Protocol of the Session on May 15, 2014

Schulische Inklusion setzt nicht nur auf die gemeinsame Beschulung von Heranwachsenden mit und ohne Förderbedarf, schulische Inklusion nimmt auch sehr genau den Lernerfolg in den Blick. Erst dann, wenn alle Schüler und Schülerinnen zu dem für sie persönlich bestmöglichen Schulabschluss kommen und eine gute persönliche Entwicklung nehmen, können wir von einer erfolgreichen schulischen Inklusion sprechen. Es muss also für alle Kinder gut sein, für die Kinder mit Förderbedarf und für die Kinder ohne Förderbedarf.

Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist Inklusion nicht erst seit der UN-Behindertenrechtskonvention ein wichtiges Anliegen. Die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft ist von Anfang an ein Leitprinzip unserer Politik. Es war und es ist uns wichtig, dass Inklusion nicht die Eingliederung von Menschen mit Behinderung in die von Nichtbehinderten geprägte Gesellschaft meint. Für uns

bedeutet Inklusion die Gestaltung eines solidarischen Miteinanders unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten jedes Einzelnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir verstehen Inklusion also als eine Chance, das Bildungssystem insgesamt für alle Schüler und Schülerinnen zu verbessen. Unterschiedliche Studien zeigen eben, dass Heranwachsende mit speziellen Förderbedarfen in Regelschulen bessere Ergebnisse erzielen und ein größerer Anteil von ihnen auch einen qualifizierten Schulabschluss erreicht.

Gleichzeitig zeigen diese Studien, dass Kinder ohne spezielle Förderbedarfe bei inklusiver Beschulung gleich gute Lernerfolge zeigen, aber bessere soziale Kompetenzen entwickeln.

Eine Schule, die für alle Heranwachsenden besser ist, das ist die gesellschaftliche Chance, die es zu nutzen gilt. Was wir jedoch im Moment in unserem Land beobachten, erfüllt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Sorge.

Wir beobachten, dass durch den gemeinsamen Unterricht die Inklusion quantitativ ausgedehnt wird. Über den qualitativen Erfolg wissen wir allerdings nichts.

(Zustimmung von Frau Hohmann, DIE LIN- KE)

Zudem beobachten wir bei vielen Gesprächen vor Ort eine zunehmende Ablehnung der Inklusion, und das auch bei jenen, die Inklusion grundsätzlich begrüßen. Viele Lehrerinnen und Lehrer fühlen sich zunehmend überfordert und alleingelassen durch eine Inklusion, die nicht in ausreichendem Maße von zusätzlichen Ressourcenzuweisungen begleitet ist. Diese schlechte Stimmung färbt dann auch auf die Befürchtungen der Eltern ab, die um die Lernerfolge ihrer Kinder besorgt sind. Das trifft Eltern unabhängig davon, ob ihre Kinder spezielle Förderbedarfe haben oder nicht.

Unser Antrag ist daher ein ganz schlichter. Wir sagen: Die Umsetzung der Inklusion und des gemeinsamen Unterrichts an unseren Schulen findet bisher eben ohne diese unabhängige wissenschaftliche Begleitung statt. Das ist ein im Bundesvergleich einmaliger Vorgang. Es gibt kein anderes Bundesland, das vollständig auf eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung der Inklusion verzichtet.

Deswegen sagen wir: Hier gibt es dringenden Handlungsbedarf. Daher fordern wir die Landesregierung mit unserem Antrag auf, umgehend eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung zur Umsetzung der schulischen Inklusion einzurichten. Eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung ist notwendig, um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, um wichtige Impulse und Schlussfolge

rungen für die Bewältigung der Herausforderungen zu gewinnen.

Bisher erfolgt die Umsetzung von Inklusion und des gemeinsamen Unterrichts auf der Grundlage der Empfehlungen der vom Kultusminister im Jahr 2011 eingerichteten Arbeitsgruppe „Gemeinsamer Unterricht“. Diese Arbeitsgruppe hat gewiss gute Vorarbeiten geleistet und Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Inklusion an unseren Schulen geschaffen. Wenn man aber durch das Land reist und vor Ort mit den Schulen, den Eltern, den Lehrern spricht, dann merkt man, dass viele unbewältigte Probleme auftreten.

Deswegen sagen wir: In einem nächsten Schritt brauchen wir den unabhängigen wissenschaftlich geleiteten Blick auf die Entwicklung, auf die Erfolge, auf die Hemmnisse schulischer Inklusion.

Eine externe wissenschaftliche Begleitung gibt uns fundierte Erkenntnisse über die eingeschlagenen Ziele, über Gelingensbedingungen, Wirkungen des gemeinsamen Unterrichts, über Effizienz und Effektivität der bisher durchgeführten Maßnahmen, auch hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit. Nicht zuletzt ist eine unabhängige wissenschaftliche Begleitung schulischer Inklusion ein gutes Frühwarnsystem für auftretende Probleme.

Ich bitte das Hohe Haus um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Dorgerloh.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Tat, es ist eben schon angesprochen worden: Die eigens eingerichtete Arbeitsgruppe im Kultusministerium hat im Jahr 2013 die Ergebnisse vorgelegt hat und sie im Landeskonzept zur Weiterentwicklung des gemeinsamen Unterrichts veröffentlicht. An der Umsetzung dieses Papiers wird intensiv gearbeitet. Alle darin aufgezeigten Maßnahmen wurden in Angriff genommen, mit entsprechenden Regelungen oder sie wurden zum Teil auch mit Teilarbeitsgruppen untersetzt.

Ich möchte auf einen Punkt hinweisen - das war wohl gar nicht so gemeint, kam aber in der Rede expressis verbis -: Inklusion ist mehr als gemeinsamer Unterricht. Dazu besteht, glaube ich, kein Dissens. Es sei noch einmal ausdrücklich gesagt; denn sowohl im Antrag als auch in der Rede eben wurde das noch einmal so gesagt. Man muss deutlich machen, dass der Inklusionsbegriff viel weiter gefasst werden muss. Klar ist: Der gemeinsame

Unterricht gehört in diesen Kontext, ist aber nur ein Punkt unter vielen und spiegelt sich in den Schulprogrammen entsprechend wider.

Es gibt eine Studie vom Februar 2014 von Herrn Professor Dr. Preuss-Lausitz. Er untersucht, welche wissenschaftlichen Begleitungen zur Inklusionsentwicklung in den Ländern verabredet sind. Er untersucht natürlich auch Sachsen-Anhalt.

Leider führt er nicht auf, dass es von 2009 bis 2011 einen Modellversuch an Grundschulen in unserem Land gab, der mit wissenschaftlichen Methoden evaluiert wurde und aus dem Schlüsse für ein landesweites Vorgehen gezogen wurden. Er erwähnt leider auch nicht, dass die MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg bereits seit Anfang der 90er-Jahre zum gemeinsamen Unterricht forschte. Erinnert sei an ein mehrjähriges Forschungsprojekt, in das unter anderem Herr Professor Dr. Hinz eingebunden war, dem sich kleinere weitere Forschungsvorhaben sowie empirische Erhebungen in Schulen Sachsen-Anhalts anschlossen.

Im Fokus standen vor allem die Fragen, wie die gemeinsame Lernförderung gelingt, welche Rahmenbedingungen sie erfordert, wie alle Kinder individuell gerecht gefördert werden können. Hierbei - das muss man schon sagen - war SachsenAnhalt Vorreiter und vielen Ländern voraus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Gesamtaussage der bundesweiten Studie von Herrn Professor Dr. Preuss-Lausitz gehören auch dessen Ausführungen, dass sich die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung in einigen Ländern vorrangig auf Erfahrungen und Befragungen der Beteiligten beziehen. Auch wenn man um die Bedeutung dieser Kategorie weiß, sind doch Objektivierungen an dieser Stelle schwierig.

Die Schlussberichte dieser Studie führten nicht unbedingt dazu, dass aus der wissenschaftlichen Begleitung Maßnahmen für die Entwicklung der inklusiven Schulentwicklung abgeleitet werden konnten. So wird auch dargestellt, dass wichtige Fragen für die künftige Ausrichtung der inklusiven Schule in der vorliegenden Begleitstudie nicht aufgegriffen worden sind.

Es ist zum Teil nicht einmal klar, welche Fragen das sind. Wenn beispielsweise, wie das oft getan wird, bessere Rahmenbedingungen für die Lehrkräfte eingefordert werden, bleibt die Frage, um welche Rahmenbedingungen es sich genau handelt, offen.

Sehr geehrte Frau Dalbert, wenn Sie nun eine wissenschaftliche Begleitung der Untersetzung der schulischen Inklusion fordern, dann kann diese nicht nur damit begründet werden, dass SachsenAnhalt aktuell keine wissenschaftliche Einrichtung mit einer solchen beauftragt hat. Eine wissen

schaftliche Begleitung muss darauf ausgerichtet sein, wesentliche Fragen der Untersetzung für Sachsen-Anhalt klar zu beantworten.

Diese Fragen benennt der Antrag noch nicht. Er bedarf deswegen aus meiner Sicht der Konkretisierung. Eine wissenschaftliche Begleitung um ihrer selbst willen bringt uns hierbei nicht weiter und würde aus meiner Sicht auch nicht den erforderlichen personellen und finanziellen Aufwand rechtfertigen.

Wir gehen davon aus, dass - grob überschlagen - neben einem Projektleiter zwei bis drei wissenschaftliche Mitarbeiter an einer solchen Begleitforschung beteiligt werden. Das müsste man ohnehin europaweit ausschreiben und die entsprechenden Mittel dann langfristig im Haushaltsplan veranschlagen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass man den Antrag in den Ausschuss überweist. Es kann durchaus sein, dass ein Expertengespräch zu mehr Klarheit führt, indem in einem derartigen Gesprächsrahmen das genaue Erkenntnisinteresse einer möglichen wissenschaftlichen Begleitung erarbeitet und formuliert wird. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Koch-Kupfer.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Anbetracht der späten Stunde möchte ich nicht auch noch Ausführungen zur Inklusion und zum inklusiven Unterricht machen und auch zu den Gelingensbedingungen nicht intensiv ausführen. Das haben meine Vorredner bereits getan.

Nichtsdestotrotz möchte ich anmerken, dass ich beim ersten Anschauen des Antrages und auch bei genauer Durchsicht nicht wirklich erschließen konnte, welche Motivation und Intention ganz konkret für den Antrag vorlag. Ich konnte es erahnen. Kollegin Dalbert hat es eben auch ausgeführt, aber erahnen, ist nicht wissen.

Ob eine wissenschaftliche Begleitung, die hier gefordert wird, in einem laufenden Prozess - davon müssen wir bei inklusivem Unterricht, bei gemeinsamem Unterricht sprechen - tatsächlich das geeignete Instrument ist, um zu schauen, wie weit wir gekommen sind, welche Probleme es vor Ort in den Schulen gibt, darüber sollten wir eingehender diskutieren.

Letzten Endes muss man fragen: Wann würden uns denn Ergebnisse vorliegen? - Sicherlich nicht

sofort, sondern erst in einigen Jahren. Die Kollegen in den Schulen, die Eltern und auch die Schüler erwarten schon jetzt, dass wir den Prozess weiter intensiv begleiten.

Ich denke, wir haben noch viele Fragen zu klären. Dazu bietet der Ausschuss den richtigen Rahmen. Deswegen würden wir diesen Antrag in den Ausschuss für Bildung und Kultur überweisen wollen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr Frau Kollegin Koch-Kupfer. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau Bull.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wissenschaftliche Begleitung ist immer gut. Allein deshalb würde ich das Anliegen grundsätzlich immer unterstützen. Zu der Frage, was wir unter Inklusion verstehen, zu den Gelingensbedingungen habe ich in der letzten Plenarsitzung einiges gesagt.

Es ist heute wiederum auffällig, dass wir selbst einen großen Anteil haben, dass wir immer wieder auf den Tunnelblick gemeinsamen Unterrichts zurückfallen. Inklusion ist natürlich deutlich mehr. Aber ich kann einräumen, dass der gemeinsame Unterricht ein Stück weit am greifbarsten ist und wahrscheinlich auch sehr emotional von den Kolleginnen und Kollegen begleitet wird.

Ich denke einmal, nicht gemeint - so hoffe ich; bei Ihnen, Frau Dalbert, bin ich mir darin eigentlich sicher - dürfte die Art und Weise der Forschung der Bertelsmann-Stiftung an dieser Stelle sein: Ich habe ein paar Zahlen, die bringe ich zueinander in Relation und bringe ich auch noch so etwas hervor wie eine Inklusionsquote, die schon in sich nicht stimmig ist. Das, meine Damen und Herren, geht nicht nur meterweit am Problem vorbei, sondern es verstellt auch den Blick auf die eigentlichen Probleme.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich denke, wir müssen uns der Frage stellen: Was wollen wir tatsächlich untersuchen? Ist es eine Leistungs- und Kompetenzmessung? Dann sind eher die Psychologinnen und Psychologen am Werk. Wenn man sich die Studie in Brandenburg anschaut, dann stellt man fest, dass es dabei eher darum geht, was in Mathematik von Schülerinnen und Schülern geleistet wird. Es geht um Leseleistungen. Es sind auch ein paar soziale Parameter dabei. Das geht im Wesentlichen durch Erfassung und Befragung nach vorgelegten Kriterien.

Was habe ich dann als Aussage? - Als Aussage habe ich dann bestenfalls - ganz platt gesagt -: Die

Schülerinnen und Schüler sind im Jahr 2013 erfolgreicher als im Jahr 2012.

Was sind der Effekt und der Nutzen? - Diejenigen, die an einem Umbau - das ist ein schwieriger Umbau - interessiert sind, sind danach auch nicht schlauer in Bezug darauf, wie man einen solchen Prozess besser steuert. Ich kritisiere auch, dass die Schule selbst nichts davon hat. Denn die Schulentwicklung selbst wird damit nicht befördert. Es wird festgestellt, was ist. Das ist auch in Ordnung, das ist mitunter auch das Anliegen von Forschung. Aber es wird nichts dazu gesagt, wie man etwas verändern kann.