Frau Ministerin, zu Ihren Ausführungen. Sie sagten, was in einem Stadtteil, in einer Stadt zutreffen muss. Dort würde das schon gehen. Aber, jetzt frage ich Sie, wenn es in einem Land auf Landesgruppen zutrifft, dann muss es doch auch gehen.
Wo ist denn der Unterschied zwischen Stadtteilen und einer Stadt und Landesgruppen und einem Land? Was ist der Unterschied? - Den würde ich gerne erläutert wissen.
(Dr. Katja Pähle, SPD: Es muss einfach weniger sein! - Cornelia Lüddemann, GRÜ- NE: Wenn man es nicht verstehen will! - Daniel Rausch, AfD: Also sind Sie für Täter- schutz! - Oh! bei der CDU, bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Zuruf von der AfD: Sie unterstützen die Deutsch- feindlichkeit!)
Ich würde die AfD-Fraktion bitten, sich zu melden. - Frau Ministerin, es gibt noch eine Frage von Herrn Dr. Tillschneider.
Nein, eine Kurzintervention. - Ich erinnere mich jetzt an meinen Lateinunterricht, an das Sprichwort: Summum jus, summa injuria, also: Das höchste Recht ist das höchste Unrecht. Was Sie hier demonstriert haben, das sprengt meine Fassungskraft.
(Zustimmung bei der AfD - Widerspruch bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Corne- lia Lüddemann, GRÜNE: Wenn Sie es nicht verstehen!)
- Ich kann Sie nicht verstehen, ja, ja. - Man kann mir doch nicht weismachen, dass zum Beispiel die Gruppe der Türken in Deutschland, die auch mehrere Millionen umfasst, hinreichend abgegrenzt ist, aber die Gruppe der Deutschen nicht. Das müssen Sie auch einmal juristisch erklären.
Weshalb ist die Gruppe der Türken hinreichend abgegrenzt - das sind auch ein paar Millionen; schwer zu definieren vielleicht, an den Rändern -, aber die Gruppe der Deutschen nicht? - Das versteht - - Das ist juristisch nicht nachvollziehbar. Aber mit gesundem Menschenverstand - - Ich bitte Sie doch.
(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Menge und Teilmenge! Vielleicht versuchen Sie es einmal so, Frau Ministerin!)
„Scheißdeutscher“, dann ist das in Ordnung, aber wenn ein Deutscher zu einem Türken sagt: „Scheißtürke“, dann ist es eine Volksverhetzung. Das geht nicht.
Frau Ministerin, das war eine Intervention. Ich weiß nicht, ob Sie noch antworten möchten. - Nein. Dann danke ich Ihnen für Ihre Ausführungen.
(Anhaltende Unruhe bei der AfD - Daniel Roi, AfD: Ein Skandal ist das! - Katrin Bud- de, SPD: Wenn man es nicht verstehen will, dann versteht man es auch nicht!)
Ich bitte um Ruhe. - Wir steigen jetzt in die Debatte ein. Es sind fünf Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Für die SPD-Fraktion spricht Abg. Herr Dr. Schmidt. Herr Dr. Schmidt, Sie haben das Wort.
Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Meinungsfreiheit ist in Deutschland als Grundrecht durch die Verfassung geschützt. Artikel 5 des Grundgesetzes regelt diesen Schutz. Die Meinungsfreiheit schließt auch das Recht falscher Tatsachenbehauptungen ein.
Man darf in Deutschland behaupten, eine Mehrheit der hier lebenden Flüchtlinge und Asylbewerber habe keine einen Aufenthaltsstatus rechtfertigenden Gründe vorzubringen, obwohl diese Behauptung - Herr Farle hat die hier schon vielfach vorgebracht - nachweislich falsch ist. Man darf auch einen Parteifreund auf einem Parteitag mit der Absicht, diesen herabzuwürdigen, „Bolschewist“ nennen, obwohl der das gar nicht ist, gar nicht sein möchte oder gar nicht genau weiß, was ein Bolschewist ist.
Artikel 5, sehr geehrte Damen und Herren, regelt auch die Grenzen der freien Meinungsäußerung. § 130 des Strafgesetzbuches: Volksverhetzung stellt eine bestimmte Art der Überschreitung dieser Grenzen unter Strafe. Eine andere Art der Grenzüberschreitung ist nach den §§ 185, 186, 187 und 188 des Strafgesetzbuches strafbar: die Beleidigung, die üble Nachrede, die Verleumdung und die üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des öffentlichen Lebens - Straftatbestände, wegen derer Herr Tillschneider angekündigt hat, im Nachgang des AfD-Landesparteitages eigene Parteifreunde anzuzeigen.
Anders als die Beleidigung, die unabhängig vom gesellschaftlichen Kontext strafbar ist, hebt § 130 - Volksverhetzung - ausdrücklich auf die Aufstachelung zu Hass, Gewalt und Willkür gegen einzelne oder Gruppen ab, also einen verbalen Angriff, der die Störung des öffentlichen Friedens und/oder Gewalt gegen Personen zum Ziel hat. Die Verherrlichung oder Verharmlosung der NSVerbrechen und die Verhöhnung ihrer Opfer ist an sich nach diesem Paragrafen als eine durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckte Störung des öffentlichen Friedens zu sehen, und wir wissen, dass dieser Absatz des § 130 heute mehr als zu anderen Zeiten der Nachkriegsgeschichte zur
(Beifall bei der SPD, bei der AfD, bei der LINKEN, bei den GRÜNEN und von der Regierungsbank - André Poggenburg, AfD: Das stimmt! Aber absolut!)
Die Regelung des § 130 von 1960 und seine Veränderungen in den folgenden Jahren stehen eindeutig und bewusst im Zeichen des Minderheitenschutzes. Sie setzen an den Erfahrungen des Nationalsozialismus an, dessen Methode es war, eine Mehrheit durch das Definieren und Ausgrenzen sowie Diskriminieren von Minderheiten einer Diktatur gefügig zu machen. Diejenigen, die den Paragrafen 1960 formulierten, haben alle noch erlebt, wie das ging und wohin das führte. Es ist kein Zufall, dass dieser Paragraf unter Rechtsextremen als „Maulkorbparagraf“ gilt.
Nun will die AfD das deutsche Volk an sich vor einer zur Zerstörung des öffentlichen Friedens geeigneten Aufstachelung zu Hass, Gewalt oder Willkürmaßnahmen oder der Verletzung der Menschenwürde schützen. Unabhängig von der juristischen Fachdebatte - die Ministerin hat das in wunderbarer Weise, vielen Dank, auseinandergesetzt -
stellen sich mir drei Fragen des gesunden Menschenverstandes. Kann man in Deutschland den öffentlichen Frieden stören, indem man gegen das gesamte deutsche Volk, also 90 % der in Deutschland lebenden Menschen, hetzt?
Das ist unter sehr eingeschränkten Bedingungen - die Ministerin sagte es - denkbar, ganz sicher aber nicht, wenn ein einzelner Mann ohne öffentliches Amt und ohne eine Gruppe hinter sich dumme und böse Sachen sagt oder schreibt.
Dagegen, sehr geehrte Damen und Herren, brauchen selbstbewusste Deutsche keinen Schutz des Strafrechts.
Zweite Frage: Schützt der § 130 StGB die Deutschen etwa nicht? - Doch, tut er. Jeder und jede Deutsche ist mindestens in einer Beziehung Minderheit, Gruppe, abgrenzbarer Teil; denn Deutsche sind viele und vieles: der Facharbeiter bei Enercon, die Studentin, die bei der Freiwilligenagentur mitmacht, der Jäger, der den Wolf am liebsten weit weg wünscht, der Naturschützer, der den Wolf begrüßt,
die ältere Dame, die in der Kirchgemeinde Flüchtlingen hilft, der ältere Herr, der in Freital pöbelt, Vegetarier, Dieselfahrer, Schulsozialarbeiterin, Fußballnationalspieler, Grüne, Rote, Christdemokraten, auch Liberale, Muslime, Atheisten, Zeugen Jehovas, Leute, die nur russischen Medien vertrauen, und die Mitglieder des offiziellen Guildo-Horn-Fanklubs - alles Deutsche, und die meisten sind irgendwann schon einmal Gegenstand von Beschimpfung aus der AfD gewesen.
Wissen, sehr geehrte Damen und Herren, die Herren aus der AfD-Fraktion all das nicht? - So viel intellektuellen Kleinmut darf man doch wohl nicht unterstellen. Sie wissen sehr wohl, was Sie tun. Sie manipulieren den Begriff der Volksverhetzung, um Ihr Propagandafeuer zu schüren. Sie zündeln wieder einmal, indem Sie Sprache zur Spaltung nutzen.