Protocol of the Session on July 3, 2015

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auch deshalb sind Sie für die weitere Amtsführung nicht mehr geeignet.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es fanden in dem bewussten Zeitraum offenbar sehr viele Gespräche auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. Jedoch ist merkwürdig: Je höher die Ebene war, desto dünner wurde die Dokumentation und die Nachweisführung.

Was gibt es aufzuklären, fragte vorhin Herr Schröder. Unfertige Sachverhalte? - Nein, die Sachverhalte liegen auf dem Tisch.

(Herr Schröder, CDU: Alle?)

- Das Ministerium der Finanzen hat deutlich Stellung bezogen. Das ist für mich der Anlass, rechtlich zu würdigen, ob ein Erlass von Zinsen rechtskonform ist. Denn strittig ist zum einen, ob der Erlass einer steuerlichen Nebenleistung, nämlich Zinsen nach § 233a der Abgabenordnung im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung rechtmäßig war. Zum anderen ist fraglich, wer an dieser Entscheidung mitgewirkt hat.

Eine tatsächliche Verständigung über den Erlass von Nachlasszinsen sieht die Abgabenordnung nicht vor. Eine tatsächliche Verständigung ist möglich, wenn ein Sachverhalt nicht, nur erschwert oder unter erheblichem Aufwand ermittelbar ist. Zinsberechnung ist für manchen Schüler bis zum Abitur sicherlich schwer nachzuvollziehen.

(Herr Striegel, GRÜNE, lacht)

Aber der Sachverhalt ist einfach. Es gibt eine Bemessungsgrundlage, einen Zinssatz und einen Zinszeitraum. Ich habe mir sagen lassen, dass das im Finanzamt heutzutage Maschinen machen, sodass auch bei einer großen Anzahl von Steuerbescheiden der Ermittlungsaufwand gering ist und das Instrument der tatsächlichen Verständigung damit unzulässig ist.

Auch der Erlass von Nachzahlungszinsen ist nur unter der Voraussetzung des § 227 der Abgabenordnung möglich. Diese Vorschrift fordert das Vorliegen einer Unbilligkeit im Einzelfall. Die Verzinsung von Steuernachzahlungen hat den Zweck, den durch die verspätete Feststellung der tatsächlichen Steuer beim Unternehmer entstandenen Liquiditätsvorteil auszugleichen.

Es mag sein, dass das Verfahren lange gedauert hat. Es mag sein, dass auch dem Finanzamt dabei einiges zuzurechnen war. Das ändert aber nichts an dem Umstand, dass der Unternehmer so lange über das Geld, das er als Steuer hätte zahlen müssen, verfügen konnte und damit gegenüber vergleichbaren steuerehrlichen Unternehmern einen Liquiditätsvorteil erlangt hat.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Eine Unbilligkeit war nicht zu erkennen. Die Argumentation auf den 22 Seiten des Finanzministeriums vermag nicht zu überzeugen. Ein solcher

Erlass ist - das ist festzuhalten - nicht der Regelfall für das Verfahren in der Finanzverwaltung.

Es bleibt also die Frage, warum die im Übrigen als korrekt anerkannte Finanzverwaltung in diesem Fall derartig abweichend entschieden hat. Das ist auch der Tenor der Presseveröffentlichung zum Rechnungshofbericht. Es bleibt die Tatsache, dass an dem Sachverhalt, schon durch die in der Kleinen Anfrage eingeräumte Berichterstattung, die Hausspitze des Ministeriums der Finanzen mitgewirkt hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geradezu abenteuerlich sind die Aussagen des Ministeriums der Finanzen zur Begründung des Status der Schlossgruppe Neugattersleben hinsichtlich der Bewilligung von Beteiligungen an einzelnen Unternehmen und der damit verbundenen Rettung vor der Insolvenz, also die Auflösung des sogenannten Haftungsverbundes, die offenbar nur mit Finanzinstrumenten des Landes durchgeführt worden ist, weil andere Geldgeber nicht mehr bereit waren, einen Euro zur Rettung beizutragen.

Auch mit dem Wissen aller im Aufsichtsrat und im Beteiligungssauschuss wurden die geltenden Beteiligungsgrundsätze verletzt, nicht nur was den KMU-Status betrifft, sondern auch den Verwendungszweck; denn Unternehmen in Schwierigkeiten dürfen keine staatlichen Mittel erhalten.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Die damit verbundene Umleitung der Gelder - anstatt in innovative Firmenentwicklungen gingen sie in die Schuldenlösung - war allen Beteiligten im Aufsichtsrat bekannt. Das ist ein skandalöser Vorgang, der eigentlich auch disziplinarisch geahndet werden müsste.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Auf Druck des IBG-Managements wurde dies zugelassen. Intern hieß es, dies erfolge auch aus wirtschaftspolitischen Gründen, um 600 Arbeitsplätze zu retten. Eine Information des Haushaltsgesetzgebers Landtag wurde als unnötig erachtet. Man wollte offenbar keine weitere Aufmerksamkeit erregen; denn zum damaligen Zeitpunkt hatte wenige Tage zuvor das Unternehmen Q-Cells Insolvenz angemeldet, und 1 300 Mitarbeiter standen vor einer ungewissen Zukunft.

Die Monstranz „Arbeitsplätze retten“ dient offenbar dazu, wirklich alles und jedes zu rechtfertigen.

Interessant war auch die Aussage von Hans Hübner in der öffentlichen Zeugenvernehmung im April 2015. Auf die Fragen von Ausschussmitgliedern, ob das Land hätte eingreifen müssen, um die Firmengruppe zu retten, meinte der Zeuge beispielsweise, das könne er so nicht unterschreiben. Diese

Antwort veranlasste ein Ausschussmitglied zu der Bemerkung, dass Zweifel entstünden, ob die Motive des Landes überhaupt etwas mit der wirtschaftlichen Notlage des Unternehmens zu tun hätten oder ob es einfach nur ein cooles Geschäft gewesen sei.

Oder waren es rein finanztaktische Spielchen, die im Hintergrund stattfanden und die die politischen Akteure völlig überforderten? Das wirft natürlich grundsätzliche Fragen hinsichtlich der Verteilung öffentlicher Fördermittel auf. Über Finanzströme innerhalb dieses Konzerns und über die Verflechtungen der Unternehmen untereinander waren die meisten Verantwortlichen aus den Ministerien offenbar nicht informiert.

Die Gläubigerbanken haben Verluste hinnehmen müssen, den betroffenen Unternehmen wurden die Gesamtschulden aber nicht erlassen. Und dennoch war man schon knapp drei Jahre später in der Lage, sich mit einem zweistelligen Millionenbetrag der lästigen IBG zu entledigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Abschließend möchte ich im Namen meiner Fraktion erklären: Wir teilen die Auffassung des Landesrechnungshofes, dass die damalige Oberfinanzdirektion die geltenden Rechtsgrundlagen fehlerhaft angewendet hat. Demnach widerspricht die Anweisung der OFD zum Zinserlass dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, das heißt der Gleichbehandlung aller Steuerpflichtigen, und ist mit geltendem Steuerrecht nicht zu begründen.

Das zu erkennen, ist offenbar die gesamte Landesregierung nicht in der Lage. Entsprechend lautete die in beiden Untersuchungsausschüssen immer wieder vorgetragenen Meinung: Nun habt euch mal nicht so, es läuft doch alles. Die gestrige Pressemitteilung der beiden Finanzstaatsekretäre zur Übergabe der Aufklärungskompetenzen ihres Ministers an die Staatskanzlei spricht Bände.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Was muss denn an Pleiten-, Pech- und PannenTheaterstücken noch aufgeführt werden, bevor der zuständige Intendant geht?

Woanders war man schneller, Erfolgreiche, aber Unliebsame loszuwerden. Es bleibt bei unserer Einschätzung: Konsequenzen können nur diejenigen persönlich ziehen, die auch bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

Eigentlich haben wir heute nicht über die Methoden bei der Auflösung des Haftungsverbundes der Schlossgruppe Neugattersleben zu verhandeln, sondern über den Haftungsverbund Haseloff - Bullerjahn.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Diesen können offenbar nur Mehrheiten außerhalb dieses Landtages auflösen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter Dr. Thiel, möchten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Miesterfeldt beantworten? - Ja. - Bitte, Herr Miesterfeldt.

Herr Dr. Thiel, Sie sagten, Sie stimmen dem Bericht des Landesrechnungshofes zu. Welchem? Und wie sind Sie in den Besitz desselben gekommen?

Ich beziehe mich auf die dargelegten und nicht bestrittenen Äußerungen, die in der Presse veröffentlicht wurden, und auf den 22 Seiten umfassenden Bericht des Ministeriums der Finanzen dazu.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Weitere Nachfragen gibt es nicht. - Für die Fraktion der SPD spricht jetzt Frau Abgeordnete Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in den letzten 48 Stunden gefühlte 120 Ratschläge erhalten, was ich in dieser Debatte sagen soll und was ich nicht sagen soll, und zwar aus meiner eigenen Partei und aus vielen anderen Parteien, aus interessierten Pressekreisen. Ich bitte um Nachsicht, dass ich diese Ratschläge nicht berücksichtigen werde. Denn es geht aus meiner Sicht in der Sache Steuererlass Schlossgruppe Neugattersleben - Herr Meister, nur darum geht es und nur das haben Sie zur Aktuellen Debatte angemeldet; Sie habe allerdings zu anderen Themenkomplexen geredet -

(Herr Meister, GRÜNE: Nein, nein!)

um genau drei Fragen. Erstens: Haben die beteiligten Behörden rechtswidrig gehandelt? - Ich formuliere diese Frage absichtlich so negativ, weil wir nur in diesem Fall überhaupt einen Grund hätten, uns damit zu befassen. Zweitens: Wenn ja, hat der Minister Einfluss genommen? Drittens: Hat der Minister im Umgang mit den bekannt gewordenen Vorwürfen politische Fehler gemacht?

Der Reihe nach. Nach der Auffassung des Landesrechnungshofes war die Entscheidung der damaligen Oberfinanzdirektion Magdeburg über den Erlass von Nachzahlungszinsen in Höhe von rund

270 000 € für Unternehmen der Schlossgruppe Neugattersleben rechtswidrig und insbesondere nicht Teil einer sogenannten tatsächlichen Verständigung zwischen der Finanzverwaltung und dem Steuerschuldner.

In der Stellungnahme des Finanzministeriums vom vergangenen Montag hingegen legt die Finanzverwaltung selbst ausführlich dar, dass und warum eine tatsächliche Verständigung stattgefunden habe und dass wegen der Komplexität nur eine solche habe stattfinden können und der Zinserlass sehr wohl Ausdruck dieser Verständigung sei.

(Zuruf von Herrn Meister, GRÜNE)

Das Finanzministerium widerspricht daher im Ergebnis seiner internen Prüfung der Rechtsauffassung des Landesrechnungshofes ausdrücklich und argumentiert, dass durch das Erzielen einer tatsächlichen Verständigung Rechtsbehelfe und Kosten vermieden, komplexe Sachverhalte entschieden wurden und steuerliche Mehreinnahmen erzielt wurden.

Die steuerrechtliche und rechtliche Würdigung obliegt der Steuerfinanzverwaltung und ich folge ihrer Argumentation.

Wir haben aber nach Kenntnis des Berichts aus dem Finanzministerium auch keine Veranlassung, infrage zu stellen, dass eine tatsächliche Verständigung mit der Schlossgruppe Neugattersleben stattgefunden hat. Wir begrüßen die selbstkritische Feststellung des Finanzministeriums, dass Verfahren dieser Art und ihre Entscheidungsgründe künftig unmissverständlich und transparent zu dokumentieren sind.