Protocol of the Session on March 26, 2015

Eine sticht für mich ziemlich unrühmlich hervor, nämlich die angedachte Einführung des sogenannten Konstrukts einer temporären Bedarfsgemeinschaft. Ich möchte das ganz kurz erklären. Im Moment ist es so: Das Kind lebt in der Regel bei der Mutter und ab und an ist es an den Wochenenden oder in den Ferien beim Vater. Es ist eine Konstellation, die so nicht explizit im SGB II ab

gebildet ist. Deswegen hat man sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in der Praxis in der Regel darauf verständigt, dass die Mutter, weil das Kind hauptsächlich dort lebt, einen vollen Regelsatz bekommt. Je nachdem, wie das Jobcenter sich verhält und wie der Vater das darstellen kann, bekommt der Vater eventuell Mehrkosten erstattet.

Jetzt ist diese Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf den, wie ich finde, aberwitzigen Vorschlag verfallen, das taggenau abzurechnen und den Regelsatz immer um den Tag zu kürzen, den das Kind beim Vater verbringt. Das heißt im überspitzten Fall Folgendes: Wenn der Vater sagt, ich nehme das Kind für drei Wochen mit in den Urlaub, dann werden vom Regelsatz, den die Mutter bezieht, drei Wochen abgezogen. Das heißt, für diesen Monat würde die Mutter fast gar keinen Regelsatz bekommen.

(Herr Borgwardt, CDU: Da hat doch aber der Vater die Kosten!)

- Damit kommen wir genau auf den Punkt. - Aber die laufenden Kosten fallen weiter an. Die Mutter muss weiter das Zimmer bezahlen. Die Mutter muss weiter die Kommunikationskosten bezahlen. Die Mutter muss weiter die Vereinsbeiträge bezahlen und dergleichen mehr.

Deswegen sagen wir ganz klar, dass hierbei ein Mehrbedarf anzusetzen ist. Wir wollen, dass das, was auch schon in Einzelurteilen des Bundessozialgerichtes festgelegt worden ist, dauerhaft festgelegt wird. Wir wollen, dass das, was in Artikel 7 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention festgeschrieben ist, dass nämlich jedes Kind das Recht hat, so weit wie möglich seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden, auch und uneingeschränkt für Kinder besteht, die im Regelsatzbezug sind. Der ist nämlich ziemlich begrenzt.

Wir wollen nicht, dass eine Situation entsteht, in der die Mutter vielleicht aus finanziellen Gründen überlegt, ob sie das Kind drei Wochen lang mit dem Vater in den Urlaub fahren lässt oder vielleicht doch nur eine Woche lang, damit sie den Regelsatz in der Höhe bekommt, der ihre Fixkosten deckt. Wir wollen diesen ökonomischen Anreiz nicht; denn für uns ist Folgendes ganz klar: Beide Eltern sollen Umgang mit dem Kind haben. Das ist ein Interesse, das das Kind sehr berechtigt hat.

Ganz nebenbei ist auch zu sagen, dass es eine Pfennigfuchserei ist, wenn man gerade bei den Ärmsten noch taggenau abrechnen will. Vereinfachend - das Gesetz heißt SGB-II-Vereinfachungsgesetz - ist es in keiner Weise; denn ich sehe schon die Jobcenter vor mir, wenn sie gucken müssen, wo das Kind ist und was dort ein Tag kostet.

Deshalb wollen wir das, was in Einzelurteilen bereits vorliegt, als gängige Praxis gesetzlich fixiert

haben, damit auch hier eine klare Regelung vorliegt; denn es ist ganz klar, dass der Vater natürlich Mehrkosten hat; damit hat der Kollege Borgwardt Recht. Er muss das Kind auch im Urlaub mit Essen versorgen. Er muss vielleicht für das Wochenende ein Bett für das Kind zu Hause haben und dergleichen. Insofern ist hierbei ein Mehrbedarf anzusetzen. Wenn die Eltern weit entfernt voneinander wohnen, sind die Mobilitätskosten schon auf der Hand liegend.

Bei dem dritten Spiegelstrich schlagen wir etwas vor, das ganz konkret auf Landesebene zu regeln ist. Der Unterhaltsvorschuss betrifft ganz konkret das Land und die Kommunen. Die Kommunen sind mit dem Eintreiben ausstehender Unterhaltsleistungen betraut. Die sogenannte Rückgriffsquote bildet das ab. Hierbei sind wir mit 17 % am unteren Ende. Ich glaube, dass wir das ändern müssen, auch im Sinne der Kommunen, die auf jede Einnahme angewiesen sind.

Wir halten die Bildung einer Arbeitsgruppe für hilfreich, die aus dem Land, dem Landesjugendamt und den kommunalen Spitzenverbänden bestehen soll. Sie soll schauen, wo es Beispiele für eine gute Praxis gibt. Zum Beispiel hat der Landkreis Wittenberg jetzt jemanden aus der Stadt Wiesbaden eingeladen, die im kommunalen Forderungsmanagement sehr aktiv und sehr hervorragend ist, um allein im Landkreis Wittenberg ausstehende Beiträge in Höhe von 1,4 Millionen € besser eintreiben zu können.

Das trifft die anderen Kreise und kreisfreien Städte in ähnlicher Weise. Sie kennen mich. Sie werden sich also nicht wundern, dass ich eine konkrete Forderung erhebe. Sie lautet: 25 % als Zielstellung für das Jahr 2020. Das Ziel liegt geringfügig über dem jetzigen Bundesdurchschnitt. Insofern halte ich das nicht für überambitioniert. Ich glaube, dass das eine Quote ist, die wir erreichen können.

Jetzt werden einige möglicherweise sagen, dass das keine neuen Vorschläge und nicht nur grüne Vorschläge sind. Das ist richtig. Das ist völlig klar. Wir haben im Prinzip jetzt die Arbeit der Koalition übernommen. Im Koalitionsvertrag auf Bundesebene steht zum Beispiel

(Herr Scheurell, CDU, lacht)

- ja - auf Seite 98 Folgendes - wenn ich das zitieren und in Erinnerung rufen darf -:

„Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beträgt seit seiner Einführung zum 1. Januar 2004 unverändert 1 308 €, er soll angehoben werden.“

Das ist aber bisher nicht passiert. Im Gegenteil, dieses Vorhaben ist in dieser Woche im Kabinett abgelehnt worden. Deswegen sehen wir uns in der Verpflichtung, Sie an Ihren Koalitionsvertrag und

an die Lebenswirklichkeit in diesem Land zu erinnern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Insbesondere weil DIE LINKE einen Änderungsantrag vorgelegt hat, möchte ich auch ganz klar sagen, dass wir in unserem Antrag einzig das formulieren, was realpolitisch notwendig und kurzfristig umsetzbar ist, um die Lebenswirklichkeit von Alleinerziehenden und ihren Kindern tatsächlich zu stärken. Das, was DIE LINKE in ihrem Antrag fordert, haben wir bereits vor einem Jahr hier im Hohen Haus mit der Drs. 6/2909 aufgerufen. Das Thema lautete „Wahlversprechen umsetzen, Kindergeld zeitnah erhöhen, Kindergrundsicherung als Zielvorstellung entwickeln“. Denn - das ist natürlich ganz klar - das, was wir jetzt machen, ist kurzfristig.

Die wirklich grünen Antworten sind ein echtes Familiensplitting und eine allgemeine Kindergrundsicherung. Dahin müssen wir kommen; dann brauchen wir keine Diskussion mehr über den Entlastungsbetrag, keine Diskussion mehr über den Unterhaltsvorschuss und keine Diskussion mehr über die Kinderregelsätze zu führen.

Aber ich halte es an dieser Stelle tatsächlich mit einem - in Abwandlung - bekannten Zitat: Tun wir erst das Machbare und machen wir dann das Unmögliche. Ich bitte um Zustimmung, weil das, was wir hier vortragen, kurzfristig machbar ist. Ich freue mich auf die Beiträge der Kollegen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kollegin Lüddemann, es gibt eine Nachfrage der Kollegin Zoschke. Möchten Sie die beantworten? - Ja. Kollegin Zoschke, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin Lüddemann, ich beziehe mich einmal auf Ihren Punkt 3. Sie fordern, dass der Landkreistag gemeinsam mit anderen einen Arbeitskreis gründen soll, um den Unterhaltsvorschuss in den Landkreisen stärker eintreiben zu können. Ich möchte gern von Ihnen wissen, ob Sie die Bemühungen der Landkreise kennen, mit denen der Unterhaltsvorschuss tatsächlich eingetrieben werden soll, wie Sie sie bewerten und ob Sie wirklich davon überzeugt sind, dass ein weiteres Gremium tatsächlich dazu beitragen kann, hierbei Fortschritte zu erzielen.

(Zustimmung von Frau Hunger, DIE LINKE)

Das ist eine schwierige Frage. Ich sage einmal, dass dabei natürlich auch viel Hoffnung mitspielt.

Ich kenne es durch meine Mitgliedschaft im Jugendhilfeausschuss in Dessau; da wurde das dann immer auf die Spitze getrieben. Da hieß es: Wir können den Haushalt erhöhen, wenn sie das selbst eintreiben; dann können sie den Unterhaltsvorschuss verwenden; dafür richten wir eine Leerstelle im Haushalt ein. - Das hat natürlich nie funktioniert.

Ich halte es nicht für unmöglich - jetzt kann ich wieder dieses Beispiel aus Wittenberg strapazieren -, dass man vielleicht noch einmal zu neuen Erkenntnissen kommt, insbesondere wenn man sich auf gute Beispiele aus anderen Bundesländern besinnt, wie das dort jetzt in der Kooperation mit der Stadt Wiesbaden angedacht ist. Aber es ist ein hoffnungsvoller Punkt an der Stelle, darin gebe ich Ihnen Recht, Kollegin Zoschke.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU, in Rich- tung der LINKEN)

Danke sehr, Kollegin Lüddemann. Es gibt keine weiteren Fragen.

(Heiterkeit)

Für die Landesregierung spricht Herr Minister Bischoff.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von Herrn Borg- wardt, CDU)

Waren das Zwischeninterventionen? - Nein. Dann hat Herr Minister Bischoff das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Zu dem Antrag von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN gleich zu allererst: Frau Lüddemann, die Forderung nach einer stärkeren steuerlichen Entlastung für Alleinerziehende findet meine Unterstützung - ohne Wenn und Aber.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Alleinerziehende Mütter und Väter mit ihren Kindern machen einen wesentlichen Teil der Familien in Deutschland aus. Knapp 20 % der rund 8,1 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern in Deutschland sind Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil. Sachsen-Anhalt liegt dabei mit einem Wert von 26 % deutlich über dem Durchschnitt in Deutschland.

Für Alleinerziehende ist der tägliche Spagat zwischen Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung wesentlich schwerer zu meistern als für eine Familie mit zwei Erziehungsberechtigten. In Deutschland waren im Jahr 2013 rund zwei Drittel der Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren erwerbs

tätig, davon sogar 42 % in Vollzeit. Trotzdem sind Alleinerziehende überdurchschnittlich häufig auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen.

Alle verfügbaren Statistiken weisen für Alleinerziehende auch ein besonderes Armutsrisiko aus. Beide Kennziffern liegen in Sachsen-Anhalt deutlich höher als im Bundesdurchschnitt.

Um die Situation von Alleinerziehenden zu verbessern, fordert die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem vorliegenden Antrag unter anderem eine stärkere steuerliche Entlastung für Familien.

In dieser Woche wurde auf der Bundesebene ein Gesetz mit steuerlichen Entlastungen für Familien auf den Weg gebracht. Vorgesehen ist die Anhebung des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags in den Jahren 2015 und 2016. Darüber hinaus soll das Kindergeld in zwei Schritten angehoben werden. Ich möchte jetzt nichts zu den Beträgen sagen; denn die sind teilweise so gering sind, dass ich nicht weiß, ob man damit nicht eine neue Diskussion darüber heraufbeschwört, ob die tatsächlich angemessen sind. Aber damit wurde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zumindest in diesem Punkt umgesetzt.

In dem Gesetzentwurf - damit haben Sie Recht - wurde der im Jahr 2004 eingeführte und seitdem nicht mehr erhöhte Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nicht berücksichtigt. Diesbezüglich muss nachgearbeitet werden; denn - Sie haben es zitiert - im Koalitionsvertrag steht, dass der damalige Betrag von 1 308 € anzuheben ist und dass eine Staffelung nach der Anzahl der Kinder erfolgen soll.

Die SPD-Bundestagsfraktion - so habe ich es jedenfalls gelesen - hat sich in der letzten Woche für eine Erhöhung auf 1 608 € ausgesprochen. Jetzt bin ich gespannt, wie entschieden wird. Dass Sie uns daran erinnern ist gut, aber es muss auch finanziell untersetzt werden. Das müssen jetzt diejenigen tun, die in Berlin die Regierung bilden.

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Das Erinnern ist immer das eine, das Umsetzen ist dann das andere.

Nun zu Punkt 2 des Antrags der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Forderungen in Bezug auf den Unterhaltsvorschuss sind nachvollziehbar, aber kaum umsetzbar.

Jetzt wissen die alten Hasen hier - das ist nicht immer ein Vorteil, manchmal aber doch -: Noch zu Zeiten, als Herr Professor Böhmer Vorsitzender des Sozialausschusses war - Frau Dirlich kann sich mit Sicherheit daran erinnern -, hat er darum gekämpft, weil er es als ein großes Versäumnis ansah, dass die Männer nicht zahlen. Wir haben im Land verschiedene Anstrengungen unternom

men, um die Unterhaltungszahlungen zu ermöglichen. Uns ist das bei all den Maßnahmen, die wir haben, nicht geglückt. Ich betone: Es geht jetzt um Unterhaltszahlungen, nicht um den Unterhaltsvorschuss.