Protocol of the Session on September 18, 2014

(Zustimmung bei der SPD und von Ministe- rin Frau Prof. Dr. Kolb)

Danke, Kollegin Schindler. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Land darf sich angesichts von 51 Millionen Flüchtlingen auf der Welt, die durch bittere Armut, Kriege und systematische Diskriminierung zur Flucht gezwungen werden, dieser Problematik verschließen, auch kein Bundesland.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Menschen brauchen am allerwenigsten unser Mitleid oder gönnerhafte Gesten für einige wenige. Aber alle diese Geflüchteten dürfen und müssen von uns unsere Bereitschaft erwarten, sich ernsthaft mit ihrer Lage auseinanderzusetzen, und zwar ernsthaft in jedem Einzelfall, meine Damen und Herren. Es geht um Menschen, die unverschuldet in eine lebensbedrohliche Lage gekommen sind. Wir haben einen Auftrag diesen Menschen gegenüber und gegenüber dem Grund

gesetz. Dieser Auftrag lautet: Humanität auch im Einzelfall.

Meine Damen und Herren! Wir haben noch längst nicht alles Notwendige getan, um dieser globalen Katastrophe zu begegnen. Jeder, der etwas anderes behauptet, jeder, der heute von Flüchtlingsschwemme, von Sozialmissbrauch oder davon spricht, dass das Boot voll sei, der widmet sich dieser Lage nicht mit Ernsthaftigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Allein in der vergangenen Woche sind 700 Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer jämmerlich ertrunken: Kinder, Frauen, Männer. Das, meine Damen und Herren, sind die einzigen Boote, die voll sind und um die wir uns kümmern müssen. Alles andere, was behauptet wird, ist blanker Zynismus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Denken Sie einmal daran, meine Damen und Herren, was in den 90er-Jahren geschehen ist, als der sogenannte Asylkompromiss zustande kam. Damals hatten wir aufgrund der Balkankrise sehr viel mehr Flüchtlinge in diesem Land. Bis zu 500 000 Menschen suchten bei uns Schutz. Damals wurden Menschen in Massenexekutionen hingerichtet und in Massengräbern verscharrt - und das mitten in Europa.

Viele Menschen sind damals in Deutschland ein weiteres Mal zu Opfern geworden, zu Opfern unserer Gleichgültigkeit. Statt die Bedingungen für vernünftige und faire Asylverfahren zu schaffen, wurde das Grundrecht auf Asyl auf Druck von rechts ausgehöhlt. Der Artikel 16a des Grundgesetzes ist heute ein wirklich dunkler Fleck in unserem sonst sehr bemerkenswerten Grundgesetz; ein Malus, der uns beschämen sollte, weil wir wissen, dass nur wenige, die zur Flucht gezwungen wurden, von diesem Artikel überhaupt Gebrauch machen können.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Genau das hat aber die große Koalition im Bundestag getan, also sie Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sogenannte sichere Herkunftsstaaten ausgewiesen hat. Warum ist das ein Fehler? - Weil diese Länder überhaupt nichts mit den tatsächlichen Herausforderungen für die Unterbringung in unseren Kommunen zu tun haben. Genau damit argumentiert aber die Große Koalition, und auch Sie, Herr Minister, haben das eben wieder getan. Das ist einfach unredlich.

Erstens haben die Kriege im Mittleren Osten und in Afrika längst ganz andere Schwerpunkte im globa

len Flüchtlingsmaßstab gesetzt und zweitens - das ist das Wesentliche - hat die Etikettierung als sicheres Herkunftsland nichts mit der aktuellen Asylproblematik zu tun. Hierbei geht es einzig und allein darum, eine nicht akzeptable Menschenrechtssituation - Frau Quade ist darauf eingegangen - für nicht existent zu erklären, und das, meine Damen und Herren, machen wir nicht mit.

Ich bin stolz, dass gerade unsere Partei im Bund darauf pocht, dass wir so etwas nicht mitmachen und hoffentlich auch morgen im Bundesrat nicht beschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lieber Herr Minister, diese Einzelfallprüfung, die Sie als dennoch möglich erachten, gibt es meines Erachtens nicht. Auch Frau Quade ist darauf eingegangen. Ich denke, Sie sind einfach falsch informiert. Wenn es sie gäbe, machten diese sicheren Herkunftsländer überhaupt keinen Sinn.

Deswegen, meine Damen und Herren, sperren wir uns im Bundesrat gegen einen faulen Kompromiss, indem die Frage der sicheren Herkunftsländer mit einer Erleichterung auf dem Arbeitsmarkt und anderen Integrationsmaßnahmen verknüpft werden soll. Frau Schindler, für einen solchen Kompromiss sind wir nicht zu haben, weil es kein Kompromiss in der Sache ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Meiner Fraktion geht es in dieser Frage um eine Herzensangelegenheit. Was wir brauchen, sind echte Lösungen in der Asylpolitik. In den 90er-Jahren hat einem Großteil der bundesdeutschen Politiker der Mut gefehlt, sich in dieser Frage ehrlich zu unserem Grundgesetz zu bekennen. Wir, meine Damen und Herren, kämpfen heute dafür, dass dieser Fehler nicht wiederholt wird.

Wir brauchen vernünftige Asylverfahren, die mit Genauigkeit und Empathie geführt werden und die damit dem Einzelfall gerecht werden. Wir brauchen auch mehr Geld für die Landkreise für ordentliche Unterbringung und für ordentliche soziale Betreuung. Diesbezüglich sind wir als Fraktion in diesem Hohen Haus immer ein guter Partner.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür werden wir uns auch in Zukunft einsetzen. Aber was wir nicht tun werden, ist das Grundrecht auf Asyl auch nur einen Deut einzuschränken und andere Länder von der Antragstellung - wohlgemerkt von einem Grundrecht; denn das Recht besteht in der Stellung eines Antrages - pauschal auszuschließen. Das werden wir nicht mitmachen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen eine Koalition der Willigen, die endlich ihre Verantwortung wahrnimmt und sich den

echten Problemen der Flüchtlingspolitik widmet. Sachsen-Anhalt tut gut daran, Teil dieser Koalition der Willigen zu sein und sich morgen im Bundesrat dementsprechend zu verhalten. - Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr, Kollege Herbst. - Für die Fraktion der CDU spricht der Abgeordnete Herr Wunschinski.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Migrationsströme in die Bundesrepublik

Deutschland haben in den letzten Jahren zugenommen. Viele Menschen sind aufgrund der geopolitischen Lage auf der Flucht vor Folter, Vergewaltigung und Mord.

Es gibt aber auch viele Menschen, die in ihren Heimatländern keine wirtschaftliche Zukunft sehen und sich in Deutschland gut bezahlte Arbeit und soziale Sicherheit erhoffen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Da gab es auch vie- le DDR-Bürger!)

Wir erleben seit der Visa-Liberalisierung einen massiven Anstieg von Asylbewerberzahlen insbesondere aus den drei Westbalkanstaaten Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina, obwohl dort keine systematische Verfolgung oder andere Gefahren für Leib und Leben drohen, die asylrechtlich relevant wären.

Eine Expertenanhörung des Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat bestätigt, dass 49 % der Asylbewerber aus diesen Ländern angeben, dass sie nach Deutschland kommen, weil sie hier arbeiten wollen oder der Schulbesuch und die medizinische Versorgung besser seien als bei ihnen zu Hause.

(Minister Herr Stahlknecht: Hört, hört!)

Damit handelt es sich in den meisten Fällen nicht um Asylbewerber, sondern um Zuwanderer, für die unser Asylsystem nicht zuständig ist. Hier liegt ein Missbrauch unseres Asylsystems vor,

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

da viele dieser Menschen wissen, dass sie keinen Anspruch auf Asyl haben.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Hier ist entschlossenes Handeln notwendig. In diesem Sinne hat der Bundestag im Juli 2014 die Novelle zum Asylverfahrenrecht beschlossen, durch die Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina in die Liste der sichere Herkunftsstaaten aufgenommen werden. Durch die Einstufung der drei Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsstaaten können

die Asylverfahren von Staatsangehörigen dieser Staaten schneller bearbeitet und ihr Aufenthalt in Deutschland damit schneller beendet werden. Das ist ein notwendiger Schritt.

Unter den aktuellen zehn Hauptherkunftsstaaten befinden sich mit Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina drei Balkanstaaten, über deren künftige EU-Mitgliedschaft diskutiert wird. Rund 25 % der in Deutschland gestellten Asylanträge stammen von Bewerbern aus diesen drei Ländern.

Während die Asylanerkennung und der subsidiäre Schutz für alle Herkunftsländer bei rund 23 % liegt, liegen die Anerkennungsquoten bei den genannten Balkanstaaten bei nahezu 0 %. Davor darf man nicht die Augen verschließen.

Unsere Kommunen sind aufgrund der stetig steigenden Zugangszahlen in einer schwierigen Situation. Seit dem Jahr 2009 hat sich die Zahl der Anträge verfünffacht. In diesem Jahr werden bis zu 200 000 Asylanträge erwartet. Gemäß der derzeit bestehenden Rechtslage werden die Antragsteller aus den drei Westbalkanländern im Rahmen der bestehenden Quotenregelung zur Unterbringung auf die Kommunen verteilt. Dies verstärkt die ohnehin großen Probleme der Kommunen, geeignete Unterkunftsmöglichkeiten bereitzustellen.

Das Land Baden-Württemberg hat alle Mühe, die sprunghaft steigende Zahl von Flüchtlingen unterzubringen. In der letzten Zeit mussten kurzfristig mehrere Notunterkünfte gefunden werden. Die Gefahr, dass die Stimmung im Land gegen Flüchtlinge umschlagen könnte, beschwor sogar die Integrationsministerin Öney. Wir brauchen den Rückgang bei den Zugangszahlen aus diesen drei Ländern für tatsächlich schutzbedürftige und verfolgte Menschen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Zu der bereits angesprochenen Situation in den drei Westbalkanländern nur so viel: Die Sicherheitslage dort ist stabil. Es gibt keine Verfolgung oder systematische Menschenrechtsverletzungen. Es ist richtig, dass es in diesen drei Ländern Defizite gibt. Das gilt insbesondere für die Lage der Roma. Unser Asylsystem ist aber nicht der Ort, um die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme dieser Länder zu lösen. Dafür gibt es Instrumente, insbesondere die staatliche Entwicklungszusammenarbeit.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Diese Novelle ist richtig und darf daher auch nicht im Bundesrat blockiert oder verhindert werden. Hierbei bin ich insbesondere auf das Abstimmungsverhalten der Länder Brandenburg und Baden-Württemberg gespannt.

Abschließend bitte ich Sie um Ablehnung des Antrages. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Kollege Wunschinski, es gibt eine Nachfrage vom Kollegen Striegel. Wollen Sie die Frage beantworten?