des Abgeordnetengesetzes. Bei diesem geht es ausschließlich und nur um eine Tätigkeit für die Stasi. Es geht um nichts anderes. Es geht um keinerlei andere Verstrickungen, sondern nur darum. Und es geht nur darum, ob man einen Antrag bei der Stasi-Unterlagenbehörde stellt, Akten dafür zu bekommen; um nichts anderes geht es. Darauf hat Kollege Striegel noch einmal hingewiesen. Dabei gibt es nur ein Ja oder ein Nein. Es gibt nichts dazwischen, keine Diskussion, keinen Kompromiss, keine Debatte.

(Eva Feußner, CDU: Doch! Es gibt ein Ge- spräch im Ausschuss!)

- § 46a legt es klar fest; das ist ja auch gesagt worden, es ist alternativlos.

Warum hat die Koalition, wenn es so einfach, so eindeutig und so alternativlos ist, ein Jahr lang gebraucht, um diesen Antrag zu stellen?

Frau Schindler, bitte.

Das ist bisher nicht im Fokus gewesen. Wir haben jetzt auch den Tätigkeitsbericht vorliegen. Wir haben letztlich auch viele andere wichtige Entscheidungen bisher im Landtag treffen müssen, wie zum Beispiel zum Haushalt, sodass wir erst jetzt zu diesem Antrag gekommen sind.