Das ist aber nicht der Fall. Nach dem IBA-Betriebspanel, einer jährlich wiederholten repräsentativen Betriebsbefragung, ist zwar nur jedes vierte Unternehmen in Sachsen-Anhalt tarifgebunden. In diesen tarifgebundenen Unternehmen arbeiten aber gut 50 % der Beschäftigten in Sachsen-Anhalt.
Darüber hinaus orientierten sich noch etwa 35 % der Unternehmen in Sachsen-Anhalt an bestehenden Tarifverträgen. In diesen arbeiten weitere 22 % der Beschäftigten. Man könnte also davon ausgehen, dass gut Dreiviertel der Beschäftigten nach vereinbarten Tarifen entlohnt werden. Zumindest ist mir das so aufgeschrieben worden.
Das ist zwar auf der einen Seite immer noch etwas weniger als in Westdeutschland, aber ist es auf der anderen Seite auch nicht so, dass in SachsenAnhalt ausschließlich Dumpinglöhne gezahlt würden. Es geht also nicht nur darum, Dumpinglöhne zu verhindern, sondern auch darum, Betriebe zu unterstützen, die sich bereits jetzt an Tarifverträge gebunden haben und die damit ihren Beitrag zu attraktiven Arbeitsbedingungen in Sachsen-Anhalt leisten.
Unser Ziel muss es dabei sein, weitere Betriebe darin zu bestärken, ihre Entlohnung ebenfalls an Tarifen auszurichten oder, besser noch, den Tarifparteien beizutreten, damit die Tarifverträge unmittelbare Wirkung entfalten können. Auch dazu kann der vorliegende Antrag mit seinem Bezug auf die tariflichen Entgelte einen Beitrag leisten.
Herr Steppuhn hat schon darauf hingewiesen, wie schwierig es nach der jetzigen Gesetzeslage für die Arbeitsagenturen ist auszuloten, was denn je
weils der der ortsübliche Lohn ist und wie er ermittelt werden kann. Deshalb will ich darauf nicht mehr eingehen.
Der damalige Wirtschaftsminister und jetzige Ministerpräsident hat ja auch versucht, mehr Transparenz zu schaffen und den Arbeitsagenturen eine verlässliche Grundlage für diese Bewertung zu geben. In der letzten Legislaturperiode hat er eine Arbeitsgruppe einberufen, deren Aufgabe es sein sollte, Methoden für mehr Transparenz bei der Ermittlung der Schwellenwerte zur Sittenwidrigkeit von Löhnen auszuloten.
In der ersten Sitzung dieser Arbeitsgruppe waren neben den Vertretern der Landesregierung auch die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften, die Bundesagentur für Arbeit und das Statistische Landesamt mit dabei. Zuerst wurde das Statistische Landesamt gebeten, Möglichkeiten zur Auswertung der Lohnstatistik zu ermitteln.
Sobald die Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe vorliegen, werden dann weitere Schritte beraten, um auch auf der Grundlage der derzeit geltenden gesetzlichen Regelungen weiter voranzukommen.
Aber der jetzt von den Regierungsfraktionen vorgelegte Antrag geht ja deutlich über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus. So soll das Verbot der Vermittlung in sittenwidrige Arbeitsverhältnisse ergänzt werden um das Recht, die Vermittlung in ein Arbeitsangebot abzulehnen, wenn hierfür nicht der Tariflohn oder der ortsübliche Lohn gezahlt wird.
Der Ermessensspielraum für die Arbeitsagenturen zu entscheiden, in welche Arbeitsplatzangebote vorrangig vermittelt wird, würde damit deutlich erweitert. Die Arbeitsagenturen könnten auf dieser Grundlage die Vermittlung von Arbeitsplatzangeboten zu Dumpinglöhnen auch in solchen Fällen ablehnen, in denen der juristische Nachweis der Sittenwidrigkeit bisher nicht - das war ja das Problem - oder nur sehr schwer zu führen ist.
Das Problem der Messung des ortsüblichen Lohns bleibt allerdings auch hierbei bestehen. Wir erhoffen uns für Sachsen-Anhalt aber, wie gesagt, durch diese Arbeitsgruppe eine Hilfestellung und eine Unterstützung.
Auch wenn nach meinem Eindruck noch nicht alle juristischen Fragen im Zusammenhang mit den vorgeschlagenen Ergänzungen des § 36 SGB III vollständig geklärt sind, unterstütze ich diesen Antrag ausdrücklich. Er setzt ein Zeichen dafür, dass sich die Landesregierung von Sachsen-Anhalt für faire und attraktive Arbeitsbedingungen im Land einsetzt.
Wenn der Landtag heute den vorliegenden Antrag beschließt, wird die Landesregierung einen entsprechenden Antrag in das derzeit laufende Gesetzgebungsverfahren zur Novellierung des SGB III einbringen. Wenn wir schon die Unterstützung
eines Landes haben - ich nehme an, es werden noch weitere dazukommen -, bestehen auch gute Aussichten, dass wir diese Regelungen in das Sozialgesetzbuch III übernehmen können. - Vielen Dank.
Danke, Herr Minister. - Wir treten jetzt ein in die Debatte der Fraktionen. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN spricht die Abgeordnete Frau Latta. Bitte sehr.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dieser Antrag macht klar, dass Sie an einem schlechten System herumdoktern, nur um sich nicht mit dem gesetzlichen Mindestlohn befassen zu müssen.
Dies beweisen jetzt sogar Studien unter anderem von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Denn eine Expertengruppe der Prognos AG hat ermittelt, dass eine Lohnuntergrenze von 8,50 € je Stunde den - ich zitiere - Fiskus und die Sozialkassen um gut 7 Milliarden € entlastet.
Von einem gesetzlichen Mindestlohn hätten im Jahr 2009 fünf Millionen Menschen profitiert. Das heißt, fünf Millionen Menschen haben in Deutschland im Jahr 2009 für weniger als 8,50 € pro Stunde gearbeitet.
Laut dieser Studie bekommen 18 % der Alleinerziehenden ein Stundenentgelt von weniger als 7,50 €. Bei den Teilzeitkräften arbeiten 22 % für weniger als 8,50 € pro Stunde. Bei den Vollzeitkräften sind es 9 % der Beschäftigten. Weiterhin bekommen Arbeiter häufiger ein geringeres Entgelt als Angestellte und Beamte. Jeder vierte Arbeiter erhält laut Studie weniger als 8,50 € pro Stunde.
Ich frage Sie: Was ist das für ein System, das seine Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einem Vollzeitarbeitstag zum Amt gehen lässt, um aufstocken zu lassen, weil sie von ihrer Arbeit nicht leben können?
Wir haben in Deutschland eine Solidargemeinschaft in der Pflege, in der Rente und bei der Gesundheit. Aber bei der Arbeit hört es auf? - Das ist doch eine Frage des sozialen Friedens und der sozialen Gerechtigkeit, mit der wir uns hier beschäftigen.
Sie sagen den Menschen, die nach getaner Arbeit zum Amt gehen: Es tut uns leid, aber eure Arbeit ist uns so wenig wert, dass ihr den Staat zusätzlich um Hilfe bitten müsst. - Das geht nicht, sage ich Ihnen. Das ist menschenunwürdig.
Es kann doch nicht sein, dass ein Kino- oder Theaterbesuch für Menschen nicht mehr möglich ist, die unterhalb eines gesetzlichen Mindestlohns arbeiten. Denn von diesem Geld kann man einen kompletten Wocheneinkauf an Lebensmitteln bestreiten. Oder ist es etwa gewollt, dass nur noch Besserverdienende sich einen Theaterbesuch leisten können?
Deutschland ist in Europa beim Thema „Mindestlohn“ Außenseiter. Neben den 20 Staaten mit Mindestlöhnen in der EU sichern weitere sechs Länder mit tariflichen Lösungen faire Löhne. Nur bei uns gibt es keine flächendeckende Lösung, die Lohndumping verhindert.
Deshalb setzen sich die GRÜNEN konsequent für existenzsichernde Mindestlöhne ein. Erst das gibt den Menschen soziale Sicherheit, wie gutes Wohnen, gesunde Ernährung, Alterssicherung, Bildung und kulturelle Betätigung. Arbeitende Menschen sollten nicht auf öffentliche Unterstützung zusätzlich zum Lohn angewiesen sein.
Frau Latta, Sie haben sich sowohl bei dem vorherigen als auch jetzt bei diesem Antrag überzeugend und auch emotional beteiligt sehr stark für die Rechte der Arbeitnehmer eingesetzt und die bestehenden Regelungen substanziell kritisiert. Ich nehme Ihnen das auch ab. Das ist absolut keine Frage.
An dieser Stelle müsste man zumindest einmal einen Satz dazu einfügen, dass diese Situation, die Sie so substanziell kritisieren und zum Teil verurteilen, entstanden ist, als auf der Bundesebene Ihre Partei maßgeblich Einfluss hatte und diese mit verursacht hat.
Ich bin hier jemand, der sich sozusagen für die 100-jährige Geschichte seiner verschiedenen Parteien permanent entschuldigen muss. Das verlange ich von Ihnen nicht.
Aber zumindest wäre im Interesse der Glaubwürdigkeit auch einmal ein kritischer Rückblick auf die letzten zehn Jahre angebracht. - Danke.
Das war eine Intervention. Sie können natürlich darauf antworten, wenn Sie möchten. - Das war es? - Gut. Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rotter.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister Bischoff, ich möchte Ihnen am Beginn meiner Rede ausdrücklich dafür danken, dass Sie in Ihrer Rede klargestellt haben, dass SachsenAnhalt kein Land der Dumpinglöhne ist.
(Zustimmung bei der CDU - Herr Gallert, DIE LINKE: Die blöden Erhebungen der Bundes- agentur für Arbeit! Das ist es wieder! - Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)