Protocol of the Session on September 18, 2014

Ich schließe mich den Ausführungen zu den beantragten Überweisungen in die genannten Ausschüsse an und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall im ganzen Hause)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Abgeordnete Herr Striegel das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die parlamentarische Demokratie befindet sich in einer ernsten Krise. Nicht erst seit der Finanz- und Staatsschuldenkrise ist das Vertrauen der Menschen in demokratische Institutionen - vor allem aber in deren Kompetenz, die zentralen Probleme unserer unübersichtlich gewordenen Welt und unserer zersplitternden Gesellschaften lösen zu können - auf Tiefstwerte gesunken.

Wenn - wie zuletzt in Sachsen, Brandenburg und Thüringen - zu Parlamentswahlen nur noch die Hälfte aller Wahlberechtigten hingeht und von dieser Hälfte 10 bis 15 % für Neonazis und Rechtspopulisten stimmen, wenn einfache Schlagworte, das Finden von Sündenböcken und Scheinlösungen mehr Wahlerfolg versprechen als nüchterne Analyse, das Aufzeigen von Problemen, Auseinandersetzungen, ja, Streit und die schwierige Suche nach differenzierten Lösungen, dann zeigt sich eine massive Vertrauenskrise der Menschen in die Demokratie.

Parlamente und die in ihnen tätigen Abgeordneten, wir, haben an dieser Krise Anteil. Es bleibt wohlfeil, diesen Anteil kleinzureden und darauf zu verweisen, dass es doch auch an den Medien, an den wenig informierten Bürgerinnen und Bürgern oder an einem überzogenen Anspruchsdenken an die Politik liege. Das mag stimmen. Es ändert aber nichts daran, dass es gerade auch die Parlamente und die hier tätigen Abgeordneten selbst sind, die regelmäßig zur Krise der Demokratie beitragen.

Wenn Entscheidungen nicht mehr im Hohen Haus selbst fallen, sondern in Kungelrunden entstehen und öffentlich höchstens noch nachvollzogen werden, wenn Parlamentariern nachgesagt werden kann, dass die Arbeit als Abgeordneter zur gutbezahlten Nebentätigkeit neben hochlukrativen Beraterverträgen verkommt, wenn im Landtag und in seinen Ausschüssen nicht mehr diskutiert und um die besten Lösungen gerungen oder wenigstens die eigene Entscheidung begründet wird, sondern statt dessen die Arroganz der Macht regiert, wenn Ministerinnen und Minister dem Parlament nicht mehr Rede und Antwort stehen müssen, weil eine lebendige Befragung von der Mehrheit im Hause als Gefahr für die Regierung angesehen wird, wenn Reden - oder sollte ich sagen: Textbausteine? - aus dem Ministerium vorgelesen werden, statt engagierte Debatten unter Parlamentariern zu führen, wenn all dies, meine Damen und Herren, Alltag ist, dann werden Menschen der Demokratie und der demokratischen Institutionen überdrüssig.

Die Menschen im Land beklagen an vielen Stellen zu Recht die Erstarrtheit eines politischen Systems, mangelnde Transparenz und fehlende Möglichkeiten der Mitbestimmung.

Auch vor diesem Hintergrund fand und findet eine gesellschaftliche Auseinandersetzung über die notwendige Größe eines Landtages statt, die Ausgangspunkt der Überlegungen für eine Parlamentsreform war.

Ich bin froh darüber und dankbar dafür, dass der Landtag und die im Hause vertretenen Fraktionen dabei mehr in den Blick genommen haben als die reine Zahl der Abgeordneten. Denn - seien wir ehrlich - die Zahl der Landtagsabgeordneten hat einen marginalen Einfluss auf die Demokratiekosten, die in einem repräsentativen demokratischen System anfallen. Der Einspareffekt im Haushalt ist, wie bei Kürzungen im Kulturbereich, kaum nachweisbar.

(Frau Feußner, CDU: Richtig!)

Im Übrigen, Herr Kollege Henke, - den Einwand kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen - auf den Seiten 25 und 26 des Gesetzentwurfs finden Sie die dazu erforderlichen Angaben.

(Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU, und von Herrn Schröder, CDU)

Wir können, meine Damen und Herren, - auch das ist zur Zahl der Parlamentssitze zu sagen - nicht überall im Land den demografischen Wandel als Begründung für Einsparungen und Reduzierungen heranziehen, wenn wir uns selbst als Parlament dabei außen vor lassen.

Mit mehrfachen Beschlüssen haben wir uns deshalb auch selbst gebunden, nicht nur die Zahl der Abgeordneten, sondern auch Aspekte des Wahlrechts, Bedingungen zur Ausübung des freien Mandats, Kompetenzen und Zuständigkeiten des Landtags, die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern sowie die lange überfälligen Transparenzregeln anzugehen.

Das Ergebnis, meine Damen und Herren Kollegen, kann sich sehen lassen. Mit dieser Parlamentsreform machen wir mehr Mitmachen möglich.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung von Herrn Kurze, CDU)

Uns GRÜNE freut besonders, dass in dem Paket die Stärkung der Rechte von Kindern und Jugendlichen aufgegriffen wurde und wir mit einer Verfassungsänderung auch auf der Ebene des gesetzlichen Fundaments Änderungen vornehmen. Hierauf kann bei zukünftigen Gesetzesvorhaben aufgebaut werden, wenn es gilt, den Verfassungstext gesetzgeberisch Wirklichkeit und realpolitisch wirksam werden zu lassen. Kinder und Jugendliche brauchen unsere Unterstützung.

Im Bereich des Wahlrechts hätten wir GRÜNE uns grundlegendere Veränderungen vorstellen können. Wir bedauern, dass weder das Wahlrecht ab 14 Jahren noch ein allgemeines Wahlrecht für alle hier lebenden Menschen, das heißt auch für Migrantinnen und Migranten konsensfähig waren.

Wir hätten zudem gern einen Systemwechsel vollzogen, der das Entstehen von Überhangmandaten unmöglich macht. Das ist uns nicht gelungen.

Froh sind wir darüber, dass der Landtag aber nunmehr seine Kompetenzen gestärkt hat und in eigener Verantwortung auch den Wahltermin festlegt.

(Zustimmung von Herrn Scheurell, CDU)

In Sachen Transparenz war dieses Parlament bereits vor geraumer Zeit ins Hintertreffen geraten. Mit den Regelungen zu Nebentätigkeiten, deren Veröffentlichung und auch zum Lobbyregister schließen wir nun auf.

Es ist gut und richtig, dass Bürgerinnen und Bürger erfahren, ob und, falls ja, welcher Abgeordnete durch Nebentätigkeiten in seiner Entscheidungsfindung beeinflusst ist. Es ist richtig, dass Bürgerinnen und Bürger fortan erkennen können, ob es wirklich Nebentätigkeiten sind, denen ein Parlamentarier nachgeht, oder ob diese nicht vielleicht zur Hauptsache geworden sind.

Die Mandatsausstattung von Parlamentariern ist angefangen bei der Alimentierung der Abgeordneten in Form von Diäten bis hin zur Erstattung von Pauschalen für die politische Arbeit vor Ort stets Gegenstand kritischer Würdigung durch die Presse und die Öffentlichkeit.

Wir haben auch in diesem Bereich ein gutes Ergebnis erzielen können. Diäten steigen oder sinken in Zukunft mit den Löhnen in Sachsen-Anhalt. Die Erhöhung der Pauschalen für Wahlkreisbüros und die politische Arbeit folgt der Inflation. Das ist sachgerecht und transparent.

Offen bleibt die Rentenregelung für Abgeordnete, die sich weiterhin nicht an der Regelung für Richter orientieren wird, obgleich die Höhe der Abgeordnetendiäten genau dort ansetzt. Hierbei bleibt der Systemwechsel aus. Das bedauern wir.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gut ist, dass endlich auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten stärker an ihrer Qualifikation und an den zu erfüllenden Aufgaben orientiert bezahlt werden. Das war ein Mangel.

Außerordentlich froh sind wir über die Veränderungen im Bereich der direkten Demokratie. Es steht auch dem besten aller repräsentativ demokratischen Systeme gut zu Gesicht, in Fragen mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung die Bevölkerung ganz unmittelbar in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Noch besser wäre es, wenn sich Bürgerbewegungen dieses Instrument eigeninitiativ zunutze machen, wenn im politischen Raum wichtige Themen beschwiegen werden, Vorschläge oder Proteste einfach verhallen. Die entsprechenden Quoren

waren dafür in Sachsen-Anhalt zu hoch. Sie werden nunmehr abgesenkt, wenngleich der Zustimmungsvorbehalt von 25 % der Wahlberechtigten weiterhin erhalten bleibt. Das, meine Damen und Herren, ist ein Anachronismus. Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich nicht an einer Abstimmung beteiligen, zulasten derjenigen gehen, die einen Volksentscheid initiiert haben.

Wichtiger als jede Veränderung der Quoren ist für uns GRÜNE jedoch eine neue Qualität, die wir bei Volksentscheiden erreichen. Denn mit der Abstimmungsbenachrichtigung für einen solchen Entscheid wird zukünftig ein Faktenheft verschickt. Alle Seiten, die Initianten ebenso wie die im Landtag vertretenen Fraktionen und die Landesregierung erhalten die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge, im besten Fall durch Fakten gestützt, darzulegen.

Die Bürgerinnen und Bürger, die sich über den Abstimmungsgegenstand informieren wollen, können dies tun. Die gesellschaftliche Debatte kann so an Fahrt, vor allem aber an inhaltlicher Tiefe gewinnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

All die beschriebenen Veränderungen in ihrer Gesamtheit, auch die Neufassung der Immunitätsbestimmungen hin zu einer Möglichkeit des Parlaments, sich gegen eine die Funktionsfähigkeit des Landtags beeinträchtigende Praxis der Exekutive und der Judikative zu wehren, indem Abgeordnete im Bedarfsfall durch die Immunität geschützt werden, bringen meine Fraktion nicht zu der Auffassung, dass es sich um ein gelungenes Gesetzeswerk handele.

Wir werden in den Ausschüssen insbesondere der Wahlkreiseinteilung sowie einigen technischen Anpassungen im Wahlrecht eine höhere Aufmerksamkeit schenken müssen. Der Landtag aber kann mit der Verabschiedung dieser Parlamentsreform ein Versprechen einlösen, das er den Wählerinnen und Wählern durch eigene Beschlüsse gegeben hat.

Ich hatte zwischen dem Fassen der Beschlüsse und dem Abschluss der Unterkommission Parlamentsreform erhebliche Zweifel, dass wir gemeinsam zu einem Ergebnis kommen werden. Ich danke allen an der Reform Beteiligten, explizit auch der Landtagsverwaltung dafür, dass sie mit dazu beigetragen haben, dass dieses Parlament zu seinen Beschlüssen steht.

Diese Parlamentsreform kann die Krise der repräsentativen Demokratie nicht überwinden. Aber sie kann ein Baustein dazu sei. Die Reform stärkt das Parlament. Sie sorgt für mehr Transparenz und sie macht das Mitmachen möglich. Das ist nicht wenig. Aber es ist nicht genug, solange das Parlament und die darin vertretenen Fraktionen nicht

selbstbewusster ihre Möglichkeiten zur Kontrolle der Regierung nutzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür wünsche ich uns den Mut. Das wäre dann die Parlamentsreform 2.0, die heute beginnen muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Striegel. - Herr Gallert, wollen Sie als Fraktionsvorsitzender sprechen?

(Herr Gallert, DIE LINKE: Ja!)

Dann, Herr Kollege Striegel, können Sie sich setzen. Der Herr Fraktionsvorsitzende hat das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil der Kollege Borgwardt mich mehrfach persönlich angesprochen hat.

Ich möchte erstens Folgendes festhalten: Ich glaube, mit der Parlamentsreform ist uns wirklich insgesamt ein Wurf gelungen - das sage ich in aller Deutlichkeit -, den ich am Anfang des Prozesses nicht für möglich gehalten habe.

Ich sage auch ganz deutlich in diesem Haus - Herr Henke hat von mehreren Kröten gesprochen, die wir geschluckt haben -, dass ich ausdrücklich anerkenne, dass jede Fraktion an verschiedenen Stellen weit über ihren Schatten gesprungen ist, auch die CDU-Fraktion. Das ist so. Ich sage ganz deutlich, das hätte ich vor anderthalb Jahren nicht für möglich gehalten.

Deswegen ist es umso bedauerlicher, dass wir am Ende eine Kontroverse haben, die die ganze Sache jetzt zu überdecken droht. Es ist wirklich nur ein kleiner Punkt.

Herr Borgwardt, ich sage noch einmal ganz klar: Ich habe das Verfahren für die Wahlkreisanlage 10, die jetzt vorliegt, nicht für richtig gehalten. Ich halte es auch heute nicht für richtig. Aber ich halte es für heilbar.