Protocol of the Session on January 30, 2015

Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, der wichtig ist. Herr Minister Bischoff hat ihn bereits angesprochen. Dieser Begriff ist hier mehrmals gefallen. Wir haben keine Bürgerarbeit mehr, was schade ist. Es gibt jetzt zwar Programme auf Bundesebene, die besagen, dass wir wieder mehr für Langzeitarbeitslose tun müssen. Dies allein wird aber nicht ausreichen.

Deshalb, Herr Ministerpräsident, müssen wir in Berlin alle Bemühungen fortsetzen, um zu einem Nachfolgemodell von Bürgerarbeit zu kommen. Ich habe gehört, dass Andrea Nahles, die Bundesarbeitsministerin, mit dem Finanzminister eine Übereinkunft getroffen hat, den sogenannten AktivPassiv-Transfer in einem Bundesland einmal auszuprobieren. Ich würde mich natürlich darüber freuen, wenn wir das vielleicht in Sachsen-Anhalt hinbekommen würden.

Unabhängig davon, dass wir unsere Bemühungen da fortsetzen - in diesem Zusammenhang ist von Norbert Bischoff bereits einiges auf den Weg gebracht worden oder es wird daran gearbeitet -, brauchen wir bei uns im Land einen gemeinwohlorientierten sozialen Arbeitsmarkt.

(Zustimmung bei der SPD)

Dabei reden wir über diejenigen Menschen, die wirklich nicht mehr vermittelbar sind und die auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr haben. Ich denke dabei an die vielen Wohlfahrtsorganisationen, bei denen man die Menschen einsetzen kann. Ich denke aber auch an Sportvereine, an gesellschaftlich aktive Vereine, die man unterstützen kann. Wir machen uns im Moment in der Koalition gemeinsam mit dem Minister Gedanken darüber, wie man hierzu etwas auf den Weg bringen kann.

Ich glaube, beides ist richtig: Wir müssen schauen, dass wir die Langzeitarbeitslosigkeit durch Integration in den ersten Arbeitsmarkt abbauen, um die Fachkräfte auch für die Zukunft zu sichern. Darüber hinaus müssen wir für die Menschen etwas tun, die dauerhaft keine Perspektive mehr auf dem Arbeitsmarkt haben. Das muss der richtige Ansatz in der Arbeitsmarktpolitik sein. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Danke schön, Kollege Steppuhn. Ich habe noch zwei Wortmeldungen. Die Kollegin Dirlich und der

Kollege Gallert würden Ihnen gerne eine Frage stellen. Möchten Sie sie beantworten?

Herr Kollege, ich habe den Anspruch von Hartz IV der Wirklichkeit gegenübergestellt. Ich weiß jetzt noch nicht genau, was daran Nostalgie ist. Aber das können Sie mir einmal woanders erklären. Wenn Sie aus der Kluft, die zwischen beidem besteht, nicht den Veränderungsbedarf erkennen, dann ist das nicht mein Problem.

Zweitens verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit. Man kann doch diesen Zustand nicht beklagen, ohne die Frage zu stellen: Was hat Hartz IV, das die Langzeitarbeitslosigkeit beenden sollte - da bin ich beim Anspruch -, sie aber im Gegensatz dazu verfestigt hat - da bin ich bei der Wirklichkeit -, bisher dazu beigetragen? - Ich frage mich allen Ernstes, wie man diese Frage nicht stellen kann.

Drittens. Vielleicht erklären Sie mir einmal, an welcher Stelle Sie den sozialen Arbeitsmarkt etablieren wollen. Herr Rotter hat vorhin von der Bürgerarbeit gesprochen. Sie war ausdrücklich im sozialen Bereich angesiedelt, Kultur, Sport usw. Ich will das nicht alles aufzählen. Der soziale Arbeitsmarkt, wie ich es bisher gelesen habe, soll im sogenannten ersten Arbeitsmarkt etabliert werden. Ich bitte um Aufklärung!

Zunächst einmal zu der Frage der Kluft. Auch ich bin dafür, dass man die Menschen, die sich jetzt in Hartz IV befinden, perspektivisch besserstellt,

auch von den Leistungen her. Aber ich sage auch: Der Weg geht andersherum. Wir müssen erst dafür sorgen, dass die Arbeit der Menschen bei uns im Land besser bezahlt wird. Dazu haben wir mit dem Mindestlohn einen Anfang gemacht. Dann, wenn wir gute Arbeit nach vorne entwickeln, wenn die Arbeitsbedingungen besser werden, wenn die Entlohnung besser wird, kann man auch in diesem Bereich zu besseren Leistungen kommen.

Zum Thema sozialer Arbeitsmarkt. Der Herr Kollege Rotter und ich haben uns in der Öffentlichkeit schon dazu geäußert, wie unsere Vorstellungen sind. Wir müssen deutlich machen, was wir im Land dafür tun. Das, was wir da tun, muss sich dann auch im sozialversicherungspflichtigen Bereich wiederfinden.

Aber man darf eines nicht miteinander verwechseln: Es gibt zwei verschiedene Programme, die von Andrea Nahles auf den Weg gebracht werden. Bei dem einen Programm, das sicherlich auch wichtig ist, geht es um die Frage der Integration

in den ersten Arbeitsmarkt, wo dies möglich ist. Des Weiteren gibt es ein Programm, bei dem man speziell für langzeitarbeitslose Menschen, die keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben, etwas im Bereich der zusätzlichen Beschäftigung tut. Das ist ein Bereich, über den wir nachdenken.

Ich habe sehr deutlich gemacht: Das, was wir ergänzend tun, das, was der Minister gesagt hat, beispielsweise im Bereich ESF-Mittel, soll sich in einem Bereich abspielen, in dem es nicht darum geht, etwas zum ersten Arbeitsmarkt hin zu entwickeln. Wenn natürlich jemand die Chance hat, in den ersten Arbeitsmarkt hineinzukommen, dann muss man das immer tun. Das sollte man nie ausschließen.

Ich glaube - darüber denken wir nach -, wir brauchen etwas für Menschen - auch im gesellschaftspolitischen Bereich, in dem es Perspektiven gibt -, die sich dann in einem Bereich wiederfinden, in dem gesellschaftlich wichtige Arbeit in Vereinen, bei sozialen Trägern stattfindet - natürlich immer nur dort, wo dies nicht in Konkurrenz zum ersten Arbeitsmarkt steht.

Danke schön. - Ich werfe gerade einen Blick auf die Uhr. Wir haben noch weitere Wortmeldungen. Kollege Gallert.

Kollege Steppuhn, natürlich ist es jetzt für Sie keine komfortable Situation, in einer Debatte sprechen zu müssen, in der man zehn Jahre zurückschaut. Aber ich meine, wer die Zukunft gestalten will, sollte aus der Vergangenheit lernen. Diesen Satz kennen auch Sie. Deswegen ist eine Analyse richtig.

Nachdem Sie erst einmal alle anderen, sprich die GRÜNEN und uns, beschimpft haben - das schien schon in einer Art und Weise arrogant;

(Beifall bei der LINKEN)

vor allem die Reaktion auf die Ausführungen von Frau Lüddemann fand ich schon grenzwertig -, haben Sie die Hartz-IV-Reformen an verschiedenen Stellen selber strukturell kritisiert. Dabei ging es nicht um Marginalien, sondern sehr wohl um den Kern der Debatte. Zum Beispiel war der Umstand, dass Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben, mit Hartz IV nach einer relativ kurzen Zeit faktisch in den Bereich der Sozialhilfe kamen, ein Kernziel der Zusammenführung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld, de facto in das System der Sozialhilfe.

Wenn Sie selber wissen, dass man strukturelle Dinge kritisieren muss, dann finde ich es nicht gut, dass Sie am Anfang Ihrer Rede Überlegungen, die auch bei uns umstritten sind, etwa zum

bedingungslosen Grundeinkommen, in einer Art und Weise denunzieren, die mehr über Sie aussagt als über die Menschen, die darüber nachdenken.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Kollege Gallert, das war keine Beschimpfung.

(Herr Grünert, DIE LINKE: Ach nee!)

Ich bin für eine realistische Diskussion.

(Unruhe bei der LINKEN)

Natürlich kann die Opposition kritischer mit den Dingen umgehen; sie kann auch mehr fordern. Ich habe nur deutlich gemacht, dass ich in der arbeitsmarktpolitischen Debatte auch vor dem aktuellen Hintergrund, dass wir andere Probleme haben als vor zehn Jahren, auch über die Zukunft reden möchte, und nicht nur über die Vergangenheit.

Es ist so - dazu stehe ich auch -, dass wir selber sowohl als Partei als auch als Fraktion zu Hartz IV sehr schwierige Debatten gehabt haben. Wir sind aber lernfähig und können kritisch mit der Vergangenheit umgehen.

(Zuruf von der LINKEN: Nein!)

Aber ich bin trotzdem dafür, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern, Antworten für die Zukunft geben und nicht nur über gestern reden.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Steppuhn, es liegen jetzt noch drei Wortmeldungen vor. Ich würde es dabei bewenden lassen, auch wenn Sie bereit sind, mehr zu beantworten. Zunächst hat Kollegin Bull, dann Kollege Czeke und abschließend Kollege Mormann das Wort, wenn Sie diese Fragen beantworten wollen.

Wir dürfen Gäste begrüßen, die den Schluss der Aktuellen Debatte verfolgen werden. Es sind Schülerinnen und Schüler der Fröbelschule in Halle. Herzlich willkommen im Landtag von SachsenAnhalt!

(Beifall im ganzen Hause)

Ja, Herr Kollege Steppuhn, über zukünftige Modelle werden wir noch oft reden. Das haben wir auch

schon oft getan. Da bin ich bei Ihnen. Aber erst einmal gehört ein klarer Blick auf die Dinge, die in der Vergangenheit geschehen sind, zur Wahrheit dazu. Deshalb meine Frage.

Sie haben vorhin gesagt, rückblickend sei es ein Fehler gewesen, die Hartz-IV-Gesetze nicht mit einem Mindestlohn, in welcher Höhe auch immer, zu verbinden. Dem würde ich zustimmen. Es ist manchmal so, dass man unerwartete Entwicklungen im Nachhinein korrigieren muss. Deshalb meine Frage: War es nicht vielmehr die Absicht dieser Hartz-IV-Reformen, einen Niedriglohnsektor weit, weit jenseits tariflicher Bestimmungen zu installieren, eben weil die Philosophie bestand, dass man nur durch diese Art von im Raum stehender Drohung Menschen zur Arbeit bewegen könne?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Frau Kollegin Bull, ich stimme Ihnen zu. Es gab in der Vergangenheit, vor mehr als zehn Jahren, gesellschaftliche Kräfte, auch in der Politik, sicherlich auch in verschiedenen Parteien, die sich erhofft haben, dass man, indem man niedrigere Löhne durchsetzt, zu mehr Arbeitsplätzen kommt.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Machen Sie es mal nicht so anonym! - Herr Gallert, DIE LINKE: Herr Schröder, zum Beispiel!)

Es gibt durchaus politische Kräfte, die gesagt haben: Das ist der richtige Weg.

(Herr Höhn, DIE LINKE: Die SPD!)

Ich habe ihn schon immer für falsch gehalten. Wir werden an dieser Stelle jetzt auch Korrekturen erleben, zum Beispiel mit dem Mindestlohn. Ich möchte noch eines zum Thema Mindestlohn sagen: Damals, als Hartz IV beschlossen worden ist, haben noch nicht einmal die Gewerkschaften die Forderung nach einem Mindestlohn so richtig vorgebracht.

(Herr Gallert, DIE LINKE: Die waren gegen Hartz IV!)