Vielen Dank, Herr Krull. Es gibt eine Wortmeldung. Ich muss übrigens sagen: Sie haben mit genau zehn Minuten eine Punktlandung hingelegt. - Herr Abg. Gallert, Sie haben jetzt das Wort.
Herr Krull, ich möchte mich zunächst bedanken, weil wir in sehr vielen Punkten übereinstimmen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Zeichen, auch heute in dieser Debatte.
Ich möchte Ihnen eine Frage stellen. Sie haben eine Reihe von Zitaten und Positionen aufgezählt, die aus Ihrer Sicht antisemitische Inhalte transportieren. Ich möchte diese Reihe ergänzen und Sie nach Folgendem fragen:
Wir kennen die Position Viktor Orbáns zu dieser Frage, der von einer Weltverschwörung spricht, die einen Bevölkerungsaustausch in Europa realisieren will. Als zentralen Organisator dieser Weltverschwörung sieht er George Soros, einen Juden, den er deswegen zusammen mit seiner Universität außer Landes verbannt hat.
tages anmaßen darf, außenpolitische Äußerungen anderer Staatsoberhäupter zu kritisieren. Man muss aber schon feststellen, dass seine Plakataktionen und die Darstellung deutlich antisemitische Züge gezeigt haben. Diese sind dann merkwürdigerweise verschwunden, kurz bevor Benjamin Netanjahu Ungarn besucht hat. Er muss sich tatsächlich gut überlegen, mit welchen Feuern, mit welchen Vorurteilen er spielt. Es ist tatsächlich so: Wenn jemand von einer jüdischen Weltverschwörung spricht, dann sind das durchaus antisemitische Motive, ja.
Vielen Dank, Herr Krull. Ich sehe jetzt noch eine weitere Wortmeldung, und zwar von Herrn Poggenburg. - Herr Dr. Tillschneider, Sie sind noch nicht an der Reihe. Zunächst ist die Landesregierung an der Reihe. Das hatte ich bereits angekündigt. Sie brauchen also nicht aufzustehen. - Herr Poggenburg, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrter Abgeordneter, ich kann Ihren Ausführungen erst einmal vollkommen zustimmen und finde es auch richtig, dass Sie deutliche Worte gefunden haben. Ich habe trotzdem eine Frage an Sie.
Natürlich darf es in Deutschland keinen Antisemitismus, keinen Judenhass geben, auch vor dem Hintergrund der Geschichte. Aber bedeutet das dann im Umkehrschluss, dass niemand mehr für irgendeine Tat oder irgendein Verhalten kritisiert werden darf, nur weil er Jude ist? Das möchte ich gern einmal wissen. - Danke.
Eigentlich bedarf diese Frage keiner Antwort. Ich möchte es aber noch einmal ganz deutlich machen: Wenn jemand eine Straftat begeht, dann ist diese Straftat natürlich unabhängig davon, welcher Religionsgemeinschaft er angehört, zu verfolgen und zu bestrafen. Eine Religion oder eine Ideologie können und dürfen in Deutschland kein Grund dafür sein, von einer Strafverfolgung abzusehen. Das passiert in Deutschland auch nicht.
spricht jetzt der Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff. Einen kleinen Moment aber noch, nicht ganz so stürmisch. Jetzt dürfen Sie und haben auch gleich das Wort, Herr Ministerpräsident.
Danke schön. - Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1959 warnte Theodor Adorno mit Recht vor einem Fortleben des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft. Der Antisemitismus war nach 1945 keineswegs verschwunden, sondern er bestand im Westen wie im Osten Deutschlands fort.
Antisemitismus findet sich auch heute in rassistischen Vorurteilen, in Gerüchten, in Mutmaßungen und in Verschwörungstheorien. Die Folgen sind schrecklich. Kippaträger sind tätlichen Angriffen ausgesetzt, wie zuletzt in Hamburg. Juden müssen am Tag des Jom-Kippur-Festes um ihr Leben fürchten - mitten in Deutschland, mitten unter uns, ja, auch gerade hier in Sachsen-Anhalt. Der Antisemitismus ist wieder da und das 75 Jahre nach der Schoah. Das sind beschämende Tatsachen.
Ich bin entsetzt über die skandalösen Vorgänge, die sich offenbar seit vielen Jahren bei der Bereitschaftspolizei in Magdeburg abspielen. Wir werden alles tun, um sie umfassend aufzuklären und dagegen vorzugehen.
Seit Halle wissen wir es nochmals bestätigt. Die Grundlagen unserer Zivilisation sind brüchig. Der Anschlag vom 9. Oktober 2019 war eine Zäsur. Es gab eine Zeit vor und es gibt eine Zeit nach dem 9. Oktober 2019, vor allem für uns hier in Sachsen-Anhalt.
Nach diesem Tag kann es kein Verharmlosung, keine Relativierungen, kein „Ja, aber“ mehr geben. Allen muss klar geworden sein, welche Gefahren vom Rechtsextremismus ausgehen. Unter Beteiligung von Bundespräsident Steinmeier haben wir am Jahrestag des Anschlags in Halle der Opfer, ihrer Angehörigen und der Betroffenen gedacht. Das tun wir auch heute im Landtag. Der Terroranschlag auf die Synagoge und den „KiezDöner“ sowie die Überfälle in Wiedersdorf waren gegen unsere offene Gesellschaft und ihre Werte gerichtet.
Über die Opfer und ihre Angehörigen hat der Täter unendliches Leid gebracht. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde Halle mussten Traumatisches erleben. Das erfüllt uns mit tiefer Scham. Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus führen zwangsläufig zum Niedergang menschlichen Anstands und zum Verlust von Solidarität. Nach der Schoah wissen wir, was unter Menschen leider möglich ist, nämlich alles. Das
Aufstieg, Herrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus sind nicht nur auf ein Versagen der politischen Eliten zurückzuführen, sie wurden auch durch den Zusammenbruch der Mitmenschlichkeit und den Verlust von Mitgefühl in breiten Schichten der Bevölkerung möglich. Nichts kommt aus dem Nichts. Zwar war der Nationalsozialismus keine in der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands angelegte Zwangsläufigkeit, aber er lässt sich auch nicht aus der Kontinuität der deutschen Geschichte ausklammern. Hitler war kein Betriebsunfall. Was einmal möglich war und geschehen ist, bleibt denkbar. Die Lehren der Geschichte müssen wir ernst nehmen. Die liberale Demokratie und ihre Werte müssen von jeder Generation aufs Neue gelernt, gelebt und verteidigt werden.
Denn nichts davon ist selbstverständlich. Der Aufstieg des Populismus, die unreflektierte Renaissance des Nationalen, die zu oft mit der Ausgrenzung anderer einhergeht, und eine zu weit verbreitete Sehnsucht nach autoritären Lösungen stellen eine große Herausforderung für unsere Demokratie dar.
Gewalt beginnt mit der Sprache. Und irgendwann kommt der Zeitpunkt, ab dem es nicht mehr beim Gedachten und Gesprochenen bleibt. Der Weg vom Denken zur Tat und von der Sprache zum Handeln ist oft sehr kurz. Wir haben es vor einem Jahr schmerzlich erlebt.
Völkisches Denken breitete sich aus. Die Grenzen des ungestraft Sagbaren werden immer weiter ausgedehnt. Tabubrüche mehren sich. Populisten nutzen Stimmungen zur Mobilisierung. Ihre Proteste richten sich in ihrer Tiefe gegen den freiheitlichen Staat und seine demokratische Kultur. Populisten sind nicht nur rückwärtsgewandt. Sie bieten oft sehr einfache und oberflächliche Lösungen für komplexe Zukunftsprobleme an. Unsere Welt, die Welt des 21. Jahrhunderts, ist aber vielfältig und kompliziert. Wir dürfen nicht einfache Erklärungen und falsche Antworten tolerieren oder angesichts der Herausforderungen schweigen.
Demokratie lebt auch vom Mitmachen. Die Zukunft beginnt im Hier und Jetzt. Wie wir sie gestalten, liegt an uns. Niemand sollte unbeteiligter Zuschauer sein. Wir müssen eine konstruktive Haltung im familiären wie im privaten und öffentlichen Umfeld zeigen. Es geht hierbei auch um Konfliktbewältigung. Auch Passivität kann Einstellungen prägen und weitreichende
Folgen haben. Sie kann stillschweigend zu einem, wenn auch oft ungewollten, Einverständnis mit populistischen Parolen, ja, zu einer Erosion der öffentlichen Moral führen. Deswegen müssen wir, die gesamte Gesellschaft, für ein offenes Klima der Toleranz und gegenseitigen Achtung sorgen.
Auf vielfältige Weise und mit großer Leidenschaft zeigen sie mitmenschliche Haltung und setzen sich für Pluralismus und ein friedliches Miteinander ein. Das war auch am Gedenktag deutlich spürbar.
Denken waren die Wegbereiter des Nationalsozialismus und führten in die Katastrophe. Dass es immer noch Menschen gibt, die mit der Ideologie des Nationalsozialismus sympathisieren, ist unerträglich. Dem setzen wir unsere nicht verhandelbaren Werte und Grundsätze entgegen. Jüdisches Leben gehört seit jeher zu Deutschland, zu Sachsen-Anhalt und auch zu Halle sowie natürlich auch zu Magdeburg, wie wir aus der Geschichte wissen.
Jüdinnen und Juden müssen sich in unserem Land sicher fühlen. Für den Schutz ihres Lebens tragen wir als Landesregierung Verantwortung. Am Dienstag vergangener Woche wurde ein Vertrag zwischen dem Land und der jüdischen Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt über die Sicherung von Synagogen und jüdischen Einrichtungen abgeschlossen. Zudem beschloss das Kabinett ein Landesprogramm für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus. Wir setzen damit ein klares Signal gegen Antisemitismus und Rassismus.
Unsere Demokratie ist streitbar und wehrhaft. Das Grundgesetz ist dafür die Quelle unseres Selbstverständnisses. Das Prinzip der Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Religion, Herkunft, Hautfarbe und Nationalität ist eine seiner tragenden Säulen. Insbesondere sein erster Satz „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ ist unsere Antwort auf den Nationalsozialismus.
Unsere Verfassung muss mit Leben erfüllt und ihre Werte müssen verinnerlicht werden. Nach ihnen müssen wir unser Handeln ausrichten. Dieser Aufgabe haben wir uns jeden Tag aufs Neue zu stellen. Wir müssen in der Gesell
schaft ein Sensorium aufbauen, damit wir antisemitische und rassistische Terrortaten wie am 9. Oktober 2019 in der Zukunft verhindern. Das, sehr geehrte Damen und Herren, können wir nur gemeinsam schaffen.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Somit fahren wir in der Debatte fort. Für die AfD-Fraktion spricht jetzt der Abg. Herr Dr. Tillschneider. Auch Sie können langsam nach vorn kommen und erhalten auch gleich das Wort. Bitte, Herr Dr. Tillschneider.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor einem Jahr hat der geistig verwirrte Einzeltäter Stephan B. in Halle an der Saale zwei Menschen erschossen. Getrieben von Wahnvorstellungen, wonach die Juden für soziale Fehlentwicklungen wie etwa die niedrigen Geburtenraten oder die Masseneinwanderung verantwortlich seien, inspiriert von Computerspielen, ausgerüstet mit selbst gebastelten Waffen und verbunden mit dem Internet, wohin er eine Liveaufzeichnung seiner Taten übertrug, hatte Stephan B. es eigentlich auf eine Synagoge abgesehen. Als er aber nicht in das Gebäude eindringen konnte, war er bei seinen Bluttaten nicht wählerisch und erschoss zunächst eine Passantin und dann einen Handwerker, der gerade in einem Döner-Imbiss Mittagspause machte.
Ja, der Einzeltäter Stephan B. wollte seine Tat in einem diffusen politischen Sinn als Widerstandsakt verstanden wissen. Aber es hieße doch dem Täter auf den Leim zu gehen, wenn wir diese - seine - Deutung, zwar unter umgekehrten Vorzeichen, aber doch noch in ihrem Sachgehalt übernehmen würden. Wer diesen Taten eine wie auch immer geartete politische Botschaft zuschreibt, der übernimmt damit die Selbstdeutung des Täters, der reproduziert dessen Wahnvorstellungen, der gibt ihnen Resonanzraum.
Stephan B. hat keine Auseinandersetzung auf Augenhöhe verdient. Er, der seinem persönlichen Wahn zwei Menschen opferte, hat es nicht verdient, ernst genommen zu werden. Ich lege deshalb Wert auf die Feststellung, dass seine Tat keine politische Tat war.
Was Stephan B. an jenem 9. Oktober 2019 vorgeführt hat, ist eine Sequenz, wie wir sie aus sogenannten Ego-Shooter-Spielen kennen. Das sind Computerspiele, deren Verlauf im Wesentlichen darin besteht, dass der Spieler aus der Sicht einer bewaffneten Person Tötungshand
lungen vornimmt. Der Spieler bewegt sich auf Schlachtfeldern, aber auch im städtischen Umfeld und muss jeden töten, der ihm ins Visier kommt. Dafür gibt es Punkte.
Das ganze Verhalten des Stephan B., seine Ausrüstung, seine Uniform und die Darstellung im Internet führen deutlich vor Augen, dass hier jemand diese ihm vertraute Computerspielwelt nachahmt. In einem pervertierten Spieltrieb hat Stephan B. zwei Menschen getötet, weil das Abknallen zu den Computerspielen gehört, die er in seiner sozialen Isolation exzessiv zu spielen pflegte und die er an jenem Tag in Halle als eine reale Inszenierung seinen Zuschauern im Internet vorführen wollte.