Wir möchten nämlich noch Schülerinnen und Schüler des Einstein-Gymnasiums Magdeburg bei uns begrüßen, die einer so wichtigen Debatte lauschen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte ich Herrn Minister Aeikens mit einer Regierungserklärung erwartet; denn der 21. März ist seit 1971 durch die FAO, also die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, zum „Tag des Waldes“ erklärt worden. Obwohl die Europawahl - der Herr Staatsminister hat dies angesprochen - Ende Mai 2014 stattfindet - der entsprechende Sonntag fällt im Jahr 2014 auf den 25. Mai -, überrascht uns Staatsminister Robra mit einer Regierungserklärung.
Sachsen-Anhalt: solidarisch und weltoffen - so der Titel meiner Rede. Bundespräsident Gauck zitiert oft Freiheit, auch Meinungsfreiheit. Diese ist aber eingeschränkt, wenn man für seine freie Meinung als Bedenkenträger eingruppiert wird.
Wenn ich aufzählen sollte, vor welchen Herausforderungen die Europäische Union und auch Sachsen-Anhalt als Teil der Europäischen Union derzeit stehen, wüsste ich eigentlich gar nicht, wo ich anfangen soll. Es sind so viele Herausforderungen, dass man schon einmal schnell welche aus dem Blick verlieren kann. Aber, liebe Landesregierung bzw. der zaghafte Rest, es gibt ja uns, dass wir auch an diese erinnern.
Wenn es wirklich so wäre, dass die Europäische Union eine Herzensangelegenheit der Landesregierung ist, ein Querschnittsthema, das alle Fachressorts betrifft, dann wären Sie gut beraten gewesen, Herr Robra, einen Termin zu wählen, an dem die Regierungsbänke voll gewesen wären. Das ist eigentlich ein Trauerspiel.
Die Krise in Europa ist noch lange nicht gemeistert. Darüber hätten wir mittlerweile seit fünf Jahren auf jeder Landtagssitzung debattieren können. Dies nimmt einfach kein Ende.
Mittlerweile wird wieder ganz offen über einen Austritt Italiens, eines der Gründerländer der heutigen EU, aus dem Euro und über den Staatsbankrott des „systemrelevanten“ Zypern diskutiert. Die Karikatur aus der heutigen Zeitung spricht Bände. Ich hoffe nur, dass auf diesem Schild niemals „EU“ steht.
Herr Robra, vor vier Jahren sprachen Sie in Ihrer Regierungserklärung davon, wir steckten derzeit in der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Jahrzehnten. Heute haben wir gehört: Derzeit durchlebt die EU mit der Wirtschafts- und Finanzkrise die größte Herausforderung ihrer Geschichte. Wir hätten es auch kürzer haben können: Heute sind wir einen Schritt weiter…
Frau Merkel und Herr Schäuble reden weiter über alternativlose Rettungsschirme - da ist dieses Unwort wieder - und über Sparprogramme. Doch die Krise scheint einfach kein Ende zu nehmen. Woran liegt das wohl? - Das liegt nach unserer Überzeugung ganz einfach am falschen Ansatz.
Die neoliberale Herangehensweise, Sozialstandards zu senken - wir haben heute Morgen schon eine aktuelle Debatte darüber geführt -, öffentliches Eigentum zu verkaufen und demokratische Strukturen zu reduzieren, ist der falsche Ansatz.
In Südeuropa bluten die Menschen für die Gier der Banken. Gestern gab es Demonstrationen von Bankern vor dem Parlament in Nikosia. Erst dachte ich: verkehrte Welt. Nein, Europäische Union! Spanien, Italien, Griechenland, Zypern - überall dort gibt es riesige Sparpakete, mit denen vor allem bei den Gehältern, den Rentnern und den sozialen Sicherungssystem gespart wird. Das funktioniert so nicht.
Wenn Sie mir die Frage beantworten können, wie Europa aus dieser politischen Zwickmühle herauskommen soll, wenn Russland überlegt, in Zypern auch eine Stationierung von Militär vornehmen zu können, dann muss ich sagen, dass man sich das etwas kosten lassen wird. Das hilft Zypern.
Dann haben wir den Konflikt mit der Türkei. Seit vielen Jahrzehnten steht man bezüglich eines Aufnahmeantrags in die EU in Verhandlungen. Ich weiß nicht, wie man bei dieser politischen Zwickmühle - so möchte ich es einmal bezeichnen - zu einer Lösung finden soll.
Dabei hilft es auch nur wenig, den spanischen und italienischen jungen Menschen hier in SachsenAnhalt Deutschkurse anzubieten, damit wir sie als Fachkräfte abwerben können und damit dort gleichzeitig die Jugendarbeitslosenquote sinkt. Das ist in keiner Weise nachhaltig.
Was wirklich fehlt, ist die Solidarität der Mitgliedstaaten und ein Umdenken hinsichtlich der irregeleiteten Sozialkürzungspolitik. Die Euro-Krise darf nicht dazu benutzt werden, die sozialen Sicherungssysteme auszuhöhlen.
Stattdessen sollte das Land Sachsen-Anhalt vorangehen und für die Idee einer sozialen Union werben. Aber das kam in Ihrem Vortrag überhaupt nicht vor.
Auch beim Mehrjährigen Finanzrahmen können wir die fehlende Solidarität der Mitgliedstaaten beobachten. Auch hier ist sich jeder Mitgliedstaat selbst der nächste. Das ist wohl menschlich, aber wenig christlich; denn es heißt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Allen voran stehen Großbritannien und Deutschland. Solange diese beiden Länder ihre Sparhaltung nicht aufgeben und das Budget nicht aufstocken, sodass kein Defizit entsteht, wird es auch keinen zukunftsfähigen Mehrjährigen Finanzrahmen geben. Die Plakate der Kanzlerin in den Medien - ob in Griechenland oder jetzt in Zypern - sprechen Bände.
Das Europäische Parlament, das nun erstmals die Möglichkeit hatte, ein Veto beim Mehrjährigen Finanzrahmen einzulegen, hat diesen sang- und klanglos durchfallen lassen. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass das Europäische Parlament in diesem Punkt von seinem demokratischen Recht Gebrauch gemacht hat und nun Nachverhandlungen von der EU-Kommission und vom Europäischen Rat fordert.
Auch wir in Sachsen-Anhalt sollten uns durchaus bewusst machen, dass die europäische Kohäsionspolitik der Gedanke des sozialen Zusammenhalts durch eine Angleichung der Lebensverhältnisse in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist. Niemand soll zurückgelassen werden. Es ist eine Solidaritätspolitik, die es allen Bürgern in der EU ermöglichen soll, gleichwertige Lebensbedingungen zu bekommen.
Wir sollten uns auch vor dem Hintergrund der nun einmal endlichen EU-Fördermittel stärker bewusst machen, dass es auch Regionen in Europa gibt, die diese Hilfe vielleicht noch mehr brauchen als wir.
Wir sollten uns in der jetzigen Förderperiode daher auch sehr genau überlegen, welche Fördermaßnahmen wirklich nachhaltig sind und nicht auf Jahre hinaus zusätzliche Folgekosten verursachen. Ein „Weiter so!“ mit europäischen Mitteln wird es nach dem Jahr 2020 nicht mehr geben. Hier muss es ein Umsteuern in der Förderpolitik geben, welches wir bei der Landesregierung vor allem in den strategischen Eckpunkten zur Förderperiode 2014 bis 2020 noch nicht erkennen konnten. Es bleibt bei der Dominanz der Wirtschaft.
ESF-Mittel flossen im Jahr 2012 nur zu 50,6 % ab. Das führt zu einer Verfestigung der Schieflage und auch der zunehmenden Kritik weiter Teile der europäischen Bevölkerungen bis hin zur Ablehnung und, Herr Robra, eben auch zu einer solchen schlechten Beteiligung an der Wahl zum Europäischen Parlament.
Sie führten aus, was die Landesregierung in dieser Legislaturperiode noch erreichen will, und sprachen auch über die Strategie, die die Europapolitik des Landes auf eine transparente Grundlage stellt und zugleich Zielstellungen formuliert, an denen sich alle Ressorts in ihren europäischen und internationalen Aktivitäten messen lassen wollen. Sie benutzten das Wort „wollen“. Ich meine, nein, es muss heißen: sich messen lassen müssen. Allein mir fehlt diesbezüglich der Glaube.
In Bezug auf die Beschäftigungsziele heißt es, dass 75 % der Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren - bis 64 Jahre ist jetzt fraglich - in Arbeit stehen. Ja, in was für Arbeit denn? Der Begriff „existenzsichernde Arbeit“ ist hierbei nicht gefallen. In prekärer Arbeit, in Minijobs oder wie auch immer? Es hieß einfach nur so: in Arbeit.
In Bezug auf die Klimaschutz- und Energieziele fiel mir ein: Das kenne ich als gelernter DDR-Bürger auch. Wenn es nicht ganz so hinkommt, dann werden eben „Planpräzisierungen“ vorgenommen und dann wird eben bei den Zwischenzielen im Jahr 2030 ein wenig umgesteuert.
Das Thema Schulabbrecher begeistert mich nach der gestrigen Debatte ohne Ende. Dazu hat der Finanzminister gesagt, ja, er kann sich nicht einfach Schülerinnen- oder Studierendenzahlen wünschen. Dazu schreibt heute eine Tageszeitung, dass diesbezüglich die Meinungen arg auseinandergehen.
Ja, wie soll es denn gehen? - Wenn Sie die Schulabbrecherquote unter 10 % senken wollen, wollen Sie es dann machen wie die FDP mit ihrem Spitzenkandidaten, per Akklamation? Oder wie soll es gehen?
Ich kann mich noch gut an die Debatte zur Europa- und Internationalisierungsstrategie im letzten Jahr erinnern. Unsere Kritik an der Strategie bleibt bestehen und findet auch beim Europabericht wieder Anwendung.
Aus meiner Rede vor einem Jahr zitiere ich sehr gern. Damals sagte ich sinngemäß: Die Strategie ist nicht nur unambitioniert und in weiten Teilen nichtssagend, sondern sie nimmt eine alleinige Ausrichtung auf den Nutzen der EU für SachsenAnhalt vor. Und weiter sagte ich:
„Es geht darum, wie Sachsen-Anhalt besser finanziell und wirtschaftlich profitieren kann, wie die Interessen des Landes besser umgesetzt werden können usw. Das Wort Solidarität fehlt in dieser Strategie gänzlich. Von einer politischen oder gar Sozialunion scheint die Landesregierung keine Idee zu haben.“
Wir haben auch schon damals gefragt, welche Anstrengungen die Landesregierung denn unternimmt, um den Schwerpunkt Armutsbekämpfung der Europa-2020-Strategie im Land umzusetzen. Heute wie auch damals haben wir keine erhellenden Antworten erhalten.
Ich komme noch einmal auf die strategischen Eckpunkte der Landesregierung zur Förderperiode 2014 bis 2020 zurück. Auch da finden sich keine erhellenden Antworten auf die Frage, wie die Landesregierung die Armut, speziell die Kinderarmut, bekämpfen will.
Dort heißt es zwar unter IX - Förderung der sozialen Eingliederung und Bekämpfung der Armut -, dass der Armutsgefährdung vor allem von Kindern und Jugendlichen entgegengesteuert werden soll. Wenn man aber in die konkreten Handlungsfelder schaut, dann stellt man fest, dass sich dazu nichts findet.
Okay, es gibt noch ein Handlungsfeld zur Eingliederung junger Menschen mit Behinderungen, was auch vollkommen richtig ist. Aber ansonsten fällt Ihnen zur Armutsbekämpfung anscheinend nichts weiter ein.
Auch hieran wird wieder deutlich, dass man immer davon ausgeht, die Armut von Kindern zu bekämpfen, indem man die Eltern in den Arbeits
markt eingliedert. Das kann richtig sein. Bei der hohen Zahl an Aufstockern und geringfügig Beschäftigten im Land Sachsen-Anhalt greift das allerdings zu kurz.