Protocol of the Session on September 8, 2011

Herr Erben, Sie haben gebeten, Ihnen Fälle zu nennen. Ich habe selbst erlebt, dass ein Polizist in einem geschlossenen Einsatz mich geschnappt und eine entsprechende Haltung eingenommen hat. Vorher hatte ich ihn nach seinem Namen gefragt. Es waren andere Personen, auch mit Presseausweis, dabei, die das verfolgt haben. Er hat mich einfach geschnappt, hat mich weggestoßen und gesagt: Hau ab, du Wichser. - Das Ganze habe ich dadurch dokumentieren lassen, dass ich den Einsatzleiter gebeten habe, diesen Menschen zu verfolgen. Über Funk ist dann an alle Beamten gegangen, dass einer gesucht wird. Er war natürlich nicht mehr da.

Und die Entschuldigung des bei der Polizei Zuständigen - ich weiß nicht, ob es der Präsident war; ich weiß nicht, ob ich den Brief noch zu Hau

se habe - lief darauf hinaus, dass dieser Mensch nicht identifiziert und somit nicht aufgefordert werden konnte, sich für diese Sache zu entschuldigen. Ich sage Ihnen, wenn ich damals auch nur eine Nummer gesehen hätte, dann hätte man ganz anders reagieren können.

(Beifall bei der LINKEN)

Das war ja keine Frage.

Das war eine Schilderung von Erlebtem und keine Frage. Wir fahren in der Debatte fort.

(Zurufe von der LINKEN)

- Ja, das ist Ihr Recht. - Als nächster Redner spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Striegel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Debatte ging es bis jetzt auch eine ganze Zeit lang um Gefühle. Ich glaube, dass sich der Tagesordnungspunkt und das Thema nicht dafür eignen, eine lange und breite Debatte über Gefühle zu führen. Vielmehr diskutieren wir heute über die Frage, welche Art von Polizei wir in diesem Land haben wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU und bei der LINKEN)

Ich bin für jeden sachlichen - ich betone: sachlichen - Beitrag, Herr Rosmeisl, dankbar. Wollen wir eine offene, eine transparente, eine rechtsstaatlich arbeitende Polizei, eine Bürgerpolizei, die serviceorientiert ist?

(Zuruf von der CDU: Die haben wir! - Weite- re Zurufe von der CDU)

- Wunderbar. Dann haben wir doch an einer Stelle schon einmal Einigkeit. - Dann müssen wir uns bloß noch darüber verständigen, ob diese offene, transparente und rechtsstaatliche Polizei gleichzeitig ein Closed Shop oder eine Blackbox sein kann, auf die Bürgerinnen und Bürger keinen Zugriff haben, wenn es darum geht, individuelle Verantwortlichkeiten feststellen zu lassen. Und da lohnt der Blick in die Geschichte, meine Damen und Herren.

(Herr Borgwardt, CDU: Jetzt wird es interes- sant!)

Er lohnt, weil er einerseits die Erkenntnis erbringt, dass es im angelsächsischen Bereich überhaupt keine Frage ist, ob Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gekennzeichnet werden. Das passiert dort seit mindestens 1860. Von dort ist mir nichts bekannt über entsprechende großflächige Verfolgungsaktionen gegenüber Polizeibeamtinnen und

Polizeibeamten in ihren Wohngegenden oder auf ihrem Nachhauseweg.

Ich sage sehr deutlich, dass ich das ernst nehme; denn der Staat hat eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beamtinnen und Beamten. Wir müssen sie auch in ihrem Privatleben, im Übrigen gemeinsam mit ihren Familien, ihren Angehörigen und ihren Freunden, vor Verfolgung und Nachstellung schützen. Deswegen ist das, was dort irgendjemand ins Internet gestellt hat, eine Schweinerei. Es ist zurückweisen. Wer zu Gewalt gegen Menschen aufruft, dem sollten die Folgen der Strafgesetze drohen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zurufe von der CDU)

Aber, meine Damen und Herren, es lohnt auch der Blick zurück in die deutsche Geschichte. Es ist nicht so, dass wir in Deutschland noch nie eine Polizeikennzeichnung gehabt hätten. Wir hatten eine. Mit der Aufstellung der Berliner Bürgerpolizei im Jahr 1848, die nicht mehr eine monarchische war, sondern eine von der bürgerlichen Revolution und den Revolutionären getragene Polizei war, kam auch eine Kennzeichnung: Der Schutzmann trug an seinem Zylinder eine Nummernkennzeichnung.

(Unruhe bei der CDU)

Ein paar Jahre später wanderte diese von der Mütze auf die Epauletten. Mit den Restaurationsbemühungen, mit dem Wiedererstarken der Monarchie war auch die Kennzeichnungspflicht wieder verschwunden.

Genau das ist der Zusammenhang. In einer demokratischen Polizei, von der Revolution erarbeitet, braucht niemand Angst vor Kennzeichnung zu haben. Das ist überhaupt kein Problem. Nur in einer Monarchie oder in Staaten, die Transparenz und Kontrolle nicht so stark wünschen, macht eine Kennzeichnung keinen Sinn und wird zurückgewiesen.

(Oh! bei der CDU)

Die Legitimationspflicht, die wir bisher im SOG haben - der Kollege Erben hat darauf verwiesen -,

(Zurufe von der CDU)

greift leider nicht. Sie greift genauso wenig wie die Erlasslage. Ich bin dem Herrn Minister dankbar dafür, dass er zumindest darauf achten will, dass die Erlasslage mit Blick auf den Dienst in nichtgeschlossenen Einheiten umgesetzt wird, dass also die Namensschilder getragen werden.

Die Legitimationspflicht greift nicht. Der Kollege Lange hat seine Beispiele erwähnt. Ich kann entsprechende Beispiele meinerseits hinzufügen, und ich kann aus dem Erfahrungshorizont von jemandem, der sich öfter im Demonstrationsgeschehen bewegt - ich denke, das ist ein legitimes Bürgerrecht in diesem Land, wenn es denn friedlich, ge

waltfrei und ohne Waffen geschieht -, berichten, dass man eben nicht Auskunft erhält.

(Unruhe bei der CDU)

Der Kollege Erben hat die Frage aufgeworfen, welche Folgen die Regelung denn für den Einsatz von Beamtinnen und Beamten aus anderen Bundesländern in Sachsen-Anhalt hätte. Ich kann es Ihnen sagen und Sie sollten es, denke ich, wissen: Dienstrechtlich hat das überhaupt keine Folgen, weil sie dienstrechtlich noch immer ihrem eigenen Dienstherrn unterstehen. Und solange der keine Kennzeichnungspflicht regelt, gilt diese für sie nicht, auch wenn wir sie hier im SOG regeln. Das ist aber kein Grund, von einer Kennzeichnungspflicht in Sachsen-Anhalt abzurücken.

Ich möchte auf Ihren Kollegen, auf einen Parteigenossen von Ihnen verweisen,

(Minister Herr Stahlknecht: Einen Genos- sen?)

- einen Genossen -, der den Sozialdemokraten in der Polizei vorstand.

(Herr Erben, SPD: Sagen Sie den Namen!)

- Jörg Kramer. - Er sagt:

„Übergriffe und Straftaten in unseren Reihen dürfen nicht in falsch verstandenem Korpsgeist verdeckt werden. Die Förderung der Zivilcourage und die Kultivierung der Selbstreinigungskräfte innerhalb der Polizei brächte für meine Kolleginnen und Kollegen ein neues Selbstverständnis und größere Berufszufriedenheit.“

Es gibt also durchaus auch Polizistinnen und Polizisten, die eine Kennzeichnungspflicht befürworten.

Was spricht für eine Kennzeichnung? - Für eine Kennzeichnung spricht das Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit, der effektive Rechtsschutz, die Veränderung des Machtgefälles zwischen dem Bürger und der Polizei, eine Demokratisierung der Polizei und eine Veränderung der Polizeikultur, weil die Debatte über Fehler innerhalb der Polizei auch ganz anders geführt werden kann. Ich gehe davon aus, dass Polizistinnen und Polizisten, weil sie Menschen sind, auch Fehler machen. Das ist so lange kein Problem, solange eine Aufklärung dieser Fehler vorgenommen werden kann.

(Minister Herr Stahlknecht: Das geschieht!)

Die Kennzeichnung kostet kaum Geld und sie kostet keine Einbußen bei der inneren Sicherheit. Sie stärkt letztlich das, was die Polizei am nötigsten hat, nämlich das Vertrauen.

(Zuruf von der CDU: Quatsch!)

Ich sage Ihnen, Herr Stahlknecht, auch: Nicht einmal Sicherheitsbedenken sprechen gegen diese

Kennzeichnung. Denn selbst Spezialeinheiten wie das Berliner SEK führen inzwischen Kennzeichen. Sie führen sie, weil es Vorkommnisse gab, bei denen man hinterher sagen musste: Wir hatten keine Chance zu identifizieren, welcher Beamte im konkreten Fall für ein Körperverletzungsdelikt verantwortlich war. Dazu sind die Gerichtsverfahren gelaufen.

(Zurufe von der CDU)

Es konnte nicht zweifelsfrei ein Täter festgestellt werden. Deshalb trägt das Berliner SEK eine Kennzeichnung.

Ich möchte Ihnen auch sagen, warum die von Ihnen vorgeschlagene taktische Kennzeichnung eben nicht ausreichend ist. Wir haben das in Berlin probiert. Die Berliner Polizei hat eine taktische Kennzeichnung gehabt, bevor sie ihre individuelle Kennzeichnung eingeführt hat.

(Zurufe von der CDU)

Es war klar, dass sie vor demselben Problem steht wie vorher: Der individuell Handelnde ist nicht feststellbar.

Deswegen werbe ich noch einmal dafür, lassen Sie uns eine sachliche Debatte führen. Lassen Sie uns feststellen, wie wir es hinbekommen, dass wir Polizistinnen und Polizisten effektiv vor Nachstellung und Verfolgung schützen können. Aber lassen uns auch an die Bürgerrechte in diesem Land denken und lassen Sie uns die Bürgerrechte stärken. Zu diesen Bürgerrechten gehört es, dass nachgeschaut werden kann, welcher Polizist individuell handelnd war. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Herr Kollege Striegel, es gibt eine Anfrage des Abgeordneten Borgwardt. Auf die Antwort, wenn Sie sie geben möchten, sind nicht nur wir gespannt, sondern auch Schülerinnen und Schüler des Norbertusgymnasiums sowie der Integrierten Gesamtschule Regine Hildebrandt in Magdeburg.