Protocol of the Session on July 2, 2015

In das Zeitalter von Arbeit 3.0 fielen gewissermaßen auch die erfolgreichsten Jahre der alten Bundesrepublik. Es gab eine Konsolidierung des Sozialstaates. Es wurden Arbeitnehmerrechte auf der Grundlage der sozialen Marktwirtschaft eingeführt.

In den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts begann bereits eine Entwicklung, die durch eine weitere Automatisierung der Produktion und durch den Einsatz von Informationstechnologie und Elektronik den Anteil von Dienstleistungen zunehmen lässt und damit auch Europäisierung und Globalisierung ermöglicht hat. Heute also Arbeit 4.0 - vernetzt, digital, flexibel. Wie die zukünftige Arbeitwelt im Einzelnen aussehen wird, ist heute noch offen.

Wir stehen vor einem grundlegenden Wandel der Produktionsweisen. Wachsende Vernetzung und zunehmende Kooperation von Mensch und Maschine ändern nicht nur die Art, wie wir produzieren, sondern schaffen auch ganz neue Produkte und Dienstleistungen.

Welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Organisation von Arbeit und vor allem auch von sozialer Sicherung haben, ist offen, aber wie in den vergangenen Phasen auch durch Gesellschaft und Politik gestaltbar. Das, meine Damen und Herren, ist sicherlich unsere Aufgabe.

Wir müssen dafür sorgen, dass in diesem Prozess der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht die Kommunikation zwischen Maschinen das alleinige Allheilmittel für die Wirtschaft ist.

(Zustimmung von Frau Schindler, SPD)

Wir werden uns anschauen müssen, wie die Digitalisierung unsere Arbeit verändert. Vor allem müssen wir uns fragen, wie es sich verhindern lässt, dass durch die Digitalisierung noch mehr prekäre Lebens- und Arbeitsbedingungen entstehen. Welche Auswirkungen hat das auf die einheimische Wirtschaft? Meine Vorredner sind darauf bereits eingegangen. Gelingt es uns, das Schlagwort der guten Arbeit auch auf den Prozess der Digitalisierung zu übertragen, oder werden wir dort ein digitales Prekariat haben, die sogenannten Crowdworker, die für Pfennig- oder Centbeträge ihre Arbeitskraft auf dem digitalen Markt anbieten?

Das sind Themen, meine Damen und Herren, die uns auch hier in Sachsen-Anhalt bewegen. Auch die Arbeitssicherheit wird dabei eine Rolle spielen. Vielleicht haben Sie es in der Presse gelesen: Am Montag ist im VW-Werk in Baunatal ein Arbeiter zu Tode gekommen; er wurde von einem Roboter zerdrückt. Auch darauf wird man achten müssen.

Schließlich besteht die Frage, was eigentlich passiert, wenn Maschinen untereinander kommunizieren. Auch dies ist ein Trend, der heute bereits absehbar ist. Die Maschinen sind mit künstlicher Intelligenz ausgestattet und mit ihnen können die Arbeitsabläufe immer weiter optimiert werden. Was daraus für unsere Arbeitswelt entsteht, ist noch völlig offen.

Meine Damen und Herren! Industrielle Revolutionen in der Vergangenheit haben immer mehr Arbeit und mehr Reichtum geschaffen, wenn auch zum Teil nach großen Anpassungsprozessen. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass dies so weitergeht. Wir müssen die Chancen der Digitalisierung nutzen. Und wir müssen die Risiken der Digitalisierung beherrschen. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Herr Präsident! Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Graner, die Frage, was passiert, wenn die Maschinen anfangen, miteinander zu kommunizieren, hat uns als Fiktion schon in den 80er-Jahren der erste „Terminator“-Film beantwortet mit „Skynet“ und dieser Horrorvision. Das ist äußert unterhaltsam und spannend und in der Tat ein Thema, mit dem man sich beschäftigen sollte und muss. Insofern freue ich mich auch, dass der Antrag und der Alternativantrag heute auf der Tagesordnung stehen; denn es sind spannende Themen. Allerdings sind wir, wenn wir uns dem Thema widmen, mit dieser Angstvision nicht gut beraten.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielmehr sind wir gut damit beraten, wenn wir die Chancen und Risiken gut abwägen und wenn wir uns als Land Sachsen-Anhalt - darum geht es heute primär - wirklich dem Thema öffnen und auch nach den Anknüpfungspunkten suchen, an denen wir die Chancen der Digitalisierung im Land sinnvoll anpacken können. Die Chancen sind da und liegen im Grunde genommen auf dem Tisch; wir brauchen sie nicht schaffen.

Wir müssen dieses Themenfeld für uns aber ordnen. Wir sollten die Verantwortlichkeiten benennen, dann beherzt zugreifen und Sachsen-Anhalt zu einem Vorreiterland für die Digitalisierung machen, damit wir für die Wirtschaft und für die Bürgerinnen und Bürger im Land Gutes tun, meine Damen und Herren.

Ich bin mir nicht ganz sicher, ob der Antrag, der ohne Frage Gutes will, mit dieser Mischung aus Begrifflichkeiten und Schlagworten, wie er sich zeigt, diese Zielrichtung auch technisch schon richtig aufweist. Der Antrag wirkt ein bisschen wenig strukturiert, auch weil er mit so vielen Begrifflichkeiten umgeht.

Die Begrifflichkeit der Digitalisierung wird als zentraler Begriff einer sich verändernden Gesellschaft, der Wirtschaftswelt und der Kommunikation, aber beispielsweise auch der Einkaufsgewohnheiten, die zum großen Teil im Internet stattfinden, angeführt. Digitalisierung der Wirtschaft ist ein zweiter Begriff, der eingeführt wird. Er bezieht sich heute zum größten Teil auf die Dienstleistungsbranche und auch auf das produzierende Gewerbe und zielt auf die Erhebung von Potenzialen in der Kommunikation der Wirtschaftsakteure untereinander ab. Das wurde bereits gesagt. Auch das ist ein Thema, das seit vielen Jahrzehnten längst stattfindet, das sich aber immer weiter verändert: Vom

Telefon zum Mobiltelefon, zu mobilen Endgeräten, zu Smartphones.

Heute spielt auch die Kommunikation in sozialen Netzwerken eine wichtige Rolle. Die Unternehmen und die Wirtschaft sind hierin längst eingestiegen. Unternehmen kommen heute ohne Profile und aktives Bespielen sozialer Netzwerke gar nicht mehr aus; sie gründen Abteilungen, die sich nur damit beschäftigen, und stellen hochqualifiziertes Personal ein, das für die Kommunikation in diesen Netzwerken ausgebildet ist. Das ist also längst kein Teenie-Kram mehr.

Der Begriff der Industrie 4.0 ist in der Tat ein bisschen blumig, ein Modebegriff, der sich auf die Kommunikation von Menschen mit Maschinen bzw. Maschinen und Produkten untereinander bis hin zum Kunden im produzierenden Gewerbe beschäftigt. Darunter fallen auch die Prozesse, die die Ressourcen- und Energieeffizienz betreffen und diese steigern können. Das ist zum Beispiel ein Thema, das für uns im Land als Bundesland der erneuerbaren Energien, als Mitstreiter bei der Energiewende von elementarer Bedeutung ist. Bei diesem Thema könnte ein Punkt liegen, an dem wir Industrie 4.0 auch politisch gezielt in den Bereich lenken, in dem wir in Sachsen-Anhalt große Potenziale haben, beispielsweise im Bereich Green IT. Da gehen wir mit. Das ist definitiv ein wichtiges Thema.

Es stellt sich die Frage, was das passende Leitmotiv für Ihren Antrag ist. Ich plädiere dabei eher dafür, die Digitalisierung der Wirtschaft als Überbegriff zu wählen. Der Alternativantrag der Koalitionsfraktionen tut das aus meiner Sicht auch. Er ordnet und sortiert ein wenig die Begrifflichkeiten, aber er übernimmt leider die etwas unstrukturierte Form des Antrages.

Ich bin mir nicht sicher, ob es sinnvoll ist, zuerst Fragen zu stellen und die Landesregierung berichten zu lassen. Wir sollten das Thema von der anderen Seite aus angehen, indem wir einen Anstoß geben und indem wir deutlich sagen, wir wollen dem Thema Digitalisierung im Land mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir wollen die Zuständigkeiten ordnen und bündeln. Wir wollen vor allem die Frage beantworten, in welchen Bereichen wir als Land Sachsen-Anhalt unter dem Überbegriff Digitalisierung besonders aktiv werden wollen. Ich habe den Bereich Green IT genannt.

Wir müssen zunächst die Voraussetzungen schaffen, damit das funktionieren kann. Das Thema Breitbandversorgung ist angesprochen worden. Wir beraten dieses Thema alle zwei Monate im Plenum. Es ist schade, dass wir dabei leider immer noch eine Schlussposition einnehmen,

(Zustimmung bei den GRÜNEN und von Herrn Czeke, DIE LINKE)

auch wenn in der letzten Zeit Fortschritte gemacht wurden.

Aber die Frage, wie wir diese flächendeckende Grundversorgung möglichst auch mittels einer Breitbandgarantie darstellen, müssen wir zuerst beantworten, ähnlich wie die Grundversorgung mit Telefonanschlüssen oder der Zugang zu den Postdienstleistungen. Das muss in den nächsten Jahren in Sachsen-Anhalt eine Selbstverständlichkeit werden. Dann sind wir auch besser gerüstet, uns dem Thema Digitalisierung in Sachsen-Anhalt ernsthaft zu widmen.

Ich möchte deshalb dafür plädieren und für meine Fraktion den Antrag stellen, dass wir uns im Wirtschaftsausschuss sowie im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien diesem Thema eingehender widmen. Es lohnt sich, darüber zu diskutieren. Ich fordere daher, den Antrag in die genannten Ausschüsse zu überweisen. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. - Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Thomas.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Industrie 4.0 ist eine Vision, die mit der vierten Industriellen Revolution verglichen wird. Bedingt durch das Internet wachsen zunehmend reale und virtuelle Welten zusammen. Wir alle haben schon den Begriff des Internets der Dinge gehört.

Das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 zielt darauf ab, die deutsche Industrie in die Lage zu versetzen, für die Zukunft der Produktion gerüstet zu sein. Sie ist gekennzeichnet durch eine starke Individualisierung der Produkte unter den Bedingungen einer hoch flexibilisierten Produktion. Kunden und Geschäftspartner sind direkt in Geschäfts- und Wertschöpfungsprozesse eingebunden. Die Produktion wird mit hochwertigen Dienstleistungen verbunden. Mit intelligenteren Monitoring- und Entscheidungsprozessen sollen Unternehmen und ganze Wertschöpfungsnetzwerke in nahezu Echtzeit gesteuert und optimiert werden können. Dazu, meine Damen und Herren, bedarf es einheitlicher Standards sowohl im technischen Bereich wie auch in softwaremäßigen Prozessen.

Die Fraktion die LINKE hat uns heute einen Antrag zur Industrie 4.0 vorgelegt, der in der Tat eine wichtige wirtschaftliche Zukunftsvision auch für Sachsen-Anhalt aufgreift. Es ist richtig, dass man sich rechtzeitig mit den Zukunftsfragen auseinandersetzt. Aber man muss dies mit aller Aufgeschlossenheit tun. Der Antrag der Fraktion DIE

LINKE - damit bin ich ganz bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - geht in der Tat etwas an diesem Thema vorbei.

Deswegen haben wir uns die Arbeit gemacht und haben einen Alternativantrag geschrieben. Die Forderungen in unserem Antrag sind weit mehr an den Erfordernissen für Industrie 4.0 angelegt als die Forderungen in Ihrem Antrag. Wir wollen eine schnelle Umsetzung der Breitbandstrategie. Wir wollen, dass das internationale Ankommen TTIP schnell umgesetzt sind. Denn Industrie 4.0 bedeutet - ich erwähnte es - eine Harmonisierung von Standards; eben dies ist auch Bestandteil von TTIP.

Es wäre schön, wenn die LINKE nicht nur über wirtschaftliche Visionen spricht, sondern diese auch, wie im Fall TTIP, tatkräftig unterstützen würde.

(Herr Czeke, DIE LINKE: Das können Sie aber vergessen!)

Meine Damen und Herren! Dass wir über Datensicherheit reden müssen, ist selbstverständlich. Was aber Ihre Forderung nach einer AntistressVerordnung in einem Antrag zur Industrie 4.0 zu suchen hat, das werden Sie, Herr Thiel, uns gleich noch einmal erklären.

Wir wissen überhaupt nicht, wie sich die künftige Arbeitswelt verändert, aber Sie fordern schon einmal eine Anti-Stress-Verordnung. Bis jetzt hat noch jede industrielle Revolution zu deutlichen Arbeitserleichterung geführt. Jetzt kommt es darauf an, die Vorraussetzungen für Industrie 4.0 herzustellen, und zwar so, dass auch der Mittelstand von dieser Revolution profitiert.

Hierin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liegt die größte Herausforderung. Vielen Unternehmen ist einfach noch nicht bewusst, was auf sie zukommt. Es kommt noch schlimmer: Erstmals könnte sich eine für Deutschland dramatische Kluft zwischen Industrie und Mittelstand auftun, da viele Unternehmen einfach nicht in der Lage sind, finanzielle Mittel und Innovationen zu stemmen.

In der Vergangenheit arbeiteten mittelständische Unternehmen mit der Industrie zusammen, oft eingebunden in normale Wertschöpfungsketten. In Zukunft sind sie stärker denn je gefordert, eigene Innovationen und eigene Lösungen einzubringen. Allein der begleitende Lebenszyklus und die großtechnische Individualität eines Produktes dürften viele mittelständische Unternehmen vor schwerwiegende Herausforderung stellen.

Natürlich, meine Damen und Herren, ist auch die Politik, natürlich sind auch wir gefordert. Gesetze und Richtlinien müssen angepasst werden. Dass wir in diesem Bereich in Deutschland einen enormen Aufholbedarf haben, zeigt eine Reise in das benachbarte Ausland. Dort ist man oft schon viel

weiter, was die Verfügbarkeit von Internetverbindungen und die rechtlichen Rahmenbedingungen angeht. Die Störerhaftung lässt hierbei grüßen.

Technische Standards allein reichen jedoch nicht aus. Der größte Teil der Wertschöpfung im Maschinen- und Anlagenbau, aber auch in der Automatisierung besteht heute schon aus der Softwareentwicklung. Deren Komplexität nimmt weiter stark zu. Softwaresysteme für Industrie 4.0 müssen ökonomisch tragfähig produziert werden, leistungsfähig und zuverlässig sein und trotz wachsender Komplexität beherrschbar sein.

Weitere wichtige Themen sind - ich erwähnte es bereits, will dies aber noch einmal tun - die Datensicherheit, die Schaffung völlig neuer IT-Strukturen, die Qualifizierung sowie natürlich Forschung und Entwicklung. All das, meine Damen und Herren, finden Sie in unserem Alternativantrag.

Wir haben uns etwas mehr Stress als die LINKE verordnet, indem wir das Thema Industrie 4.0 aus einem anderen Blickwinkel betrachtet haben. Ich bitte Sie daher völlig stressfrei, unserem Alternativantrag zuzustimmen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön, Herr Abgeordneter Thomas. - Als Nächster spricht Abgeordneter Herr Dr. Thiel für die Fraktion die LINKE.

Herr Präsident! Ich werde Ihnen jetzt völlig stressfrei erklären, warum wir diesem Alternativantrag nicht zustimmen können. Es gibt einen einfachen Grund, meine Damen und Herren von der Koalition: Er zeigt die unterschiedlichen Ansätze einer Wirtschaftspolitik, die wir hier im Hause vertreten. Wir reden nicht nur über die Technik und die Industrie, wir reden auch über die Belange, die die Beschäftigten betreffen. Dazu findet sich in Ihrem Antrag kein Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

Lieber Kollege Graner, ich habe Ihre Anmerkungen sehr wohl zur Kenntnis genommen. Ich kenne auch das „Grünbuch“ von Frau Nahles. Ich habe mit großem Interesse gelesen, was dort an Diskussionsgegenständen geschrieben wurde. Aber das findet in Ihrem Antrag nicht statt. Deshalb können wir diesem Alternativantrag nicht ohne Weiteres zustimmen.