Protocol of the Session on October 17, 2014

25 Jahre nach diesem Datum und 24 Jahre nach der Wiedervereinigung kann man auch über die gemachten Fehler reden. Man kann bedauern, dass die Wiedervereinigung keine Korrekturen von schon lange anhaltenden Fehlentwicklungen im Westen bewirkt hat, dass bis heute keinen einzigen Dax-Konzern gibt, der seinen Hauptsitz im Osten Deutschlands hat, dass wir immer noch ein geringeres durchschnittliches Einkommen haben und die Abwanderung dramatisch war. All das und vieles mehr kann man beklagen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, nach Abwägung aller Umstände kann man doch sagen, die deutsche Einheit ist zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Allen - ich betone: allen -, die daran mitgewirkt haben, gilt bis heute meine tiefe Dankbarkeit.

(Beifall im ganzen Hause)

Katrin Budde hat den Spruch genannt: Zur richtigen Zeit das Richtige tun. Das ist wohl wahr: Viele haben damals zur richtigen Zeit das Richtige getan. Einer gehört insbesondere dazu, nämlich Helmut Kohl, der Kanzler der deutschen Einheit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Frau Budde, SPD, und von Frau Niestädt, SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass die DDR und der Ostblock wirtschaftlich am Boden lagen, schmälert nicht die Bedeutung des Frei

heitswillens der Menschen. Protokollfetzen zu veröffentlichen, um einen Buchverkauf anzukurbeln, und dann an einem Denkmal zu kratzen, ist nicht der Würde der heutigen Debatte angemessen.

(Beifall bei der CDU)

Zitate wie: „Die Ossis kommen nur wegen der Bananen.“, aus sozialdemokratischen Mündern, muss ich hier auch nicht erwähnen. Das gehört nicht hierher.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Ich glaube, wir haben heute anderes zu besprechen.

(Beifall bei der CDU)

Es gab auch politische Kräfte, die den Menschen aus dem Osten eine Opferrolle eingeredet haben und so ein Verlierergefühl transportierten. Die Resignation in manchen Köpfen hat auch dazu geführt, Chancen und Möglichkeiten der letzten Jahre zu vergeben. Diese politischen Kräfte müssen sich nach ihrer Mitverantwortung dafür fragen lassen.

Wir wissen, dass es heute immer noch einigen schwerfällt und dass es nicht ohne Kontroverse geht, die DDR als einen Unrechtsstaat zu bezeichnen, obwohl er es doch war und es die Lebensbiografien der Menschen, die in ihm gelebt haben, nicht entwertet.

Die DDR war nicht deshalb ein Unrechtsstaat, weil sie eine ungerechte Straßenverkehrsordnung oder ein schlechtes Erbschaftsrecht gehabt hätte. Die DDR war ein Unrechtsstaat, weil der Gesetzgeber zur Gesetzgebung nach rechtsstaatlichen Maßstäben nicht befugt war. Denn freie, gleiche und geheime Wahlen in einem Wettbewerb politischer Kräfte hat es in der DDR bis zum Jahr 1990 nicht gegeben. Eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und eine Verfassungsgerichtsbarkeit fehlten vollständig. Die Justiz war zu keinem Zeitpunkt unabhängig.

Ein Großteil des Volkseigentums hatte seinen Ursprung in Enteignungen, für die es keine rechtsstaatlichen Grundlagen gab.

Die Diktatur des Proletariats hat im Einzelfall Gesetze erlassen, die vernünftig waren. Das praktizierte Recht im konkreten Gesetz und der Charakter des Staates, der es hervorbrachte, sind aber strikt zu unterscheiden. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in einem Rechtsstaat kann Unrecht geschehen, in einer Diktatur aber hat Unrecht System.

(Beifall im ganzen Hause)

Diese Tatsache sollte niemand verwischen. Auch die von Jahr zu Jahr stärker verblassenden Erinnerungen an die DDR dürfen zu dieser Verwischung nicht beitragen. Politische Bildung ist der einzige

Weg, dem entgegenzuwirken. Die Instrumente der Landeszentrale für politische Bildung und die Unterrichtsgestaltung an den Schulen dafür zu nutzen, versteht sich von selbst.

Ich möchte auch an dieser Stelle noch einmal bekräftigen, dass es sinnvoll ist, die Stelle der Landesbeauftragten für die Stasiunterlagen neu auszurichten. Künftig soll die Aufarbeitung der SEDDiktatur auch in anderen Bereichen als nur der Arbeit der Stasi gelingen. Der Opferverband Stalinistisch Verfolgter soll im Landeshaushalt befähigt werden, seine wichtige Arbeit fortzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freiheit ist nie geschenkt, immer nur gewonnen. Sie beinhaltet letztlich die Verpflichtung, sie zu gestalten, vor allen Dingen auch hier in diesem Haus. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke schön, Kollege Schröder. - Als Nächste spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Bull.

Sehr verehrte Damen und Herren! Das, was es nach 25 Jahren zu feiern gibt, nämlich den Herbst 1989 - dieser Herbst begann schon sehr viel früher. Er begann, als sich vor weit mehr als 25 Jahren damals noch vergleichsweise wenige Menschen getraut haben, laut und deutlich Einspruch zu erheben.

Sie haben nicht nur den Widerspruch erhoben, sie haben den Widerspruch gelebt; den Widerspruch dagegen, dass ihnen das verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung vorenthalten wurde, und das vor allem dann, wenn sie die Dinge anders gesehen haben als die Staatspartei SED oder wenn sie gar keinen Sozialismus wollten oder wenigstens nicht so einen, den Widerspruch dagegen, dass ihnen verwehrt wurde, das in öffentlichen Räumen laut und deutlich vernehmbar zu tun, nämlich das Demonstrations- und Versammlungsrecht zu nutzen, den Widerstand dagegen, dass es keine freien und demokratisch legitimierten Wahlen gab, dass es nicht einmal eine Auswahl gab.

Diejenigen, die im Herbst 1989, aber vor allem die, die schon lange zuvor widersprochen hatten, taten das mit hohem persönlichen Risiko. Sie sind offen und subtil benachteiligt worden, sie mussten Einschränkungen in ihrer Biografie hinnehmen, sie wurden gegebenenfalls gänzlich ihrer Perspektive oder ihres Lebens beraubt, sie sind politisch verfolgt worden und manchmal einfach nur wegen Banalitäten.

Heute, im Herbst 2014, ist, wie wir finden, ein guter Anlass, zu sagen: Ihnen gebührt Respekt, Wertschätzung und auch Wiedergutmachung.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Vor allem aber muss der Anspruch bleiben, sich immer und immer und immer wieder auf den Weg zu machen, sich solch anstrengenden Vorgängen wie Demokratie und Teilhabe zu stellen; denn wer Zukunft gestalten will, muss sich der Vergangenheit stellen.

Gelebte Demokratie ist kein Pappenstiel, sehr verehrte Damen und Herren. Nein zu sagen ist immer anstrengend. Jeder hat in seiner Biografie Punkte gehabt, bei denen man vor der Frage stand: Spricht man oder schweigt man. Und viel zu oft schweigt man dort, wo man sprechen müsste.

Eine andere Gesellschaft zu fordern gestaltet sich auch heute noch nicht gerade zu einer leichten Übung. Anders gesagt: Es auszuhalten und sich diskursiv, das heißt demokratisch, darauf einzulassen, dass über eine andere Gesellschaft nachgedacht wird, das scheint auch heute noch eine Herausforderung zu sein.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Aber Freiheitsberaubung und politische Verfolgung stehen darauf hierzulande und heute nicht.

Ungerechtigkeiten, Ausgrenzung und Benachteiligung politisch Andersdenkender gibt es im Übrigen auch in einem Rechtsstaat und auch in einer Demokratie. Da fielen mir ausreichend Beispiele ein. Ich will nur ein interessantes anbringen: Schon 2012, vor zwei Jahren, gab es in Niedersachsen einen gemeinsamen Antrag der GRÜNEN, der LINKEN und der SPD mit dem Anliegen, die Berufsverbote in der Bundesrepublik Deutschland aufzuarbeiten und Rehabilitation für die damals Betroffenen einzufordern. Respekt, meine Damen und Herren! Auch das gehört zur Demokratie und das macht Demokratie und Rechtsstaat möglich.

Im Unterschied zum Realsozialismus in der DDR gibt es in einem Rechtsstaat verlässliche demokratische Grundrechte, die es zumindest möglich machen, sich zu wehren, sei es mit den Mitteln der Öffentlichkeit, der Medien, des Rechts, mit Wahlen und der gleichen mehr.

Ich kann das vergleichsweise aktuell und konkret machen: Der Fraktionsvorsitzende der LINKEN in Thüringen ist jahrelang vom Verfassungsschutz beobachtet worden. Aber er konnte klagen, er konnte gewinnen. Das ist meiner Meinung nach der eigentliche Punkt: Er konnte klagen und hat gewonnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Skandal um das Versagen des Verfassungsschutzes ist von Journalistinnen und Journalisten recherchiert und aufgedeckt worden. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, dass die Redakteure der damaligen „Freiheit“ - das ist der Vorgänger der „Mitteldeutschen Zeitung“ und der „Volksstimme“ - auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätten, die heimliche und unheimliche Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit im eigenen Blatt auch nur zu thematisieren.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn es um den Rückblick auf den Herbst 1989 geht, dann geht es immer noch stärker um das Davor als um das Danach. Ich finde, das hat Gründe. Es liegt auch daran, dass viele Fragen noch nicht gestellt, geschweige denn diskutiert oder gar beantwortet worden sind. Vieles ist nicht ausgesprochen worden. Ich finde, wir reden nach wie vor übereinander und nicht ausreichend miteinander oder zumindest sehr selten.

Ich finde, es beginnt die Zeit, dass Gespräche miteinander möglich werden, und zwar Diskussionen im besten Sinne des Wortes. Beispielsweise zwischen der ehemaligen Sekretärin - damals sagte man Sekretär - der SED-Bezirksleitung und dem Wissenschaftler, der seinen Hut nehmen musste, weil er nicht nur gedacht, sondern aufgeschrieben hatte, was er gedacht hatte. Absurderweise, meine Damen und Herren, sind manchmal beide sogar Mitglied der SED gewesen.

Oder zwischen dem ehemaligen IM, der sich auf der von der „Bild“-Zeitung 1990 veröffentlichten Liste wiederfand, das allerdings zu keinem Zeitpunkt verschwiegen hatte und sich damals wie heute mit seiner Vergangenheit und Verantwortung auseinandergesetzt hat, und denjenigen, die vom MfS damals drangsaliert wurden.

Das ist keineswegs so abstrakt, wie es sich anhört, meine Damen und Herren. Dahinter steckt mindestens ein konkretes Angebot. Ich weiß, dass das eine Herausforderung ist und sein muss, vor allen Dingen für diejenigen, die sehr viel riskiert haben, oder für diejenigen, die durch das Agieren der Staatspartei SED schwerwiegende Brüche hinnehmen mussten. Unter diesen Voraussetzungen aufeinander zuzugehen ist in der Tat schwer. Ich denke aber, dass das eine Herausforderung ist, die sich für alle Beteiligten lohnen würde.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! In manchen Ohren mag es absurd klingen, aber aufgrund des Scheiterns und des eigenen Versagens - viele Mitglieder meiner Partei waren damals schon in politischer Verantwortung, ich auch; dies ist durch den Druck von außen geschehen, das zu sagen gehört ehrlicherweise dazu - haben wir viel Bedarf gehabt, nachzudenken, umzudenken, Fragen zu stellen, andere

Fragen unbeantwortet zu lassen, mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Die Frage an uns ist weder unberechtigt noch uninteressant: Was hat die LINKE hier einzubringen, was haben wir dazu zu sagen?

Gerade Anfang der 90er-Jahre hatten wir sehr viel Diskussionsbedarf über unsere Vergangenheit. Es wäre unglaubwürdig, zu sagen, das wäre in meiner Partei überall und zu jeder Zeit erfolgreich gewesen. Wir sind darin ein Spiegel der Gesellschaft insgesamt. Ich glaube, es wäre ebenso vermessen, zu sagen, unsere Strategie, unsere Biografien von uns aus selbst aus eigener Initiative, mit eigener Kritik zu versehen, offenzulegen, wäre zu jeder Zeit aufgegangen. Auch das nicht.

Der Beginn der rot-roten Koalition in Brandenburg vor fünf Jahren war ein Beleg dafür. Ich finde es nach wie vor trotzdem richtig. Trotzdem gibt es in meiner Partei sehr viel Expertise, die gefragt und vor allem hinterfragt und durchaus auch in Zweifel gezogen werden soll.

Wie hat die Gesellschaft in der DDR funktioniert? - Dabei wünschte ich mir sehr viel mehr Fragen als vorgefertigte Antworten oder gar Angriffe. Ich will das einmal persönlich illustrieren: Ich habe mich in den letzten Tagen erinnert und öfter gefragt. Ich war damals Mitglied der FDJ-Bezirksleitung. Anfang September kursierte ein Papier, mit einer alten Schreibmaschine „Erika“ geschrieben, mit dem Aufruf des Neuen Forums. Ich empfand es schon damals nicht als wirkliches Teufelszeug, was darin stand. Darum muss ich mich heute fragen: Was war mein Problem? Was war mein Irrtum? Was waren meine Irrtümer?

Es gibt einen ganz zentralen Irrtum. Es war meine Annahme, meine Überzeugung, eine vermeintlich gute Idee oder ein Projekt könnte durch Widerspruch, durch seine Infragestellung Schaden nehmen. Das hieße nichts anderes, als Demokratie als Gefahr zu begreifen.

Heute weiß ich, genau das Gegenteil ist der Fall. Etwas, was Zukunft hat, kann durch Demokratie gestärkt werden, weil es dadurch besser wird, weil es hinterfragt wird, weil es zu einem gemeinsamen Vorhaben wird.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Zustim- mung von Frau Budde, SPD)