Und natürlich fehlte das Signal, seinem Nachbarn, seinem Vereinskameraden, seinem Arbeitskollegen, der laut lärmend durch die Straße geht, ins Gesicht zu sehen und zu sagen: „So nicht!“. Hier ist politische Auseinandersetzung nicht anonym. Hier ist sie sehr konkret, weil man sich kennt. Das unterscheidet die Situation in solchen kleinen Orten durchaus von den größeren Demonstrationen in unseren Städten.
Man muss sich zwei Fragen stellen. Die erste Frage, die ich hier aufwerfen möchte, ist: Warum muss man eigentlich in unserer Gesellschaft so tief graben, um banale menschliche Grundzüge von Solidarität und Mitgefühl freizulegen?
Das ist ein ernsthaftes Problem. Kollege Striegel sprach von Kälte; das hat sicherlich auch damit zu tun. Denn niemand flüchtet ohne Grund. Es gibt Angst, es wird aber auch mehr Mut geben, und das muss mit organisiert werden. Denn die Menschen flüchten, weil sie Hilfe brauchen.
Die zweite Frage ist - danach kann man über die Notwendigkeit sprechen -: Warum ist Migration, warum ist Zuwanderung für Sachsen-Anhalt so bedeutsam und so wichtig? Aber diese erste Frage sollte immer im Vordergrund stehen.
Sie haben völlig Recht - das haben viele Redner gesagt -: Der anwachsende Rassismus hat auch Gegenbewegungen hervorgerufen. Das ist der durchaus positive Effekt. Aber sich in kleinen Orten öffentlich zu zeigen ist schwierig, vor allem dann, wenn man nicht Angst vor den Flüchtlingen hat, sondern vor den eigenen Nachbarn.
Das wird weder durch Versammlungsrecht noch durch Erlasse und Gesetze geregelt. Denn der zerstochene Reifen, die zerschlagene Fensterscheibe, das Hakenkreuz an der Flüchtlingsunterkunft sind nicht während einer Versammlung passiert, sondern später in der Illegalität. Ich will das einmal so formulieren. Das ist das, was den Menschen vor Ort in Tröglitz Angst macht. Und ich glaube, da hat Tröglitz kein Alleinstellungsmerkmal. Das bewegt sicherlich viele Menschen in anderen Orten in unserem Land.
Ja, wir wollen eine Willkommenskultur, das ist sicherlich richtig. Aber ich stelle mir die Frage: Warum reichen unsere Programme eigentlich nicht aus? - Es ist eine Menge getan worden in den letzten Jahren. Wir haben das Netzwerk für Demokratie und all diese Dinge. Wenn es aber dann einmal konkret wird, stellen wir auf einmal mit Entsetzen fest: Irgendwo fehlt hier der Haken an der entsprechenden Stelle.
Am vergangenen Dienstag fand eine Beratung in Tröglitz statt. Auf einmal waren mehr als 60 Leute anwesend. Der Ministerpräsident hat teilgenommen, Kollege Czapek war mit dabei, und es war sehr erfreulich festzustellen, dass es vor Ort eine ganze Menge von Ideen gab. Jetzt finden sich gewissermaßen die Menschen zusammen. Jetzt will man ein gemeinsames Signal setzen, um zu sagen: Willkommen, nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in Tröglitz. Alle waren aufgefordert, sich einzubringen.
Es gab eine Menge von Vorschlägen, die da gekommen sind, angefangen bei einem Positionspapier, was man zur Einwohnerversammlung in der nächsten Woche machen würde. Die Kirchengemeinde hat Gesprächsangebote unterbreitet. Der Seniorenklub hat seine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Die Schulleiter haben über das Thema Integration der ausländischen Kinder gesprochen, weil es ein großes Problem ist.
Ich habe auch in Tröglitz gesagt: Man hat nicht nur Angst vor den Fremden, die zu uns kommen; auch die Fremden haben Angst vor uns und davor, in Deutschland zu leben. Das darf man nicht vergessen.
Kollege Striegel hat sehr richtig den Landrat Ulrich genannt, der tatsächlich vor Ort mit einer Menge von Akteuren gemeinsam versucht, die Dinge so auf den Weg zu bringen, dass sich da eine breite Willkommenskultur entwickeln kann. Ein Vorschlag, der gebracht worden ist: einfach einmal in der tagtäglichen Begegnung ein Willkommenslächeln zu zeigen, wenn man auf einen ausländischen Mitbürger trifft. Das sind die vielen, vielen einfachen Dinge. Das ist angesprochen worden.
Mir hat am besten gefallen, was der Vorsitzende des Sportvereins in Tröglitz gesagt hat: Wir wollen eine Initiative starten, das ist im Vorstand so be
sprochen, und zwar ein 1 : 0 für das Willkommen organisieren. Das ist wirklich ein wichtiges Signal.
Deswegen geht es in unserem Antrag nicht alleine um einen verbesserten Schutz für Ehrenamtliche, sondern es geht auch um das Engagement für mehr Zivilcourage. Da ist noch eine Menge zu tun. Wie gesagt, Herr Minister Stahlknecht, mit dem Versammlungsrecht alleine kann man das Problem nicht lösen. Hierbei müssen wir viel tiefgründiger anpacken. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Danke schön, Kollege Dr. Thiel. - Nachfragen sehe ich nicht. Damit schließen wir die Aussprache zum Tagesordnungspunkt ab. Es liegen zwei Drucksachen vor, der Antrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/3901 sowie der Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/3914. Eine Überweisung wurde nicht beantragt. Somit lasse ich zunächst für den Ursprungsantrag der Fraktion DIE LINKE abstimmen. Wer möchte dem zustimmen? - Das sind die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das sehe ich nicht. Dann hat der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit bekommen.
Ich lasse nunmehr abstimmen über den Alternativantrag der Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit hat der Alternativantrag in der Drs. 6/3914 die erforderliche Mehrheit bekommen. Der Tagesordnungspunkt 3 ist erledigt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Familie ist ein hohes Gut, das sehr zu Recht, wie ich finde, durch
unsere Verfassung, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, unter den besonderen Schutz des Staates gestellt wird. Nun ist Familie im 21. Jahrhundert nicht mehr Vater, Mutter, Kind, sondern ein eher weites Feld, und ich finde es gut, dass es inzwischen Konsens ist, dass auch Einelternfamilien eine vollwertige Familie sind.
Die Mütter und auch einige wenige Väter in diesen Familien sind über die Maßen engagiert. Sie tun alles für ihre Kinder. Sie versuchen den abwesenden oder weniger anwesenden Elternteil durch Liebe und Zuwendung zu ersetzen. Aber alle wissen, insbesondere diejenigen, die selber Kinder erzogen haben, dass das bei der Kindererziehung nicht alles ist. Kinder kosten schlichtweg Geld.
An dieser Stelle kommen wir auf eine aktuelle Ungerechtigkeit zu sprechen, die mich wirklich aufregt. Wir alle haben im Laufe dieser Woche vernommen, wie im Bundeskabinett das Kindergeld erhöht wurde - geringfügig, aber immerhin -, die Kinderfreibeträge angehoben wurden, aber der steuerliche Entlastungsbetrag für die Alleinerziehenden nicht angefasst wurde. Nun kann man vielleicht nicht unbedingt erwarten, dass der Finanzminister Sozial- oder Familienpolitik macht, aber ich glaube, man kann vom Bundesfinanzminister erwarten, dass er den Koalitionsvertrag umsetzt. Darin steht eindeutig, dass dieser Entlastungsbetrag angehoben werden soll. Ich komme nachher noch darauf zurück.
Da das nicht passiert ist, die CDU sich schlichtweg geweigert hat, die SPD zwar verbal dafür war, aber nichts erreichen konnte, sehen wir uns als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier in der Pflicht, den Finger dezidiert in die Wunde zu legen und die Koalitionsfraktionen aufzufordern, hierfür im Bund tätig zu werden. Denn gerade für unser Bundesland sind die Regelungen für Alleinerziehende von großer Bedeutung.
Wir haben eine große Zahl an Einelternfamilien und eine sehr hohe Quote an Einelternfamilien im ALG-II-Bezug. Sie beläuft sich auf 27 %. Das ist die bundesweit höchste Quote.
Das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden - das ist im aktuellen Sozialbericht der Landesregierung nachzulesen - beträgt 44 %. Das sind 30 % mehr als der Landesdurchschnitt, der 14 % beträgt. Das ist ein Zustand, gegen den wir ankämpfen müssen. Deswegen hält es meine Fraktion für dringend geboten, hier die Interessen der Alleinerziehenden zu vertreten und die Landesregierung aufzufordern, im Bund tätig zu werden.
Jedes Kind ist gleich viel wert. Das muss auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen gelten. Deswegen möchten wir das Tätigwerden für Einelternfamilien auf mindestens drei Ebenen sehen. Wir
wollen eine steuerliche Besserstellung dieser Familien. Wir wollen den Ausbau der Unterhaltsvorschussleistungen und wir wollen die Ablehnung aller in Rede stehenden Pläne, Alleinerziehende im Rahmen den SGB-II-Vereinfachungsgesetzes noch weiter zu belasten und damit die gemeinsame elterliche Sorge - denn das steht dahinter - zu erschweren.
Ich komme zu Punkt 1. In den Medien wurde viel über den Entlastungsbetrag berichtet. Der steht seit dem Jahr 2004 unverändert bei einer Höhe von 1 308 €. Er ist in die Steuerklasse II eingearbeitet worden. Das ist eine geringfügige Entlastung gegenüber Singles.
Wir als GRÜNE wollen - das ist bekannt - nicht den Trauschein, sondern Familien und Kinder entlasten. Daher halten wir eine Erhöhung dieses Entlastungsbetrages für unumgänglich. Es ist, glaube ich, auch ziemlich nachvollziehbar, dass ein Haushalt, der nur ein Einkommen hat, aber eines oder mehrere Kinder, nicht nur finanziell, aber eben auch finanziell vor besonderen Herausforderungen steht. Das muss die Gemeinschaft honorieren, auch steuerlich.
Wie gesagt, der Entlastungsbetrag ist nicht einmal angehoben worden. Das Kindergeld ist damals im Jahr 2004 von 154 € auf derzeit 184 € angehoben worden. Jetzt ist eine weitere Erhöhung beschlossen worden. Auch der Kinderfreibetrag ist von 5 808 € auf 7 008 € angehoben worden. Eine weitere Erhöhung ist beschlossen worden. Wir fordern daher ganz klar, die Stagnation beim Entlastungsbetrag zu beenden.
Zu Punkt 2. Bei einer Trennung der Eltern entziehen sich - mir ist das völlig unverständlich, aber nun ist die Realität eine andere - viele Elternteile ihrer Unterhaltspflicht. Es gibt auch Eltern, die aufgrund einer eigenen Ausbildung, aufgrund von Arbeitslosigkeit oder zu geringem Einkommen nicht leistungsfähig sind. Für diese Fälle gibt es den Unterhaltsvorschuss. Aufgrund der Sozialsituation im Land wird es kaum erstaunen, dass wir auch hierbei im bundesweiten Vergleich einen Spitzenplatz einnehmen. 7 % der Kinder in diesem Land beziehen Unterhaltsvorschussleistungen. Das lässt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bund ablesen.
Dieser Unterhaltsvorschuss ist ohne sachlichen Grund zweifach begrenzt. Ihn können nämlich nur Kinder bis zum zwölften Lebensjahr bzw. die Sorgeberechtigten und nur für insgesamt 72 Monate in Anspruch nehmen. Aber was ändert sich an der Bedarfslage ab dem 13. Geburtstag oder dem 73. Bezugsmonat? - Nichts. Durch den Wegfall des Unterhaltsvorschusses rutscht meist die Mutter in den ALG-II-Bezug.
ist übrigens auch ein interessanter Aspekt für die morgige Equal-Pay-Diskussion: Was haben alleinerziehende Frauen und Equal Pay miteinander zu tun?
Aber jetzt komme ich wieder zu dem Aspekt, dass die Mutter dann in den ALG-II-Bezug rutscht. Ich finde, es darf in einem so reichen Land wie Deutschland nicht sein, dass man aufgrund von Kindererziehung auf das Existenzminimum, also auf staatliche Alimentierung, zurückgeworfen wird.
Der Unterhaltsvorschuss ist, wie gesagt, sachfremd zweiseitig begrenzt worden. Wir wollen das ändern; denn es darf nicht zulasten der Kinder und Jugendlichen gehen, wenn ein Elternteil sich seiner Unterhaltspflicht entzieht oder dieser nicht nachkommen kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass es nicht nur um Steuertabellen oder um Unterhaltsberechnungen geht, sondern um kleine Menschen, um Kinder und Jugendliche.
In der Realität ist es allerdings so, dass jährlich etwa 1 000 Jugendliche in unserem Land die Unterhaltsvorschussleistungen verlieren, weil sie die Bezugsdauer überschreiten. Das ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Auch hierbei verlangen wir, dass die Landesregierung auf Bundesebene tätig wird. Wir wollen, dass der Unterhaltsvorschuss ausgebaut wird.
Wer unseren Antrag gelesen hat, der wird zur Kenntnis genommen haben, dass wir mit einer Maximalforderung in die Diskussion gehen. Wir orientieren uns an den bestehenden Unterhaltsleistungen nach dem BGB - Sie kennen das alle -: bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder bis zum Abschluss der ersten Ausbildung. Das ist, glaube ich, die gleiche Logik, die man hierbei zugrunde legen muss. Uns ist natürlich auch klar, dass das nicht von heute auf morgen in Gänze zu erreichen ist. Aber im Sinne der Betroffenen ist jedes Jahr und jeder Monat, den man erkämpfen kann, ein Fortschritt. Für uns gilt an dieser Stelle ganz klar: Der Weg mit Meilensteinen der Verbesserung ist unser Ziel.
Zu Punkt 3. Die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker werden die Diskussion über das SGB-II-Vereinfachungsgesetz kennen. Es gibt eine BundLänder-Arbeitsgruppe, die den Reformbedarf identifiziert und bespricht. Es gibt einen bunten Strauß an diskutierten Änderungen.
Eine sticht für mich ziemlich unrühmlich hervor, nämlich die angedachte Einführung des sogenannten Konstrukts einer temporären Bedarfsgemeinschaft. Ich möchte das ganz kurz erklären. Im Moment ist es so: Das Kind lebt in der Regel bei der Mutter und ab und an ist es an den Wochenenden oder in den Ferien beim Vater. Es ist eine Konstellation, die so nicht explizit im SGB II ab