Protocol of the Session on July 2, 2015

Laut DGB kann die Digitalisierung von Arbeit einerseits zu mehr hochwertigen Arbeitsplätzen führen, die unter anderem den Beschäftigten neue Handlungsspielräume, mehr Beteiligung und Entfaltungsmöglichkeiten, hohe Eigenverantwortung, neue Kooperationsformen und Kreativität bieten können. Digitales Arbeiten könnte zukünftig den Beschäftigten größere Freiheiten ermöglichen, die Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Privat

leben verbessern und die Beschäftigungsfähigkeit erhöhen.

Andererseits gilt es auch, die Augen nicht vor möglichen Risiken zu verschließen. So kann die Digitalisierung auch zu einer Verdrängung von Arbeitsplätzen, der Entwertung von Arbeit, zu neuen prekären Beschäftigungsformen sowie zu höheren gesundheitlichen Belastungen führen. Auch der differenzierten sozialen Situation von Selbständigen besonders in diesem Bereich, aber auch insgesamt, ist mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Die Digitalisierung führt damit auch unweigerlich zu einem hohen Anpassungs- und Innovationsdruck für die Unternehmen und ihre Beschäftigten. Hier gilt es, sowohl für Beschäftigte als für Unternehmer die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um diese Prozesse zu nutzen und zu gestalten; denn es ergeben sich neue Rechtsfragen vor allem in den Bereichen Arbeitsrecht, Datensicherheit, Datenschutz, Urheberrecht und Vertragsrecht, die nicht aus den Augen verloren werden dürfen.

Vor allem die steigende Belastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch das Verschwimmen von Arbeits- und Freizeit, Rund-um-die-UhrErreichbarkeit, Arbeitsverdichtung und zunehmende Flexibilitätsanforderungen bei ständiger Kontrolle führen in der Folge zu einer Zunahme von psychischen Erkrankungen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das können wir nicht erst in der Zukunft, sondern bereits jetzt feststellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deswegen haben wir in unserem Antrag fünf Punkte formuliert, über die die Landesregierung den Landtag informieren sollte, um im Rahmen der Umsetzung der regionalen Innovationsstrategie die Entwicklung und Anwendung von Projekten im Bereich der Digitalisierung der Wirtschaft 4.0 vor allem in den Teilbereichen Energie- und Ressourceneffizienz aufzugreifen und dabei auch Maßnahmen der Daten- und IT-Sicherheit zu berücksichtigen. Bisher hat das in den Überlegungen zur regionalen Innovationsstrategie noch nicht die entscheidende Rolle gespielt.

Wir möchten die Landesregierung auch auffordern, im Bundesrat gemeinsam mit anderen Landesregierungen aktiv zu werden, um eine entsprechende Anti-Stress-Verordnung gesetzlich einzuführen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir über die Digitalisierung von Prozessen in der Wirtschaft und deren Auswirkungen auf die Beschäftigten sprechen, dann müssen wir aber auch noch weitere Rahmenbedingungen im Blick haben. Es ist eigentlich ein sehr komplexes Feld; denn die

Digitalisierung von Wirtschaftsprozessen benötigt natürlich eine entsprechend zukunftsfähige digitale Infrastruktur, die den rasant wachsenden Anforderungen an die Übertragungsraten des Breitbandes gerecht werden muss. Das derzeit vom Land festgelegte Ziel von flächendeckend 50 MBit/s bis zum Jahr 2020 bleibt weit hinter den Anforderungen an eine Industrie 4.0 zurück.

(Beifall bei der LINKEN)

Um alle Menschen zu erreichen, gehören ein flächendeckender glasfaserbasierter Breitbandausbau sowie die gesetzliche Sicherung der Netzneutralität und die Abschaffung der Störerhaftung zu einer Strategieplanung dazu; denn was nützt es uns, wenn kleine oder kleinste Unternehmen mit ihren großen Kunden und Lieferanten nicht kommunizieren können, weil man hier mit unterschiedlichen Datenraten operieren muss.

Deswegen sprechen wir uns für einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz, für eine diskriminierungsfreie Übertragung von Daten und die Gleichbehandlung aller Daten unabhängig vom Dienst oder sonstigen Kriterien aus. Diese ist nämlich dann gleichbedeutend mit dem uneingeschränkten Zugang zu Wissen und Informationen in unserer digitalen Gesellschaft.

Die Freiheit des Netzes als Basis für soziale Teilhabeprozesse ist daher unbedingt sicherzustellen. Auch darüber haben wir im Landtag bereits an mehreren Stellen diskutiert.

Wir haben diesen Antrag heute gestellt, um die politischen Debatten zu dieser neuen Herausforderung rechtzeitig anzustoßen. Die Politik sollte vorausschauend eigene Akzente setzen. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die Landesregierung spricht der Wirtschaftsminister Herr Möllring.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Digitalisierung ist ein sehr umfangreiches und breites Thema. Der Abgeordnete Herr Dr. Thiel hat gerade darauf hingewiesen. Sie reicht von der Frequenzversteigerung für mobiles Breitband über die Industrie 4.0 bis hin zur Datensicherheit. Sie umfasst die Digitalisierung der Verwaltung ebenso wie die Veränderung der Arbeitswelt.

Daher begrüße ich den Vorstoß aus der IT-Wirtschaft, eine digitale Agenda für Sachsen-Anhalt zu erarbeiten, die sich mit allen Fassetten der Digita

lisierung auseinandersetzt. Da es sich hierbei um ressortübergreifende Themen handelt, wird die Erarbeitung der digitalen Agenda durch die Staatskanzlei koordiniert.

Die Digitalisierung der Wirtschaft und insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen wird ein wesentlicher Pfeiler sein und ist deshalb eine Schwerpunktaufgabe des Ministeriums für Wissenschaft und Wirtschaft. Wir stellen stellen uns dieser Aufgabe und untersetzen diese mit konkreten Themen und Instrumenten.

Von herausragender Bedeutung ist das Thema Industrie 4.0 oder - besser gesagt - Wirtschaft 4.0; denn es betrifft alle Wirtschaftszweige und natürlich auch das Handwerk.

Auch wenn dieses Thema bundesweit erst in den letzten zwei bis drei Jahren richtig an Fahrt gewonnen hat - die Hannover-Messe vor zwei Jahren hat sich das zum Thema gemacht -, haben wir es in den regionalen Innovationsstrategien 2014 bis 2020 bereits verankert. Es gibt auch schon einige Anwendungsbeispiele. Fast für jeden Leitmarkt ließen sich an dieser Stelle Beispiele aufzählen.

Nehmen Sie zum Beispiel den Leitmarkt Mobilität und Logistik. Hier darf ich das Projekt „Anika“ erwähnen. Dabei geht es darum, durch intelligente Notrufsäulen die Daten zwischen vorbeifahrenden Fahrzeugen und einer Leitstelle auszutauschen. So sollen zum Beispiel Gefahrenquellen wie Falschfahrer an andere Verkehrsteilnehmer übermittelt werden. Die Übermittlung wird also nicht so wie bisher durch das Radio geschehen, wo die Verbreitung doch immer eine ganze Zeit dauert, sondern direkt über das eigene Fahrzeug.

An diesem gemeinsam von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt getragenen Projekt wirken neben der Otto-von-Guericke-Universität und dem Magdeburger Fraunhofer-Institut viele Unternehmen aus Sachsen-Anhalt erfolgreich mit.

An erster Stelle prädestiniert für die Anwendung der Wirtschaft 4.0 ist jedoch der Leitmarkt Energie, Maschinen- und Anlagenbau sowie Ressourceneffizienz. Im Rahmen der Leitmarktarbeit findet derzeit die fachliche Untersetzung der Industrie 4.0 statt. Es wurde hierzu eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet, die sich aus Vertretern von Forschungseinrichtungen, Unternehmen und natürlich des Ministeriums für Wissenschaft und Wirtschaft zusammensetzt.

Eine Aufgabe der Arbeitsgruppe ist es, kleine und mittlere Unternehmen für die Wirtschaft 4.0 zu sensibilisieren, um mögliche Projekte vorbereiten zu können. Herr Dr. Thiel hat darauf hingewiesen, dass das nicht nur für die große Wirtschaft, sondern auch für den Mittelstand gilt. Sie sagten, glaube ich, dass das auch für den kleinen Mittel

stand gilt. Auch die werden sich dem nicht entziehen können.

Neulich wurde im Fraunhofer-Institut ein Vortrag gehalten. Dabei wurde 4.0 anhand des Kaffeeautomaten vorgestellt. Dieser kann in einer großen oder in einer kleinen Firma stehen. Aber ich will das Beispiel hier nicht wiederholen.

Das Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft fördert derzeit ein Projekt, welches die Potenziale von Wirtschaft 4.0 im Mittelstand analysiert. Die Hauptrichtung des Projektes ist zwar der Maschinen- und Anlagenbau. Es sollen jedoch Schlussfolgerungen für den Mittelstand generell abgeleitet werden. Die Ergebnisse der Analyse sollen im Herbst dieses Jahres vorliegen.

Natürlich nehmen wir auch das Thema Datensicherheit sehr ernst. Der Datentransfer bewegt sich in Terabyte-Dimensionen, der neue Anforderungen im Umgang mit hoch sensiblen Daten erfordert. Das Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft begleitet ein bundesweites Projekt der Metop GmbH aus Magdeburg. Das Innovationsforum Cyberdatensouveränität wird seit Beginn dieses Jahres vom Bundesforschungsministerium gefördert und hat die Aufgabe, Lösungen für den souveränen Umgang mit hoch sensiblen Daten in der Wirtschaft zu entwickeln.

Sie sehen, meine Damen und Herren, wir sind dort nicht untätig. An den vielen Punkten wird deutlich, wie fassettenreich die Digitalisierung ist und dass bei der Umsetzung der Konzeption ein ressortübergreifendes Vorgehen notwendig ist und auch jetzt schon erfolgt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. - Wir treten in die Aussprache ein. Für die Fraktion der SPD spricht nun der Abgeordnete Herr Graner.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema 4.0 ist derzeit ein bisschen en vogue und viele Trends werden mit diesem Zusatz geschmückt. Die GRÜNEN zum Beispiel bezeichnen sich als Wirtschaftspartei 4.0 Sie streben eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft

(Beifall bei den GRÜNEN)

mit fairem Wettbewerb für die Unternehmen an. - So die „FAZ“ vom 9. Juni.

Schule 4.0 ist die Zukunft, sagt die CDU. Das steht in einer Pressemitteilung der Fraktion.

Auch die LINKEN haben das Thema aufgegriffen, auch wenn ich festgestellt habe, dass dort die Be

zeichnung 4.0 nicht ganz so oft verwendet wird. Aber der Inhalt ist der gleiche.

Schließlich werfen sogar die Piraten der Digitalpolitik der Bundesregierung vor, dass man damit ins Mittelalter 4.0 käme.

Das Bundesministerium für Arbeit - um damit auch meine eigene Partei ins Spiel zu bringen - hat sogar eine eigene Website mit dem Titel „www.arbeitenviernull.de“ eingerichtet und auch ein Grünbuch zum Thema produziert.

Das heißt, das Thema ist derzeit en vogue; es ist in. Aber es gibt auch gute Gründe, warum das so ist.

Wenn wir schauen, warum wir von Arbeit 4.0 und von Industrie 4.0 sprechen, dann stellen wir fest, dass das natürlich auch einen historischen Zusammenhang hat. Wir bezeichnen heute die Phase der Industrialisierung am Ende des 18. Jahrhunderts als die Phase der Arbeit 1.0. Es war der Beginn der Industriegesellschaften. Es gab die Einführung der Dampfmaschine und die Einführung mechanischer Produktionsanlagen. Damit hat sich natürlich auch die Arbeit, also die Arbeitsstruktur und die Arbeitsweise, verändert.

Ich bin in der Schule mit dem Werk von Gerhart Hauptmann „Die Weber“ traktiert worden, das im Schlesien des Jahres 1840 spielt.

(Zurufe: Wir auch!)

- Viele andere offensichtlich auch, wie ich merke.

Heute habe ich auch begriffen, welche gesellschaftliche Relevanz dieses Werk hat. Es zeigt die Auswirkungen der Industrialisierung auf den Arbeitsmarkt sehr eindringlich.

Als Arbeit 2.0 bezeichnen wir den Beginn der Massenproduktion. Damit entstanden auch neue soziale Probleme und es kam zur Verschärfung der gesellschaftlichen Probleme. Aber in diesem Zuge entsteht auch die erste Sozialversicherung im deutschen Reich.

In das Zeitalter von Arbeit 3.0 fielen gewissermaßen auch die erfolgreichsten Jahre der alten Bundesrepublik. Es gab eine Konsolidierung des Sozialstaates. Es wurden Arbeitnehmerrechte auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft eingeführt.