Protocol of the Session on October 17, 2013

Einbringerin ist Frau Professor Dalbert. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich nach den Debatten zur inneren demokratischen Organisation des Parlaments, zum Hochwasser und zu Grenzänderungen jetzt die Debatte zum kleinen hochschulpolitischen Block, den wir heute auf der Tagesordnung haben, eröffnen darf.

Es geht um ein Thema, über das der Bundespräsident spricht. Der Präsident der Leopoldina tut es auch. Viele Wissenschaftsgesellschaften tun es. Auch wir sollten es tun. Wir sollten über die Verkrustungen der Personalstruktur an unseren Hochschulen reden. Wir sollten die Verkrustungen aufbrechen. Wir sollten die Personalstruktur modernisieren und sie international konkurrenzfähig machen.

Wir haben bereits im März des letzten Jahres über die Personalstruktur an den Hochschulen debattiert. Da habe ich mir erlaubt, einen ehemaligen Kollegen von mir, Professor Kreckel, Leiter des Instituts für Hochschulforschung, zu zitieren, der sagte: Die Personalstruktur an den Hochschulen ist ein verkrustetes System, aus dem keiner so richtig rauskommt.

Aber ich sage, wir müssen da herauskommen. Das ist das Ziel unseres heutigen Gesetzentwurfs. Wir müssen da deswegen herauskommen, weil uns sonst die besten Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen verlassen werden. Es wird zu dem kommen, was man im Englischen mit dem schönen Begriff „brain drain“ bezeichnet, also dazu, dass die Besten gehen. Es wird uns auch auf Dauer nicht gelingen, die Besten für unsere Hochschulen im Lande zu gewinnen. An das Problem müssen wir also heran, das heißt, an die Personalstruktur.

Es geht mir heute nicht um die Frage des Prekariats, das im wissenschaftlichen Mittelbau zunehmend geschaffen wird. Auch das war hier im Hohen Haus schon Thema, Stichwort: Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Darauf möchte ich heute nicht eingehen, sondern auf die Frage der Struktur des wissenschaftlichen Nachwuchses an den Hochschulen.

Wenn wir uns die Situation anschauen, dann müssen wir aus internationaler Perspektive feststellen, dass wir ganz klar eine Unwucht bei der Personalstruktur haben; denn der professorale Überbau macht in Deutschland etwa 15 %, der wissenschaftliche Mittelbau rund 85 % aus. International sieht das ganz anders aus. In England und Frankreich hat der professorale Überbau einen Anteil von etwa 65 %. In den USA beträgt der Anteil sogar knapp 70 %.

Diese Unwucht ist es, über die ich hier reden will. Diese Unwucht hat einen Grund. Der Grund liegt darin, dass wir den wissenschaftlichen Mittelbau in Deutschland traditionell sehr lange in Abhängigkeit vom Lehrstuhlinhaber lassen, für den die Betreffenden weisungsgebunden arbeiten. Demzufolge gibt es keine Karrierewege an unseren Hochschulen.

Diese Abhängigkeit war vor vielen Jahren schon einmal Thema. Man hat versucht, das Problem dadurch zu lösen, dass man sogenannte Juniorprofessuren geschaffen hat. Juniorprofessuren sind allerdings leider eine komplette Fehlkonstruktion, weil sie eben nicht gesicherte Karrierepfade beinhalten. Gucken wir uns die Zahlen in der Bundesrepublik Deutschland an: Nach sechs Jahren Juniorprofessur erhalten gerade einmal 8 % eine Dauerprofessur. Für die große Mehrheit von über 90 % ist das also einfach ein sechsjähriger Vertrag, und die Tätigkeit wird dann beendet.

Das hat Konsequenzen für die wissenschaftliche Arbeit der jungen Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen; denn man braucht Geld, um Forschung aufzubauen. Man muss Labore einrichten und ähnliche Dinge tun.

Welche Hochschule ist bereit, dieses Geld in die Hand eines Nachwuchswissenschaftlers zu geben, wenn mit über 90-prozentiger Sicherheit klar ist, dass er die Hochschule nach sechs Jahren verlassen wird? Das ist also keine gute Investition von Mitteln. Insofern werden die Inhaber von Juniorprofessuren in ihren Arbeitsmöglichkeiten beschränkt.

Aus all diesen Gründen gibt es in Sachsen-Anhalt kaum Juniorprofessuren. Nach der Antwort auf eine Anfrage - Drs. 6/2011 - gab es im Jahr 2011 gerade einmal 27 Juniorprofessuren im ganzen Land, davon fünf an der Martin-Luther-Universität und 22 in Magdeburg.

Ich denke, die Zahlen und Beispiele machen deutlich, dass es in der Personalstruktur des wissenschaftlichen Nachwuchses eine Unwucht gibt. Unser Gesetzentwurf zielt darauf ab, gesicherte Karrierepfade einzuführen.

Sie wissen vielleicht, dass es bei den Professuren verschiedene Stufen gibt. Es gibt W1-, W2- und W3-Professuren. W 1 ist in der Regel die befristete Assistenzprofessur. Bei W2- und W3-Professuren handelt sich um Dauerprofessuren, die unterschiedlich dotiert sind und im wissenschaftlichen Alltag auch meist mit unterschiedlichen Pflichten versehen sind.

Allerdings kann man sich bisher nicht an einem Ort aufgrund von Qualitätskriterien von einer professoralen Stufe zur anderen fortbewegen. Das ist das, worum es geht.

Unser Vorschlag zielt darauf ab, sogenannte Tenure-Track-Professuren zu schaffen. Es geht darum, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Anfang 30, promoviert, mit ein paar Jahren Erfahrung in Forschungsprojekten, Forschungseinrichtungen auf eine solche Tenure-Track-Professur zu berufen, die wissen, dass sie nach sechs Jahren von einer Kommission - nach Möglichkeit von einer international besetzten Kommission - daraufhin überprüft werden, ob sie die Exzellenzkriterien ihres Faches erfüllen. Wenn die Kommission sagt, dass das der Fall ist, dann kann der Nachwuchswissenschaftler die nächste Stufe erklimmen. Er kann dann auch „verdauert“ werden, wie man es so schön nennt, also eine Dauerprofessur bekommen.

Er hat somit die Möglichkeit - so wie es international üblich ist -, hier bei uns Karriere zu machen, zu wissen: Wenn ich zu den Besten in meinem Fach gehöre, dann kann ich hier, wo ich meine Erstberufung als Jungwissenschaftler mit etwa Anfang 30 erhalten habe, weiter Karriere machen.

Darum geht es. Diese Möglichkeit wollen wir durch das Gesetz einräumen. Wenn wir das tun, dann versetzen wir unsere Universitäten und Hochschulen in die Lage, die besten Köpfe an unsere Hochschulen und Universitäten zu holen und im internationalen Wettbewerb zu bestehen.

Ich will nicht verkennen, dass das auch ein wichtiger Beitrag im Rahmen der Gleichstellungspolitik ist. Heutzutage liegt das Erstberufungsalter, das heißt, das Alter, in dem man auf eine Dauerprofessor berufen wird, nachdem man auf verschiedenen Stellen durch die Republik gereist ist, in der Regel - statistischer Mittelwert - bei 40 Jahren. Erst dann hat ein nicht mehr ganz so junger Wissenschaftler bzw. eine nicht mehr ganz so junge Wissenschaftlerin Ortssicherheit. Das heißt, sie wissen, wo sie ihre zukünftige Karriere, wenn sie das denn möchten, verbringen können.

Es scheint mir nicht zufällig zu sein, dass Wissenschaftlerinnen jenseits der 40 ihr erstes Kind bekommen; denn dann erst sind die Bedingungen für die Gründung einer Familie vorhanden. Dann ist eine gewisse Sicherheit vorhanden, um eine Familie zu planen. Insofern wäre das auch ein gleichstellungspolitischer Beitrag.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Insgesamt, denke ich, könnte ein solcher Vorschlag einen Modernisierungsschub in der Struktur des wissenschaftlichen Personals an unseren Hochschulen auslösen, und das in Zeiten knapper Kassen sogar kostenneutral; denn es geht ja nur um eine andere Bewirtschaftung der Personalmittel und nicht um deren Aufwuchs.

Last, but not least will ich an dieser Stelle auch erwähnen: Wir wollen den Hochschulen nichts vorschreiben. Es geht erst einmal darum, das Gesetz so zu ändern, dass es möglich ist, genau diese klaren Karrierepfade zu beschreiten; diese sollen also gesetzlich abgesichert werden. Es soll den Hochschulen die Möglichkeit an die Hand gegeben werden, mit dem Mittel der Tenure-Track-Professur zu arbeiten. Sie sollen nicht dazu gezwungen werden, sondern ihnen soll die Möglichkeit dazu eingeräumt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Natürlich erwartet niemand - auch das soll an dieser Stelle gesagt sein -, dass zukünftig alle Professuren als Tenure-Track-Professuren ausgeschrieben werden. Das wäre auch Unsinn. Man will ja auf bestimmte Positionen gleich internationale Koryphäen berufen, die man natürlich nicht auf eine Juniorprofessur beruft.

Dazu als Beispiel: Die Technische Universität München schreibt Tenure-Track-Professuren aus. Sie hat sich in ihrem Leitbild der Idee verpflichtet, dass etwa ein Drittel aller Professuren als Tenure

Track-Professuren ausgeschrieben wird, während die anderen wie bisher ausgeschrieben werden.

Das ist das Hauptziel des Gesetzentwurfs, den wir heute einbringen. Aber wir verfolgen mit diesem Gesetzentwurf noch ein zweites Ziel. Wir wollen, wenn wir an die Personalstruktur und an die Frage der Professorinnen und Professoren herangehen, die Gelegenheit ergreifen, eine Ungerechtigkeit zu beseitigen, die in unserem Hochschulgesetz enthalten ist.

Die Zugehörigkeit zur Gruppe der Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen hat nichts mit der Berufung auf eine Professur zu tun; vielmehr hat sie etwas damit zu tun, ob man die Tätigkeit eines Professors, eines Hochschullehrers ausübt. Das heißt, man muss die Qualifikation dafür haben, und man muss, was die Tätigkeit angeht, wie ein Professor selbständig lehren, forschen und prüfen. Man spricht in der Rechtsprechung auch vom materiellen Hochschullehrer. Das ist also der, der von seinen Tätigkeiten und seinen Qualifikationen her zu dieser Gruppe gehört.

In unserem Hochschulgesetz gibt es da eine Ungerechtigkeit. Es gibt an unseren Universitäten außerplanmäßige Professorinnen und Professoren, die die Qualifikationen haben, die die Tätigkeiten ausüben und die in diesem Fall sogar den Titel haben. Aber sie gehören nach unserem Hochschulgesetz nicht zur Gruppe der Hochschullehrer. Das ist ungerecht und das entspricht auch nicht der bundeseinheitlichen Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht, die besagt, der materielle Hochschullehrer gehört zu der Gruppe der Hochschullehrer. Ich denke, wenn wir das Gesetz anfassen, sollten wir auch diese Ungerechtigkeit beseitigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht also um die Beseitigung einer Ungerechtigkeit bzw. um die Wiederherstellung von Gerechtigkeit für die außerplanmäßigen Professorinnen und Professoren, die eine Stelle an der Uni haben, und um die Einführung von Tenure-Track-Modellen.

Die Wissenschaftsverbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, in der es heißt:

„Die Einführung von Tenure-Track-Modellen mit gezielter Förderung der akademischen Selbständigkeit für besonders hoffnungsvolle und leistungsfähige Nachwuchswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen wird ein zukünftiger Weg sein, akademische Eliten frühzeitig an die Universität zu binden und ihre Abwanderung in außeruniversitäre Bereiche oder an ausländische Hochschulen mit ausgeprägter Tenure-Track-Kultur zu verhindern.“

Das ist das Kernanliegen unseres Gesetzentwurfs. Deswegen bitte ich das Hohe Haus, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen. Ich freue mich auf angeregte Beratungen im zuständigen Ausschuss. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Professor Dalbert. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Möllring. Bitte schön, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die im Antrag geforderte Möglichkeit des Tenure-Track, also die Aussicht auf eine Dauerbeschäftigung, sieht unser Hochschulgesetz bereits vor. „Tenure-Track“ heißt, wenn Wikipedia es richtig übersetzt:

„Verfahren zur Anstellung (befristete akade- mische Stelle mit fester Laufbahnzusage in Bewährungsfällen)“.

Die Hochschulen haben bereits die Möglichkeit, Juniorprofessoren ohne erneute Ausschreibung auf eine Stelle für eine Lebenszeitprofessur an der eigenen Hochschule zu übernehmen. Voraussetzung ist aber, dass die Wissenschaftler nach ihrer Promotion die Hochschule gewechselt oder eine mehrjährige wissenschaftliche Tätigkeit außerhalb der eigenen Hochschule wahrgenommen haben.

(Herr Lange, DIE LINKE: Genau das ist das Problem!)

Ich finde, dies ist keine unvernünftige Forderung, die im Hochschulgesetz steht; denn wenn wir als Land ein Interesse an Forschern haben, dann an solchen, die schon einmal über den Tellerrand an der eigenen Hochschule hinausgeblickt haben.

(Zustimmung von Herrn Thomas, CDU)

Wir haben im Hochschulgesetz die Möglichkeit, auch wenn wir es nicht mit dem amerikanischen Ausdruck bezeichnet haben, ähnlich wie andere Bundesländer zunächst befristet eine Stelle zu besetzen und dann nach Ende der Befristung zu sehen, ob die Stelle auf Dauer besetzt werden kann. Dies eröffnet jungen Nachwuchswissenschaftlern Perspektiven auf eine Lebenszeitprofessur und trägt zugleich den Prinzipien der Chancengleichheit und des Wettbewerbs Rechnung.

Inwieweit diese Möglichkeit bislang angemessen ausgeschöpft worden ist, sollten wir nicht politisch bewerten, sondern anhand der vorliegenden Zahlen ermitteln. Seit dem Jahr 2007 ist eine solche Regelung gemäß § 36 Abs. 2 Satz 5 des Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt in zwei Fällen zur Anwendung gekommen.

Das Hochschulgesetz des Landes sieht zwei gleichberechtigte Wege zu einer Lebenszeitprofessur vor: die Juniorprofessur und die Habilitation. Es ist somit nur folgerichtig, wenn am Ende der Qualifikationsphase grundsätzlich beide Wege die gleichen Chancen in einem Berufungsverfahren haben.

Die Auswahlmöglichkeit der Hochschule zwischen einem Juniorprofessor und einem Habilitierten bei der Besetzung einer Lebenszeitprofessur würde mit dieser Änderung des Gesetzes erheblich beschränkt werden.

Wenn wir wirklich die Besten suchen, dann weiß ich auch nicht recht, warum Sie vorgeschlagen haben, dass man sozusagen zweimal sechs Jahre zur Probe angestellt wird. Wer nach sechs Jahren bescheinigt bekommt, jetzt hast du es noch nicht ganz erreicht, du kannst noch einmal sechs Jahre machen - ob wir auf diesem Weg die Besten der Besten finden, daran habe ich einige Zweifel.

(Zustimmung von Herrn Thomas, CDU, und von Frau Weiß, CDU)

Anders als in unserem Hochschulgesetz vorgesehen, sieht der Gesetzentwurf bei einer positiven Evaluation auch die Möglichkeit einer Höherstufung von Besoldungsgruppe W 2 nach Besoldungsgruppe W 3 vor. Dies wäre insofern ein Bruch, als Professorenstellen entweder nach Besoldungsgruppe W 2 oder nach Besoldungsgruppe W 3 bewertet werden, je nachdem welche Bedeutung das betreffende Fach für das gesamte Fachgebiet hat. An den Universitäten spricht man von Eckprofessuren, die sozusagen die Hauptfächer eines Fachbereichs abbilden.

Ob jemand eine Stelle der Besoldungsgruppe W 2 oder W 3 bekleidet, ist also nicht Ausdruck der individuellen Leistung eines Professors, sondern der strukturellen Selbstorganisation der Wissenschaft. Dem völlig berechtigten Leistungsprinzip wird grundsätzlich anders entsprochen, nämlich durch die Möglichkeit, leistungsabhängige Zulagen zu den Grundbezügen zu erhalten. Das kann sogar dazu führen, dass ein W2-Professor ein deutlich höheres Monatseinkommen hat als ein W3-Professor. Ich glaube, diesen Grundsatz sollten wir weiter im Auge behalten.