Protocol of the Session on October 17, 2014

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN - Zustim- mung von Frau Budde, SPD)

In demokratischen Parteien ist das durchaus gang und gäbe.

Meine Damen und Herren! Auch uns bewegen Fragen an die, die damals zur Opposition in der DDR gehörten oder die in Blockparteien unterwegs waren. Die junge Rechtsanwältin, Mitte 30, Mitglied meiner Fraktion, die im Übrigen mit Ihnen den Begriff des Unrechtsstaats teilt, fragt sich schon nach der 15-jährigen Praxis einer Stadtverordneten in einer nicht ganz kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt

mitten in einem Unrechtsstaat. Auch davon haben wir noch nicht allzu viel gehört. Ich finde, auch dieses Wissen gehört nicht nur zur Ehrlichkeit, sondern ist für die Fragen interessant, die uns bewegen, zum Beispiel: Wie konnte die DDR vergleichsweise viele Jahre funktionieren?

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zum Begriff Unrechtsstaat machen. Ich will mich darum nicht drücken. Er wird nicht nur in meiner Partei kontrovers diskutiert. Das hat sehr unterschiedliche Gründe: weil die praktischen Erfahrungen mit der DDR und den letzten 25 Jahren sehr unterschiedlich sind und weil die Perspektive, aus der man sich diesem Begriff nähert, auch etwas mit der Rolle zu tun hat, in der man spricht. Juristen, Politikwissenschaftler, Soziologen kommen jeweils zu unterschiedlichen Auffassungen, ohne dass sie Betroffene oder Akteure gewesen sind.

Die Trennlinie für die kontroversen Sichten verläuft bei Weitem nicht zwischen meiner Partei und dem Rest politischer und wissenschaftlicher Werte und wird auch nicht an Parteien gebunden. Es ist für uns die Erfahrung, dass DDR-Geschichte auf Kategorien wie Opfer und Täter reduziert wird. Diese hat es unbestreitbar gegeben. Dennoch bleibt es eine Reduktion.

Der Begriff - ich will es einmal sehr vorsichtig ausdrücken - ist sehr anfällig für politische Instrumentalisierung und verstellt den Blick auf Differenziertheit. Ich will ebenso klar sagen: Als Symbol der Wertschätzung, der Klarheit und der Rehabilitation, vor allen Dingen für diejenigen, die politischer Willkür, Benachteiligungen ausgesetzt waren, Unrecht erfahren haben, kann ich den Begriff nicht nur aushalten; diese Symbolik kann ich akzeptieren, wenngleich meine erhebliche Kritik daran bestehen bleibt.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Danke an diejenigen, die eine gemeinsame Aktuelle Debatte aller vier Fraktionen vorschlugen. Dies betrachte ich als einen ersten gemeinsamen Schritt genau in diese Richtung, so wie eben von mir ausgeführt. - Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der SPD)

Danke schön. - Zum Abschluss der Debatte spricht für die Landesregierung der stellvertretende Ministerpräsident, Herr Minister Bullerjahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verhehle nicht, dass ich bei der Diskussion zur Vor

bereitung dieser Aktuellen Debatte doch ein bisschen ins Grübeln gekommen bin, warum gerade ich hier heute stehe und der Ministerpräsident zur Beratung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen fahren muss.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Es zwang mich und mein persönliches Umfeld, sich der Diskussion zu stellen. Ich möchte aus meiner persönlichen Sicht und nicht als Regierungsvertreter dazu aufrufen - deshalb habe ich mich zum Schluss gemeldet - mit einer klaren Ansage, die sicher nicht alle teilen werden. Ich gehöre nicht zu denjenigen - obwohl ich dem Parlament von erster Stunde an angehöre -, die allzu oft darüber geredet haben. Ich werde das heute aus meiner Sicht tun.

Ich bin dankbar, dass es gelungen ist, diese Debatte gemeinsam zu beantragen.

(Beifall bei der SPD, bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich war elf Jahre lang parlamentarischer Geschäftsführer und habe im Ältestenrat krampfhafte Versuche miterlebt, wenn es darum ging, sich Mitte der 90er-Jahre gemeinsam diesem Thema zu stellen. Ich habe heute gemerkt, dass Differenzierungen - das nehmen Sie mir bitte persönlich ab - dieser Zeit heute auch nicht immer dem gerecht werden, wie es aus meiner Sicht wirklich war.

Birke Bull, ich glaube, dass Gesprächsangebote in den letzten 25 Jahren zuhauf da waren. Ich glaube, dass es aus der heutigen Sicht auch nicht mehr möglich ist, manches aufzugreifen, was damals wirklich auf der Tagesordnung stand. Ich sehe heute noch die 100 000 Leute, die im Fernsehen in Leipzig zu sehen waren. Ich will aber auch eines sagen: In Eisleben waren es 300. Und wahrscheinlich standen Tausende hinter den Gardinen; auch das gehört zur Wahrheit.

Liebe Mitglieder der CDU, seid doch unverkrampfter, wenn es darum geht, darüber zu reden, wo die eigene Verantwortung lag.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)

Ich bin ein ganz normaler DDR-Junge gewesen. Ich bin mit dem Bergbau groß geworden. Mein Vater war Bergmann; wir waren vier Jungs. Ich möchte ruhig einmal Persönliches erzählen.

Einer meiner Brüder war an der Bezirksparteischule der SED. Ich habe bewusst gesagt, dass ich das nicht mache. Ich war drei Jahre bei der Marine, weil es das sonst nicht gab. Ich habe damals als einer der wenigen schriftlich der Stasi eine Absage erteilt, habe erklärt, dass ich nicht spionieren werde. Das hatte zur Folge, dass ich nicht zur Handelsmarine konnte.

Ich habe mich aber nie als Opfer gefühlt, sondern ich habe mich eingerichtet wie viele andere auch. Ich war Ingenieur; ich habe ein zweites Studium absolviert. Und ich war Atheist.

(Frau Feußner, CDU: Das bist du heute noch!)

Das habe ich mit der Muttermilch aufgesogen, weil es das bei meinem Vater im Bergbau nicht gab. Trotzdem bin ich im Sommer 1989 in der Kirche gelandet. Es war für mich schwieriger, dort hineinzugehen, als irgendwann zu begreifen, dass die Kirche die Plattform für diese Debatte war. Ich habe Menschen kennengelernt, die haben es geschafft, schon Jahre davor diese Diskussion zu führen, unter vielen Repressalien - was ich nie geahnt hatte.

Im Sommer 1989 ging die Debatte los. Man muss anerkennen, dass es das Neue Forum war, dass es viele Kirchenbereiche waren. Es gab damals eine aufkeimende SDP - so hieß es damals -, die übrigens fast identisch mit den Kirchenkreisen war. In Eisleben war ich der Einzige, der sozusagen aus der Wirtschaft kam. Sie wollten sich endlich einen von außen dazuholen und haben mich bekniet.

Frau Lüddemann, ich hatte übrigens Westverwandtschaft und lange Haare, schon damals zu DDR-Zeiten. Also, es ging wirklich; man konnte das auch ausleben.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜ- NEN - Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

- Ja, das sind Klischees. - Mir war allerdings klar, dass ich beim Mansfeld-Kombinat nicht das Angebot bekommen würde, ein neues Werk in Kriwoi Rog mit aufzubauen, weil ich eben nicht in der SED war. Der Kreis, in dem ich lebte, war mit zwei SED-Kreisleitungen gesegnet, einer für die Normalen und einer beim Mansfeld-Kombinat.

Bei einem Anteil von mehr als 30 % der Ingenieure, die in der SED waren, war es klar, wer genommen wird. Es war aber nicht so, dass ich deswegen jeden Morgen mit schlechtem Gewissen aufgestanden bin oder jeden Abend das Opferlied gesungen habe. Ich wäre auch dort normal alt geworden. Wahrscheinlich wären meine Jungs, wie das für meine Generation und die davor normal war, zur Mansfeld gegangen. Das gehört dazu.

Sie haben gefragt, liebe Birke, wie es dazu gekommen ist. Ich glaube, dass viel Duckmäusertum, Anpassung und Wegschauen ein Grund dafür war, dass viele SED- und CDU-Mitglieder und auch Parteilose das so lange mitgemacht haben. Es gab wirklich wenige, die unter Inkaufnahme von Repressalien bis hin zur Haft immer wieder darauf hingewiesen haben: Leute, so geht es eigentlich nicht! - Denen gebührt Respekt!

(Beifall im ganzen Hause)

Nun habe ich - aus welchen Umständen heraus auch immer - schon im Sommer 1989 dort mitgewirkt. Ich war im Oktober/November 1989 in der SDP, später dann in der SPD. Damals war es eben so, dass die CDU - das ist auch nicht schlimm - auf der anderen Seite des Tisches saß. Eddi ist jetzt nicht da.

(Herr Jantos, CDU: Doch!)

- Doch, da ist er ja. - Wir beide waren von Anfang an dabei. Es ist doch auch nicht schlimm und in der Vergangenheit begründet - ich war sogar noch kooptiert in Eisleben -, dass diese Nationale Front - alle hier kennen doch diese Begriffe - aufbrach. Es gab in der SED und in der CDU Leute, die etwas Neues wollten. Später gab es auch in der SPD Leute, die vorher in der SED waren und die dann der SED mit viel Ärger begegnet sind.

Die SPD hat sich damals sehr schwer damit getan - das merkt man bis heute -, Leute mit einer SEDVergangenheit aufzunehmen. An der Frage haben sich ganze Kreisverbände selbst zerlegt. Ob das immer klug war, darüber kann man lange streiten.

Dann gab es den Moment, als die CDU als neue Kraft mit am runden Tisch saß. Und ja - das sei akzeptiert -, sie gewann die erste Wahl. Damit ist doch die Geschichte im Prinzip erledigt.

Man kann über Kohl vieles sagen. Ich habe Genscher selbst auf dem Marktplatz in Eisleben erlebt, als er so sinngemäß sagte: Wählen Sie uns, dann kriegen Sie eine Autobahn! - So schlicht war das früher manchmal.

(Herr Striegel, GRÜNE: Das ist bis heute so!)

Im Wahlkampf hat man dann auch erlebt, dass dieselbe CDU, die man vorher kritisch begleitet hat, auftrumpfte. Es ist leider so. Wir alle haben nach dem dritten Weg gesucht, wir alle. Ich kann mich an einen Aufruf von Gerald Götting erinnern - ich habe übrigens ein großes Archiv -, der belegt, dass sich auch die CDU aufmachte, die DDR zu reformieren.

(Herr Schröder, CDU: Rudolf Bahro - „Die Alternative“!)

- Ja, alle suchten. Es gab nur bei wenigen die Frage nach einem einig Vaterland.

Es war schon so - das hat Katrin Budde schon gesagt -: Es gab irgendwann die Öffnung und irgendwann die 100 DM, und ich war der Letzte in meiner Straße, der nicht im Westen war, weil ich völlig verzweifelt und enttäuscht war. Ich habe aber nach Wochen auch verstanden, warum die Menschen so waren. Helmut Kohl gebührt das Verdienst, dass er eine Sehnsucht mit einer Vision beantwortet hat.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU, von Herrn Kolze, CDU, und von Herrn Kurze, CDU)

- Übrigens auch mit Bildern, die nicht ganz stimmten, lieber André, bevor du jetzt ganz toll klatschst.

Zwischen diesen Dingen bewegen wir uns bei der Aufarbeitung der letzten 25 Jahre. Ich glaube aber, das ist besser, als wie Lafontaine zu sagen: Wenn wir zusammenkommen, was irgendwann sein kann, wird es ganz schwer.

Ich erlebe manchmal auch, dass Hoffnung das ist, was die Menschen brauchen. Deswegen war es richtig. Aber glauben Sie nicht, dass es einfach war, als neue Kraft, als Neuer im Gemeinderat zu sehen, wie die CDU nach der Volkskammerwahl abhob. Sie haben die demokratische Wahl gewonnen und das war zu akzeptieren. Seitdem arbeiten wir uns an der Vergangenheit ab.

Ich glaube, weil die Zahl derjenigen, die diese Zeit richtig erlebt haben, immer geringer wird, wird es, liebe Birke, in der Zukunft zunehmend unmöglich, das Thema irgendwie objektiv zu sehen. Deswegen bin ich froh, dass die Debatte nicht vorbei ist.

Aber ich bitte doch, die neue Generation, die die Wende nur irgendwie erlebt hat - - Es gibt viele, die jetzt so um die 25 Jahre alt sind und die Geschichten darüber mittlerweile genauso gern hören wie wir die Geschichten, wenn der Opa vom Krieg erzählt hat.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜ- NEN)