Protocol of the Session on March 27, 2014

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer ausschließlich den Blick nach vorn richtet, blendet Tausende Familien aus, die mit den Folgen des Unrechts leben müssen. Deswegen ist die derzeitige Arbeit fortzusetzen, aber auch neu auszurichten. Dazu gehört es, die Amtsbezeichnung zu aktualisieren. Ich bin froh, dass wir diese Initiative in der Koalition gemeinsam auf den Weg bringen können.

Wir haben auch den Änderungswunsch von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vernommen. Soweit Forschungseinrichtungen, Universitäten, Archivstellen etc. einzubinden sind, halten wir es für vernünftig, dies auch in der Anhörung entsprechend vorzusehen.

Deswegen würde ich darum bitten, dass wir unsere Initiative um diesen Punkt ergänzen. In dem Satz: „Aus diesem Grund führt der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung eine Anhörung unter Einbeziehung der betroffenen Verbände durch“, sind nach den Worten „der betroffenen Verbände“ die Worte „und Forschungseinrich

tungen“ einzufügen. Wir würden dies gern aufnehmen und auch so zur Abstimmung stellen. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zu- stimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Landesregierung spricht die Ministerin Frau Professor Kolb. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! In der letzten Woche hat ein Festakt anlässlich des 20-jährigen Bestehens des bzw. der Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen stattgefunden. Hier wurde eine durchaus positive Bilanz gezogen. Wir sind bei der Aufarbeitung des begangenen Unrechts ein ganzes Stück vorangekommen. Aber es gibt noch eine ganze Menge zu tun.

Frau Neumann-Becker hat anlässlich des 20-jährigens Bestehens der Behörde und der Übergabe ihres 20. Jahresberichts deutlich gemacht, dass sich in den letzten Jahren die Aufgaben gewandelt haben. Sie sieht weiterhin einen großen Unterstützungsbedarf von Opfern des SED-Regimes, auch wenn die Zahlen sowohl der Anträge auf Akteneinsicht als auch der Anträge auf Überprüfung von Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. Nichtsdestotrotz wenden sich in letzter Zeit insbesondere viele Angehörige hilfesuchend an die Landesbeauftragte.

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass seit der friedlichen Revolution in Sachsen-Anhalt 35 200 Menschen strafrechtlich rehabilitiert worden sind, zeigt das, welcher Kraftakt das für den Rechtsstaat war. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass sich in diesem Zusammenhang nach wie vor eine Vielzahl von Fragen stellt, Fragen zur finanziellen Entschädigung und zur Wiedergutmachung, insbesondere beim Ausgleich gesundheitlicher Schäden.

Ich möchte mich an dieser Stelle ebenso wie der Fraktionsvorsitzende Herr Schröder bei all denjenigen bedanken, die dazu beigetragen haben, in dieser relativ kurzen historischen Zeit Unrecht aufzuarbeiten. Ich sage an dieser Stelle ganz deutlich: Auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution darf der Blick auf die Opfer der SED-Diktatur nicht verloren gehen.

Wir brauchen dennoch einen Blick in die Zukunft. Wenn man ehrlich ist, muss man eingestehen, dass schon heute die Bezeichnung dieser Behörde nicht mehr zutreffend ist. Bei der konkreten inhalt

lichen Arbeit geht es eben nicht nur um die StasiAkten, sondern es geht um viel mehr.

Deshalb ist es konsequent, heute zu sagen, wir richten den Blick in die Zukunft, wir beschäftigen uns mit den Fragestellungen, die in den vergangenen Monaten in diesem Hohen Haus debattiert worden sind, etwa mit dem Arbeitszwang in DDRGefängnissen und auch in Jugendwerkhöfen oder mit Medikamentenversuchen. Das sind völlig neue Fragestellungen, von denen wir vor einigen Jahren noch überhaupt nichts wussten. Ich bin mir auch nicht sicher, inwieweit es noch andere Fragestellungen gibt, die in den nächsten Jahren auf uns zukommen und auf die wir konkrete Antworten finden müssen.

Ich glaube, wir brauchen insgesamt eine breite gesellschaftliche Debatte, auch vor dem Hintergrund, dass die jungen Leute, die heute zur Schule gehen, überhaupt keine Vorstellung mehr davon haben, was es eigentlich bedeutet, in einer Diktatur gelebt zu haben, welche Konsequenzen das hatte. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir eine neue Erlebens-, eine neue Gedächtniskultur gerade auch für die junge Generation in diesem Zusammenhang schaffen können. Das heißt, wir müssen in Zukunft eine intensive Debatte über Aufgaben, aber auch über Strukturen führen.

Diese Debatte wird nicht nur auf Landesebene geführt. Ich hatte vor wenigen Wochen Besuch vom Bundesbeauftragten Herrn Jahn, der mir gesagt hat, dass es jetzt eine intensive Debatte auf der Bundesebene sowohl über die zukünftigen Aufgaben als auch über die Strukturen, ganz konkret über die Frage, wo in Zukunft die Stasi-Unterlagen angebunden werden sollen, geben soll.

Wir haben in Sachsen-Anhalt sehr gute Ansätze bei unserer Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Sie hat ein ganz starkes, enges Netzwerk von Vereinen und Verbänden zur Aufarbeitung und zur Unterstützung bei dieser nicht ganz leichten Aufgabe etabliert.

Wir haben darüber hinaus eine Vielzahl von anderen Einrichtungen, etwa die Landeszentrale für politische Bildung und die Stiftung Gedenkstätten, die zur Aufarbeitung beitragen. Ich bin davon überzeugt, dass wir Lösungen finden werden, um diese Dinge in Zukunft noch stärker vernetzten zu können und Strukturen zu finden, die für die Zukunft tragfähig sind.

In anderen Ländern, beispielsweise in Brandenburg und in Thüringen, hat es bereits Umbenennungen gegeben. Ich glaube, wir können uns im Rahmen der Anhörung auch mit diesen bereits existierenden Gesetzentwürfen und der damit verbundenen Debatte beschäftigen.

Ich bin froh, dass wir diese Debatte dann im Ausschuss haben werden. Ich würde mir wünschen,

dass diese Debatte nicht nur im Ausschuss geführt wird, sondern dass wir darüber hinaus eine möglichst breite Debatte über die Vergangenheit, aber auch über die zukünftige Bewältigung der nach wie vor vor uns stehenden Aufgaben haben werden. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Wir eröffnen jetzt die vereinbarte Fünfminutendebatte mit dem Redebeitrag der SPD-Fraktion. Es spricht die Fraktionsvorsitzende Frau Budde. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einer der vielen denkwürdigen und merkwürdigen Momente der friedlichen Revolution - ich glaube, darin sind wir uns einig - war der Auftritt von Erich Mielke am 13. November 1989 vor der DDR-Volkskammer. Der damals schon zurückgetretene Minister für Staatssicherheit sagte in seiner ersten und einzigen Rede vor der Volkskammer die bis heute unvergessenen Worte: „Ich liebe euch doch alle, alle Menschen. Ich setze mich doch dafür ein.“

Größer könnte die Lücke zwischen Selbstbild und Wirklichkeit nicht sein, wenn man sich das Ausmaß ansieht, mit dem Mielkes Apparat das Leben Hunderttausender Bürgerinnen und Bürger der DDR ausgespäht, infiltriert und teilweise auch dramatisch verändert hat.

Man muss ganz klar sagen, Mielkes Stasi war kein humanistischer Gutmenschenverein. Sie war eine Säule der Diktatur, Schild und Schwert der Partei, die jeden und jede hart und unbarmherzig in die Ecke drängte und unnachgiebig in das Leben dessen eingriff, der mit dem System in Konflikt kam.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Ich kenne natürlich nicht jede und jeden Betroffenen persönlich. Aber in einem Punkt bin ich mir ziemlich sicher: Als Liebesbekundung, wie Herr Mielke das sagte, wird diesen Eingriff niemand von ihnen empfunden haben.

(Zustimmung von Frau Grimm-Benne, SPD, Frau Niestädt, SPD, und von Herrn Erben, SPD)

Die Aufarbeitung der Arbeit dieses Repressionsapparates war daher unausweichlich und ein wichtiges Anliegen in der Zeit nach der friedlichen Revolution. Am 6. Dezember 1989 wurde auf Druck der neuen politischen Gruppierungen und der Kirchen die Gründung eines Bürgerkomitees zur Kontrolle und Beendigung der Aktivitäten der Stasi beschlossen.

Das wichtigste Ziel war es damals, die Stasi an der Vernichtung von Akten und Beweismaterial zu hindern. Daraufhin wurden in den Dezembertagen 1989 die Stasi-Zentralen in den Bezirken und Kreisen besetzt und am 15. Januar 1990, also einen Monat später, endlich auch die Normannenstraße. Es ist sicherlich bis heute eine der historischen Merkwürdigkeiten der friedlichen Revolution, dass es dort so lange gedauert hat.

Joachim Gauck wurde am 3. Oktober 1990 zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung und am 29. Dezember 1991 mit Inkrafttreten des StasiUnterlagen-Gesetzes zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ernannt. Seit dem 20. Dezember 1994 hatte dann auch das Land SachsenAnhalt mit Edda Ahrberg eine Landesbeauftragte für Stasi-Unterlagen.

Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Zeit im Herbst 1989. Damals haben wir gar nicht gewusst, was wir forderten, als wir die Losungen „Stasi in die Produktion“ und „Stasi in den Tagebau“ auf die Plakate geschrieben haben. Ein halbes Jahr später wollten wir das nicht mehr. Da wollten wir schon eher, dass unsere eigenen Leute dort weiterarbeiten. Was damit gemeint war, ist allerdings, wie ich glaube, jedem hier im Raum klar gewesen.

Wenn man zurückblickt, stellt man fest, dass die Landesbeauftragte und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser nunmehr 20-jährigen Tätigkeit einen unverzichtbaren Beitrag zur Aufarbeitung von DDR-Unrecht geleistet haben. Sie haben Tausende Bürgerinnen und Bürger beraten, die unter den Folgen der Diktatur gelitten haben und zum Teil auch heute noch leiden.

Sie haben ihnen den Zugang zu ihren Akten und damit das Wissen über alle Teile ihrer Biografie wiedergegeben und eröffnet. Man kann es eigentlich so zusammenfassen: Sie haben die Betroffenen wieder zu Herren über die eigene Biografie gemacht und ihnen Wege zur Rehabilitierung aufgezeigt. Für diese verantwortungsvolle Arbeit gebührt der Landesbeauftragten und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Dank und unser großer Respekt.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Dr. Paschke, DIE LINKE, und von der Re- gierungsbank)

Die Arbeit der Landesbeauftragten hat neben diesen persönlichen auch einen gesellschaftlichen Blick auf und in die Schicksale derer eröffnet, die mit dem System aneinandergeraten sind. Das ist und bleibt unverzichtbar für die Erforschung der Strukturen und die Arbeit des ehemaligen Ministeriums für Staatsicherheit und für das Funktionieren der zweiten deutschen Diktatur.

Hätte mich jemand vor 25 Jahren gefragt, ob wir 2014 noch eine Landesbeauftragte für Stasi-Unter

lagen brauchen, hätte ich möglicherweise gesagt, nein, nach einem Vierteljahrhundert müsste die Aufarbeitung beendet sein. Heute bin ich mir sicher, dass wir die Akten nicht zuklappen können und dass wir noch eine ganze Weile für die Aufarbeitung brauchen werden.

Nun ist die Zahl der Überprüfungen zurückgegangen. Im vergangenen Jahr gab es nur noch 18 Überprüfungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien und in der Staatskanzlei. Doch es gibt noch immer eine hohe Anzahl an Gesuchen, nämlich 8 000, die das persönliche Bedürfnis nach Akteneinsicht betreffen. Und es gibt noch immer eine konstante Zahl von Menschen, nämlich 1 600, die ungebrochen darüber reden wollen, was ihnen passiert ist, und die das aufgearbeitet haben wollen.

Ein Feld, das mir sehr wichtig ist, ist das Feld der politischen Bildung, das aus meiner Sicht viel stärker in den Mittelpunkt rücken muss und ausgebaut werden muss. Denn ich glaube, das ist unverzichtbar dafür. Wenn man sich die Debatten ansieht und anhört - insbesondere in den vergangenen Wochen -, die sich mit dem Thema Stendal, mit dem Thema Unterricht und vielem anderen mehr befassen, dann wird klar, dass Bildung gegen das Vergessen und Bildung für Demokratie eines der wichtigsten Themen ist. Darüber sollten wir mit Sicherheit im Ausschuss diskutieren. Dieses Thema muss in den Fokus gerückt werden, wenn es um die Fortentwicklung der Arbeit der Beauftragten geht.

Wir wollen nicht einfach vorschlagen, wie der neue Name lauten soll, wir wollen nicht einfach beschließen, wie der Inhalt der Arbeit zukünftig aussieht, sondern wir wollen, dass im Ausschuss darüber diskutiert wird, was die zukünftigen Aufgaben sein werden. Ich hoffe auf einen breiten Konsens.

Wir wollen dazu die Verbände anhören und finden es auch vernünftig, die Forschungseinrichtungen einzubeziehen. Ich würde hier gern als mündlichen Antrag einbringen, dass unser Antrag dahingehend ergänzt wird, dass auch die Forschungseinrichtungen anzuhören sind. Und ich unterstütze das, was eben seitens unseres Koalitionspartners vorgetragen wurde.

Ich bitte um Zustimmung zu dem Antrag. Ich freue mich auf die Diskussion im Ausschuss und glaube, dass wir zu einem guten Ergebnis kommen werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Budde. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt Frau Quade. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begehen in diesem Jahr den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution und das 20-jährige Bestehen des Amtes der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Beides wird uns an unterschiedlicher Stelle noch beschäftigen. Beides ist Anlass innezuhalten und zurückzuschauen, aber auch nach vorn.

Ich kann für meine Fraktion feststellen: Wir teilen ausdrücklich den ersten Absatz des Antrages des Koalitionsfraktionen. Wir würdigen die Arbeit der Landesbeauftragten und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und erkennen sie an.

(Zustimmung von Frau Dr. Klein, DIE LIN- KE)

Nicht nur bei den unterschiedlichen Begegnungen und Gesprächen, beispielsweise im Gebäude der LStU in Magdeburg, die wir hatten, sehen wir, wie vielfältig und fassettenreich die dort geleistete Arbeit ist, wie wichtig insbesondere die Beratung von Menschen ist, die unter den Folgen in der DDR geschehenen Unrechts leiden, und von welcher Bedeutung es für diese Menschen ist, eine Anlaufstelle und Ansprechpartnerinnen zu haben.

Wir teilen ausdrücklich den Ansatz, über eine Neuausrichtung der Arbeit des Amtes zu diskutieren. Es ist bekannt, dass meine Fraktion das Instrument der Anhörung sehr schätzt. Auch in diesem Fall halten wir eine Anhörung im Ausschuss für sachdienlich und angebracht.

Allerdings - ich ahne, dass wir hierbei einen Dissens haben - nehmen Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen, mit Ihrem Antrag und der darin formulierten Zielstellung der Anhörung ein mögliches Ergebnis einer Debatte um eine Neuausrichtung des LStU vorweg: dass am Ende in jedem Fall die Verstetigung des Amtes stehen soll.