Trotzdem bin ich damit natürlich nicht zufrieden und sage: Wir müssen einen Mindestlohn haben. Denn man muss von der Arbeit, die man macht, existenzsichernd und gut leben können.
Ich habe in den letzten Tagen viel gelesen. Es gab Menschen, die die Agenda bekämpft haben und die heute anders darüber reden, auch Wissenschaftler, und es gibt auch den umgekehrten Fall. Die Meinung von dem, was vor zehn Jahren und in der Folge passiert ist, ist derart unterschiedlich, dass sich nicht immer ein einheitliches Bild ergibt. Es gibt auch innerhalb der Parteien - auch in den Parteien, die damals in der Koalition waren, auch in den Parteien, die heute die Regierung in Berlin bilden - sehr unterschiedliche Sichtweisen.
Ich sage es noch einmal: Wir müssen das Ganze weiterentwickeln. Man muss aus Fehlern und aus Fehlentwicklungen lernen. Man muss die Chancen, die wir heute haben und die unvergleichlich höher sind als vor zehn Jahren, nutzen. Dafür stehen wir in Sachsen-Anhalt auch mit unserer Koalition.
Danke schön, Herr Minister. Weitere Nachfragen gibt es nicht. - Wir fahren fort in der Debatte. Als Nächster spricht für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Rotter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt wohl kaum ein Projekt einer Bundesregierung, das unser Land so sehr bewegt hat und immer noch bewegt. Es gibt
wohl kaum ein Projekt, das so tiefgreifend und nachhaltig sehr viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens verändert hat. Kein anderes Projekt ist, und zwar über alle Parteien hinweg, so unterschiedlich beurteilt worden. Es wird auch heute noch nicht einheitlich bewertet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor fast genau zehn Jahren, am 14. März 2003, wurde die Agenda 2010 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung aus der Taufe gehoben. Zu dieser Zeit wurde Deutschland wirtschaftlich als der kranke Mann Europas wahrgenommen.
Mit dem Reformpaket der sogenannten Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, das übrigens - das möchte ich betonen - von der CDU und der CSU weitgehend mitgetragen wurde, sollten der Sozialstaat umgebaut und die Wachstumsbedingungen für die einheimische Wirtschaft verbessert werden.
Als Ziele nannte Schröder unter anderem die Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und Beschäftigung, aber auch den Umbau des Sozialstaates und seine Erneuerung. Zitat:
„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“
Mit diesen Worten wollte Bundeskanzler Gerhard Schröder Deutschland damals auf seinen Reformkurs einschwören. Hinter dem damals noch unbekannten Begriff Agenda 2010 verbarg sich ein Maßnahmenbündel, mit dem die Sozialsysteme saniert, die Lohnnebenkosten auf unter 40 % gesenkt, der Arbeitsmarkt flexibler gestaltet und die öffentlichen Finanzen konsolidiert werden sollten.
Die Agenda 2010 war ein breit angelegter Maßnahmenkatalog, dessen Einzelaspekte auch zur damaligen Zeit nicht alle neu waren. Doch wurden erstmals alle Maßnahmen und alle existierenden Pläne zu einem Programm zusammengefasst. Von Steuersenkungen über Gesundheits- und Rentenreformen und die Lockerung des Kündigungsschutzes, vom Bürokratieabbau bis hin zu einer Flexibilisierung der Flächentarife reichte das Maßnahmenpaket.
In der Nachschau muss allerdings festgestellt werden, dass nicht alles davon umgesetzt wurde. Nicht alles, was angegangen wurde, erwies sich als so erfolgreich, wie man es ursprünglich erhofft hatte. Leider stellte sich manches sogar als fatal in den Auswirkungen heraus.
Und doch war und ist der Grundsatz der Reform richtig. Die Grundrichtung stimmt. So kann man zehn Jahre nach der Verkündung der Agenda 2010 sagen, dass sich Deutschland vom kranken Mann Europas zur wirtschaftlichen Lokomotive
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei allem Lob für die Agenda 2010 sollte man natürlich nicht ausblenden, dass sie aus der Sicht vieler Experten an vielen Stellen handwerklich einfach schlecht gemacht war und deshalb viele Gerechtigkeitslücken hinterlassen hat. Wie sagt doch das Sprichwort so treffend? - Gut gewollt ist noch lange nicht gut gemacht. Deshalb war es nötig, an vielen Stellen nachzubessern.
An dieser Stelle ist beispielhaft die Einführung der Zeitarbeit zu nennen. Ihre Einführung war und ist richtig. Doch war es nötig, in diesem Arbeitsmarktsegment soziale Leitplanken einzuziehen und verbindliche Regularien zu schaffen. So war die Schaffung eines Mindestlohns für den Bereich der Zeitarbeit wichtig, wie auch die sogenannte Drehtürklausel, die verhindert, dass Mitglieder der Stammbelegschaft entlassen werden, um anschließend als Leiharbeiter in demselben Unternehmen wieder eingestellt zu werden.
Überhaupt war einiges zu reparieren bzw. zu ergänzen. So musste das Bildungs- und Teilhabepaket eingeführt werden, um Kindern eine bessere Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen und ihnen den Zugang zu Bildung zu erleichtern.
Die Jobcenter mussten verfassungsfest gemacht werden; denn nur so war es ihnen möglich, sich zu dem zu entwickeln, was ihre Bestimmung ist, und gute Arbeit vor Ort zu leisten. Nicht zu vergessen ist, dass die Regelsätze schlicht und ergreifend als verfassungswidrig erkannt wurden. Auch hierbei musste nachgebessert werden.
Darum ist es schlichtweg falsch, wenn Sie, liebe Kollegin Dirlich - ich sehe sie im Moment gar nicht -, und Sie, lieber Kollege Gallert, in Ihrer Presseerklärung schreiben, dass die folgenden CDU-geführten Bundesregierungen die Agenda 2010 ungebrochen fortgesetzt und ausgeweitet hätten. Nein, wir haben sie fortgeschrieben und dort, wo es nötig war, entscheidend verbessert.
Das Ergebnis: Die Arbeitslosenquote ist heute historisch niedrig. Die Jugendarbeitslosigkeit ist im europäischen Vergleich äußerst gering. Der Minister hat es am Beispiel Spaniens in seiner Rede deutlich dokumentiert. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zurückgegangen.
Mit der Reform wurde auf der einen Seite die Eigenverantwortung des Einzelnen gestärkt, auf der anderen Seite können Arbeitslose nach wie vor auf solidarische Hilfe zählen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, dass Sie der Agenda 2010 nicht viel Positives abgewinnen können, das verstehe ich ja; sind Sie doch tief in Ihrem ideologischen Korsett verhaftet.
Die Unterstellungen in Ihrer Presseerklärung sind jedoch schon ziemlich grenzwertig. Zu behaupten, dass durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ausschließlich das Ziel erreicht werden sollte, den Unternehmern das Heuern und Feuern zu erleichtern, ist schon ziemlich absurd.
Mit dieser und ähnlichen Behauptungen diffamieren Sie nicht nur die ehrlichen Absichten der Macher der Agenda 2010, sondern auch die Unternehmen unseres Landes, die tariftreu das Wohl des Unternehmens, aber auch das ihrer Beschäftigten im Sinn haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Ausführungen noch eines anmerken: Das Prinzip der Agenda 2010 hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Fördern und Fordern ist nach wie vor der richtige Ansatz, um Menschen in Arbeit zu bringen, aus der Arbeitslosigkeit in den ersten Arbeitsmarkt. Dabei muss es fair zugehen. Arbeit muss sich lohnen. Wer arbeitet, muss am Ende des Tages mehr haben als jemand, der nicht arbeitet.
Am Ende eines Arbeitslebens trifft das auch zu. Wer sein Leben lang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt hat, der darf dann nicht in die Grundsicherung gehen müssen wie jemand, der das nicht getan hat.
All das gilt es für die Zukunft zu regeln und nachhaltig zu gestalten. Darum ist es für mich unverständlich, dass sich einige Initiatoren der Agenda 2010 heute von Teilen der Reform distanzieren, ja sich ihrer sogar schämen.
Da halte ich es lieber mit dem Gesundheitspolitiker der SPD Karl Lauterbach, der die Agenda noch vor einem Jahr offensiv verteidigt hat und sagte, die gute Arbeitsmarktslage sei mindestens zu 50 % den Hartz-Reformen zu verdanken.
Die SPD hat Recht gehabt und das Richtige getan. Hoffentlich wird auch diese realistische Einstellung nicht ein Opfer des heraufziehenden Wahlkampfes. Mit diesem Wunsch möchte ich schließen und
Danke schön, Herr Abgeordneter Rotter. Es gibt eine Frage des Abgeordneten Herrn Gallert. Möchten Sie sie beantworten?
Dann fahren wir in der Aktuellen Debatte fort. Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Professor Dr. Dalbert.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zehn Jahre Agenda 2010 - schauen wir doch einmal zurück, wie die Situation in Deutschland vor zehn Jahren war. Wir hatten Massenarbeitslosigkeit. 4,4 Millionen Menschen waren ohne Arbeit. Die Wirtschaft stagnierte. Auch in den Zeiten, in denen es der Wirtschaft etwas besser ging, bewegte sich bei der sogenannten Sockelarbeitslosigkeit überhaupt nichts.
Es gab Tausende von Menschen, die vom Arbeitsmarkt völlig abgekoppelt waren und keine Hoffnung auf Besserung hatten. In der Situation musste Rot-Grün handeln und Rot-Grün hat gehandelt. Ein Ergebnis ist, dass es Deutschland heute besser geht.
Wir sind eine der führenden Wirtschaftsnationen und die Arbeitslosenquote ist gesunken. Die Zahl der Arbeitslosen liegt im Moment je nach Monat etwas über oder unter drei Millionen.
Ich kann mich noch sehr gut an die Debatten erinnern, in denen man das ambitionierte Ziel ausgegeben hat, unter vier Millionen Arbeitslose zu kommen, und sich gar nicht vorstellen konnte, dass das zu erreichen sei.