Wir haben die Wiederholungswahl benannt, weil sich der Untersuchungsausschuss eben auch der Frage widmen sollte, ob die Wahlbehörden aus den Fehlern der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen gezogen haben. Warum wollen Sie das nicht wissen? - Zwei Jahre haben Sie gestrichen. Ich denke, wir werden im Ausschuss sehr schnell auch auf diese Jahre zu sprechen kommen. Dem diesbezüglichen Änderungsantrag verschließen wir uns.
Wir wollen zunächst den Vorgang der Wahlfälschung selbst aufklären, konkret die Frage, ob hier ein Einzelner das in ihn gesetzte Vertrauen ausgenutzt hat oder Teil eines auf Betrug angelegten Systems war. Strafrechtlich verfolgt wurden Einzelne. Das hat etwas mit unserem Rechtsstaat zu tun. Schuld im Sinne des Strafrechts ist immer individuell.
Politisch aber steht hinter der Frage der Einzeltäterschaft ein großes Fragezeichen. Ort der Straftat war schließlich nicht die Stendaler Unterwelt, sondern die Kreisgeschäftsstelle der Christlich Demokratischen Union. Soll es wirklich so gewesen sein, dass dort ein Einzelner saß und fälschte und niemand hat etwas gesehen? Kann es sein, dass - schwarzen Waldameisen gleich - fleißige Parteiarbeiterinnen in Stendal Wahlbenachrichtigungskarten und Vollmachten sammelten, um sie guten Glaubens an den Tatort zu befördern, um sie dann nach der Tat wiederum arglos bei den Wahlbehörden einzureichen - Fragezeichen? - Aufklärungsbedarf!
Der Beschuldigte Gebhardt hat behauptet, seine Taten im Auftrag ausgeübt zu haben. Der Auftraggeber bleibt unbenannt. Das könnte eine Schutzbehauptung sein. Könnte? - Es war beredtes Schweigen, um einmal diesen Fachbegriff zu nutzen. Es war ein Balanceakt vorbei an den drängenden Fragen, die sich auch im Untersuchungsausschuss stellen werden.
Was war die Annahme derer, die Wahlbenachrichtigungen und Adressen sammelten? Was hat es mit dem vom Hauptbeschuldigten benannten Ordner mit Adress- und Unterschriftensammlungen auf sich? Was sagt uns die von den Strafverfolgungsbehörden sichergestellte Datei namens „Wahl Hardy und Holger“? Wie war das Verhalten von einzelnen Personen nach der Wahl? Wer besuchte in wessen Auftrag den Bürger, der mit einer eidesstattlichen Versicherung, keine Briefwahlunterlagen beantragt zu haben, den Stein ins Rollen brachte? Was waren die Motivlagen derer, die Zeugen beeinflusst haben?
Diese Fragen richten sich nach unserem Antrag an Organisationen und ihr nahestehende Personen. Ich gebe der Koalition Recht. Wir können das Kind beim Namen nennen und hier von Parteien auch im Einsetzungsbeschluss sprechen.
Ein weiterer Fragenkomplex richtet sich an die Exekutive, namentlich an die Landesregierung, deren Bestandteil sowohl der Landeswahlleiter als auch das Innenministerium als oberste Kommunalaufsichtsbehörde sind. In allen bisherigen Untersuchungsausschüssen war die Landesregierung als die dem Parlament verantwortliche Exekutive Adressat des Untersuchungsausschusses. Man kann also sagen, Ihr Änderungsantrag ist an dieser Stelle ein Novum in der Geschichte bisheriger Untersuchungsausschüsse. Wir lehnen ihn ab, da die Landesregierung gegenüber dem Parlament für exekutives Handeln verantwortlich ist und wir den Untersuchungsauftrag nicht von vorneherein beschneiden wollen.
Warum benennen Sie den Landeswahlleiter? - Das ist unklar. Er hat hauptsächlich statistische Aufgaben bei der Kommunalwahl. Wichtiger sind die Kommunalaufsichtsbehörden, also der Landkreis, das Landesverwaltungsamt und das Innenministerium. Fraglich ist, ob hier durch die oberste Kommunalaufsichtsbehörde im Rahmen des Kommunalverfassungsgesetzes mehr Aufsicht hätte erfolgen und ob das Verfahren nicht auf das Landesverwaltungsamt hätte übergehen müssen, weil dies eine verbundene Wahl war, bei der der Kreistag betroffen war.
Zu fragen ist, warum die sogenannte Viererregelung, nach der jeder maximal vier Vollmachten einreichen darf, in Stendal keine Beachtung fand. Zu fragen ist, warum wegen bereits erfolgter Wahl zurückgewiesene Vollmachten nicht Anlass für weitergehende Prüfungen waren. Zu fragen ist, wie in den Wahlbehörden damit umgegangen wurde, dass Wählerinnen in den Wahllokalen erschienen, die nach dem Wählerverzeichnis bereits gewählt hatten. Gab es dazu Vermerke? Wurde das dem Kreiswahlausschuss als besonderes Vorkommnis berichtet? Wenn nein, warum nicht?
Warum wurde ein offensichtlich unplausibles Briefwahlergebnis vom Wahlleiter als korrekt bezeichnet? Wie wurde mit der Erkenntnis umgegangen, dass die Ausgabe von mehr als vier Wahlscheinen in einer Vielzahl von Fällen erfolgt ist? Wie waren die Beratungsabläufe im Stadtwahlbüro? Wer wurde wie informiert? Warum unterrichtet der Stadtwahlleiter einen örtlichen Landtagsabgeordneten zuallererst über festgestellte Fragen?
Wie konnte es sein, dass ein Bürger, der sich an die Wahlbehörden wandte und die Fälschung seiner Unterschrift anzeigte, Besuch von Dritten bekam, die ihn bewegen wollten, seine Anzeige zurückzunehmen? Wer informierte wen? Wer wusste oder ahnte etwas?
Welche Rolle spielte der örtliche Landtagsabgeordnete der CDU bei diesen Vorgängen? Worin lagen seine Motiv- und Interessenslagen? - Auch diese Fragen bewegen uns, weil es eben seine ungeklärten Widersprüche waren, die auch das höchste Amt im Landtag in Misskredit zu bringen drohten.
Wir wollen die Fragen um die Wiederholung der Briefwahl und der dabei aufgetretenen Unregelmäßigkeiten klären.
Diese und viele andere Fragen stellen sich im Komplex an die örtlichen Wahlbehörden und ihre Aufsicht. Dem Anschein nach gab es unzulässige Verquickungen zwischen der - nennen wir es einmal so - Stendaler Staats- und Parteiführung. Diese gilt es ebenfalls zu hinterfragen, da Amtsträger in ihrer Amtsführung unparteiisch sein müssen.
Es wird ein Ausschuss sein, der aufgrund der Komplexität der Fragestellung sicher keine kurze Angelegenheit wird. Zahlreiche Zeugen werden zu vernehmen sein, Akten der Wahl-, Kommunalaufsichts- und Strafverfolgungsbehörden müssen hinzugezogen werden. Auch hier gilt es, Abläufe bei der strafrechtlichen Aufklärung nachzuvollziehen, wo der vom Innenminister verfügte Zuständigkeitswechsel zumindest erläutert werden muss. Meine Fraktion geht davon aus, dass der Ausschuss wohl sehr lange und sehr intensiv arbeiten muss.
Ich freue mich, dass vom CDU-Landesvorsitzenden über die SPD bis hin zu BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN alle ihr Interesse an der Aufklärung bekunden. Das macht mich sicher, dass dieser Ausschuss sein Ziel erreichen wird, das Vertrauen in das Funktionieren von Wahlbehörden wiederherzustellen. Durch konsequente Aufarbeitung und die Vorlage entsprechender Schlussfolgerungen können wir das erreichen. Wir sind es unseren Bürgerinnen und Bürgern und einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen schuldig.
In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag und zur aktiven Mitarbeit im Ausschuss. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender Knöchel. - Wir steigen somit in eine Fünfminutendebatte ein. Die Landesregierung hat an dieser Stelle Verzicht erklärt. Wir beginnen mit dem Debattenredner Herrn Erben für die SPD-Fraktion. Sie haben das Wort. Bitte, Herr Abgeordneter.
sem Teil Deutschlands aufgewachsen, sind, verbinden mit dem Begriff Wahlfälschung bislang vor allem die Kommunalwahlen in der DDR im Mai 1989. Es war die einzige Wahl, an der ich als junger Mensch vor der Wende in der DDR teilgenommen habe.
Ich will beschreiben, wie ich diese Wahl, die das blanke Gegenteil einer freien Wahl war, erlebt habe. Ich war zu dieser Zeit bei der NVA. In aller Frühe wurde man zum sogenannten Regimentsklub - das ist eine Art Kulturhaus - geschickt. Dort war das Wahllokal. Es durfte nicht marschiert werden - das hätte ja so unfreiwillig ausgesehen -, sondern es wurde in loser Formation dorthin gegangen.
Dann hieß es: Zettel falten, in die Urne stecken. Das haben die meisten so gemacht; ich auch. Zur Szenerie im Wahllokal: Ein Major war Wahlvorstand - er war etwas bullig gebaut -, baute sich am Zugang zur Wahlkabine auf, die im Übrigen durch Gummibäume verstellt war. Keiner traute sich, den Major oder gar die Gummibäume zur Seite zu schieben. Später wurden dann großflächige Wahlfälschungen durch die staatlichen Organe offenbar. Aufgedeckt haben diese Wahlfälschungen mutige Menschen, die den Mächtigen in der DDR auf die Finger schauten.
Die Wahlfälschungen im Mai 1989, sie wurden zum Sargnagel für die Diktatur und zum Auftakt für die friedliche Revolution im Herbst 1989.
Weswegen sage ich das? - Ich will den Wert von freien Wahlen an dieser Stelle ausdrücklich betonen. Ich glaube, die Wahlbeteiligung zu den Volkskammerwahlen im März 1990 und den Kommunalwahlen im Mai 1990 zeigten bis heute historische Höchststände in unserem Land und waren ein deutliches Zeichen, welchen Wert die Menschen auf freie Wahlen legen.
Denn freie Wahlen, sie sind das Fundament der Demokratie. Dieses Fundament gilt es zu verteidigen, gerade durch uns, die wir als Parlamentarier unmittelbar demokratisch durch Wahlen legitimiert sind.
Die Wahlmanipulation von Stendal 2014 war nicht die erste diesbezügliche Straftat in Sachsen-Anhalt. Keine Angst, ich will jetzt nicht über 2012, 2009 oder gar davor in Stendal spekulieren, sondern ich komme auf die Wahlfälschung im ehemaligen Burgenlandkreis zur Kreistagswahl 2004 zu sprechen.
Dort gelang es durch Fälschungen, die Zulassung ganzer Listen zu erschleichen. Der Kreistag tat sich anschließend trotz zahlreicher Einsprüche mit
der Aufklärung sehr schwer. Dem einen oder anderen gefiel auch das Wahlergebnis ganz gut; man klebte am Mandat. Auch die Kommunalaufsicht schritt nicht ein, jedenfalls nicht in der Form, dass Neuwahlen angeordnet wurden. Erst das Oberverwaltungsgericht erzwang im Jahr 2006 komplette Neuwahlen für den Burgenlandkreis.
Das Ausmaß der Manipulation damals im Burgenlandkreis war vergleichsweise klein im Verhältnis zu dem, was jetzt in Stendal offenbar wurde. Denn dort wurde die Wahlhandlung selbst nicht manipuliert, sondern es ging um die Zulassung zur Wahl.
Dass wir im Fall von Stendal heute hier stehen und über die Einsetzung eines PUA reden, ist auch und vor allem der Beharrlichkeit eines „Volksstimme“-Redakteurs, Marc Rath, zu verdanken. Denn erst durch ihn wurde das Ausmaß der Taten offenbar und zu Recht wurde er dafür geehrt.
Die Strafverfahren haben nur teilweise Licht ins Dunkel gebracht. Deswegen ist es wichtig und richtig, dass wir in einem Untersuchungsausschuss erstens die Hintergründe weiter aufklären, zweitens den erklärten Willen von Beteiligten zur Aufklärung auf die Probe stellen, systemische Schwachstellen im Wahlrecht erkennen und Schlussfolgerungen für das Wahlrecht gezogen werden.
Die Fälschungen in Stendal beziehen sich auf die Briefwahl, deren Manipulationsanfälligkeit sich gezeigt hat. Trotzdem sind wir als Sozialdemokraten nicht für die Abschaffung der Briefwahl, sondern wir sind dafür, sie sicherer zu machen.
Herzlichen Dank für die Initiative, die DIE LINKE gezeigt hat. Wir werden vermutlich, was das Ob betrifft, hier zu einer breiten Mehrheit für die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses kommen. Ich werbe dafür, den Änderungsantrag der Koalition anzunehmen. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Erben. Der Untersuchungsausschuss soll ja auch dazu dienen, die Hintermänner stärker - sagen wir einmal - herauszukristallisieren. Sie haben in Ihrer Rede gerade zwei
Die Kreistagswahl in Stendal ist ebenfalls betroffen - das wissen Sie ganz genau - oder könnte theoretisch betroffen sein, weil dort in den Wahlumschlägen auch die Zettel für die Kreistagswahl sind.
Sie haben gerade begrüßt, dass die Kreistagswahl im Burgenland nach zwei Jahren wiederholt werden musste, und haben gesagt, dass das Ausmaß - das haben Sie als Feststellung gebracht - in Stendal viel größer sei.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie dafür plädieren, dass auch die Kreistagswahl im Landkreis Stendal, zumindest im Wahlbereich Stendal, wiederholt wird?
Wie wir inzwischen ausgiebig rechtlich erörtert haben, ist genau diese Wiederholung nicht möglich. Die Wahl ist für gültig erklärt worden. Die Kommunalaufsichtsbehörde hat von ihrem Einspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht. Insofern: Ich finde das auch nicht schön, aber über uns stehen an der Stelle das Recht und das Vertrauen in das Wahlergebnis.
Ich finde es persönlich auch nicht chic, dass es in Stendal einen Kreistag gibt, der vermutlich auch aufgrund von manipulierten Stimmen zustande gekommen ist. Aber die rechtliche Situation ist hier so.
Es gibt keine weiteren Anfragen. Vielen Dank, Herr Kollege Erben. - Somit kommen wir zum nächsten Debattenredner. Für die AfD spricht jetzt der Abg. Herr Lieschke. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.
Werte Präsidentin! Werte Abgeordnete! Allem voran stelle ich die Definition von Wahlfälschung: Als Wahlfälschung bezeichnet man die bewusste Manipulation einer Wahl entgegen demokratischen Prinzipien, um das Wahlergebnis zugunsten oder zuungunsten einer Partei bzw. die Wahl als solche zu verändern.