Protocol of the Session on December 13, 2013

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Drittens. Interessenausgleich: Unbenommen tragen Landtag und Landesregierung gemeinsam Verantwortung dafür, dass die öffentlichen Haushalte solide aufgestellt werden. Landespolitik muss aber ebenso ein Interesse daran haben, gleichwertige Lebensverhältnisse im Land zu gewährleisten, und das nicht nur, weil das möglicherweise als formale Pflicht angesehen wird, sondern deshalb, weil es im Interesse gemeinsamer Zukunftsfähigkeit liegt.

Diese Zukunftsfähigkeit definiert sich eben nicht nur an fiskalischen Kriterien, sondern auch daran, welche Bildungsperspektive Kinder und Jugendliche in Sachsen-Anhalt haben. Es wird immer gern darauf abgehoben, es sei im Interesse künftiger Generationen, den Haushalt zu konsolidieren, womit im Regelfall „kürzen“ gemeint ist. Ich würde gern die Frage stellen: Ist es denn nicht auch im Interesse genau dieser Generation, dass sie ein gut erreichbares Schulnetz und ein qualitativ hochwertiges Angebot mit personell gut ausgestatten Schulen vorfindet, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Also: Um wessen Interessen geht es denn? Geht es am Ende nicht einfach nur um das Interesse der Landesregierung, Recht behalten zu haben? Das, meine Damen und Herren, kann nun kein Maßstab sein.

Niemand ignoriert, dass Strukturen nicht auf Ewigkeit unverändert bleiben können. Aber lassen Sie mich an dieser Stelle auch sagen: Der Finanzminister hat gestern beim Thema Personal auch wieder den Eindruck erweckt, dass außer ihm und vielleicht dem einen oder anderen Fan hier in den Fraktionen niemand im Land bereit wäre, Strukturen zu verändern. Wenn es eine Struktur gibt, die in den letzten 20 Jahren ihren Beitrag geleistet hat, dann ist es das Schulnetz, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Deswegen will ich an dieser Stelle zwei Zahlen nennen: 1991/92 hatten wir in Sachsen-Anhalt 1 731 öffentliche Schulen. Im Jahr 2012/13 waren es 834. Dieses Schulnetz hat seinen Beitrag zur demografischen Entwicklung geleistet, und es ist Aufgabe der Landesregierung, dies auch einmal zu würdigen und nicht weiter nur Kürzungen zu fordern, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn Frau Budde gestern darauf hinwies, dass es nicht allein der Arbeitsplatz sei, der Menschen nach Sachsen-Anhalt führe oder hier halte, dann hat sie damit natürlich Recht. Wer politisch auf den prognostizierten demografischen Knick in zehn Jahren, also 2025, reagieren will, der muss sich die Frage stellen, welche Alternative er auswählt. Die Landesregierung, die Mehrheit dieses Hauses entscheidet sich bisher dafür, jetzt schon - zehn Jahre vorher, vor dieser Situation - zu kapitulieren.

(Zuruf von der CDU: Och, nee!)

Die Alternative wäre ein aktives Gegensteuern, meine Damen und Herren. Wer Strukturen permanent zurückbaut und damit Qualität zurückbaut, muss sich nicht wundern, dass Bürgerinnen und Bürger darauf reagieren und weiterhin weggehen. In wessen Interesse kann das sein? - Nicht in unserem.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Viertens. Redlichkeit: Sie behaupten in den Debatten für die jetzt vor uns liegende Planungsperiode für die Schulentwicklung - also für den Zeitraum 2014 bis 2019 -, die demografische Entwicklung erfordere dies. Das ist falsch. Im Planungszeitraum bis 2019 bleiben die Schülerzahlen stabil. Sie sagen - das ist schon bemerkenswert -, der kommende Personalmangel an den Grundschulen erfordere diese Einschnitte. Ich habe gerade einen Zeitungsbericht gelesen, in dem sich der Staatssekretär zur Resolution des Burgenlandkreises äußert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit Jahren diskutieren wir hier in diesem Haus über die Tatsache, dass wir aufgrund der Altersabgänge und der mangelnden Neueinstellungen auf einen Personalmangel zusteuern. Über Jahre ist mir erklärt worden: Das ist Schwarzmalerei! Hören Sie mal auf! Das ist so wie in den anderen Ländern. Damit geht es schon klar. - Jetzt, wo die Situation eintritt, begründet die Landesregierung die Schulschließungen mit dem - huch! - eingetretenen Personalmangel. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist schon bodenlos.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das ist das Ergebnis Ihrer Entscheidungen, nichts anderes.

Letzter Punkt zum Thema Redlichkeit: Sie behaupten immer gern, mit Ausnahme der kleinsten Grundschulen könne das Schulnetz stabil bleiben. So ist auch die Verordnung geschrieben. Auch das ist falsch. Das, was Sie jetzt anführen, was ich eben genannt habe, um die Grundschulschließungen zu begründen, nämlich der Personalmangel, trifft aufgrund Ihrer falschen Personalpolitik alle Schulformen. Deswegen - das habe ich hier mehrfach gesagt - ist es Augenwischerei zu behaupten,

wir könnten mit dieser Personalpolitik an den weiterführenden Schulen alles so belassen, wie es ist. Die Antwort darauf sind Sie immer noch schuldig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir im kommenden Jahr alle miteinander wieder Bürgerinnen und Bürger aufrufen, sich für kommunale Mandate zu bewerben - wir tun das dankenswerterweise alle miteinander -, und sie dann auch noch auffordern, zu diesen Wahlen zu gehen, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie es nicht tun. Nichts, was beim Thema Schulentwicklungsplanung im Moment in diesem Land stattfindet, hat irgendetwas Motivierendes, sich auf kommunaler Ebene zu engagieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Fünftens. Zur Glaubwürdigkeit. Gestatten Sie mir diese Bemerkung: Ich bin es leid, dass die Koalitionsparteien und Abgeordnete dieses Hauses hier jeden lauten Widerspruch vermissen lassen, ihn vor Ort aber selbst mit organisieren, als hätten sie mit all dem hier nichts zu tun. Das ist unglaubwürdig.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Wir haben Ihnen heute erneut einen Antrag vorgelegt. Erster Punkt - ich habe dies immer wieder vorgetragen -: Die Schulnetzplanung ist personell nicht untersetzt. Deswegen eine Reaktion auf das, was der Finanzminister gestern wieder behauptet hat - falsch behauptet hat -, die 2 000 Stellen, die im Personalbereich abgebaut werden, beträfen Personen, die gar nicht mehr im aktiven Dienst seien. Also entweder kennt er seine Tabellen nicht oder er behauptet hier bewusst Unwahrheiten. Es sind die Stellen von 2 000 aktiven Bediensteten, die abgebaut werden sollen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Damit muss endlich Schluss sein!

Zweite Bemerkung: Gehen Sie endlich auf die kommunalen Planungsträger zu, setzen Sie die Vorgaben für die Grund- und Förderschulen aus und suchen Sie den Dialog mit den Schulträgern. Bisher machen Sie sich einen schlanken Fuß zulasten anderer. Auch damit muss Schluss sein.

Dritte Bemerkung: Lassen Sie uns endlich über flexible Lösungen reden, die vor Ort praktikabel sind. Wenn Politik von den Betroffenen immer wieder Flexibilität einfordert, dann muss sie auch selber dazu in die Lage sein. - Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Höhn. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Dorgerloh. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich glaube, es ist allen in diesem Haus bewusst, dass die Aufstellung von Schulentwicklungsplänen vor Ort keine einfache Aufgabe für die Träger ist. Insbesondere die Zusammenführung von Schulen erzeugt vor Ort Betroffenheit. Dies sind keine einfachen Diskussionen und keine einfachen Entscheidungen.

Herr Höhn, ich kann mich daran erinnern, dass wir vor ungefähr einem Dreivierteljahr - vielleicht können Sie sich daran genauer erinnern - zu einer Dialogveranstaltung in Stendel waren und uns dort den Fragen und Sorgen, aber auch den nötigen Entscheidungen und Debatten gestellt haben.

Ähnlich wie in Stendal gab es ganz viele Diskussionsforen im Land, an den unterschiedlichsten Stellen und zu den unterschiedlichsten Problematiken, zu denen wir unterwegs waren, bei denen wir miteinander gesprochen haben, wo ich Bürgerinitiativen getroffen habe, Bürgermeister, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und Kommunalpolitiker. Diese Dialoge sind wichtig und diese Dialoge finden statt. Dialog bedeutet aber auch, dass man mit Wahrheit und Klarheit an diese Themen herangehen muss.

Ich möchte jetzt versuchen darzustellen, warum wir bestimmte Entscheidungen in der Schulentwicklungsplanungsverordnung, die wir im Ausschuss besprochen haben, als notwendig erachten. Es kommt natürlich eine ganze Reihe von Fragen hinzu. Auch diese werden wir in einem weiteren Kommunikationsprozess mit den Leuten vor Ort, mit den Entscheidungsträgern vor Ort, mit den Menschen vor Ort, die häufig zwischen einem lokalpolitischen Herz und nüchternen Fakten abwägen müssen, besprechen.

Natürlich wünschen sich Eltern, Schüler und Lehrkräfte den Verbleib kleiner und - das muss man bei uns so sagen - kleinster Schulen vor Ort. Ich möchte an dieser Stelle sagen: Ich kann das gut nachvollziehen. Ich habe in den Gesprächen immer wieder gemerkt, wie wichtig das den Betroffenen ist und wie ernst ihnen dieses Anliegen ist.

Kritiker der Schulentwicklungsplanung tragen immer wieder vor - wir haben es eben auch noch einmal gehört -, dass die Schülerzahlen im kommenden Planungszeitraum stabil seien. Das ist richtig, aber eben nur ein Ausschnitt aus einer etwas komplexeren Botschaft.

Fakt ist: Auch wenn die Zahlen jetzt ein paar Jahre lang stabil sind - der demografische Wandel schreitet voran. Die Schulbehörden und die Schulträger müssen sich darauf einstellen. Auf der Grundlage der 5. Regionalisierten Bevölkerungsprognose für Sachsen-Anhalt wird eine Abnahme der Geburtenzahl erwartet. Sie wird von derzeit

17 000 auf 15 000 Geburten im Jahr 2015 - das ist nicht mehr lange hin -, auf ca. 12 000 Geburten im Jahr 2020 und auf ca. 9 300 Geburten im Jahr 2025 sinken.

Dies werden wir zuerst an den Grundschulen merken. Auch dort wird die Zahl der Schülerinnen und Schüler - auch wenn sie jetzt konstant bleibt - sinken, und zwar signifikant.

Reagiert man erst im Jahr 2020, besteht die berechtigte Sorge, dass die Einschnitte in das Schulnetz wesentlich abrupter wären und die politisch Handelnden noch stärker unter Druck geraten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung originär nur bei den Grundschulen die Planungsgrößen verändert und moderat angepasst.

Bei den weiterführenden Schulformen hat sich nichts an den Vorgaben zur Schulgröße und Eingangsklassenbildung verändert. Das sage ich ausdrücklich; denn damit wird auch anerkannt, dass in den letzten Jahren in den weiterführenden Schulformen erhebliche Anstrengungen unternommen und Entscheidungen getroffen worden sind. Gerade deshalb ist das sehr differenziert betrachtet worden.

Wir haben nicht erst nach der Verordnung, sondern auch schon im Vorfeld der Verordnung mit vielen Leuten in den Regionen gesprochen und diskutiert. Deswegen gibt es an dieser Stelle ein sehr differenziertes Herangehen. Ich werde dies gleich erläutern.

Warum sind bei Grundschulen Veränderungen der Schulgröße notwendig? Herr Höhn, Sie haben gesagt, die Schülerzahlen seien stabil. Das ist der Blick nach vorn. Aber wir müssen bei den Grundschulen im Hinblick auf diese Frage auch einen Blick zurück werfen und uns fragen: Was ist in den letzten Jahren passiert bzw. was ist in den letzten Jahren nicht passiert?

Diesbezüglich haben wir aus unserer Perspektive und aus unserer Analyse heraus durchaus einen Reformstau festzustellen, der - wenn man es freundlich formuliert - zahlreichen großzügigen Ausnahmeregelungen geschuldet ist.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von der CDU: Das stimmt!)

Wenn wir uns dies in einer vergleichenden Betrachtung der Schulnetze der Flächenländer Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und MecklenburgVorpommern anschauen, dann ist einer der wesentlichen Befunde, dass Sachsen-Anhalt die mit Abstand meisten kleinen Grundschulen mit weniger als 60 Schülerinnen und Schülern aufweist.

Unser Bundesland verfügte im Jahr 2012 über 82 Grundschulen mit weniger als 60 Schülern, Sachsen über 18, Thüringen über elf und das am

dünnsten besiedelte Mecklenburg-Vorpommern über 20. Noch einmal zum Vergleich: SachsenAnhalt hatte 82.

(Herr Leimbach, CDU: Genau!)

Das heißt, wir können nicht nur nach vorn schauen, sondern wir müssen auch fragen: Was ist in den vergangenen Jahren unterlassen worden?

Das Gleiche gilt für Schulen mit weniger als 80 Schülern. Sachsen-Anhalt hatte im Jahr 2012 158 Schulen mit weniger als 80 Schülern, Sachsen 104, Thüringen 60 und Mecklenburg-Vorpommern sogar nur 41. Dies muss man auch wahrnehmen.

Meine Damen und Herren! Diese Kleinteiligkeit bei den Grundschulen im Land wird vor Ort sehr geliebt - das nehme ich wahr und das nehmen wir auch sehr ernst -, aber sie führt natürlich auch zu Problemen, die man nicht wegdiskutieren kann.